Der Klinikarzt 2011; 40(12): 546
DOI: 10.1055/s-0031-1299639
Medizin & Management
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Patientenverfügungen – ein Gesetz mit Lücken

Selbstbestimmungsrecht gegen den Schutz des Lebens
Spielberg Petra
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Petra Spielberg
Fachjournalistin für Gesundheits- und Sozialpolitik
Wiesbaden/Brüssel
Fax: 06 11/98 81 85 12   

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Publication Date:
27 December 2011 (online)

 
 

Seit September 2009 sind Patientenverfügungen im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelt. Ärzten ist die Entscheidung, welche Maßnahmen bei einem todkranken Patienten ergriffen werden sollen, dadurch aber nicht zwingend leichter gemacht worden. Die Regelungen weisen nach Ansicht von Fachanwälten für Medizinrecht jedenfalls noch einige Schwachstellen auf – beispielsweise die Festlegung, dass der Arzt sich immer erst an einen Betreuer wenden muss, um den Willen des Patienten erfüllen zu können.

Viele Menschen haben Angst davor, am Ende ihres Lebens nicht mehr selbst bestimmen zu können, was mit ihnen passieren soll, sodass schließlich das technisch Machbare über Leben und Tod entscheidet. Um dem vorzubeugen, gibt es Patientenverfügungen. Ihre gesetzliche Grundlage findet sich seit dem September 2009 im Bürgerlichen Gesetzbuch. Das ärztliche Berufsrecht trägt den Regelungen durch die "Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung" vom 21. Januar 2011 Rechnung.

Leben erhalten, aber auch den Tod zulassen

Der Arzt möchte Leben erhalten, aber er müsse, wenn es der Wille des Patienten ist, auch den Tod zulassen. Diesen Patientenwillen in einer Sterbesituation zu erkennen, sei eine große Herausforderung. Denn nicht immer entspreche die hinterlegte Patientenverfügung dem Willen des Todkranken, berichtete Dr. Peter Wöhrlin, niedergelassener Neurologe und Mitinitiator des rheinhessischen Modellprojekts "Ärztliche Patientenverfügung" auf einem Fachsymposium der Rechtsanwaltskammer Koblenz und der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz in Mainz.

Viele Menschen formulierten ihre Patientenverfügungen in gesunden Tagen, so Wöhrlin. Häufig ändere sich aber der Patientenwille bei Schwerkranken. "Ein Leben, das für einen Gesunden kaum lebenswert anmutet, kann für den Betroffenen in der akuten Krankheitssituation in einem ganz anderen Licht erscheinen", erklärte der Neurologe. Er rät Ärzten daher, den jeweiligen Zustand des zu Behandelnden zu berücksichtigen, um eine ethisch relevante Entscheidung treffen zu können. Hilfreich könne es auch sein, mit einem Patienten rechtzeitig detailliert zu besprechen, wann eine Verfügung gelten soll und welche Lebenserfahrungen und Wertvorstellungen er im Hinblick auf Leben und Tod hat.


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Patientenerklärung sollte "hinreichend konkret" formuliert sein

Auch Prof. Martin Spaetgens, Fachanwalt für Medizinrecht aus Trier, setzt auf den Dialog, um den mutmaßlichen Willen des Patienten zu ermitteln. Musterformulare, in denen nur Kreuzchen gesetzt seien, seien wenig hilfreich. Die noch nicht eingetretenen medizinischen Situationen und ihre gewünschten Konsequenzen sollten hinreichend konkret bezeichnet sein, machte Spaetgens deutlich.

Zulässig sei zum Beispiel die Formulierung: "Sollte es im Falle eines Schlaganfalls zu irreversiblen Einschränkungen meiner Hirnfunktion kommen, lehne ich eine künstliche Ernährung mit einer PEG-Sonde ab." Nicht ausreichend sei dagegen: "Wenn ich einmal sehr krank und nicht mehr in der Lage bin, ein für mich erträgliches Leben zu führen, möchte ich würdevoll sterben dürfen."

Trotz der bestehenden gesetzlichen Regelungen zur Patientenverfügung seien nicht alle Fragen hinreichend geklärt, kritisierte Spaetgens. Für verfehlt hält er beispielsweise die Vorschrift, dass zunächst immer ein Betreuer prüfen muss, ob die Festlegungen in der Patientenverfügung auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen. Ein Arzt sollte seiner Meinung nach in zweifelsfreien Fällen eine Verfügung jederzeit direkt umsetzen dürfen.

Schwierigkeiten könne auch die Frage bereiten, unter welchen Voraussetzungen ein Patient eine Patientenverfügung widerrufen kann. "Das Gesetz schweigt sich hierzu aus", so der Fachanwalt. "Allerdings wird man annehmen müssen, dass der Widerruf den gleichen Voraussetzungen unterliegt, wie das Verfassen einer Verfügung, nämlich der Einwilligungsfähigkeit."


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Die richtige Entscheidung – oft eine Gratwanderung

Auch aus Sicht von Rechtsanwalt Dr. Andreas Ammer, Justitiar der vertragsärztlichen Vereinigung Trier und des Medi-Verbundes Trier, weisen die Regelungen zu den Patientenverfügungen noch einige Lücken auf. Der Arzt stünde ständig im Spannungsfeld zwischen dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten und der Verpflichtung zum Schutz des Lebens. "Aktives Tun und passives Unterlassen mischen sich in der Praxis, und es hängt von Zufällen ab, wie die Behandlung abgebrochen wird", betonte der Anwalt.

Das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom Juni 2011 habe Ärzten den Umgang mit sterbenden Patienten zudem nicht leichter gemacht. "Nach dem BGH-Urteil rechtfertigt die Einwilligung eines Patienten mittels Patientenverfügung nicht nur ein Unterlassen, sondern auch den aktiven Therapieabbruch", erklärte Ammer. Dieser bleibe folglich straffrei.

Umgekehrt drohe dem Arzt, der eine rechtsverbindliche Patientenverfügung bzw. den (mutmaßlichen) Willen des Patienten nicht beachtet, ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Körperverletzung sowie hohe Schadenersatz- oder Schmerzensgeldforderungen. Auch könne er sich des Vorwurfs aufgedrängter Behandlungsmaßnahmen schuldig machen – mit der Folge, dass die Kassenärztliche Vereinigung oder die private Krankenversicherung des Patienten sein ärztliches Honorar zurückfordern können.


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