Dialyse aktuell 2011; 15(09): 536-538
DOI: 10.1055/s-0031-1295599
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

DGfN-Kongress-Rückblick – Risiko bei CKD-Patienten reduzieren: Wann und wie?

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Publikationsdatum:
10. November 2011 (online)

 
 

Das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse steigt bei niereninsuffizienten Patienten mit dem Erkrankungsgrad [ 1 ]. Das ist umso bedenklicher, da zunehmend mehr Menschen an einer Nierenfunktionseinschränkung leiden. Lag die Prävalenz der chronischen Nierenerkrankung (CKD) zwischen 1988 und 1994 noch bei 10,0 %, ist sie zwischen 1999 und 2004 bereits auf 13,2 % gestiegen und wird heute, 7 Jahre später, noch höher eingeschätzt [ 2 ]. Bei den über 70-Jährigen geht man davon aus, dass über 50 % eine eingeschränkte Nierenfunktion haben – und damit auch ein deutlich erhöhtes kardiovaskuläres Risiko. Wie man dies effektiv senken kann, wurde in einem Symposium der Firma Genzyme auf der dritten Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie in Berlin diskutiert.

Wann sollte eine risikoreduzierende Intervention einsetzen?

Die hohe kardiovaskuläre Mortalitäts- und Morbiditätsrate der Betroffenen ist vor allem auf die durch die Urämie akzelerierte Gefäßverkalkung zurückzuführen. Neben den herkömmlichen Risikofaktoren – Alter, Rauchen, Diabetes, hohe Blutfettwerte – kommen bei Nierenpatienten noch weitere Faktoren zum Tragen, die die Entstehung und das Fortschreiten von Gefäßverkalkungen begünstigen, wie beispielsweise hohe Phosphatwerte.

Konkret wird das Problem, wenn eine kardiovaskuläre Komplikation auftritt oder wenn aufgrund des hohen Verkalkungsgrads keine Transplantation mehr durchgeführt werden kann.

Um dem vorzubeugen, müssen risikosenkende Interventionen wie die Phosphatkontrolle frühzeitig erfolgen. Die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt für eine phosphatsenkende Therapie beantworte der menschliche Organismus selbst, wie Dr. Jan Kielstein, Hannover, ausführte. Denn ab einer GFR (glomeruläre Filtrationsrate) von weniger als 60 ml/min/1,72m2 unternimmt der Körper eine gewaltige Kraftanstrengung, um die gestörte Phosphatretention auszugleichen und somit einer Erhöhung des Serumphosphats, das zur Progression der Gefäßverkalkung und zur Erhöhung der kardiovaskulären Ereignisrate beiträgt, entgegenzuwirken. Das FGF-23 steigt an und katalysiert die fraktionelle Phosphatausscheidung in der Niere, was einen aktiven Gegenregulationsmechanismus des Körpers auf den "Risikofaktor Phosphat" darstellt [ 3 ].

Das alles erfolgt zu einem Zeitpunkt, zu dem die Laborparameter noch vollkommen unauffällig sind und bisher noch nicht an Interventionen gedacht wurde. Diese setzen bis dato erst ein, wenn der Gegenregulationsmechanismus versagt und der Risikofaktor "hohe Serumphosphatwerte" im Labor nachweisbar ist und u. U. bereits Gefäßschäden verursacht hat. Kielstein plädierte daher für eine frühzeitigere Therapie bei Urämikern im Hinblick auf alle bekannten Risikoparameter. So führte er an, dass möglicherweise auch die Statintherapie bei vielen Patienten zu spät komme. Die 4D[ 1 ]-Studie [ 4 ] hatte keine signifikante Veränderung der harten Änderung unter Statintherapie bei Dialysepatienten mit Diabetes mellitus feststellen können, weshalb die allgemeine Schlussfolgerung aus dieser großen Studie bisher lautete, dass die lipidsenkende Therapie in dieser Patientengruppe obsolet sei.

Wie nun eine Subgruppenanalyse der Daten zeigte (siehe Infokasten), ist das nicht bei allen Patienten der Fall. Kielstein interpretierte das negative Ergebnis der 4D-Studie aber dahingehend, dass die Gefäßverkalkung bei diabetischen Patienten an der Dialyse bereits so weit fortgeschritten ist, dass zu diesem Zeitpunkt durch die Statintherapie keine dramatische Veränderung mehr zu erreichen sei. Interventionen müssten daher früher einsetzen, um erfolgreich sein zu können.

Prof. Ulrich Kunzendorf, Kiel, verwies noch auf eine weitere Patientengruppe, bei der oft der optimale Zeitpunkt für risikominimierende Therapiestrategien verpasst wird. "Die Hälfte der Patienten, die transplantiert wurden, sterben mit funktionierendem Transplantat an kardiovaskulären Ursachen." Nierentransplantierte Patienten haben ebenfalls eine eingeschränkte Nierenfunktion und dadurch ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko. Auch bei ihnen muss rechtzeitig an -risikominimierende Interventionen gedacht werden.


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Lipidtherapie: effektiv bei Dialysepatienten mit hohen LDL-Werten

Prof. Winfried März, Heidelberg, stellte seine Post-hoc-Analyse der 4D-Daten vor. Wie sich herausstellte, hängt die relative Risikoreduktion von der absoluten LDL-Senkung ab. Der Nutzen von Atorvastatin ist in der 4D-Studie in der Patientengruppe mit hohen LDL-Ausgangswerten höher als bei jenen mit niedrigem Ausgangs-LDL. Der Post-hoc-Analyse zufolge profitierten Dialysepatienten mit hohen LDL-Ausgangswerten (≥ 155 mg/dl) deutlich von der lipidsenkenden Therapie – weshalb man sie diesen Patienten nicht vorenthalten dürfe. Die Ereignisrate konnte in der Subgruppe der Dialysepatienten mit hohen LDL-Cholesterin-Ausgangswerten um insgesamt 35 % gesenkt werden.

Eine effektive Risikoreduktion erfordert einen multimodalen Ansatz

Bei der Frage "Wie senke ich das Risiko der Patienten?" plädierte Kielstein für einen multimodalen Ansatz, da man mit einer einzigen Intervention kaum eine grundlegende Veränderung herbeiführen könne. Das Risiko von Urämikern wird durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst. Neben den bereits benannten klassischen Risikofaktoren spielen vor allem auch Parameter des gestörten Mineralstoffmetabolismus eine maßgebliche Rolle – von denen viele aber noch nicht vollständig erforscht sind (Abb. [ 1 ]).

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Abb. 1 Das komplizierte Puzzle der urämischen kardiovaskulären Erkrankung.

Kielstein warnte daher vor einer Konzentration auf ein einziges "Puzzleteil", vor allem, wenn dessen Stellenwert für das Risikoprofil noch nicht vollends bekannt ist. Als Beispiel nannte er asymmetrisches Dimethylarginin (ADMA), ein -Bestandteil des Blutplasmas, der die Produktion von Stickstoffmonoxid verhindert. Ein hohes ADMA könne die Gefäßverkalkung begünstigen. Ob eine ADMA-Senkung allerdings zu einer nennenswerten Risikoverbesserung führen könne und welche gegenläufigen Prozesse dadurch vielleicht angestoßen würden, lässt sich nicht vorhersagen, das müssen weitere Studien zeigen.

Wie Kielstein betonte, ist für eine effektive Risikosenkung ein multimodaler Ansatz notwendig, der jene Risikofaktoren berücksichtigt, die nachweislich einen hohen Einfluss auf die Gefäßverkalkung haben. Neben Blutdruck, Lipidprofil und Anämie ist das vor allem das Phosphat.


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Phosphatsenkung mit gefäßschützenden Zusatzeffekten

Möchte man den einflussreichen Risikofaktor Hyperphosphatämie behandeln, stehen verschiedene Medikamente zur Verfügung. Bei der Auswahl geht es um die Effektivität der Phosphatsenkung und günstige Beeinflussung des Risikoprofils, aber auch um Sicherheit, wie Kielstein hervorhob. Er verwies auf eine toxikokinetische Untersuchung [ 6 ] aus Kanada, die die Halbwertszeit und Verteilung von Aluminium im Körper untersuchte, nachdem es zu einer Verunreinigung eines Peritonealdialysats mit Aluminium gekommen war: "Das Aluminium hatte eine Halbwertszeit von 7,2 Jahren und verteilte sich im gesamten Körper – ein Ergebnis, was einen im Hinblick auf aluminiumhaltige Phosphatbinder, auch wenn es um ganz andere Aluminiumdosen geht, kritisch stimmt."

Hinsichtlich der günstigen Beeinflussung des Risikoprofils durch Verlangsamung der Verkalkungsprogression spricht Vieles für die kalziumfreie Phosphatsenkung mit Sevelamer: Zahlreiche Studien belegen, dass darunter die Gefäßverkalkung deutlich langsamer voranschreitet als unter Therapie mit kalziumhaltigen Präparaten [ 7 ], [ 8 ]. Das zeigte auch jüngst eine japanische Studie [ 9 ], die die Koronararterienverkalkungsscores (CAC-Score) bei 183 Hämodialysepatienten über 12 Monate beobachtete: Bei den Patienten, die Sevelamer erhalten hatten, lag der CAC-Score deutlich niedriger.

Dieser gefäßschützende Effekt könnte das Resultat der fehlenden Kalziumbeladung unter Sevelamer sein, möglicherweise kommen aber auch substanzspezifische, pleiotrope Effekte des nichtresorbierbaren Phosphatbinders zum Tragen. So senkt Sevelamer das LDL-Cholesterin [ 10 ], Inflammationsmarker [ 11 ] sowie die Harnsäurekonzentration [ 12 ] und fördert Verkalkungsinhibitoren, wie Fetuin-A [ 13 ]. Daneben reduziert Sevelamer auch die Anzahl der "advanced glycation endproducts" (AGE) [ 9 ]. "Ideal sind Präparate, bei denen man das Gefühl hat, gleich mehrere Dinge zu beeinflussen, wie das zum Beispiel bei ACE-Hemmern oder AT1-Blockern bei hypertensiven nephrotischen Patienten der Fall ist, da man gleichzeitig den Blutdruck senkt und die Proteinurie reduziert", so Kielstein. Auch Sevelamer kann mehr, als nur das Phosphat zu senken, und unterstützt damit einen multimodalen Therapieansatz zur kardiovaskulären Risikoreduktion von CKD-Patienten, wie auch die Studie von Caglar et al. [ 13 ] zeigte (Abb. [ 2 ]).

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Abb. 2 Fetuin-A-, hsCRP- und FMD-Konzentrationen bei der Kalziumazetat-und der Sevelamergruppe vor und 8 Wochen nach der Behandlung.
FMD = "flow-mediated dilatation", hsCRP = "high-sensivity C-reactiveprotein"

Dr. Bettina Albers, Weimar

Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung der Genzyme GmbH, Neu-Isenburg.
Die Beitragsinhalte stammen vom Symposium "Risikominimierung bei nephrologischen Patienten", veranstaltet von der Genzyme GmbH, Neu-Isenburg, auf dem Kongress für Nephrologie, Berlin.
Autorin: Dr. Bettina Albers, PR-Agentur albersconcept, Weimar.


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1 Die Deutsche Diabetes Dialyse-Studie




 
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Abb. 1 Das komplizierte Puzzle der urämischen kardiovaskulären Erkrankung.
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Abb. 2 Fetuin-A-, hsCRP- und FMD-Konzentrationen bei der Kalziumazetat-und der Sevelamergruppe vor und 8 Wochen nach der Behandlung.
FMD = "flow-mediated dilatation", hsCRP = "high-sensivity C-reactiveprotein"