Aktuelle Dermatologie 2012; 38(03): 71-73
DOI: 10.1055/s-0031-1291551
Übersicht
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Keratinozytäre Tumoren: Herausforderungen und Chancen im 21. Jahrhundert[*]

Keratinocytic Tumors: Challenges and Chances in the 21st Century
M. Leverkus
Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie der Medizinischen Fakultät Mannheim
› Author Affiliations
Further Information

Korrespondenzadresse

Univ.-Prof. Dr. med. Martin Leverkus
Sektion Molekulare Dermatologie
Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie
Universitätsklinikum Mannheim der Universität Heidelberg
Theodor-Kutzer-Ufer 1-3
68167 Mannheim

Publication History

Publication Date:
09 January 2012 (online)

 

Zusammenfassung

Epitheliale Tumoren der Haut stellen im 21. Jahrhundert aufgrund der weiter dramatisch wachsenden Inzidenz bei gleichzeitig höherem Lebensalter betroffener Patienten und den dadurch bedingten Komorbiditäten eine große Herausforderung dar. Dies betrifft die Dermatologen im Allgemeinen und die Dermatoonkologen im Besonderen. Der Beitrag adressiert die Herausforderungen und beleuchtet neue Chancen zur Behandlung des epithelialen Hautkrebses im 21. Jahrhundert.


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Abstract

Epithelial skin cancer is a major burden for western societies. Due to the dramatic increase in incidence combined with the higher average age with the resulting comorbidities of these patients epithelial skin tumors pose a major challenge to dermatologists in general and to dermatooncologists in particular. This contribution summarizes challenges and novel chances for these epithelial tumor entities of the skin in the 21st century.


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Einleitung

Epitheliale Tumore der Haut sind bereits heute die häufigsten Tumore des Menschen [1]. Vermutlich wegen der angestiegenen ultravioletten (UV) Exposition in den vergangenen Jahrzehnten und aufgrund der Alterspyramide in den mitteleuropäischen Ländern mit einem weiteren starken Anstieg der Bevölkerungsgruppen im Alter zwischen 70 und 90 Jahren muss davon ausgegangen werden, dass es zu einer weiter steigenden Inzidenz kommen wird. Mit einer einfachen Hochrechnung kann das Ausmaß des medizinischen Problems skizziert werden: Etwa 50 % aller derzeit lebenden 60-jährigen Einwohner von Deutschland haben bei sorgfältiger klinischer Untersuchung bereits aktinische Keratosen. Damit sind im Jahre 2010 mit einem Anteil der über 60-Jährigen von ca. 21 % etwa 10 Millionen Individuen mit aktinischen Keratosen zu erwarten. Bis zum Jahre 2030 (mit einem zu diesem Zeitpunkt bestehenden Anteil der über 60-Jährigen von etwa 30 %) wird die Anzahl von Individuen mit aktinischen Keratosen in Deutschland auf etwa 14 Millionen ansteigen [2]. Zahlreiche größere Studien haben eine Progressions-Wahrscheinlichkeit aktinischer Keratosen zu einem invasiven Plattenepithelkarzinom (PEK) von etwa 10 % ermitteln können [3]. Damit ist klar, dass diese Herausforderung großer medizinischer Anstrengungen bedarf, damit eine adäquate Versorgung dieser Patienten erreicht und ein Anstieg der Mortalität durch fortgeschrittene Tumoren vermieden werden kann.

Eine zentrale Herausforderung beim PEK stellt die Feldkanzerisierung als Ausdruck zahlreicher, möglicherweise unabhängiger mutagener Ereignisse in der Epidermis dar. Hier gilt es weitere wissenschaftliche Fortschritte zu erzielen, die es ermöglichen, detailliertere Risikoabschätzungen der individuellen Läsion bzw. des Individuums zu erreichen. Bis dahin wird auch weiterhin eine flächenhafte Therapie mit den gegenwärtig zur Verfügung stehenden Optionen (photodynamische Therapie, topische Therapien [Imiquimod, Diclofenac- oder Ingenol Mebutat-Gel] [4], Laser-Therapien, sowie lokal destruktive Verfahren) zur Anwendung kommen müssen. Vor kurzem publizierte prospektive Daten aus der Tübinger Hautklinik haben zeigen können, dass invasive PEK bis zu Tumordicken von 2 mm kein Metastasierungsrisiko tragen. Dem gegenüber steht ein etwa 18 %iges Risiko zur Entwicklung metastasierender PEK bei einer Tumordicke von mehr als 6 mm [5]. Tumoren zwischen 2 und 6 mm trugen in dieser Studie ein Risiko von etwa 4 %. Als weiterer Risikofaktor konnte in dieser Studie die Desmoplasie des PEKs bestätigt werden, während interessanterweise der Differenzierungsgrad des Tumors keinen prädiktiven Wert hatte.

Auf der Basis dieser neueren Daten lassen sich die zukünftigen Herausforderungen beim PEK der Haut in Bezug auf prognostische Parameter wie folgt zusammenfassen: Es muss insbesondere geklärt werden

  • aus welchem In-situ-Tumor ein invasives PEK werden kann und

  • welches invasive PEK die Fähigkeit zur Metastasierung hat.

Daraus resultiert, dass es einerseits gilt, valide Bio-Marker für die Progressionsfähigkeit früher PEK (aktinische Keratosen, M. Bowen, etc.) zu finden, und dass andererseits neue Bio-Marker für das therapeutische Ansprechen metastasierter PEK entwickelt werden müssen. Es gilt zu betonen, dass leider bis heute keine prospektiven Studien für die Behandlung des fortgeschrittenen PEK der Haut vorliegen. Daher muss die Dermatoonkologie auf Extrapolationen vom „head and neck squamous cell carcinoma“ (HNSCC), einer Kombination von u. a. intraoralen und laryngealen Tumoren, zurückgreifen. In diesem Zusammenhang gilt es zu beachten, dass die bekannten Karzinogene des HNSCC unterschiedlich sind: Während beim PEK der Haut ganz überwiegend von (UV-)Strahlung als Karzinogen auszugehen ist, muss beim HNSCC von Kombinationen verschiedener Karzinogene wie Tabak und Alkohol ausgegangen werden. Allerdings scheint gegenwärtig aufgrund der Altersverteilung metastasierter PEK der Haut (überwiegend jenseits des 75. Lebensjahrs) mit den resultierenden Komorbiditäten die Durchführung einer prospektiv randomisierten Studie zur Therapie des UV-induzierten PEKs der Haut schwierig, da übliche Ausschlusskriterien von klinischen Studien eine Rekrutierung erschweren. Durch die Komorbiditäten wird daher auch weiterhin eine individuelle Abwägung von Nutzen und Risiko erforderlich und Dermatoonkologen werden gezwungen sein, kurz- und mittelfristig auf Studiendaten zur Behandlung des HNSCC zurückgreifen zu müssen.

Beim metastasierten PEK scheint die Substanzklasse der EGF-Rezeptor-Inhibitoren (Cetuximab, Panitumumab), aber auch Proteinkinase-Inhibitoren des EGF-Rezeptor-Signalweges (z. B. Erlotinib, Gefitinib) große Erfolgsaussichten zu bieten. So konnte eine Kombinationstherapie einer Bestrahlung mit einem EGF-Rezeptor-Inhibitor (Cetuximab) eine Verlängerung des Gesamtüberlebens von HNSCC von 23 auf 49 Monate erhöhen [6]. Dieses therapeutische Vorgehen konnte auch in anekdotisch berichteten Einzelfällen bei fortgeschrittenen PEK der Haut erfolgreich eingesetzt werden [7]. Für diese ebenfalls häufiger zu erwartenden fortgeschrittenen PEK gilt es zukünftig, neue Therapiestandards zu entwickeln. Das operative Vorgehen ist als Gold-Standard anzusehen. Dieser Standard wird aber aufgrund der Altersverteilung immer auch die Komorbidität aufwendiger oder mutilierender Operations-Verfahren zu berücksichtigen haben. Die Zukunft wird zeigen, ob sich ggf. neoadjuvante oder adjuvante Verfahren zur Inhibition des EGF-R-Signalweges zur Therapie fortgeschrittener PEK durchsetzen können.


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Neue Entwicklungen

Welche neuen Entwicklungen zur Therapie des Basalzellkarzinoms gibt es? Aufgrund der pathophysiologischen Erkenntnisse zur überragenden Bedeutung des Sonic-Hedgehog-Signalweges bei der Entstehung von Basalzellkarzinomen seit der Mitte der 90er-Jahre des 20. Jahrhunderts [8] hat sich innerhalb von nur 15 Jahren die neue Substanz-Klasse der Sonic-Hedgehog-Inhibitoren zur Therapie des Basalzellkarzinoms entwickelt. Diese sind in ersten Studien bereits erfolgreich zur Therapie fortgeschrittener Basalzellkarzinome eingesetzt worden [9]. Zahlreiche weitere Substanzen befinden sich von verschiedenen Firmen zur lokalen bzw. systemischen Therapie in der klinischen Prüfung [8]. Bei der weiter steigenden Häufigkeit des Basalzellkarzinoms ist davon auszugehen, dass diese neue Substanzklasse auch die klinische Praxis zur Behandlung dieser Tumoren verändern wird, so sind ebenso neoadjuvante Strategien bei komplexen bzw. mutilierenden Tumoren denkbar. Zur Therapie früher Läsionen sind auch topische Behandlungsoptionen in der klinischen Prüfung und könnten erfolgversprechende Alternativen zu den etablierten Verfahren darstellen.

Ziel jeder Tumortherapie ist die Auslösung von Zelltod, der idealerweise sämtliche Tumorzellen erfasst. Zelltod umfasst dabei nicht nur das Ergebnis („tote Zelle“), sondern vielmehr auch die Art des Zelltodes. In den letzten Jahren ist neben der Apoptose als einer Form des immunologisch tolerogenen Zelltodes ohne wesentliche Entzündungsreaktion die Nekroptose (eine programmierte Form der Nekrose) in das Zentrum des Interesses der Zelltod-Forschung geraten. Da die konservativen Verfahren zur Behandlung von PEK bzw. Basalzellkarzinomen der Haut immer dann großen Erfolg haben, wenn starke inflammatorische Reaktionen auftreten, ist auch das bessere Verständnis der Qualität des Zelltodes epithelialer Tumorzellen eine zukünftige Chance zur Verbesserung konservativer Therapieverfahren.

Ein Beispiel ist die starke Hochregulation des Todesliganden TRAIL im inflammatorischen Infiltrat nach Behandlung von Basalzellkarzinomen mit Imiquimod [10]. In diesem Zusammenhang könnte postuliert werden, dass eine „Umschaltung“ der intrazellulären Signalwege von Resistenz auf Apoptose bzw. Nekroptose durch Ligation von Toll-like-Rezeptoren (TLR) gesteuert wird. Dies könnte eine wichtige Bedingung für die deutliche inflammatorische Reaktion um das Tumorgewebe darstellen bzw. sie weiter verstärken und so dazu beitragen, die Tumorzellen erfolgreich zu eliminieren [11]. Es bleibt zu hoffen, dass das weitere Verständnis dieser komplexen intrazellulären Signalwege es zukünftig möglich machen wird, verbesserte Therapieoptionen für epitheliale Tumoren zu entwickeln.

Insgesamt gilt es festzuhalten, dass aufgrund der demografischen Entwicklung und der weiter dramatisch steigenden Inzidenz epithelialer Tumoren neue und verbesserte Therapieverfahren zur konservativen Behandlung dieser Tumoren von eminenter Bedeutung sind und eine zentrale Herausforderung der konservativen Dermatoonkologie des 21. Jahrhunderts darstellen werden. Es ist davon auszugehen, dass die weitere Erforschung der Zusammenhänge zwischen Entzündung und dem Zelltod in seinen verschiedenen „Spielarten“ dazu beitragen wird, die Hautkrebs-Epidemie wirksam und zum Wohle der dermatologischen Patienten einzudämmen. Solche Therapeutika können mithelfen, den enormen medizinischen und sozio-ökonomischen Bedarf verbesserter Behandlungsoptionen für diese Tumorentitäten im 21. Jahrhundert zu befriedigen.


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Förderung

Die Forschungsarbeiten von M. L. werden durch die Wilhelm-Sander-Stiftung (2008.072.1) sowie die Deutsche Forschungsgemeinschaft (Le 953/6-1) unterstützt.


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* Vortrag gehalten am 2. Juli 2011 beim 11. Jahressymposion der Berliner Stiftung für Dermatologie in Berlin, wissenschaftliche Sitzung anlässlich des 75. Geburtstages von Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. mult. C. E. Orfanos.


  • Literatur

  • 1 Madan V, Lear JT, Szeimies RM. Non-melanoma skin cancer. Lancet 2010; 375: 673-685
  • 2 Statistisches Bundesamt. Bevölkerung Deutschlands bis 2060. Pressemitteilung 2009
  • 3 Glogau RG. The risk of progression to invasive disease. J Am Acad Dermatol 2000; 42: 23-24
  • 4 Rosen RH, Gupta AK, Tyring SK. Dual mechanism of action of ingenol mebutate gel for topical treatment of actinic keratoses: Rapid lesion necrosis followed by lesion-specific immune response. J Am Acad Dermatol 2011; [Epub ahead of print]
  • 5 Brantsch KD, Meisner C, Schonfisch B et al. Analysis of risk factors determining prognosis of cutaneous squamous-cell carcinoma: a prospective study. Lancet Oncol 2008; 9: 713-720
  • 6 Bonner JA, Harari PM, Giralt J et al. Radiotherapy plus cetuximab for squamous-cell carcinoma of the head and neck. N Engl J Med 2006; 354: 567-578
  • 7 Göppner D, Nekwasil S, Franke I et al. Successful combination therapy of a locally advanced squamous cell carcinoma of the skin with cetuximab and gamma-irradiation. J Dtsch Dermatol Ges 2010; 8: 826-828
  • 8 Göppner D, Leverkus M. Basal cell carcinoma: from the molecular understanding of the pathogenesis to targeted therapy of progressive disease. J Skin Cancer 2011; 2011: 650258
  • 9 Von Hoff DD, LoRusso PM, Rudin CM et al. Inhibition of the hedgehog pathway in advanced basal-cell carcinoma. N Engl J Med 2009; 361: 1164-1172
  • 10 Stary G, Bangert C, Tauber M et al. Tumoricidal activity of TLR7/8-activated inflammatory dendritic cells. J Exp Med 2007; 204: 1441-1451
  • 11 Feoktistova M, Geserick P, Kellert B et al. cIAPs block Ripoptosome formation, a RIP1/caspase-8 containing intracellular cell death complex differentially regulated by cFLIP isoforms. Mol Cell 2011; 43: 449-463

Korrespondenzadresse

Univ.-Prof. Dr. med. Martin Leverkus
Sektion Molekulare Dermatologie
Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie
Universitätsklinikum Mannheim der Universität Heidelberg
Theodor-Kutzer-Ufer 1-3
68167 Mannheim

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