Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2011; 18(06): 266
DOI: 10.1055/s-0031-1297227
Magazin
Bücher
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Interessante Übersicht, allerdings mit einigen Lücken – Notfälle am und im Wasser

Rezensent(en):
Jens Kohlfahl
,
Klaus-H. Seidenstücker
Schröder S., Schneider-Bichel D. (Hrsg.)
Wasserrettung und Notfallmedizin – Medizinische und technische Herausforderungen an die Wasserrettung.

Heidelberg: Hüthig Jehle Rehm; 2010.
ISBN: 9783609774831 29,95 Euro
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
12. Dezember 2011 (online)

 
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Notfälle am und im Wasser sind eine besondere Herausforderung für Notärzte und Rettungsdienst, da theoretisches Wissen und persönliche Erfahrung in diesem speziellen Bereich eher gering sind. Das Buch soll ein Baustein bei der Bildung von Netzwerken zum Erfahrungsaustausch und zur vernetzten Weiterbildung sein.

In 4 Kapiteln werden die Bereiche

  • Wasserrettung und Rettungsdienst

  • Spezielle Notfallmedizin

  • Tauchmedizin

  • Tauchausrüstung

abgehandelt, wobei der tauchspezifische Teil mehr als die Hälfte des Buches füllt.

Wasserrettung und Rettungsdienst

Im Kapitel 1 werden die verschiedenen Wasserrettungsdienste besprochen. Allerdings liegt der Schwerpunkt bei der Rettung aus der Luft (ADAC, Bayerisches Wasserrettungskonzept mit Hubschraubern, Marineflieger). Die DLRG und Wasserwacht des DRK werden ausführlicher behandelt, die Feuerwehren und die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) finden sich nur kurz erwähnt. Zumindest die DGzRS hätte ausführlich besprochen werden müssen, da sie auf See der Hauptträger des medizinischen Rettungsdienstes ist, sofern Wasserrettung nicht nur für den Bereich der Binnengewässer und küstennahen Badestrände gilt. Dies hätte im Kontext auch gut zu den Beiträgen über die Marineflieger und das Havariekommando gepasst.

Die Beschreibung der persönlichen Schutzausrüstung für Strömungsretter sollte um eine ebensolche für alle übrigen Wasserretter – hinsichtlich Rettungswesten, Überlebens- beziehungsweise Kälteschutzanzügen – ergänzt werden. Mit der Darstellung mechanischer Reanimationshilfen vermittelt das Buch auch Einblick in neuere Entwicklungen. Allerdings muss die Rolle dieser Hilfsmittel, nach ERC-Leitlinien 2010, für alle Einsatzgebiete noch weiter untersucht werden.


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Spezielle Notfallmedizin

Im eigentlichen notfallmedizinischen Kapitel 2 werden ausführlich Ertrinkungsunfälle, die präklinische Behandlung -hypothermer Patienten sowie die Wiedererwärmung in der Klinik, der intraossäre Zugang und die Tauchunfallbehandlung besprochen. Das Kapitel behandelt damit umfassend und auch für medizinisches Assistenzpersonal eingängig die für die Wasserrettung charakteristischen Notfallsituationen.

In dem Beitrag "Ertrinkungsunfälle" bezieht sich der Autor noch auf die ILCOR-Leitlinien von 2000 und spricht vom "Beinaheertrinken". Schon in den Leitlinien 2005, bestätigt 2010, wird nur noch der Terminus "Ertrinkungsunfall" benutzt und ausdrücklich darauf hingewiesen, unter anderem die Begriffe Ertrunkensein versus Beinaheertrunkensein nicht mehr zu verwenden.

Die nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft hauptverantwortliche Ursache für den Ertrinkungstod nach Sturz in kaltes Wasser, nämlich die sogenannte "Kälteschockreaktion" und das "kälteinduzierte Schwimmversagen" durch muskuläre Schwäche, findet hier keine Erwähnung. Erst wenn diese beiden Stadien überlebt werden, spielt die Hypothermie eine Rolle. Die entsprechende (englischsprachige) Fachliteratur hierzu (u. a. "Essentials of Sea Survival", "Handbook on Drowning") sollte bei einer Überarbeitung des Kapitels Berücksichtigung finden.

Aktuelle Hinweise zur präklinischen kardio-pulmonalen Reanimation (Basic und Advanced Life Support nach den jeweils gültigen ERC-Leitlinien) von Ertrinkungsopfern und hypothermen Patienten würden das notfallmedizinische Kapitel abrunden und wären nicht nur für Mediziner, sondern auch für Rettungsdienstpersonal und Laienhelfer hilfreich.


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Tauchmedizin

Obwohl die "Tauchunfallbehandlung" und die "Wiedererwärmung unterkühlter Taucher in der Klinik" kompetent besprochen wurden, folgt nun im 3. Kapitel noch eine ausführliche Beschreibung der Tauchmedizin. Alle Autoren sind anerkannte und hinlänglich bekannte Tauchmediziner, die viel und ausführlich an anderen Stellen zu diesem Thema veröffentlicht haben. Insgesamt handelt es sich um eine fundierte Darstellung dieses medizinischen Teilgebiets. Mit dem Thema Wasserrettung erscheint dieses Kapitel den Rezensenten jedoch nur bedingt korreliert. Es erhebt sich also die Frage, warum dieser Thematik in dem Buch ein so breiter Raum gegeben wurde. Welche Bedeutung insbesondere die Tauchtauglichkeitsuntersuchung, das Tauchen mit Behinderten, Reisemedizin für Taucher, Tauchen und Hygiene, Fehlsichtigkeit und Tauchen, das persistierende Foramen ovale oder die Erbgutschädigung durch Sauerstoff für die Notfallmedizin haben, ist schwer nachzuvollziehen.


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Tauchausrüstung

Die im 4. Kapitel abgehandelte Tauchausrüstung ist zwar für Taucher interessant, hat aber mit dem Thema und dem angesprochenen Personenkreis ebenfalls nicht direkt zu tun.

Ein Stichwortverzeichnis ist leider nicht vorhanden.

Zusammenfassend bietet das Buch bei qualitativ hochwertigem Druck und eingängigem Bildmaterial interessante Ansätze. Allerdings werden einige wesentliche Aspekte bezüglich der Zielsetzung des Buches nicht genannt. Andere Sachverhalte, die mit "Wasserrettung und Notfallmedizin" nichts oder nur bedingt zu tun haben, sind nach Meinung der Rezensenten überrepräsentiert.

Dr. Jens Kohfahl, Cuxhaven
Dr. Klaus-H. Seidenstücker, Tarp


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