Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2011; 18(06): 290-292
DOI: 10.1055/s-0031-1297235
DGMM-Mitteilungen
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Bericht zum 2. Emder Workshop – Offshore Windenergieanlagen – Arbeitsmedizin

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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
12. Dezember 2011 (online)

 

Am 2. und 3. September fand in Emden der 2. Workshop zum Thema Offshore-Medizin statt; diesmal ausgerichtet vom VGB PowerTech e. V. (technischer Fachverband der Energiewirtschaft) in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Maritime Medizin e. V. Der Workshop war als Fortbildungsveranstaltung für die im Offshore-Bereich engagierten Arbeitsmediziner konzipiert und mit 55 Teilnehmern gut besetzt.

Hohe Anforderungen an Technologie und Menschen

Gleich im ersten Vortrag wurde deutlich, warum dies so war. Th. Schuchart gab einen Überblick zu den bestehenden Windenergieanlagen vor den Küsten der Niederlande, Großbritanniens und Norwegens und erläuterte dann die Planungen für die deutsche AWZ (Ausschließliche Wirtschaftszone). In einem Videoclip und beeindruckenden Bildern entstand für die Teilnehmer eine Idee von der Größenordnung und der technologischen Herausforderung, die mit der Errichtung und dem Betrieb von Windenergieparks in der Nord- und Ostsee verbunden sind.

So müssen vor Errichtung die jeweiligen geologischen, hydrografischen und meteorologischen Basisdaten erhoben werden, um zu einer bestmöglichen Ausrichtung der Bauwerke zu kommen und deren Versorgung per Schiff oder Heli-kopter sicherzustellen. In mancher Hinsicht neu oder zumindest andersartig sind auch die Arbeitsbedingungen, denen der Mensch in diesem Umfeld ausgesetzt ist und für die er eine besondere Eignung mitbringen muss. Als Beispiel seien hier das Bewegen schwerer Lasten, das Arbeiten in großen Höhen, das Tauchen, der See- oder Lufttransfer, oft bei schwierigen Wetter- und Seebedingungen, genannt. Hinzu kommt die zunehmende Distanz der Anlagen von der Küste und der daraus folgende Zeitverzug für gegebenenfalls benötigte Hilfs- oder Rettungsdienste.

Daraus resultieren hohe Anforderungen an das Schutz- und Sicherheitskonzept der Errichter und Betreiber der Anlagen. Der Eignungsuntersuchung vor Aufnahme einer Tätigkeit im Offshore-Bereich wird in diesem Zusammenhang eine wesentliche präventive Bedeutung beigemessen.


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Erfahrungen zur deutschen Anlage

A. Stutz gab einen Erfahrungsbericht zum Arbeits- und Gesundheitsschutz beim ersten deutschen Windpark Alpha Ventus, einer Anlage mit 12 Rotormasten und einer Umspannplattform 45 km vor der Insel Borkum in 25 m Wassertiefe. Neben der Eignungsuntersuchung gab das Sicherheitskonzept zahlreiche Zertifikate vor, mit denen die Arbeitskräfte Kenntnisse und Fertigkeiten für die sichere Durchführung ihrer Aufgaben nachweisen mussten.

Beeindruckend war die Statistik der Bauphase von 2008 bis 2011: Von 150 gemeldeten Vorfällen war keiner als schwerer Unfall einzustufen.


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Spezielle Hubschrauber

Neben den für Bau und Wartung der Anlagen erforderlichen Spezialschiffen stellt die Logistik der Offshore-Anlagen auch ganz spezielle Anforderungen an die für diesen Zweck eingesetzten Hubschrauber. Die technische Auslegung der Maschinen musste, ebenso wie die Flugverfahren auf das Fliegen längerer Strecken über See und innerhalb der Rotorfelder ausgerichtet werden. St. Bechtel gab einen interessanten Einblick in die damit verbundene Standardentwicklung und die sich daraus ergebenden Forderungen an die Ausbildung des Flugpersonals wie auch der Passagiere.


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Unfälle und Berufskrankheiten

Im letzten Vortrag des ersten Tages gab S. Schnegelsberg einen Überblick über die Aufgaben der staatlichen Arbeitsschutzbehörden in Bezug auf Offshore-Windenergieanlagen. Aus der Arbeitsschutz-Rahmenrichtlinie 89/39 EWG vom 12.06. 1989 ergibt sich die Verantwortung der Errichter beziehungsweise Betreiber solcher Anlagen für eine sachgerechte Risikoanalyse und daraus folgernd für die Entwicklung eines entsprechenden Schutz- und Sicherheitskonzepts. Gewerbeaufsicht und das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrografie (BSH) überwachen dieses Verfahren, geben Stellungnahmen im Rahmen des Genehmigungsverfahrens ab, untersuchen Unfälle und führen Begehungen der Plattformen durch. Im Überblick über die Häufigkeit von Unfällen dominieren nach Aussage von Schnegelsberg an Offshore-Arbeitsplätzen Knochenbrüche und Distorsionen; vorherrschende Berufskrankheiten seien Lärmschwerhörigkeit, Erkrankungen des muskulo-skelettalen Systems, Folgen des Arbeitens im Überdruck (Tauchen) sowie Atemwegsinfektionen.

Aus Sicht der Gewerbeaufsicht ist durch die Empfehlung der DGMM zur Eignungsuntersuchung für Offshore-Arbeitsplätze ein guter Standard als Ausgangspunkt für die jeweiligen Schutz- und Sicherheitskonzepte erreicht. Daneben müsse allerdings auch auf die Anwendung der Richtlinien für die arbeitsmedizinische Vorsorge Wert gelegt werden.


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Einblick in den Bau von Anlagen

Den ersten Tag rundeten die Teilnehmer mit einer Besichtigung der Firma BARD am Nachmittag ab, bei der sie einen Einblick in den Bau von Windenergieanlagen und die damit verbundenen arbeitsmedizinischen Aufgabenstellungen gewinnen konnten. Sie besichtigten einen Leitstand, in dem von Land aus der Betrieb von Offshore-Anlagen überwacht und gesteuert wird. Abschließend folgte ein Vortrag zum Schutz- und Sicherheitskonzept der Firma, bei dem insbesondere die Zusammenarbeit mit einem regionalen Rettungsdienstanbieter Interesse fand. Allerdings wurde deutlich, dass bei größeren Notfällen derzeit noch auf die staatliche Daseinsvorsorge durch MRCC Bremen und Havariekommando vertraut wird.


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Medizinische Untersuchungen von Arbeitnehmern

Der zweite Tag war den medizinischen Themen vorbehalten. U. Rogall stellte die international bereits existierenden Standards für die Eignungsfeststellung bei Offshore Arbeitnehmern vor: die NOGEPA-Richtlinie in den Niederlanden, OLF in Norwegen, OG UK in Großbritannien. Das sind allesamt keine staatlichen Vorschriften, sondern von der Industrie entwickelt und in Kraft gesetzt. Für diese 3 Standards ist im Hardanger Abkommen die gegenseitige Anerkennung vereinbart.

In Deutschland

In Deutschland ist nun mit der DGMM-Empfehlung ein eigener Standard entstanden, der im Prinzip auch die arbeitsmedizinische Vorsorge nach G 25 und G 41 umfasst und entsprechend mit einer ergometrischen Belastung und einer umfangreichen Laboruntersuchung über die oben genannten Regelungen hinausgeht.

Im Hinblick auf die DGMM-Empfehlung sah Rogall noch in einigen Punkten einen Weiterentwicklungsbedarf. Er regte die Einschränkung des Untersucherkreises auf qualifizierte und im Bereich Offshore-Medizin erfahrene Arbeitsmediziner an, die Einführung der Perimetrie und eines Tests des Dämmerungssehens möglichst für alle, mindestens aber für Kranführer, sowie die Einrichtung einer obergutachterlichen Instanz bei Streitfällen zwischen Arbeitnehmer und Untersucher. Schließlich fragte er noch nach einem Drogentest, da dieser im internationalen Bereich teilweise gefordert würde.


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In den Niederlanden

U. Decker gab einen ausführlichen Einblick in den NOGEPA-Standard, dessen klare Ableitung der Untersuchungsgänge und Bewertungskriterien aus der Risikoanalyse er besonders herausstellte. Eine ähnliche Evidenzbasierung müsse für den deutschen Standard auch angestrebt werden, sobald entsprechende Erfahrungen aus den deutschen Feldern vorliegen.

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Er wies ferner daraufhin, dass in den Niederlanden eine Liste mit Offshore-Medizinern existiert, die vom Arbeitgeber-verband (NOGEPA) herausgegeben wird. Diese Ärzte sind zu einer jährlichen Schulung verpflichtet, wodurch die unbedingt erforderliche Qualität der Untersuchungen gesichert werde.


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In Großbritannien

In einem zweiten Vortrag ging U. Rogall auf den OGUK (UKOOA)–Standard ein. Hier war insbesondere das weit entwickelte Lizenzverfahren für durchführende Ärzte interessant. Wie beim NOGEPA-Standard gibt es eine Liste sachkundiger Ärzte. Diese müssen an einem eintägigen Lehrgang mit theoretischen und praktischen Elementen teilnehmen, der 500 britische Pfund kostet. Die Richtlinie muss für weitere 80 Pfund erworben werden und es ist eine jährliche Lizenzgebühr von 117,50 Pfund zu zahlen. Eine Liste der eigenen apparativen Ausstattung und der Fremduntersuchungen ist einzureichen. Es besteht die Pflicht zur Teilnahme an jährlichen Fortbildungsveranstaltungen (200 Pfund).

Die Untersuchung enthält einen obligatorischen Drogentest und ein obergutachterliches Verfahren. Eine Statistik der eigenen Untersuchungen und der Ausschlussgründe ist zu führen. Ein Problem sieht er darin, dass die Arbeitnehmer weltweit eingesetzt würden und es daher schwierig sei, die Untersuchung und die Bewertungskriterien spezifisch auf den Arbeitsplatz auszurichten.


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In Norwegen

Das norwegische System – obwohl auch ein Firmenstandard – sieht eine staatliche Lizenz für die untersuchenden Ärzte vor. Es entstehen keine Kosten und es gibt ebenfalls ein Widerspruchsverfahren.


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Sicherheitsausbildung für Arbeitnehmer

Offshore-Sicherheitsausbildung für Arbeitnehmer nach den in den Niederlanden, Dänemark, Norwegen und Großbritannien vorgegebenen Industriestandards stellte M. Mayer vor. Basierend auf den Vorschriften von IMO (SOLAS, MARPOL, STCW etc.) und der Gefährdungsanalyse des betreffenden Betreibers werden Lehrgangsbausteine zum Überleben auf See, zur Erstellung von Gefährdungsanalysen und Sicherheits- und Schutzkonzepten, zur persönlichen Schutzausrüstung, Kommunikationsverfahren, Brandschutz, Rettungsmitteln, zur Unterkühlung, Ersten Hilfe, Überstiegs- und Kletterverfahren sowie zu Helikopteroperationen einschließlich des Unterwasserausstieges angeboten. (Näheres unter www.offshore-training.de).


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Rückblick auf Entwicklung in Deutschland

K.-P. Faesecke gab einen Rückblick auf die Entwicklung in Deutschland. In der Planung für das Alpha-Ventus-Feld 2007 war ein Regelungsvakuum deutlich geworden, da sich die Berufsgenossenschaften für das Seegebiet nicht zuständig fühlten und sich auch sonst kein staatlicher oder öffentlich-rechtlicher Akteur veranlasst sah, Vorgaben für ein Offshore-Sicherheitskonzept zu machen. Auch war offensichtlich, dass einerseits die deutschen berufsgenossenschaftlichen arbeitsmedizinischen Grundsätze die Wirklichkeit der Offshore-Arbeitsplätze nicht vollständig abbilden, und andererseits die internationalen Regelwerke deutschem Arbeitsschutzrecht nicht vollständig entsprechen. In dieser Situation habe man zunächst einen fachlichen Standard setzen wollen, was mit der Empfehlung der DGMM gelungen sei. Es wäre nun die Sache der Betreiberfirmen, diese in ihren Schutz- und Sicherheitskonzepten entsprechend umzusetzen. Für die Zukunft wünsche er sich einen spezifischen Offshore-Lehrgang für Betriebssanitäter, eventuell auch die Etablierung eines Offshore-Rettungssanitäters (paramedic). Eine besondere Herausforderung sieht er in der möglichen Einführung von Tauchverfahren bis zu 90 m Wassertiefe.


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Verfahren zur Untersuchung der körperlichen Belastbarkeit

In ihrem Vortrag ging A. Preisser auf die verschiedenen Verfahren der Untersuchung körperlicher Leistungsfähigkeit in den vorhandenen Standards für Offshore- Eignungsuntersuchungen ein. Es gibt Fahrrad- und Laufband- Ergometrien, den Step-Test sowie Sport mit VO2-Messung (z. B. Rockford Mile Test).

Die deutschen arbeitsmedizinischen Grundsätze G 26.3 und G 41 geben die Ergometrie mit Steigerungsschritten von je 25 W im 2-Minuten-Takt vor. Die gleichzeitige Messung der Sauerstoffaufnahme wird wegen ihrer hohen Evidenz und Reproduzierbarkeit empfohlen. Eine Tabelle zum Vergleich der verschiedenen Verfahren bei Untersuchung für Betreiber mit unterschiedlichen nationalen Standards wurde vorgestellt.


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Wo stehen wir?
Wo müssen wir hin?

In seinem abschließenden Vortrag gab U. Decker noch einmal einen Rückblick über die Entwicklung seit 2009: Die Zunahme der Offshore-Arbeitsplätze, deren Besonderheit und Gefährdungsprofile, haben die Notwendigkeit einer spezifischen Eignungsuntersuchung erbracht. Dies war beim 1. Emder Offshore-Medizin-Workshop im November 2009 breiter Konsens. Es folgten die Erarbeitung und Verabschiedung der DGMM-Empfehlung Ende 2010. VGB PowerTech empfiehlt seitdem diesen Standard seinen Mitgliedsunternehmen. Für die Zukunft sähe er den Bedarf für eine Liste erfahrener und empfohlener Ärzte, für die eine spezifische Fortbildung zu konzipieren und anzubieten ist. Die Erstellung und Pflege dieser Liste könnte unter dem Dach von VGB PowerTech erfolgen. Dies wäre eine Organisation wie in den Niederlanden und Großbritannien. Von Vorteil wäre außerdem deren "Backoffice". Hierdurch wären eine ständige telefonische Erreichbarkeit sowie personelle Kapazitäten für die Organisation aller damit zusammenhängenden Aufgaben gegeben. Der Inhalt der ärztlichen Fortbildungsveranstaltungen sollte jedoch von der DGMM als medizinischer Fachgesellschaft erarbeitet werden.

Notwendig sei auch der Beitritt der deutschen Unternehmen zum Hardanger-Abkommen. Hier könne die Empfehlung der DGMM eine Grundlage sein. Den Beitritt zum Hardanger-Abkommen könne dann wiederum am besten VGB PowerTech beantragen, da das Hardanger-Abkommen in den 3 bisherigen Mitgliedsländern eine Übereinkunft der Arbeitgeberverbände darstellt.

K.-H. Seidenstücker, DGMM, Hamburg
U. Decker, Gesundheitsamt, Emden
K.-H. Puch, VGB PowerTech, Essen
A. Preisser, Zentralinstitut für Arbeitsmedizin und Maritime Medizin, Hamburg


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