Zahnmedizin up2date 2012; 6(2): 103-104
DOI: 10.1055/s-0031-1298462
Editorial
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ist „einfach“ einfach?

G. Wahl
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Publication Date:
09 May 2012 (online)

Die derzeitig viel diskutierte neue Gebührenordnung für die Zahnmedizin bildet nach Meinung vieler Kolleginnen und Kollegen bei einem Ansatz des 2,3-fachen Schwellenwerts eher eine durchschnittliche Leistung hinsichtlich des mit dieser Gebühr abgegoltenen Aufwands und Schwierigkeitsgrads in den verschiedenen zahnmedizinischen Gebieten ab. Hinterfragt man dann, was der 1-fache Gebührensatz abbildet, kann sich diese „Einfachheit“ einerseits leicht auf den materiellen Aufwand für diese Leistung zurückrechnen lassen. Andererseits aber wird diese Leistung an einem Patienten erbracht, der selbst bei material- und durchführungstechnischen einfachen Maßnahmen durch seine Persönlichkeit, seine Wünsche, eventuelle Begleiterkrankungen und viele andere Begleitumstände alles andere als „Einfachheit“ in der Durchführung der Behandlung entstehen lässt.

Eruiert man mit einer Google-Suche den Begriff „einfach“ im Duden, finden sich knapp 700 verschiedene Zusammenhänge, auf die sich „einfach“ beziehen kann, wobei in den jeweiligen Sinnzusammenhängen auch noch verschiedenste Synonyme diese Einfachheit zumindest adverbiell modifizieren. In einigen Bereichen versinnbildlicht einzig und allein dieses Synonym die Einfachheit. Dies lässt ahnen, wie komplex die Definition für Einfachheit ist, und wie viele Begleitparameter unter subjektiven oder objektiven Aspekten hier modulierend eingreifen.

Für die Chirurgie haben Sailer und Pajarola 1996 die SAC-Klassifikation vorgestellt, um Schwierigkeitsgrade von intraoralen operativen Maßnahmen für die zahnärztliche Chirurgie/Oralchirurgie zu kategorisieren, als „simpel, anspruchsvoll und kompliziert“. Dabei könnte auch das „S“ im Sinne von „Standard“ und damit auch mit einem gewissen Anspruch eines Maßstabs charakterisiert werden. Diese SAC-Klassifikation wurde dann 2004 von der Schweizerischen Gesellschaft für Orale Implantologie auch für die Implantologie übernommen und adaptiert, wobei allein schon die Einheilung von Implantaten ein derartig komplexes Geschehen darstellt, dass es außerordentlich schwierig ist, einen einfachen Eingriff oder einen Standardeingriff zu definieren. Dazu kommen dann noch die vorgegebenen Besonderheiten zur prothetischen Versorgung, das Angebot an Knochen zur Verankerung der Implantate, das Volumen der zur Verfügung stehenden Weichgewebebedeckung und die später zu erwartenden Belastungssituationen für die implantatgetragene Versorgung. Berücksichtigt man dann auch noch die begleitenden Besonderheiten des Patienten einschließlich seiner eventuell vorhandenen Erkrankungen, aber auch seiner gezielt geäußerten Wünsche zum Therapieentscheid und die chirurgische und prothetische Vorgehensweise, bleibt „Einfachheit“ einfach auf der Strecke.

Die Ausnutzung aller zur Verfügung stehenden einfachen klinischen und radiologischen diagnostischen Hilfsmittel, ohne z. B. immer direkt auf 3-dimensionale Röntgenverfahren zurückzugreifen, wird aber zumindest für die allermeisten Fälle eine ausreichende Basisdiagnostik sicherstellen, die eine zielführende und langfristig erfolgreiche Versorgung für den Patienten gestattet.

Die eigentlichen 5 Grundsäulen für eine „einfache“ Implantatversorgung wurden im Vorigen bereits mehr oder weniger angesprochen: Der nicht oder nur gering eingeschränkte Gesundheitszustand des Patienten, gesunde intraorale Verhältnisse, die Bekanntheit des Patienten in der Praxis mit seinen Verhaltensweisen und Wünschen, das lokale Angebot an Weichgewebe und das am Implantationsort vorhandene optimale Knochenvolumen. Wenn somit eine „einfache“ Implantatversorgung aber schon 5 tragende Säulen benötigt und jede Modifikation oder gar das Fehlen einer Säule sofort zu einer schwierigeren und anspruchsvolleren Behandlung führt, zeigt sich, dass die vorgegebenen Rahmenbedingungen eine Behandlung in ihrer Durchführung und langfristigen Erfolgssicherung zwar „einfacher“ gestalten können, bei umfassender Betrachtung und Analyse aber niemals wirklich „einfach“ sind.

In diesem Kontext kann letztlich nur das zahnmedizinische und medizinische Wissen des Behandlers und seine Erfahrung den Schwierigkeitsgrad einer Behandlung einschätzen lassen. Er bleibt letztlich immer von der individuellen Situation abhängig, lässt sich kaum in eine strenge Klassifizierung zwängen und ebenso wenig in einen für alle Fälle zutreffenden Gebührenrahmen. Die Entscheidung für eine individuell adaptierte adäquate Therapie für den Einzelfall auf der Basis einer sicheren Diagnostik bleibt eine genuin zahnärztliche/ärztliche Aufgabe und Leistung. Erfahrung schärft den Blick für Entscheidungen, und Leitlinien bieten für immer mehr Situationen einen sicheren Korridor, an welchem sich diese Entscheidungen mit orientieren können und damit wiederum den Einzelfall „einfacher“ werden lassen. Den Patienten in ausreichendem Umfang an diesem Entscheidungsprozess teilhaben zu lassen, ist dringend geboten, zuweilen aber auch gar nicht einfach.

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Prof. Dr. Gerhard WahlMitherausgeber der Zahnmedizin up2date