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DOI: 10.1055/s-0031-1287700
L(i)ebe lieber zu dritt – warum die menschliche Psyche nur im Dreieck funktioniert
Publication History
Publication Date:
01 September 2011 (online)
"Der Mensch kann nicht herausfinden, wo auf der Erde er sich befindet, ohne den Mond oder einen Stern als Bezugspunkt zu benutzen. Zuerst kommt die Astronomie, erst daraus ergeben sich die Landkarten."
Mit diesem Zitat Paul Austers sucht Jürgen Grieser das eigentlich aus der Trigonometrie stammende Prinzip der Triangulierung verständlich zu machen, das dazu dient, den Abstand zweier Punkte voneinander durch ihren jeweiligen Abstand zu einem gemeinsamen dritten Punkt zu bestimmen. Dass dieses Konzept des Dritten auch in der psychodynamischen Theorie eine tragenden Rolle hat, dürfte bekannt sein. Jürgen Griesers frisch erschienenes Buch "Architektur des psychischen Raumes – Die Funktion des Dritten" macht es sich nun zur Aufgabe, diese tragende Rolle des Dritten für unser Menschsein und das heißt genauer für die Entstehung und Aufrechterhaltung unseres psychischen Raums in einer umfassenden Studie darzustellen. Denn was der Raum mit Triangulierung zu tun hat, wird nicht nur in der Trigonometrie deutlich, sondern auch im psychischen Sinne, wo ein raumgebender Abstand zwischen uns und dem anderen, zwischen Du und Ich, erst dort erfahrbar wird, wo wir beides auf eine dritte (trennende wie verbindende) Instanz beziehen können – welche in der Psychoanalyse schließlich die Sprache ist.
Dabei gelingt es dem Autor in beeindruckender Weise, die Bedeutung eines solchen Denkens im Dreieck für die tägliche Arbeit des Psychotherapeuten in aller Vielschichtigkeit darzustellen. Während im ersten Abschnitt Grundsatzüberlegungen zum Triangulierungskonzept unternommen werden, kommen diese dann im Bezug auf die psychodynamische Entwicklungstheorie (mit einem besonders hervorzuhebenden Abschnitt über das Lebensende) zur Entfaltung. Hiernach wendet Jürgen Grieser das ausgearbeitete Thema dann konsequent auf die Psychopathologie und Therapie von Triangulierungsstörungen an: Psychotherapie wird für den Autor weniger zur Arbeit in der Tiefe und Vergangenheit, als vielmehr zur Gestaltung von Oberflächen und Zukunftshorizonten. Das letzte Kapitel schließlich widmet sich künstlerischen und kreativen Aspekten, die mit dem Thema des Dritten zu tun haben.
Illustriert werden die Ausführungen Jürgen Griesers von zahlreichen Therapiebeispielen, die komplexe Sachverhalte immer wieder lebensnah auf den Punkt bringen. Der Autor vermag dabei, dem Leser in einem verständlichen und präzisen Stil den selbst in der deutschen Psychoanalyse immer noch wenig gelesenen Lacan in inspirierender Weise verständlich zu machen.
So hat Jürgen Grieser mit "Architektur des psychischen Raumes – Die Funktion des Dritten" ein eindrucksvolles und reichhaltiges Kompendium psychoanalytischen wie anthropologischen Denkens zur Frage der Triangulierung verfasst, dessen Anschaffung jedem Psychotherapeuten auch jenseits der Schulgrenzen zu empfehlen ist.
Samuel Thoma, Berlin
E-Mail: samuel.thoma@gmx.net