Einleitung
Die Verordnung von Antidepressiva hat in den vergangenen Jahrzehnten weltweit um ein Vielfaches zugenommen. Dies liegt nicht nur an der zunehmend häufigeren Diagnosestellung depressiver Erkrankungen, sondern auch an der zunehmend häufigeren Verordnung bei anderen Indikationen wie Angststörungen, Schmerzstörungen, Schlafstörungen, Zwangsstörungen sowie praktisch allen psychischen Störungen, bei denen begleitend depressive Symptome vorkommen. Daher ist es notwendig, auch auf Nebenwirkungen einen kritischen Blick zu werfen.
In den letzten Jahren erfuhren teils bis dahin unbekannte, aber auch seit Langem bekannte Nebenwirkungen von Antidepressiva vermehrte Beachtung, zumal verschiedene Metaanalysen erhebliche Unterschiede in der Wirksamkeit und Verträglichkeit verschiedener Antidepressiva gezeigt haben. Auch bei erfolgreicher Pharmakotherapie werden in der Praxis Antidepressiva häufig, teils ohne Wissen des Arztes, weit früher abgesetzt als zur Erhaltungstherapie empfohlen wird [1].
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Viele Antidepressiva werden vorzeitig abgesetzt, u. a. auch wegen vermuteter oder subjektiv empfundener Nebenwirkungen.
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Ob einem Patienten überhaupt ein Antidepressivum verordnet wird, und ob der Patient das verordnete Medikament tatsächlich und so lange und so hoch dosiert wie verordnet einnimmt, hängt wesentlich von der Abwägung des potenziellen Nutzens und der damit verbundenen Risiken ab. Für die Compliance der Patienten sind dabei subjektiv wahrgenommene und als Nebenwirkungen bewertete Phänomene entscheidend, unabhängig davon, ob diese durch eine biochemische Wirkung der Substanz zu erklären sind. Bei vielen berichteten Nebenwirkungen ist unklar, inwieweit es sich dabei um Symptome der Depression, Arzneimittelwirkungen, Noceboeffekte oder ein Gemenge aus diesen Faktoren handelt. Psychische Faktoren wie subjektive Erwartungen, Vorerfahrungen mit Medikamenten, Konditionierung und die Attribution wahrgenommener Symptome als Medikamentenfolge sind bei der Wahrnehmung von Nebenwirkungen beteiligt – nur so ist der hohe Prozentsatz angegebener Nebenwirkungen in den Placebogruppen kontrollierter Studien zu erklären [2]
[3].
„Man erblickt nur, was man schon weiß und versteht“ – dieses Goethe zugeschriebene Wort dürfte oft auf Nebenwirkungen zutreffen und wäre wohl zu ergänzen durch: „Und wonach man seine Patienten fragt.“ Für die Arzneimittelsicherheit entscheidend sind u. U. Nebenwirkungen, die im Einzelfall weder Patient noch Arzt wahrnehmen können, z. B. erhöhte Risiken, die nur statistisch erfassbar oder durch Zusatzuntersuchungen wie EKG oder Laborkontrollen nachweisbar sind. Erschwert wird das Beachten von Nebenwirkungen durch die eher unübersichtliche Darstellung in Arzneimittelinformationssystemen wie Rote Liste oder IfAp.
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Subjektive Nebenwirkungen sind entscheidend für die Compliance; objektive, u. U. im Einzelfall gar nicht oder nur durch Zusatzuntersuchungen wahrnehmbare, Nebenwirkungen sind entscheidend für die Arzneimittelsicherheit.
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Die Fülle der Literatur zu diesem Thema ist kaum zu überblicken – so ergibt eine PubMed-Suche mit dem Suchbegriff „Antidepressants Side Effects“ 27 810 Treffer, davon 4833 Übersichtsartikel, von denen mehr als 700 im letzten Jahr erschienen sind. Deshalb kann auch diese Übersicht keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben.
Definitionen
Antidepressiva
Als Antidepressiva werden Arzneimittel aus unterschiedlichen Substanzklassen bezeichnet, die zur Behandlung von Depressionen eingesetzt werden und einen stimmungsaufhellenden und / oder antriebssteigernden Effekt haben [4]. Dennoch werden nicht alle Pharmaka, auf die formal diese Definition zutrifft, zu den Antidepressiva gerechnet, wie z. B. das Neuroleptikum Quetiapin, das u. a. zur Behandlung von schweren depressiven Episoden bei bipolaren Störungen zugelassen ist, oder Benzodiazepine, die sich zur kurzfristigen Besserung von Angst und Unruhe bei schweren Depressionen bewährt haben. Auch Substanzen, die primär zur Phasenprophylaxe eingesetzt werden, und Medikamente zur Augmentation bzw. Add-on-Therapie zählen nicht zu den Antidepressiva. Diese Übersicht beschränkt sich auf die in der Tab. [1] aufgeführten Substanzen.
Nebenwirkungen
Unter Nebenwirkungen werden hier unerwünschte Arzneimittelwirkungen verstanden, unabhängig vom angenommenen Wirkmechanismus. Nebenwirkungen werden also auch dann als solche betrachtet, wenn sie durch keinen bekannten biochemischen Effekt der Substanz zu erklären sind, sofern Patienten diese als Folge der Einnahme wahrnehmen. Eine an sich unerwünschte Wirkung kann durchaus im Einzelfall erwünscht sein, etwa Sedierung bei einem psychomotorisch unruhigen Patienten mit Schlafstörungen oder eine Verzögerung der Ejakulation bei Ejaculatio praecox. Als Nebenwirkungen werden auch Phänomene betrachtet, die vorrangig bei Interaktion mit anderen Substanzen oder beim Absetzen eines Medikaments auftreten.
Tabelle 1 Antidepressiva.
Substanzgruppe | Abkürzung | Substanzen |
selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer | SSRI | Citalopram, Escitalopram, Fluoxetin, Fluvoxamin, Paroxetin, Sertralin |
Monoaminooxidase-Hemmer | MAOH | Moclobemid, Tranylcypromin |
selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer | SSNRI | Duloxetin, Venlafaxin |
selektiver Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer | SNRI | Reboxetin |
Dopamin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer | NDRI | Bupropion |
Noradrenalin- und spezifischer Serotoninantagonist | NaSSA | Mirtazapin |
trizyklische Antidepressiva | TZA | Amitriptylin, Amitriptylinoxid, Clomipramin, Desipramin, Doxepin, Imipramin, Nortriptylin, Trimipramin |
Tetrazyklika | | Maprotilin, Mianserin |
Phytopharmaka | | Hypericum-Extrakt |
andere | | Trazodon, Agomelatin |
Arten von Nebenwirkungen
Was für Nebenwirkungen gibt es?
In Nachschlagewerken und Arzneimittelinformationssystemen werden Nebenwirkungen im Allgemeinen jeweils für die einzelnen Substanzen angegeben. Für konkrete therapeutische Entscheidungen ist das nicht immer zweckmäßig. Patienten haben nicht selten klare Vorstellungen davon, welche Nebenwirkungen sie keinesfalls tolerieren würden, sodass der Arzt versuchen wird, dies bei der Verordnung zu berücksichtigen. Zudem hängt nicht nur die Bereitschaft, überhaupt ein Antidepressivum zu nehmen, sondern auch die Compliance in Bezug auf Dosis und Dauer der Einnahme wesentlich von den Nebenwirkungen ab.
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Insbesondere die Compliance zur Einnahme von Antidepressiva hängt von möglichen Nebenwirkungen ab.
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Im Lauf einer Pharmakotherapie werden Ärzte auch mit der Frage konfrontiert, ob es sich bei einem bestimmten Symptom um eine Nebenwirkung handeln könnte, oder sie müssen zur differenzialdiagnostischen Abklärung eine solche in Betracht ziehen. Daher ist der Beitrag im Folgenden nach den Nebenwirkungen gegliedert. Substanzbezogen sind wesentliche Nebenwirkungen den Tab. [2–7] zu entnehmen.
Tabelle 2 Einige Nebenwirkungen von SSRI.
| Citalopram | Escitalopram | Fuoxetin | Fluvoxamin | Paroxetin | Sertralin |
Übelkeit | ++ | ++ | ++ | ++ | ++ | ++ |
Diarrhö | ++ | ++ | ++ | ++ | ++ | ++ |
Erbrechen | ++ | + | ++ | ++ | ++ | ++ |
Unruhe | ++ | + | ++ | ++ | + | ++ |
Schlafstörungen | ++ | ++ | ++ | ++ | ++ | ++ |
vermehrtes Schwitzen | ++ | ++ | ++ | ++ | ++ | ++ |
Gähnen | + | + | + | + | + | + |
Kopfschmerzen | + | + | + | + | + | + |
sexuelle Funktionsstörung | ++* | ++* | ++* | ++* | ++* | ++* |
Hyponatriämie | ! | ! | ! | ! | ! | ! |
gastrointestinale Blutung | ! | ! | ! | ! | ! | ! |
Tremor | + | + | + | + | + | + |
Bewegungsstörungen | + | + | + | + | + | + |
QT-Zeit-Verlängerung (dosisabhängig) | ! | ! | | | | |
+ kommt vor; ++ häufig; ! potenziell gefährlich; * führt häufig zum Absetzen |
Tabelle 3 Einige Nebenwirkungen von Trizyklika und Tetrazyklika.
| Amitriptylin | Amitriptylinoxid | Clomipramin | Desipramin | Doxepin | Imipramin | Nortriptylin | Trimipramin | Maprotilin | Mianserin |
Mundtrockenheit | ++ | ++ | ++ | ++ | ++ | ++ | ++ | ++ | ++ | ++ |
Obstipation | ++ | ++ | ++ | ++ | ++ | ++ | ++ | ++ | ++ | ++ |
Ileus | ! | ! | ! | ! | ! | ! | ! | ! | ! | ! |
Miktionsstörungen | +* | +* | +* | +* | +* | +* | +* | +* | +* | +* |
Harnverhalt | ! | ! | ! | ! | ! | ! | ! | ! | ! | ! |
Akkomodationsstörungen | ++ | ++ | ++ | ++ | ++ | ++ | ++ | ++ | ++ | ++ |
Schwitzen | + | + | + | + | + | + | + | + | + | + |
Sedierung | ++ | ++ | + | + | ++ | ++ | ++ | + | ++ | ++ |
Schlafstörung | + | + | + | + | + | + | + | + | + | + |
Tremor | ++ | ++ | + | + | + | ++ | ++ | ++ | ++ | + |
orthostatische Dysregulation | ++ | ++ | ++ | + | ++ | ++ | + | ++ | ++ | + |
kardiale Nebenwirkungen | ++ | ++ | ++ | ++ | ++ | ++ | ++ | ++ | ++ | ++ |
sexuelle Dysfunktion | +* | +* | ++* | +* | +* | ++* | +* | +* | +* | +* |
Gewichtszunahme | ++ | ++ | + | + | + | + | + | + | + | + |
epileptische Anfälle | + | + | ++ | + | + | + | + | + | ++ | + |
Verwirrtheitszustand, Delir | ! | ! | ! | ! | ! | ! | ! | ! | ! | ! |
+ kommt vor; ++ häufig; ! potenziell gefährlich; * führt häufig zum Absetzen |
Vegetative Nebenwirkungen
Für einige Nebenwirkungen ist ein vegetativer, nämlich anticholinerger Wirkmechanismus bekannt. So wirken Trizyklika antagonistisch am muskarinischen Azetylcholinrezeptor. Dadurch sowie durch die Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmung sind viele der besonders häufigen vegetativen Nebenwirkungen dieser Substanzen zu erklären, wie z. B. die Mundtrockenheit (bis zu 74 %), die am häufigsten berichtete Nebenwirkung von Antidepressiva überhaupt [2]. Der reduzierte Speichelfluss kann zu Karies prädisponieren. Häufig, insbesondere bei älteren Menschen, kommt es zu Obstipation, sehr selten sogar zum paralytischen Ileus. Akkomodationsstörungen, subjektiv als verschwommenes Sehen wahrgenommen, können bei Betroffenen zu starker Besorgnis führen. Verminderter Tränenfluss – als trockene Augen beschrieben – kann zu Problemen beim Tragen von Kontaktlinsen führen. Miktionsstörungen, meist in Form eines verzögerten Einsetzens der Miktion, treten relativ selten auf, etwas häufiger bei Älteren. Wenn sie auftreten, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass das Medikament abgesetzt wird. Noch seltener ist ein Harnverhalt zu beobachten, der einer raschen Intervention bedarf (Gabe von Cholinergika oder Katheterisierung).
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Die häufigste Nebenwirkung anticholinerg wirksamer Trizyklika ist die Mundtrockenheit.
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„Anticholinerge“ Nebenwirkungen gehören nicht nur zu den für die Patienten besonders unangenehmen Phänomenen, sondern bedingen auch das Risiko deliranter Syndrome, besonders bei älteren Patienten, bei höheren Dosierungen und bei Kombination mit anderen anticholinerg wirksamen Medikamenten. Deshalb sollten solche Kombinationen vermieden werden [4].
In geringerem Ausmaß als Trizyklika blockieren auch die meisten Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (außer Citalopram / Escitalopram) Azetylcholinrezeptoren, sodass diese Nebenwirkungen ebenfalls vorkommen, jedoch seltener. Vermehrtes Schwitzen wird auch unter Venlafaxin häufig angegeben.
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Patienten mit Miktionsstörungen als Nebenwirkung setzen ihr Medikament oft ab.
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Psychische Nebenwirkungen
Diese haben in den letzten Jahren vermehrte Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Zum Teil sind sie durch Effekte an den Rezeptoren plausibel zu erklären, etwa Sedierung durch Blockade von H1-Rezeptoren oder Verwirrtheitszustände durch anticholinerge Effekte. Sehr häufig sind Klagen über Müdigkeit, verminderten Antrieb, Benommenheit und Schwächegefühle, bei denen die Überlappung mit der Symptomatik der Depression augenfällig ist. Diese sind unter Trizyklika häufiger als unter SSRI und kommen durchaus auch bei solchen Antidepressiva vor, die als antriebssteigernd gelten.
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Müdigkeit, Antriebsminderung, Benommenheit und Schwächegefühle sind häufige psychische Nebenwirkungen; sie überlappen mit der depressiven Symptomatik.
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Seltener wird Unruhe bzw. Agitiertheit angegeben, auch unter solchen Antidepressiva, die als sedierend gelten. Die Häufigkeit dieses Phänomens wird in unterschiedlichen Untersuchungen sehr unterschiedlich angegeben (4–65 % zu Beginn der Behandlung!), wobei wesentliche Unterschiede zwischen SSRI und Trizyklika nicht durchgehend gefunden wurden [5]. Teilweise werden auch Ängste sowie Schlafstörungen als Nebenwirkung genannt – letztere etwas häufiger unter Trizyklika als unter SSRI.
Switch in Manie
In den letzten Jahren fand ein mögliches Umschlagen der Depression in eine Manie („Switch“) als Nebenwirkung der Pharmakotherapie vermehrte Beachtung. Das Switch-Risiko ist deutlich höher bei trizyklischen Antidepressiva und bei Venlafaxin im Vergleich mit SSRI, weswegen bei Patienten mit bipolarer Depression keine TZA oder Venlafaxin gegeben werden sollen. Es wird angenommen, dass dieses Umschlagen insbesondere bei bipolaren Störungen vorkommt. Besondere Vorsicht ist angezeigt bei Jugendlichen mit einer für bipolare Störung positiven Eigen- oder Familienanamnese, mit zusätzlichem ADHS oder einer Psychose in der Vorgeschichte sowie beim Vorliegen von Symptomen, die auch bei Manien vorkommen wie motorische Unruhe, Rededrang und Gedankenrasen zu Beginn der antidepressiven Behandlung [6].
Cave
Auf ein Umschlagen der Depression in eine Manie ist besonders zu achten bei:
-
bekannter bipolarer Störung
-
Symptomen gemischter Episoden
-
positiver Familienanamnese
Suizidalität
Viel diskutiert wurde in den letzten Jahren die Frage, inwieweit Suizidalität zu den Nebenwirkungen von Antidepressiva gehört. Insbesondere bei Jugendlichen kommen Suizidgedanken unter Antidepressiva häufiger vor [7]. Die vorliegenden Daten sprechen jedoch gegen eine allgemeine Erhöhung der Suizidrate durch die Einnahme von Antidepressiva. Metaanalysen [7]
[8] ergaben altersabhängig unterschiedliche Effekte (Tab. [4]).
Tabelle 4 Alter und Suizidalität bei Einnahme von Antidepressiva.
Alter | < 25 | 25–64 | > 65 |
Suizidgedanken | häufiger | etwas weniger | weniger |
suizidales Verhalten (nicht Suizid!) | häufiger | unverändert | weniger |
Tabelle 5 Einige Nebenwirkungen von SSNRI.
Substanz | Nebenwirkungen |
Duloxetin | Übelkeit, Unruhe, Schlafstörungen, sexuelle Funktionsstörungen*, Blutdruckanstieg !, Appetitlosigkeit, vermehrter Appetit, Gewichtszunahme*, Gewichtsabnahme, Kopfschmerzen, Mundtrockenheit |
Venlafaxin | Übelkeit, Unruhe, Schlafstörungen, sexuelle Funktionsstörungen*, Blutdruckanstieg !, Appetitlosigkeit, vermehrter Appetit, Gewichtszunahme*, Gewichtsabnahme, Kopfschmerzen, vermehrtes Schwitzen |
! potenziell gefährlich; * führt häufig zum Absetzen |
Tabelle 6 Einige Nebenwirkungen von MAO-Hemmern.
Substanz | Nebenwirkungen |
Moclobemid | Übelkeit, Schlafstörungen, Mundtrockenheit, Prolaktinanstieg |
Tranylcypromin | orthostatische Hypotonie, hypertensive Krise (bei Diätfehlern), Schwindel, Kopfschmerzen, Herzklopfen, Übelkeit, Unruhe, Schlafstörungen, Tremor, vermehrtes Schwitzen |
Tabelle 7 Einige Nebenwirkungen der anderen Antidepressiva.
Substanz | Nebenwirkungen |
Reboxetin | Mundtrockenheit, Obstipation, Appetitlosigkeit, Übelkeit, Tachykardie, orthostatische Hypotonie, Kopfschmerzen, vermehrtes Schwitzen, Schlafstörungen, Miktionsbeschwerden, sexuelle Funktionsstörungen* |
Bupropion | Kopfschmerzen, Unruhe, Schlafstörungen, Appetitlosigkeit und Gewichtsabnahme, Tremor, epileptische Anfälle! |
Mirtazapin | Gewichtszunahme*, Sedierung, orthostatische Hypotonie, Mundtrockenheit, Granulopenie!, Ödeme |
Hypericum-Extrakt | Lichtempfindlichkeit, Abschwächung der Wirkung von bestimmten Medikamenten gegen Krebs! |
Trazodon | Sedierung, sexuelle Funktionsstörungen*, bei Männern Priapismus!, orthostatische Hypotonie, Gewichtszunahme*, Übelkeit, Mundtrockenheit |
Agomelatin | Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Sedierung, Übelkeit, Schwitzen |
! potenziell gefährlich; * führt häufig zum Absetzen |
Seit Jahrzehnten weisen Experten darauf hin, dass Antidepressiva insbesondere zu Beginn der Behandlung eine Antriebssteigerung ohne Stimmungsaufhellung bewirken können, die bei manchen Patienten zum Suizid bzw. zu Suizidversuchen beiträgt.
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Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist besonders auf Suizidgedanken zu achten.
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Es gibt auch Hinweise darauf, dass Antidepressiva – insbesondere serotonerge – mit Gewalttaten oder Gedanken daran assoziiert sind [9].
Weiter psychische Nebenwirkungen
Benommenheit wird nicht selten als Nebenwirkung angegeben; zu kognitiven oder psychomotorischen Beeinträchtigungen gibt es nur wenige objektive Daten. Diese sprechen dafür, dass solche Nebenwirkungen mehr unter sedierenden Antidepressiva zu beobachten sind. Sie werden jedoch oft auch bei anderen Antidepressiva angegeben. Möglicherweise spielen dabei Noceboeffekte eine wichtige Rolle.
Führen eines Kraftfahrzeugs
Hintergrundinformation
Mit entsprechenden Tests ist unter sedierenden Antidepressiva (Amitriptylin, Imipramin, Doxepin, Mirtazapin u. a.) eine Beeinträchtigung der Fahreignung nachweisbar, die mit einer Alkoholisierung mit 0,8 ‰vergleichbar ist. Unter Trizyklika ist zumindest bei über 65-jährigen Fahrzeuglenkern das Unfallrisiko erhöht. Nicht sedierende Antidepressiva scheinen hingegen die Fahrtauglichkeit nicht zu beeinträchtigen und sogar im Vergleich zu unbehandelten Depressiven zu verbessern [10]
[11].
Anfallsrisiko
Unter Antidepressiva können epileptische Anfälle auftreten. Die Angaben zur Häufigkeit variieren stark; in großen Vergleichen ergab sich nur eine minimale Erhöhung des Risikos auf 0,1–1,5 %. Das Risiko eines unprovozierten ersten Anfalls beträgt für die Allgemeinbevölkerung 0,07–0,09 % [12], wobei Depressionen und Zwangsstörungen per se mit einer höheren Inzidenz von Anfällen einhergehen. Das Anfallsrisiko unter Antidepressiva steigt mit der Dosis sowie bei Verwendung von Kombinationen mehrerer Medikamente mit krampfschwellensenkender Wirkung. Bei Überdosierungen, etwa bei in suizidaler Absicht erfolgter oder akzidenteller Einnahme extrem hoher Dosen, beträgt es 4–30 %.
Deutliche Unterschiede zeigen sich zwischen den einzelnen Substanzen: Maprotilin und Clomipramin erhöhen das Anfallsrisiko stärker als andere Antidepressiva, SSRI haben neueren Befunden zufolge vermutlich sogar eine anfallsprotektive Wirkung. Aus Daten von teils unveröffentlichten Studien ging hervor, dass unter den meisten Antidepressiva seltener Anfälle auftraten als unter Placebo. Ausnahmen waren hier Clomipramin und Bupropion [13].
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Durch Clomipramin, Maprotilin und Bupropion können bei präsdisponierten Patienten epileptische Anfälle provoziert werden.
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Tipp für die Praxis
Nur bei Patienten mit erhöhtem Anfallsrisiko, wie bekannten Hirnschädigungen oder epileptischen Anfällen in der Vorgeschichte, sollte eine mögliche Anfallsprovokation bei der Auswahl eines Antidepressivums in Betracht gezogen werden. Es ist dabei insbesondere zu überprüfen, ob statt Clomipramin, Maprotilin oder Bupropion auch eine andere Substanz eingesetzt werden könnte.
Extrapyramidale Symptome, Tremor und Restless-Legs-Syndrom
Extrapyramidale Symptome sind seltene Nebenwirkungen, die bei allen Arten von Antidepressiva vorkommen können und die Lebensqualität der Betroffenen besonders stark beeinträchtigen. So kann z. B. bei höheren Dosen von SSRI ein typisches Parkinsonoid auftreten.
Tremor ist besonders unter Trizyklika relativ häufig zu beobachten, auch die Verstärkung eines bekannten essenziellen Tremors. Ein Vergleich der publizierten Literatur mit einem System zur Meldung beobachteter Nebenwirkungen legte nahe, dass diese Nebenwirkungen nicht immer erfasst werden [14].
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Tremor ist als Nebenwirkung von Trizyklika relativ häufig, wird jedoch oft nicht systematisch erfasst.
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Für das Restless-Legs-Syndrom (RLS) liegen widersprüchliche Daten vor. Besonders häufig wurde ein RLS nach Gabe von Mirtazapin beobachtet. Die Widersprüche sind möglicherweise durch Geschlechtsunterschiede zu erklären: In einer Studie war bei Männern die Einnahme von Antidepressiva, insbesondere Citalopram, Paroxetin und Amitriptylin mit RLS assoziiert, bei Frauen nur die Einnahme von Fluoxetin, nicht jedoch die Einnahme anderer Antidepressiva [15].
Gewichtszunahme und -abnahme
Eine Gewichtszunahme gehört zu den Nebenwirkungen, die viele Patienten nicht bereit sind zu tolerieren. Sie bedeutet indirekt auch eine Erhöhung des mit einem metabolischen Syndrom einhergehenden kardiovaskulären Risikos. Am höchsten ist das Risiko einer Gewichtszunahme bei der Einnahme von Amitriptylin, Doxepin und Mirtazapin sowie weniger stark auch bei anderen TZA. Auch SSRI und insbesondere Paroxetin können zu einer Gewichtszunahme führen.
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Bei Amitriptylin, Doxepin und Mirtazapin sowie bei Paroxetin ist das Risiko einer Gewichtszunahme am größten.
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Bei den anderen Antidepressiva sind die kurzfristigen Effekte auf das Gewicht gering ausgeprägt, jedoch mit großen interindividuellen Unterschieden. In der Akutbehandlung ist die Einnahme von SSRI, SNRI und von Moclobemid mit einer Tendenz zur geringen Gewichtsabnahme verbunden, nicht jedoch bei längerer Einnahme.
Bupropion ist sowohl bei kurzdauernder als auch bei längerer Einnahme mit Gewichtsabnahme assoziiert [16].
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Generell werden Veränderungen des Körpergewichts mit zunehmender Behandlungsdauer deutlicher.
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Stürze und Frakturen
Insbesondere bei Älteren ist die Einnahme von Antidepressiva mit einem höheren Risiko von Stürzen assoziiert (OR 1,8–2,2), was nicht allein durch das bei Depression ohnehin erhöhte Sturzrisiko zu erklären ist. Das Sturzrisiko ist für Trizyklika und SSRI in etwa gleich hoch, für SSRI bei Älteren sogar höher. Für andere Antidepressiva liegen kaum Daten vor. Methodisch bedingt bleibt unklar, ob es sich hier um einen kausalen Zusammenhang handelt, also SSRI besonders häufig zu Stürzen führen, oder ob vielmehr sturzgefährdeten Personen bevorzugt SSRI als Antidepressivum verordnet werden. Unter SSRI, in geringerem Maß auch unter Trizyklika, kommt es auch häufiger zu Frakturen [17]
[18]. Neben dem erhöhten Sturzrisiko ist das durch eine geringere Knochendichte zu erklären, der biochemisch die Erhöhung des peripheren Serotonins und die dadurch bedingte Hemmung der Aktivität von Osteoblasten zugrunde liegt.
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SSRI erhöhen bei Älteren das Sturz- und Frakturrisiko.
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Hyponatriämie
Hier handelt es sich um eine seltene, oft symptomlose, jedoch gefährliche Nebenwirkung, die unter SSRI und SNRI mit einer Häufigkeit von 0,06 bzw. 0,08 %, bei Mirtazapin und Trizyklika viel seltener (0,003–0,005 %) vorkommt. Biochemisch liegt der Hyponatriämie meist ein Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion (SIADH) zugrunde. Besonders gefährdet sind ältere Patienten (0,6 % unter Escitalopram; 0,3 % ohne Antidepressiva), wobei das Risiko durch die Kombination mit anderen Medikamenten, die zu einer Hyponatriämie führen können, deutlich steigen kann – etwa bei der Kombination von SSRI mit einem Diuretikum und einem ACE-Hemmer [19]
[20].
Tipp für die Praxis
Bei Kombination von SSRI mit Diuretika oder ACE-Hemmern sowie bei älteren Menschen auch bei Monotherapie mit SSRI sollten die Natriumwerte kontrolliert werden.
Blutungsrisiko
Unter SSRI ist das Risiko für obere gastrointestinale Blutungen auf etwa das Doppelte erhöht. Über andere Blutungen liegen nur wenige Informationen vor. Als eine erwünschte Nebenwirkung kann die Reduktion des kardiovaskulären Risikos gelten. Beide werden in der Regel auf die Hemmung der Thrombozytenaggregation durch Reduktion der Speicherung von Serotonin in den Blutplättchen zurückgeführt. Das Blutungsrisiko ist bei gleichzeitiger Anwendung von nichtsteroidalen Antirheumatika, Antikoagulanzien und Thrombozytenaggregationshemmern besonders hoch. Dass dieses Risiko durch Protonenpumpenhemmer wieder abgeschwächt wird, könnte darauf hinweisen, dass das Blutungsrisiko eher durch vermehrte Sekretion von Magensäure, der kardiovaskulär protektive Effekt hingegen durch die Wirkung der SSRI auf Thrombozyten, Endothel und Entzündungsmarker bedingt sein könnte.
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Bei Patienten mit erhöhtem Risiko für gastrointestinale Blutungen ist das Blutungsrisiko durch SSRI zu beachten.
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Tipp für die Praxis
Da das absolute Blutungsrisiko gering ist, wird empfohlen, dies besonders bei Hochrisikopatienten zu beachten, also bei Patienten mit oberen gastrointestinalen Blutungen in der Anamnese und bei Patienten mit peptischen bzw. durch Magensäure verursachten Krankheiten sowie bei Patienten mit Leberzirrhose bzw. Leberversagen [21].
Kardiovaskuläre Nebenwirkungen
Herzrhythmusstörungen
Diese sind bei Trizyklika besonders häufig und gefährlich, denn sie sind Antagonisten von Natriumkanälen und Kaliumkanälen am Herzen. Sie verlängern die QRS- und QT-Zeit, insbesondere bei Überdosierungen. Diese chinidinartigen Nebenwirkungen führen zu einer hohen Inzidenz ventrikulärer Rhythmusstörungen bei Überdosierung, was die häufigste Todesursache bei Vergiftungen mit diesen Substanzen darstellt. Tachykardien unter Trizyklika sind durch die anticholinergen und alpha-adrenergen Eigenschaften zu erklären. Auch Venlafaxin und Trazodon können bei Überdosierung Herzrhythmusstörungen provozieren und sollten daher bei Patienten mit einem erhöhten Risiko dafür nicht verordnet werden [1]
[4].
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Trizyklika, Venlafaxin und Trazodon können bei Überdosierungen Herzrhythmusstörungen verursachen und sind kontraindiziert bei Patienten mit entsprechendem Risiko.
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Erst vor Kurzem wurden Citalopram und Escitalopram mit dosisabhängiger QT-Zeit-Verlängerung in Zusammenhang gebracht und deshalb per Rote-Hand-Brief die Höchstdosis auf 40 bzw. 20 mg pro Tag begrenzt. Sie sollten nicht verordnet werden, wenn eine QT-Zeit-Verlängerung bekannt ist oder der Patient andere Pharmaka einnimmt, die die QT-Zeit verlängern können.
Besondere Vorsicht ist geboten, wenn ein erhöhtes Risiko für eine Torsade-de-Pointes-Tachykardie bekannt ist, also bei folgenden Störungen:
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dekompensierte Herzinsuffizienz
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kurz zurückliegender Myokardinfarkt
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Bradyarrhythmien
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Neigung zu Hypokaliämie
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Neigung zu Hypomagnesiämie
Blutdruck
Trizyklika (Nortriptylin seltener als andere) und Mirtazapin führen sowohl in toxischen als auch in üblichen therapeutischen Dosierungen zu arterieller, v. a. orthostatischer Hypotonie, was auf alpha-adrenerge und anticholinerge Wirkungen zurückgeführt wird. Auch der MAO-Hemmer Tranylcypromin führt häufig zu orthostatischer Hypotonie.
Eine Senkung des Blutdrucks wird insbesondere von Patienten mit Herzinsuffizienz schlecht toleriert, die deshalb besser mit SSRI oder Bupropion behandelt werden. Denn diese werden nicht mit folgenden Störungen in Verbindung gebracht:
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Patienten mit Herzrhythmusstörungen sollten anstatt mit Trizyklika oder Mirtazapin besser mit SSRI oder Bupropion behandelt werden.
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Reboxetin, Venlafaxin und Duloxetin sind mit einem geringen Anstieg des Blutdrucks assoziiert.
Beim MAO-Hemmer Tranylcypromin besteht das Risiko eines krisenhaften Blutdruckanstiegs, wenn die Patienten tyraminreiche Nahrungsmittel zu sich nehmen, wie z. B.:
Auch wenn bei Moclobemid keine derartigen Diätempfehlungen erforderlich sind, sollten die Patienten keine großen Mengen dieser Nahrungsmittel essen [1]
[4]. Vermutlich ist die praktische Bedeutung dieses Risikos zurückgegangen, da die meisten Menschen diese Nahrungsmittel ohnehin nur selten und in geringer Menge in ihrem Speiseplan haben.
Herzinfarkt und koronare Herzkrankheit
Depression nach Herzinfarkt. Da die Depression einen eigenen Risikofaktor für Herzinfarkt darstellt und die Prognose nach einem Herzinfarkt verschlechtert, wurde in den letzten Jahren verstärkt untersucht, inwieweit antidepressive Therapien den Betroffenen in dieser Hinsicht nützen. Dabei zeigte sich, dass verschiedene SSRI und Mirtazapin nach Herzinfarkten gut toleriert wurden.
Infarktrisiko. Das Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden, ist unter Trizyklika erhöht. Sie reduzieren die Herzratenvariabilität. Für SSRI sind die Befunde widersprüchlich, überwiegend kommen die Untersucher jedoch zu dem Schluss, dass sie das Risiko für Herzinfarkte nicht erhöhen oder sogar – vermutlich durch die Thrombozytenaggregationshemmung – erniedrigen.
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Bei Patienten mit hohem kardiovaskulären Risiko keine Trizyklika verordnen, bei Hochdruckpatienten kein Reboxetin, Duloxetin und Venlafaxin!
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Koronare Herzkrankheit. Bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit können SSRI (untersucht wurden Citalopram und Paroxetin) gefahrlos eingesetzt werden, insbesondere bleiben Blutdruck, Herzfrequenz und EKG – abgesehen von der jüngst bekannt gewordenen dosisabhängigen Verlängerung der QT-Zeit unter Citalopram und Escitalporam – unverändert, anders als bei Trizyklika (untersucht wurde Nortriptylin).
Da Patienten mit koronarer Herzkrankheit in der Regel mehrere Medikamente einnehmen, besteht grundsätzlich das Risiko von Interaktionen. Dieses ist bei Citalopram und Escitalopram geringer als bei anderen SSRI [21].
Krebsrisiko und Interaktionen mit Krebsmitteln
In den letzten Jahren gab es Vermutungen, dass verschiedene Antidepressiva, insbesondere SSRI, das Risiko für Mamma- und Ovarialkarzinome in geringem Ausmaß erhöhen könnten. Methodisch hochwertige Studien mit großen Fallzahlen konnten diesen Zusammenhang jedoch nicht belegen. Allerdings zeigte eine Übersichtsarbeit, dass Autoren mit finanziellen Beziehungen zur Pharmaindustrie häufiger zu dem Schluss kamen, dass kein erhöhtes Risiko vorliegt, als Autoren ohne derartige Beziehungen [22].
Ganz anders ist die Situation bei Frauen, die wegen Brustkrebs mit Tamoxifen behandelt werden. Bei ihnen reduziert die Einnahme von Sertralin in hohen Dosen, von Fluoxetin oder von Paroxetin die Überlebenschancen, denn diese hemmen das Isoenzym CYP2D6, wodurch weniger aktive Metaboliten von Tamoxifen gebildet werden, sodass es nicht voll wirken kann.
Auch mit anderen in onkologischen Therapien eingesetzten Substanzen gibt es gefährliche Interaktionen: Durch Enzyminduktion von CYP3A4 und P-Glykoprotein kann Johanniskraut (Hypericum-Extrakt) die Plasmakonzentration der antineoplastischen Substanzen Imatinib, Irinotecan und Docetaxel reduzieren und so deren Wirkung abschwächen [23].
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Bei Krebspatienten kein Fluoxetin, kein Paroxetin und kein Johanniskraut verordnen!
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Sexuelle Nebenwirkungen
Diese sind bei vielen Patienten der Grund für das Absetzen der antidepressiven Medikation. Vielen Personen, die Antidepressiva einnehmen und die auf Nachfragen eine verminderte Libido berichten, ist der mögliche Zusammenhang mit der Einnahme der Antidepressiva gar nicht bewusst. Patienten berichten selten von sich aus von sexuellen Problemen, sodass eine gezielte Anamnese zu empfehlen ist. Die Häufigkeit wird recht unterschiedlich angegeben – von 25–80 % der mit Antidepressiva behandelten Patienten.
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Sexuelle Nebenwirkungen sind auch bei ansonsten gut verträglichen Antidepressiva häufig und werden selten spontan angegeben.
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Sexuelle Nebenwirkungen können bei beiden Geschlechtern alle Phasen des sexuellen Reaktionszyklus betreffen. Besonders oft werden verminderte Libido, Verzögerung der Ejakulation und Schwierigkeiten, einen Orgasmus zu erreichen sowie erektile Dysfunktion genannt.
Die verschiedenen Wirkstoffe unterscheiden sich deutlich: Häufiger als bei anderen Substanzen kommen sexuelle Funktionsstörungen unter SSRI vor, insbesondere eine Verzögerung von Orgasmus und Ejakulation. Deshalb wird z. B. Paroxetin (im Sinne einer erwünschten Nebenwirkung) oder auch das eigens dafür entwickelte kurzwirksame Dapoxetin gezielt zur Behandlung der Ejaculatio praecox eingesetzt. Die Angaben dazu, welche einzelne Substanz besonders oft oder besonders selten sexuelle Nebenwirkungen hat, sind nicht einheitlich, was vermutlich durch die Erhebungsmethoden (unspezifische vs. gezielte Instrumente zur Datenerhebung) mitbedingt ist. Als sehr häufig (> 50 %) können sexuelle Funktionsstörungen bei SSRI (mit Ausnahme von Escitalopram, bei dem sexuelle Nebenwirkungen in einer Studie bei knapp der Hälfte der Patienten gefunden wurden, in anderen seltener) und Venlafaxin gelten, als relativ selten dagegen (< 25 % bzw. kein Unterschied im Vergleich mit Placebo) bei Mirtazapin, Moclobemid, Bupropion und Agomelatin. Die Häufigkeit bei den übrigen Substanzen liegt dazwischen [24]
[25].
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Sexuelle Funktionsstörungen kommen relativ häufig unter SSRI und Venlafaxin vor.
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Absetzphänomene
Bei den meisten Antidepressiva kann abruptes Absetzen nach längerer Behandlung innerhalb eines Tages bis einer Woche bei bis zur Hälfte der Betroffenen zu Symptomen führen. Diese äußern sich u. a. wie folgt:
Die Absetzphänomene werden u. U. als Krankheitsexazerbation oder eigenständige andere Erkrankung verkannt. Die Symptome können verschiedenen Gruppen zugeordnet werden (Tab. [8]). Wenn aus jeder Gruppe mindestens ein Symptom vorliegt, ist bei entsprechender Vorgeschichte ein Absetzsyndrom wahrscheinlich. Meist sind die Symptome leicht ausgeprägt, können aber zu großer Besorgnis Anlass geben.
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Absetzphänomene sind häufig.
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Bei Agomelatin und Reboxetin scheinen Absetzphänomene nicht vorzukommen. Besonders intensiv wurden sie für SSRI untersucht. Sie sind häufiger bei Substanzen mit kurzer Halbwertszeit wie Fluvoxamin, Paroxetin und Venlafaxin.
Tipp für die Praxis
Da Patienten nicht selten die Einnahme verordneter Medikamente von sich aus beenden, sollten sie aktiv darauf hingewiesen werden, dass Absetzphänomene auftreten können und ermutigt werden, den Wunsch offen anzusprechen, ein Medikament abzusetzen [26].
Tabelle 8 Gruppen von Symptomen beim Absetzsyndrom (in Anlehnung an [26]).
Gruppe | Symptome |
neurologische Symptome | Schwindel, Parästhesien, stromstoßartige Missempfindungen, Muskel- und Nervenschmerzen, Myoklonien, Tremor, Ataxie, Sehstörungen |
gastrointestinale Symptome | Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö |
psychische Symptome | Angst, depressive Stimmung, drängende Suizidgedanken, Gereiztheit |
vasomotorische Symptome | übermäßiges Schwitzen, Flush |
sonstige Symptome | Schlaflosigkeit, lebhafte Träume, Fatigue, Kältegefühl |
Nebenwirkungen in der Schwangerschaft
Wenn Schwangere oder stillende Mütter ein Medikament einnehmen, können Nebenwirkungen auftreten, die das Kind betreffen. Die vorliegenden epidemiologischen, Fall-Kontroll- und Kohortenstudien kommen nicht zu einheitlichen Ergebnissen und haben teilweise methodische Schwächen.
Teratogene Risiken
Grundsätzlich sollte insbesondere im ersten Trimenon wegen teratogener Risiken kritisch überprüft werden, ob eine medikamentöse Behandlung zwingend erforderlich ist. So gibt es Hinweise darauf, dass die Einnahme von SSRI in der Frühschwangerschaft mit einem gering erhöhten Risiko (0,9 % mit einem, 2,1 % mit mehr als einem SSRI vs. 0,5 % ohne SSRI) für Septumdefekte am Herzen einhergeht [27]. Paroxetin wurde mit einem erhöhten Risiko für Defekte im Auslasstrakt des rechten Ventrikels in Verbindung gebracht, Bupropion mit Defekten im Auslasstrakt des linken Ventrikels.
Tipp für die Praxis
In der Frühschwangerschaft und bei Frauen mit Kinderwunsch sollte wegen potenzieller teratogener Risiken möglichst auf eine Pharmakotherapie verzichtet werden.
Risiken für das Neugeborene
In einigen Untersuchungen wurde ein erhöhtes Risiko für Spontanaborte, für Frühgeburt und abnormes Geburtsgewicht gefunden [28].
Kinder von Müttern, die Antidepressiva genommen haben, haben häufiger Umstellungsschwierigkeiten in der Perinatalzeit, müssen häufiger auf Intensivstation behandelt werden und haben häufiger niedrige APGAR-Scores. Hier können Absetzphänomene beim Neugeborenen eine Rolle spielen.
Auch für ein erhöhtes Risiko persistierender pulmonaler Hypertonie des Neugeborenen gibt es Hinweise, wenn die Mutter SSRI genommen hat [28] – allerdings auch die Einschätzung, dass das eher mit der Depression der Mutter als mit ihrer Medikation zu tun haben könnte [29].
Stillen
Während die Hersteller aus Sicherheitsgründen vom Stillen unter Antidepressiva abraten, wird das Stillen als solches aus vielen Gründen empfohlen, nicht zuletzt wegen der förderlichen Wirkung auf die Gesundheit des Kindes. Eine systematische Analyse kam zu folgendem Schluss: Die meisten Antidepressiva sind bei Stillenden normalerweise nicht kontraindiziert, SSRI und Nortriptylin haben ein relativ gutes Sicherheitsprofil, Doxepin soll bei Stillenden nicht gegeben werden, Fluoxetin nur mit besonderer Vorsicht [30].
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SSRI und Nortriptylin sind in der Stillzeit relativ sicher.
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