Der Klinikarzt 2011; 40(10): 472
DOI: 10.1055/s-0031-1295348
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Der ältere Patient mit chronischer Nierenerkrankung – Wie kann die metabolische Azidose rechtzeitig erkannt und behandelt werden?

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Publication Date:
08 November 2011 (online)

 

Von den zahlreichen Komorbiditäten, die bei älteren Patienten mit Niereninsuffizienz auftreten können, hat die metabolische Azidose eine besondere Bedeutung, da sie das Voranschreiten des chronischen Nierenversagens akzelerieren kann und zu einer Demineralisation des Knochens führt. Sowohl Patienten an der Dialyse als auch Patienten, die noch nicht dialysepflichtig sind, können daher von einer zeitnahen Diagnosestellung und Korrektur des pH-Werts und des Bikarbonatspiegels profitieren.

Besondere Herausforderungen bei der Behandlung älterer Dialysepatienten

Eine häufige Erkrankung sowohl bei dialysepflichtigen als auch bei prädialytischen Patienten stellt die metabolische Azidose dar: Etwa 60–80 % der dialysepflichtigen Patienten weisen vor Dialyse eine metabolische Azidose auf [ 5 ]. Nach Daten des National Health and Nutrition Examination Survey (NHANES) besteht jedoch auch bei 6,9 % der nicht-dialysepflichtigen Patienten mit einer GFR von < 60 und 5,1 % mit einer GFR von > 60 eine metabolische Azidose [ 2 ]. Auf Deutschland hochgerechnet, wären dies immerhin ca. 128 000 bzw. 4,1 Mio. Patienten.

Die chronische metabolische Azidose rangiert in der Wahrnehmung der meisten Ärzte deutlich hinter dem Bluthochdruck oder einer Hyperlipidämie. Angesichts der unkomplizierten und kostengünstigen Behandlungsmöglichkeit sollte diese Diagnose bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion regelmäßig in Betracht gezogen werden.


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Diagnose metabolische Azidose

Während die meisten der typischen Stoffwechselstörungen bei Niereninsuffizienz, wie Hyperphosphatämie und Hyperkaliäme, im Routinelabor identifiziert werden können, kann die Diagnose "metabolische Azidose" nur durch eine Blutgasanalyse sicher gestellt werden. Eine metabolische Azidose liegt dann vor, wenn das Bikarbonat im Blut unter den Normwert von 22–26 mmol/l und der pH unter 7,35–7,45 absinkt.

Die Überwachung der Bikarbonat-Spiegel mittels Blutgasanalyse werden in den KDOQI Guidelines for Bone Metabolism and Disease in Chronic Kidney Disease (2003) für Patienten mit einer GFR < 30 ml/min/1,73m² alle 3 Monate, für Dialysepatienten jeden Monat empfohlen (Abb. [ 1 ]) [ 4 ].

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Abb. 1 Plasma-Bikarbonat bei Hämodialysepatienten und bei Personen ohne Nierenschädigung [ 3 ].

Grund für diese relativ häufigen Untersuchungen sind eine veränderte Zusammensetzung und Abnahme der Knochensubstanz unter einer unbehandelten metabolischen Azidose [ 5 ]–[ 7 ]. Diese Veränderungen der Knochen lassen sich auch durch eine abnehmende Knochendichte belegen [ 8 ] und gehen mit in einer erhöhten Frakturrate einher [ 9 ], welche gerade bei älteren Patienten die Gesamtprognose deutlich verschlechtert. Hinzu kommt noch eine durch die Azidose geförderte Abnahme der Muskelmasse [ 10 ]. Werden die betagten Patienten dadurch bettlägerig, so gelingt oftmals eine Mobilisierung nicht oder nur noch mit erheblichem pflegerischen Aufwand.


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Behandlung der metabolischen Azidose

Die Leitlinien empfehlen daher, den Bikarbonatspiegel bei > 22 mmol/l zu halten. Die einfachsten Maßnahmen gegen eine Azidose sind ein Wechsel hin zu Nahrungsmitteln mit basischer Wirkung, da die typisch mitteleuropäische Ernährung zu einem hohen Überschuss an säurebildenden Nahrungsmitteln führt.

Eine effektive Korrektur der Azidose gelingt in der Regel nur mit der oralen Einnahme von Alkali-Salzen. In Deutschland stehen hierfür Natriumbikarbonat sowie verschiedene Zitrat-Verbindungen zur Verfügung. Da Zitrate jedoch die Aufnahme von Aluminium aus der Nahrung fördern, werden sie bei Patienten mit reduzierter Nierenfunktion vermieden (Gefahr der Aluminium-Akkumulation). Ein weiteres Argument für Natriumbikarbonat ist, dass es in Form magensaftresistenter Kapseln verordnet werden kann und daher gastrointestinale Komplikationen vermieden werden. Moderne Präparate (wie z.B. bicaNorm®) setzen das Bikarbonat erst im Dünndarm frei, wo Bikarbonat nicht mehr durch die Magensäure zerstört wird und gewährleisten so eine optimale Resorption [ 11 ].


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Fazit

Ältere Patienten mit Niereninsuffizienz stellen durch ihre spezifischen Bedürfnisse und Risikofaktoren eine besondere Herausforderung für den behandelnden Arzt dar. Zu den wichtigsten Komorbiditäten zählt die metabolische Azidose, da sie die Prognose der Patienten deutlich verschlechtert. Eine engmaschige Überwachung der zugehörigen Risikofaktoren und eine konsequente Therapie der Komplikationen sind daher von außerordentlicher Bedeutung. Für die Behandlung der metabolischen Azidose empfiehlt sich die Verordnung von magensaftresistentem oralem Bikarbonat, welches zuverlässig pH-Wert und Bikarbonatspiegel korrigiert und den Eintritt der Dialysepflichtigkeit hinauszögert.

Prof. Dr. Roland Schaefer, Frankfurt

Quelle: Dieser Text entstand mit freundlicher Unterstützung durch Fresenius Medical Care.


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  • Literatur

  • 1 Zucchelli P et al. Blood Purif 1995; 13: 375-384
  • 2 National Health and Nutrition Examination Survey (NHANES). CKD in the general population pp. 42-52
  • 3 Price SR et al. Semin Nephrol 1994; 14: 232-237
  • 4 National Kidney Foundation. Am J Kidney Dis 2003; 42 (Suppl. 03) S1-S202
  • 5 Bushinsky DA et al. Am J Physiol 1999; 277: F813-819
  • 6 Frick KK et al. Am J Physiol 1999; 277: F750-F755
  • 7 Nordstrom T et al. J Biol Chem 1997; 272: 6354-6360
  • 8 Lemann Jr J et al. Kidney Int 2000; 58: 1267-1277
  • 9 Bailey RR. N Z Med J 1985; 98: 483-484
  • 10 Franch HA et al. Am J Physiol Renal Physiol 2004; 287: F700-F706
  • 11 Breitkreutz J et al. J Pharm Pharmacol 2007; 59: 59-65

  • Literatur

  • 1 Zucchelli P et al. Blood Purif 1995; 13: 375-384
  • 2 National Health and Nutrition Examination Survey (NHANES). CKD in the general population pp. 42-52
  • 3 Price SR et al. Semin Nephrol 1994; 14: 232-237
  • 4 National Kidney Foundation. Am J Kidney Dis 2003; 42 (Suppl. 03) S1-S202
  • 5 Bushinsky DA et al. Am J Physiol 1999; 277: F813-819
  • 6 Frick KK et al. Am J Physiol 1999; 277: F750-F755
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  • 8 Lemann Jr J et al. Kidney Int 2000; 58: 1267-1277
  • 9 Bailey RR. N Z Med J 1985; 98: 483-484
  • 10 Franch HA et al. Am J Physiol Renal Physiol 2004; 287: F700-F706
  • 11 Breitkreutz J et al. J Pharm Pharmacol 2007; 59: 59-65

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Abb. 1 Plasma-Bikarbonat bei Hämodialysepatienten und bei Personen ohne Nierenschädigung [ 3 ].