Aktuelle Dermatologie 2012; 38(03): 95-96
DOI: 10.1055/s-0031-1291548
Übersicht
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Neue pathogenetische Aspekte beim Merkelzellkarzinom[*]

New Pathogenetic Aspects in Merkel Cell Carcinoma
K. Krasagakis
Dermatologische Abteilung, Universitätskrankenhaus Heraklion, Kreta, Griechenland
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Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Konstantin Krasagakis
Dermatologische Abteilung
Universitätskrankenhaus Heraklion, Kreta
71110 Heraklion
Griechenland   

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
13. Januar 2012 (online)

 

Zusammenfassung

Die jüngsten Entwicklungen zur Pathogenese des Merkelzellkarzinoms haben unser Verständnis für diesen Tumor beträchtlich verbessert. Die klonale Integration des Merkelzell(polyom)virus ins Genom der Tumorzellen und die tumorspezifische verkürzende Mutation des LT-Antigens während der Integration ist dabei der wesentliche Mechanismus, der zur Entartung der Zellen führt. Weitere Ereignisse tragen offensichtlich zur Merkelzelltransformation bei, wie die simultane Expression des Stammzellfaktors und seines Rezeptors KIT, was eine autokrine Förderung des Zellwachstums bewirkt.


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Abstract

Recent developments on Merkel cell carcinoma pathogenesis have substantially improved our understanding for this tumor. The clonal integration of the Merkel cell (polyoma) virus in the genome of the tumor cells and the tumor specific truncating mutation of the LT antigen during integration represent a major mechanism for carcinogenesis. Additional events apparently contribute to Merkel cell transformation, such as the simultaneous expression of stem cell factor and his receptor KIT resulting in an autocrine stimulation of cell growth.


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Das Merkelzelkarzinom: Ein viral induzierter Tumor

Das Merkelzellkarzinom, welches erstmals 1972 von Toker beschrieben wurde, ist aufgrund des Nachweises von neurosekretorischen Granula im Zytoplasma im Jahr 1976 als ein primäres neuroendokrines Karzinom der Haut eingestuft worden. Die Entdeckung eines klonal ins Genom der Tumorzellen integrierten Virus durch Feng et al. (2008) führte zu einem signifikanten Fortschritt unseres Verständnisses bezüglich der Pathogenese dieses Tumors. Der sogenannte Merkelzellvirus bzw. Merkelzellpolyoma-Virus (MZV) gehört zur Familie der Polyomaviren, kleinen, 40 – 50 nm großen DNA-Viren, die verschiedenste Spezies, u. a. den Menschen, infizieren können. Aufgrund ihrer tumorigenen Wirkung an Tieren wird vermutet, dass sie für die Induktion von Neoplasien beim Menschen verantwortlich sein können. Heute wird angenommen, dass ein großer Anteil der Bevölkerung mit dem Merkelzellvirus infiziert ist. Die Infektion wird meist im Kindesalter erworben, da sich bei 50 % der Jugendlichen und bei 80 % der Erwachsenen entsprechende Antikörper nachweisen lassen (Tolstov et al. 2009). Bei Merkelzellkarzinom-Patienten sind allerdings die Antikörper-Titer bis ums 60-fache höher als in der Bevölkerung (Pastrana et al. 2009). Die Infektion wird möglicherweise über die Haut bzw. den oral-fäkalen Weg übertragen.

Das Genom des Merkelzellvirus enthält Regionen, wie die VP1 und VP2, die strukturelle Proteine kodieren, und andere, wie die LT- und ST-Region, die für die Virusvermehrung verantwortlich sind. Allerdings treten bei der Integration des Virus in die DNA der Tumorzellen verkürzende Mutationen im Helikasenbereich des LT-Proteins auf, die eine aktive Replikation des Virus verhindern (Shuda et al. 2008). Dennoch bleibt die Bindungsfähigkeit des verkürzten LT-Proteins an das Retinoblastomprotein der Tumorzelle trotz der Mutation erhalten. Somit können infizierte Tumorzellen die Infektion überleben. Dabei können die Zellen aufgrund der Trennung des E2F-Transkriptionsfaktors vom RB-Protein aktiv im Zellzyklus bleiben und weiterhin proliferieren ([Abb. 1]). Die klinische Bedeutung der MZV-Infektion wird anhand von Studien unterstützt, die zeigen, dass MZV-positive Tumoren eine bessere Prognose aufweisen. Solche Tumoren haben eine 5-Jahres-Überlebensrate von 45 %, während MZV-negative Tumoren nur eine 13 %ige 5-JÜR aufweisen. Ähnliches zeigt eine weitere Studie, die bei Tumoren mit besserer Prognose eine hohe virale Last aufwies.

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Abb. 1 Zusammenfassende Darstellung der wichtigsten Moleküle, die im Zusammenhang mit der Merkelzelltransformation beschrieben wurden (in Blau mit positiver Wirkung, in Grau mit negativer Wirkung auf die Karzinogenese).

Da bei der Tumorentstehung mehrere Faktoren dazu beitragen, bleibt die Frage der Pathogenese des Merkelzellkarzinoms weiter abklärungsbedürftig. Es gibt Daten, die neben der viralen Genese das Vorhandensein weiterer kanzerogener Mechanismen unterstützen. Es ist anzumerken, dass ein signifikanter Anteil der Tumoren gänzlich virusnegativ ist bzw. weniger als eine Viruskopie/Tumorzelle exprimiert. Somit ist ein duales Konzept zur Merkelzellkarzinomentstehung wahrscheinlich. Die Vorläuferzelle kann durch die MZV-Infektion oder durch andere mutagene Ereignisse wie die UV-Strahlung unter Mitwirkung weiterer Kofaktoren, wie einer Immunsuppression, zur Merkelkarzinomzelle transformieren.


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Der KIT-Rezeptor in der Merkelzelltransformation

In der Erforschung weiterer Mechanismen zur Transformation des Merkelzellkarzinoms ist das KIT-Protein ein potenzieller Kandidat. Das KIT-Protoonkogen ist im Jahr 1987 als das zelluläre Equivalent des v-kit beschrieben worden und kodiert für einen transmembranen Tyrosinkinaserezeptor, der u. a. für die Hämopoese und Melanogenese wichtig ist. KIT-aktivierende Mutationen sind bei der Mastozytose und den mesenchymalen Tumoren des Gastrointestinaltraktes beschrieben worden. Obwohl bei einem hohen Prozentsatz der Merkelzellkarzinome eine KIT-Expression beobachtet wurde, war seine funktionelle Bedeutung bis vor kurzem unbekannt. Hierbei konnten wir zeigen, dass Merkelzellkarzinomtumoren den KIT-Rezeptor und seinen Liganden, den Stammzellfaktor, gleichzeitig exprimieren, was auf eine mögliche autokrine Funktion bei diesen Tumoren hindeutet (Krasagakis et al. 2009). Darüber hinaus fanden wir nach Sequenzierung der gesamten kodierenden Region des KIT-Gens in einer Merkeltumorzelllinie die M541L-Sequenzvariation des KIT (Krasagakis et al. 2011 a). Diese Mutation führt zu einem erhöhten Ansprechen des KIT-Rezeptors auf den Stammzellfaktor. Schließlich konnten wir zeigen, dass der KIT-Rezeptor sowohl parakrin als auch autokrin vom SCF beim Merkelzellkarzinom aktivierbar ist und so das Zellwachstum stimuliert (Krasagakis et al. 2011 b). SCF bewirkte bei Merkelkarzinomzellen einen starken Anstieg der KIT-Phosphorylierung und dabei die Aktivierung weiterer Moleküle ([Abb. 1]). So erfolgt die Phosphorylierung der ERK- und AKT-Proteine, die das Wachstum und das Überleben der Tumorzellen stimulieren. Die Inhibition der KIT-Kinase bzw. der PI3-K und MEK erbrachte eine klare Hemmung des Zellwachstums. Dies war allerdings nur in Anwesenheit hoher Konzentrationen der KIT-Inhibitoren möglich, die unter In-vivo-Bedingungen beim Patienten nicht erreichbar sind. Die klinische Bedeutung von KIT wird durch eine Studie von Andea et al. (2010) weiter betont, in der Patienten mit Tumoren, die eine hohe KIT-Expression aufwiesen, eine schlechtere Prognose besaßen.


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Ausblick

Die neuen Entwicklungen zur Pathogenese eröffnen neue Perspektiven für die Zukunft. Zunächst muss man feststellen, dass es derzeit noch völlig unbekannt ist, wie und über welche Rezeptoren Merkelzellen mit dem Virus infiziert werden. Durch die Anwendung neuer Antikörper gegen das Virus ist auf eine verbesserte Diagnostik zu hoffen. Da viral induzierte Tumoren in der Regel immunogen sind, wäre der Einsatz eines Vakzins sowohl als Impfprophylaxe wie auch als Therapie denkbar. Darüber hinaus sollte weiter nach mutagenen Ereignissen in der Tumorentstehung geforscht werden, um die Tumorgenese besser zu verstehen und die daraus resultierenden Behandlungsstrategien zu erweitern.


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* Nach einem Vortrag anlässlich des 11. Jahressymposions der Berliner Stiftung für Dermatologie am 2. Juli 2011, Berlin.


  • Literatur

  • 1 Andea AA, Patel R, Ponnazhagan S et al. Merkel cell carcinoma: correlation of KIT expression with survival and evaluation of KIT gene mutational status. Hum Pathol 2010; 41: 1405-1412
  • 2 Feng H, Shuda M, Chang Y et al. Clonal integration of a polyomavirus in human Merkel cell carcinoma. Science 2008; 319: 1096-1100
  • 3 Shuda M, Feng H, Kwun HJ et al. T antigen mutations are a human tumor-specific signature for Merkel cell polyomavirus. Proc Natl Acad Sci USA 2008; 105: 16272-16277
  • 4 Krasagakis K, Krüger-Krasagakis S, Eberle J et al. Co-expression of KIT receptor and its ligand stem cell factor in Merkel cell carcinoma. Dermatology 2009; 218: 37-43
  • 5 Krasagakis K, Metaxari M, Zervou M et al. Identification of the M541L sequence variation of the transmembrane KIT domain in Merkel cell carcinoma. Anticancer Res 2011; a 31: 807-811
  • 6 Krasagakis K, Fragiadaki I, Metaxari M et al. KIT receptor activation by autocrine and paracrine stem cell factor stimulates growth of Merkel cell carcinoma in vitro. J Cell Physiol 2011; b 226: 1099-1109
  • 7 Pastrana DV, Tolstov YL, Becker JC et al. Quantitation of human seroresponsiveness to Merkel cell polyomavirus. PLoS Pathog 2009; 5: e1000578
  • 8 Tolstov YL, Pastrana DV, Feng H et al. Human Merkel cell polyomavirus infection II. MCV is a common human infection that can be detected by conformational capsid epitope immunoassays. Int J Cancer 2009; 125: 1250-1256

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Prof. Dr. med. Konstantin Krasagakis
Dermatologische Abteilung
Universitätskrankenhaus Heraklion, Kreta
71110 Heraklion
Griechenland   

  • Literatur

  • 1 Andea AA, Patel R, Ponnazhagan S et al. Merkel cell carcinoma: correlation of KIT expression with survival and evaluation of KIT gene mutational status. Hum Pathol 2010; 41: 1405-1412
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  • 8 Tolstov YL, Pastrana DV, Feng H et al. Human Merkel cell polyomavirus infection II. MCV is a common human infection that can be detected by conformational capsid epitope immunoassays. Int J Cancer 2009; 125: 1250-1256

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Abb. 1 Zusammenfassende Darstellung der wichtigsten Moleküle, die im Zusammenhang mit der Merkelzelltransformation beschrieben wurden (in Blau mit positiver Wirkung, in Grau mit negativer Wirkung auf die Karzinogenese).