Der Klinikarzt 2011; 40(11): 495-498
DOI: 10.1055/s-0031-1297200
Medizin & Management
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Gestaltung von Wachstumsprozessen in Organisationen

Ausgangslage einer rasant wachsenden neurochirurgischen Universitätsklinik
Elke Eberts
,
Mirjam Pföhler
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Korrespondenz

Dr. Elke Eberts
Ruhl Consulting AG Strategy & Realisation Eastsite II
Harrlachweg 1
68163 Mannheim
Phone: 0621/3288500   

Publication History

Publication Date:
30 November 2011 (online)

 
 

Direktor und Chefarzt der Universitätsklinik für Neurochirurgie am Inselspital in Bern ist seit August 2008 Prof. Dr. Andreas Raabe. Seitdem weist die Casemix-Entwicklung in der Klinik beachtliche Wachstumstrends auf. Ein Ausbau des operativen Spektrums in hochkomplexe Spitzenmedizin führte zu einer annähernden Verdopplung des Casemixes in Bezug auf das Jahr 2007. Und dies, obwohl gleichzeitig eine Änderung in der Zurechnungssystematik von Intensivbehandlungen zu Lasten der Abteilung stattgefunden hat. Diese enorme Leistungsausweitung blieb nicht ohne Folgen. Die bald zu knapp bemessenen Bettenkapazitäten in der Neurochirurgie führten aus der Bettennot heraus zu sehr frühzeitigen Verlegungen in Fremdkliniken und nachversorgende Einrichtungen. Soll das weitere angestrebte Wachstum realisiert werden, gilt es daher v. a. die neurochirurgische Normalpflegestation (Station L) als zentralen Engpassfaktor aufzulösen. Im Rahmen des strategischen Angebotsmanagements wurde ein notwendiger Handlungsbedarf in diesem Bereich auch von der Ärztlichen Direktion des Inselspitals erkannt und unterstützt. So wurde als Koordinatorin zwischen der strategischen Konzeption des Leistungsportfolios und der kurz- bis mittelfristigen Strukturanpassung im Bereich Normalstation innerhalb der Neurochirurgie Iris Wietlisbach als interne Projektleiterin ins Boot geholt. Ziel war es, Entwicklungsreserven für Leistungssteigerungen im Bereich der Normalstation aus eigener Kraft zu heben und damit die Station optimal auf den Wachstumsprozess vorzubereiten. Perspektivisch wurde dabei ein Wachstum von 32 Planbetten auf etwa 50 Betten als realistisch abgewogene Zielgröße für die Abteilung geplant.

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Das Phasenmodell von Greiner

Vor dem Hintergrund der Wachstumspläne wird ein dreistufiges Managementkonzept als Pilotprojekt für den Bereich der Normalstation erarbeitet. In der ersten Phase werden ohne Ressourcenzuwachs unmittelbar umsetzbare Verbesserungen in der Koordination der Berufsgruppen auf Station und an den Schnittstellen zur Station gegliedert. In die zweite Umsetzungsphase werden Maßnahmen subsumiert, die einer Erweiterung der qualitativen oder quantitativen Personalkapazität auf Station bedürfen. Dazu zählen zum Beispiel die nur sukzessive erreichbare Ausdehnung der Arzt-Präsenzzeiten auf Station oder die administrative Unterstützung der medizinisch-pflegerischen Abläufe durch die Einführung eines Casemanagements. Für die dritte Phase werden Aufbau- und Ablauforganisation auf eine Großstation von ca. 50 Betten aufwandsbezogen skaliert. Um ein Konzept aufzubauen, das den Anforderungen aller Umsetzungsphasen im Wachstumsprozess gerecht wird, wurde auf das Modell von "Fünf Phasen der Unternehmensentwicklung" von Greiner [ 1 ] rekrutiert, das besagt, welche Phasen im Wachstum Organisationen grundsätzlich durchlaufen. Das Modell lässt sich in einer Wachstumsstufenübersicht zusammenfassen (Abb. [ 1 ]) [ 2 ].

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Abb. 1 Die fünf Phasen des Wachstums.(Quelle: eigene Darstellung, in Anlehnung an Recklies O. (2000), Wachstumsmanagement und die 5 Phasen des Wachstums, http://www.themanagement.de/Ressources/Wachstumsmanagement.htm)

Das Greiner-Modell zeigt auf, welche Fragestellungen auf dem Weg der optimierten Zusammenarbeit bei wachsender Unternehmensgröße zu bewältigen sind, um das kreative Potenzial der Mitarbeiter und ihre Ausrichtung auf ein -gemeinsames Ziel hin auszubalancieren. Jedes Unternehmenswachstum gefährdet per se die innere Stabilität des bestehenden Systems und muss den Übergang in einen neuen beständigen Zustand bewerkstelligen. Dabei ist das Greiner-Modell hilfreich, um den Übergang bestmöglich zu bewältigen. Auch auf das Abteilungswachstum einer universitätsklinischen Einheit lässt sich das Greiner-Modell übertragen, wenn ein Ausbau von rund 30 % in den nächsten 5 Jahren angestrebt wird.

Um den Wachstumsprozess auf ein sicheres Fundament zu stellen, gilt es, die Phasenübergänge von Greiner mit dem inhärenten "Krisenpotenzial" genau zu beleuchten. So können die verantwortlichen Leitungskräfte von Anfang an positiv den zu erwartenden Krisen entgegen wirken. Und wenn die Symptome trotzdem auftreten, können sie besser bewältigt werden, weil sie erwartet wurden. Aufgabe des Pilotprojektes war es, die auftauchenden Fragestellungen im künftigen Veränderungsprozess schon heute in geeigneten Ansätzen zu antizipieren und schrittweise einzuführen.


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Phasenübergang 1/2:
Von "Jeder macht alles" zur Fokussierung auf die Kerntätigkeiten

Um die Fachabteilung auf den Wachstumsprozess vorzubereiten, wurde im Rahmen des Stationsprojektes ein Managementteam aus der Leitung Pflegedienst und dem stationsverantwortlichen Oberarzt etabliert. Die koordinierte Managementarbeit alleine im Stationsbereich benötigt – wenn sie wirksam sein soll – ein relevantes Zeitkontingent.

Zudem wird bei der alltäglichen Stationsarbeit aus dem Auge verloren, dass der einzelne Mitarbeiter Experte in seiner fach-lichen Disziplin ist, zusätzlich ergänzt um sein Erfahrungswissen. Daher steht neben der Aufgabe, Managementteams zu etablieren, die Fokussierung der Experten auf ihre Kerntätigkeiten im Mittelpunkt. Dazu gehört die Weiterentwicklung des gestuften Personalkonzeptes. Dieses beinhaltet insbesondere die Perspektive, dass sich die Ärzte auf ihre ärztlichen Aufgabenstellungen konzentrieren können, ohne von einem Übermaß an administrativen Tätigkeiten abgehalten zu werden. Grundsteine wurden bereits zu Beginn des Projektes gelegt; die Weiterentwicklung des gestuften Personalkonzeptes findet sich ebenfalls in den nachfolgenden Phasen.

Beispielsweise konnte mit der Umstrukturierung der Visite ein Schritt weg von "Jeder macht alles" gegangen werden: Das bedeutet, dass die Visite zu einer Organisationsvisite umgemünzt wird, in der sich alle für einen Patienten verantwortlichen Mitarbeiter einschließlich ihrer relevanten Vertreter unter aktiver Einbindung des Patienten gemeinsam abstimmen und koordinieren. Jedoch sind grundsätzlich nicht mehr alle Ärzte beteiligt, was bislang einer hohen Ressourcenbindung, einer enormen Belastung für den Patienten sowie schlechten Lerneffekten in den "hinteren Reihen" gleichkam.

Daneben wurde eine klare Abgrenzung von Tätigkeiten der Pflegenden und Pflegeassistenten realisiert. Im letzten Jahr wurde bereits ein hoher Ressourcenaufwand in die Personalqualifikation gesteckt, indem ein Doppelgespann von Pflegeexpertinnen die Pflegenden auf Station eng anleiten und damit die Stationsleitungen bei der individuellen Personalentwicklung unterstützen. Das Ergebnis ist beeindruckend. Innerhalb nur eines Jahres hat sich bereits eine enorme fachliche Excellence in der pflegerischen Versorgung entwickelt. Gleichzeitig findet seit einigen Wochen eine Rotation aller Pflegenden über die Gesamtstation statt. Es gilt, junge Mitarbeiter mit den seit Jahren in der Abteilung Beschäftigten stärker zu durchmischen und einen weiteren Wissensaustausch in beide Richtungen zu erlangen. Perspektivisches Ziel ist, dass mindestens die Hälfte der diplomierten Pflegenden gut die Funktion einer Gruppenleitung ausüben können. Bei der Abteilungsentwicklung steht die Pflege v. a. vor der Herausforderung, hochqualifiziertes Personal in kurzer Zeit aufzubauen, im Sinne von diplomierten Pflegenden, die ein hohes Fach- und Erfahrungswissen in der Neurochirurgie einbringen. Die fachliche "Spitze" soll prozentual weiter wachsen, um eine dauerhaft stabile Versorgungsstruktur zu erreichen.

Handlungsbedarf besteht darüber hinaus in der Gruppe der Pflegeassistenten, in der bislang keine Vermischung mit neuen Mitarbeitern stattgefunden hat. Die Anpassung an die Anforderungen eines modernen Servicekonzeptes auf Station ist für diese Gruppe eine besondere Herausforderung, da neue Routinen erst einmal die Sicherheit im Alltag nehmen und nachhaltig eintrainiert werden müssen. Das Personal muss sich entsprechend qualifizieren, ohne dass das Vertrauen in die vorhandenen Stärken verloren geht. Ein, unter den aktuellen Anforderungen, selbstverantwortlicher Einsatz der Sta-tionsassistenten auf Station bedarf insofern noch einiges an Führungsenergie.


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Phasenübergang 2/3:
Von Zeitverlusten durch unkoordiniertes Arbeiten zwischen den Berufsgruppen zur geregelten Auf- und Ablauforganisation

Die Auf- und Ablauforganisation wurde im Rahmen des Pilotprojektes so definiert, dass sie auch dem künftigen Wachstum unter selben Leitungsteam standhält. Hierzu sind vorab die 3 Umsetzungsphasen in einem Zeithorizont von 2 Jahren vorbereitet worden: Die erste Umsetzungsphase ab Sommer 2011, die zweite Umsetzungsphase mit der nächsten Weichenstellung für das Abteilungswachstum und die dritte Umsetzungsphase zur Sicherstellung der Auf- und Ablauforganisation einer ca. 50-Betten-Großstation.

In der ersten Umsetzungsphase wurden neben der Definition der Aufbauorganisation insbesondere die Abläufe der Hauptprozesse Belegungsplanung, Eintritte, Austritte / Austrittsberichte, Visite, Kommunikation berufsgruppenübergreifend definiert und in einem Stationshandbuch verbindlich dokumentiert. Für die Mitarbeiter wurden die zentralen Regelungen, auf die es besonderes Augenmerk zu legen gilt, in einer Übersichtspräsentation zusammengefasst. Die Regelungen im Stationshandbuch werden weiterhin durch feste Pflegestandards ergänzt, welche z. B. die IMC-Übergabe regeln sowie in die neurochirurgische Pflege vertiefen.

Daneben steht die stufenweise Etablierung eines festen Stationsarztes im Fokus, wobei sich die Realisierung über alle 3 Umsetzungsphasen erstreckt: Begonnen wird mit einem Stationsarzt, der seit dem Start der ersten Umsetzungsphase an 4 Tagen pro Woche nachmittags ab 13 Uhr dem pflegerischen Stationspersonal als Ansprechpartner zur Verfügung steht; anschließend findet eine Ausweitung auf 2 Stationsärzte ab 13 Uhr auf Station statt, die in der dritten Umsetzungsphase in einem festen Stationsarztmodell mündet, mit nahezu durchgehender ärztlicher Präsenz im Tagdienst auf Station.


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Phasenübergang 3/4:
Von Führungskonzentration um den Chefarzt zur Verantwortungsübergabe und -übernahme

Ziel auf der neurochirurgischen Station ist es, die Organisationsverantwortung vollständig in die Hände des Managementteams zu legen, das in enger strategischer Abstimmung zum Chefarzt der Abteilung steht, jedoch eigenständig die operativen Entscheidungen vor Ort trifft. Diese Verantwortung muss im Alltag immer wieder aufs Neue sowohl übertragen als auch übernommen werden, um diese auf Dauer zu kultivieren [ 3 ].

Im Rahmen der ersten Umsetzungsphase wurden als zweite Delegationsmaßnahme ärztliche Tätigkeiten identifiziert, die von der Pflege übernommen werden. In der zweiten Umsetzungsphase des Stationsmanagements wird ein Case Management eingeführt, welches zum Ziel hat, als Bindeglied zwischen ärztlichem Dienst und Pflege zu fungieren und somit zur Verbesserung der Abstimmung beiträgt. Es wird die Zusammenführung der administrativen Berufsgruppen Stationssekretariat, Bettendisposition und Case Management angestrebt. Diese dritte Berufsgruppe wird unmittelbar bei der Leitung Pflegedienst aufgehängt, um Autonomie und Handlungsfähigkeit zu fördern.

Daneben steht in der zweiten Umsetzungsphase die Implementierung abteilungsinterner klinischer Behandlungspfade an [ 4 ], die ebenfalls die Koordination der Berufsgruppen im Fokus haben. Die Behandlungspfade regeln klar die -Zuständigkeiten, sodass bei Etablierung des Case Managements nicht eine weitere Schnittstelle geschaffen wird.


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Phasenübergang 4/5:
Von Insellösungen zum Gesamtkonzept

Im Rahmen des gesamten Abteilungswachstums steht nicht nur die Organisationsentwicklung der Station im Mittelpunkt, sondern auch die Entwicklung der anderen Teilbereiche wie OP, Poliklinik, Notaufnahme, Intermediate Care (IMC) und Intensivbehandlung (IB). Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die einzelnen Teilbereiche auf ein gemeinsames Ziel ausgerichtet werden und die Engpässe an den Schnittstellen aufzulösen sind, z. B. durch ein übergreifendes Termin- und Belegungsmanagement und Zentrumspfade, welche über die Fachabteilungsgrenzen hinaus gehen. Durch das Denken in Organisationseinheiten und das anschließende Zusammenfügen wird Komplexität reduziert. Über den Austausch entsteht ein tiefes Verständnis der Zusammenhänge zwischen den Organisationseinheiten. So sollen sukzessiv die Engpässe in der Entwicklung aufgelöst und die medizinische Fachabteilung mit klarer Führung und transparenten Verantwortungsbereichen im operativen Management in sehr kurzer Zeit fundiert auf die großen Wachstumsziele vorbereitet werden.


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Abb. 1 Die fünf Phasen des Wachstums.(Quelle: eigene Darstellung, in Anlehnung an Recklies O. (2000), Wachstumsmanagement und die 5 Phasen des Wachstums, http://www.themanagement.de/Ressources/Wachstumsmanagement.htm)