Subscribe to RSS
DOI: 10.1055/s-0031-1297193
Eisenbarths unglücklicher Steinschnitt – ein historischer Kunstfehlerprozess mit königlichem Engagement
Publication History
Publication Date:
17 November 2011 (online)
Herbst 1723, der inzwischen 60-jährige und in seiner Funktion als Wundarzt sehr erfahrene "Königlich-Preußische Rath" Johann Andreas Eisenbarth hielt sich mit seiner Truppe in Ostpreußen auf. Als er Mitte Oktober in Königsberg weilte, ersuchte ihn der Zeug-Tuchmacher Jakob Ungefriesz, seinen schwer am Stein leidenden 6-jährigen Sohn zu operieren. Ein schwerwiegender Kunstfehler Eisenbarths kostete den Jungen das Leben. Der Operationshergang und der darauf folgende juristische Streit, den der Vater bis zum preußischen König vortrug, sind aus historischen Dokumenten zum Teil rekonstruierbar.
Johann Andreas Eisenbarth (1663–1727; Abb. [ 1 ]) erlernte das Handwerk seines Vaters: "Oculist" und "Stein- und Bruchschneider". Als selbstständiger Wundarzt reiste er ab 1686 durch die Lande und erlangte Reichtum und einigen Ruhm. "Soldatenkönig" Friedrich Wilhelm I. ernannte ihn 1717 zum Königlich-preußischen Hofrat. Einen unrühmlichen Abgang hatte Eisenbarth allerdings aus Königsberg (Abb. [ 2 ]), nachdem 1723 der angesehene Tuchmacher Jakob Ungefriesz ihn eben dort darum gebeten hatte, den Blasenstein seines 6-jährigen Jungen zu entfernen.
Nach entsprechender Untersuchung und Bestätigung der Blasensteindiagnose führte Eisenbarth die Operation am 23. Oktober 1723 im Beisein des Arztes Prof. Melchior Philipp Hartmann (1685–1765), des Apothekers Pintschen und eines Barbiers aus seiner eigenen Truppe aus [ 1 ] . Dass sich ein angesehener Professor der Königsberger Universität als "Konsilarius" für diese Operation zur Verfügung stellte, spricht sowohl für den sozialen Status des Vaters des Patienten, als auch für die Qualifikation des Operateurs. Allerdings gelang es Eisenbarth nicht, die Blase zu eröffnen und den Stein zu entfernen. Das Angebot einer erneuten Operation lehnte der Vater ab und der Junge verstarb eine Woche später an den Folgen des gescheiterten Eingriffs. Am 3. November desselben Jahres erhob der Vater Anklage gegen J.A. Eisenbarth. Daraufhin kam es zu amtlichen Ermittlungen wegen unvorsichtigen Steinschnittes. Das entsprechende Protokoll lautet:
"Actum in officio Fiski den 3. November 1723
Nach Maasgebung der Instruktion des kgl. Herrn Hofraths und Advocat Fisci Sub. Rss.. hat Substitutus Fisci die Nachfrage wegen des von dem Operateur Herrn Rath Eysenbarth an einen Knaben verübten unvorsichtigen Steinschneidens in der Juilergasse folgender Gestalt angenommen. Jakob Ungefriesz des am Stein geschnittenen sechsjährigen Knaben leibl. Vater erzählet mit vielem Beklagen, dass er auff folgende Weise umb sein liebes Kind gekommen.
Er habe den Herrn Rath Eysenbarth ersuchet seinem am Stein schwer laborierendem Kinde zu helfen, worauuf selber zum Schnitt resolvieret, zu welchem Ende er am verwichenem Sonnabend u. tags des Morgens zwischen 10 u. 11 Uhr den Schnitt eigenhändig in Beysein des Herrn D.Hartmanns, Herrn Hoffapotheker Pintschen und des Herrn Eysenbarths eigenem Barbier vorgenommen, welcher aber so unglücklich verlaufen, dass sein Kind am siebenten Tag gestorben. Denn, weil Herr Eysenbarth nicht einmal beym Schnitt die Blase, worin der Stein vorhanden, getroffen und das Kind viel Blut verloren. Herr Rath Eysenbarth auch die Nacht vorher auff einer Hochzeit gewesen, sey es dergestalt übel für das arme Kind ausgefallen.
Deponent weiset hiebeyi in einem Glase die Blase des nach dem Tode in Gegenwarth des Herrn D.Hartmanns, des Regimentfeldschers vom hochfürstlichen Regiments und des Herrn Hoffapothekers Pintschen, von Braschke geschnittenen Kindes, welche spiritu vini conservieret geworden, und worinnen der Stein seinem Vorgeben nach enthalten sey, wobey Deponent deliret, dass Herr D. Hartmann ihm keine Attestaum obduktionis ertheilen wollen.
Substitutus Fisci committiret herauff dem Commissions Auffwärter Kühnen den Herrn D.Hartmann umb obduktions attest zu ersuchen." [ 2 ]
Trotz dieser Anzeige blieb Eisenbarth vorerst unbehelligt und verließ Königsberg wenige Tage später, um an anderen Orten in Ostpreußen tätig zu sein. Dazu trug wohl nicht unmaßgeblich die Verzögerungstaktik von Prof. Hartmann bei, der sowohl bei der unglücklichen Operation als auch bei der Sektion des Kindes dabei war und über beides ausführliche Berichte erstellt hatte. Diese wurden von der Behörde zwar wiederholt angefordert, von Hartmann aber nicht sofort zur Verfügung gestellt. Wollte er dadurch Eisenbarth Zeit verschaffen, aus der Reichweite der Behörde zu verschwinden, weil er von dessen Schuld überzeugt war, aber dennoch Achtung vor ihm hatte? Oder hielt er etwa die Behörde für nicht berechtigt von ihm Unterlagen anzufordern, wenn er die Unterlagen nur herausgeben wollte, "es wäre denn dasz deszhalben von der Königlichen Regierung an Ihn rescribiret würde."
-
Literatur
- 1 Mildner Th. Ich bin der Doktor Eysenbarth. Der Weg der Lithotomisten. Eine medizinhistorische Studie. Köln: Madaus;
- 2 Nach einer Übertragung der Urkunde aus dem Staatsarchiv Königsberg (Pr.Tit. 139c III, Nr. 182) durch E. Mathieu, Oberviechtach. Archiv Dr. Hasenbach
- Hasenbach J. Ärztlicher Kunstfehler mit Todesfolge. DÄ 1965 Nr.42, 21322137