intensiv 2012; 20(02): 62-64
DOI: 10.1055/s-0032-1304776
Pro & Kontra
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Falsches Signal?

Zweifelhafte Entwicklung
Michael Booke
,
Helmuth Krechel
1   Kliniken des Main-Taunus-Kreises GmbH, Kronberger Strasse 36, 65812 Bad Soden/Taunus
,
Martin G. Zinck
2   UKSH, Campus Kiel
› Institutsangaben
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
28. Februar 2012 (online)

 

Zusammenfassung

Der Mangel an Fachpflegekräften auf Intensivstationen und in der Anästhesie wird immer deutlicher. Eine heftig diskutierte Möglichkeit, diesem Mangel zu begegnen, ist der Einsatz von Rettungsassistenten in den genannten Bereichen. „intensiv“-Herausgeber Lothar Ullrich hat zwei Krankenhausmitarbeiter gefunden, die ihre Meinung offen aussprechen.


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Vita

Prof. Dr. Michael Booke, MHBA - Geschäftsführer und Ärztlicher Direktor

In Zusammenarbeit mit

Helmuth Krechel - Geschäftsführer und Pflegedienstdirektor

Martin G. Zinck - Gesundheits- und Fachkrankenpfleger für Anästhesie und Operative Intensivmedizin

Was vor einigen Jahren noch undenkbar schien, ist mittlerweile Realität und wird in einigen Kliniken Deutschlands schon heute praktiziert – der Einsatz von ausgebildeten Rettungsassistenten als „Ersatz“ für Anästhesiepflegepersonal. Die Gründe hierfür sind vielfältig und werden nicht immer deutlich artikuliert. So ist sicherlich ein Mangel an pflegerischem Nachwuchs und Fachpflegepersonal für dieses Arbeitsfeld in vielen Kliniken eine der Begründungen und gleichzeitig die Herausforderung, der sie sich stellen müssen. Die bestehenden Probleme werden durch das zunehmende Durchschnittsalter der Pflegenden noch verschärft. Doch wie soll in Zukunft die Betreuung der Patienten während der Narkose und im Aufwachraum bei gleichzeitig steigendem Bedarf an anästhesiologischen Leistungen auf qualitativ hohem Niveau gewährleistet werden?

Kann hierfür eine ursprünglich für den präklinischen Einsatz ausgebildete Berufsgruppe mit Spezialisierung auf den außerklinischen Transport und mit deutlich anderen Ausbildungsinhalten als Ersatz für Fachpflegepersonal eingesetzt werden? Setzen wir nicht auch ein falsches Signal an die Fachpflegenden, die sich für diesen Bereich bewusst entschieden haben, indem wir ihnen damit zeigen, dass für dieses Arbeitsfeld auch eine geringere Qualifizierung ausreichend sein könnte?

Nehmen wir einen eventuell schleichend stattfindenden Qualitätsverlust in der Betreuung der operierten Patienten damit in Kauf oder löst die kurzfristige Aufstockung des Personalpools mit Rettungsassistenten langfristig die Personalsorgen? Müssen wir uns in den Kliniken nicht vielmehr darum kümmern, die Arbeitszufriedenheit und die Wertschätzung des Pflegepersonals zu erhöhen, damit junge Menschen wieder den Weg in diesen anspruchsvollen Aufgabenbereich finden und ihn für sich als „Heimat“ deklarieren können?

Von daher, liebe Leserinnen und Leser, nehmen Sie Anteil an unserer Diskussion zu diesem Thema und teilen Sie uns Ihre Meinung per Mail an intensiv@thieme.de mit. Wir sind gespannt auf das Meinungsbild der Pflegenden.

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(Jean Kobben/Fotolia)
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Prof. Dr. Michael Booke, MHBA; Kliniken des MTK, Bad Soden.

In deutschen OPs herrscht ein Mangel an Fachpflegekräften für Anästhesiologie und Intensivmedizin. Die Ausbildung wird kaum noch angestrebt, nicht zuletzt, da ihr Abschluss zu keiner nennenswerten Mehrvergütung führt – ein tarif- und berufspolitischer Missstand!

Als Alternative erhält der Anästhesie-Technische Assistent (ATA) Einzug in den OP. Es besteht Konsens unter den Fachverbänden, dass der/die examinierte ATA den juristisch und von den Fachverbänden gefordertem „Fachpflege-Standard“ erfüllt, wohl wissend, dass der/die ATA selbst kein Fachpflegeexamen innehält.

Fachpflege und ATA werden aber nicht den Bedarf in deutschen OPs abdecken können. Insofern müssen weitere Alternativen gesucht werden:

  1. Ausländische Fachpflegekräfte. Hier muss neben den Sprachschwierigkeiten bedacht werden, dass die ausländische Fachausbildung oftmals weit hinter der unseren zurückliegt.

  2. Examinierte Pflegekräfte ohne Fachexamen. Sie sind vielerorts in der Anästhesie eingesetzt und können auf Basis ihrer Berufserfahrung im Einzelfall Fachpflegestandard erreichen. Aufgrund des Pflegemangels kann der Bedarf aus dieser Berufsgruppe jedoch nicht gedeckt werden.

  3. Arzthelfer/-innen. Mangels fachspezifischer Ausbildung kann von einer Wahrung des Fachpflegestandards hier nicht ausgegangen werden.

  4. Rettungsassistenten/-innen (RA). Sie sind am Arbeitsmarkt verfügbar, haben eine fundierte Ausbildung in der Notfallmedizin genossen und sind die Zusammenarbeit mit dem Anästhesisten gewöhnt. Auch wenn diese positiven Grundvoraussetzungen per se nicht die Bedingungen des Fachpflegestandards erfüllen, so lohnt es sich, auf diesen aufzusatteln und das Berufsbild des RA einmal näher zu beleuchten.

Insgesamt hat der RA 1.200 Stunden Ausbildung genossen, an die sich 1.600 Stunden praktische Tätigkeit anschließen. Er kann Notfälle ad hoc beurteilen, dem Notarzt fachkompetent zur Seite stehen, aber im Falle des rechtfertigenden Notstands auch selbstständig vollumfänglich medizinisch tätig zu werden, von der eigenständigen Medikamentenapplikation bis hin zu Intubation und Beatmung.

Für eine Tätigkeit im OP ist jedoch eine zusätzliche Weiterbildung notwendig. Entsprechende Curricula werden inzwischen vielerorts angeboten.

Bleibt zu klären, ob damit der Fachpflegestandard eingehalten wird. Die Einhaltung des Fachpflegestandards im OP wird sowohl von der Deutschen Gesellschaft für Fachpflege (DGF) [1], als auch von der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) und vom Berufsverband Deutscher Anästhesisten (BDA) zu Recht gefordert [2]. Unter Fachpflegestandard versteht man die Fachkompetenzen, die eine Pflegekraft nach Absolvierung der Fachpflegeausbildung erworben hat. An den Fachpflegestandard ist somit nicht die konkret abgeschlossene Ausbildung zum Fachpfleger gebunden, sondern lediglich die Erfüllung der in dieser Ausbildung vermittelten Kenntnisse und Fertigkeiten, unabhängig davon, in welchem Ausbildungs-Curriculum diese Fertigkeiten vermittelt wurden. Somit können auch Mitarbeiter anderer Berufsgruppen den Fachpflegestandard (zumindest in Teilbereichen) inhaltlich erfüllen – auch speziell weitergebildete RA.

Ein weitergebildeter RA besitzt die notwendigen Kompetenzen, um bei der Durchführung einer Anästhesie eine Fachpflegekraft zu ersetzen.

Der Fachpflegestandard ist zudem auch organisatorisch sicherzustellen, d.h. dass „jedem kritisch oder akut erkrankten Patienten zu jedem Zeitpunkt eine Fachpflegekraft zur Verfügung stehen kann“ [1]. Dies impliziert, dass die Fachpflegekraft nicht unmittelbar am Patienten sein muss, sie muss lediglich in kritischen Situationen zu jedem Zeitpunkt verfügbar sein.

In der Praxis bedeutet dies, dass die Durchführung einer Anästhesie mit einem weitergebildeten RA ohne inhaltliche Missachtung des Fachpflegestandards möglich ist, da er die hierfür notwendigen Kompetenzen besitzt. Für den Fall der unerwarteten medizinischen Komplikation ist zudem organisatorisch sicherzustellen, dass stets eine Fachpflegekraft hinzugezogen werden kann.

Bei Delegation anästhesiologischer Aufgaben muss sich der Anästhesist stets auch persönlich von den fachlichen Qualitäten des Delegaten überzeugen. Ausbildungszertifikate sind zwar eine formale und organisatorische Mindestgrundlage, verlieren aber bei fehlender kontinuierlicher Weiterbildung mit der Zeit an Wert. So gibt es weitergebildete RA, die lang gedienten Fachpflegekräften frappierend überlegen sind. Insofern sollte nicht nur für Ärzte, sondern für alle Berufsgruppen im OP eine kontinuierliche Weiterbildung gefordert werden, um die Wahrung des Fachpflegestandards nicht nur formal an Fachexamina oder prozentualen Mindestbesetzungen dingfest machen zu können, sondern vor allem inhaltlich an Existenz und Umsetzung von aktuellem Fachwissen.

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Martin G. Zinck; UKSH, Kiel.(Jean Kobben/Fotolia)
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Die Aufgaben des Rettungsassistenten umfassen die Notfallversorgung von Patienten bis zum Eintreffen des Notarztes, Assistenz bei Maßnahmen des Arztes und eigenverantwortliche Durchführung von Einsätzen, bei denen bis zum Eintreffen im Krankenhaus nicht die Anwesenheit eines Arztes, aber eine qualifizierte Betreuung nötig ist. Auch das fachgerechte Durchführen von Krankentransporten ist Aufgabe des Rettungsassistenten. Die Ausbildung dauert in der Regel zwei Jahre und schließt mit einer Prüfung ab (Staatl. Geprüfter Rettungsassistent; Quelle DRK). Rettungsassistenten betreuen z.B. Verunglückte bis zum Eintreffen eines Arztes zunächst selbstständig und in eigener Verantwortung, ohne dass dies durch ein Gesetz entsprechend abgesichert ist. Das beinhaltet das Anlegen von Venenzugängen, Medikamentengaben und z.B. auch die Intubation. Insoweit ein sehr verantwortungsvoller und qualifizierter Beruf.

Im Gegensatz dazu bedarf es einer dreijährigen Ausbildung zur Erlangung der Berufsbezeichnung Gesundheits- und Krankenpfleger/in. Die Verantwortlichkeiten sind in einem Gesetz geregelt. Zugangsvoraussetzung ist die Mittlere Reife bzw. vergleichbare Abschlüsse.

Das umfassende Spektrum der Anästhesie, zumal in einem Haus der Maximalversorgung, bedarf meiner Meinung nach darüber hinaus der Fachweiterbildung, um diesen Erfordernissen Rechnung zu tragen. Zu komplex sind die Anforderungen hinsichtlich der zu betreuenden Patienten und der technischen Ausstattung einer Anästhesieabteilung heutigen Standards. Inzwischen wird auch in der Pflege von Rechtswegen die Fortbildung gefordert (Hamburg). Dies wird sich mit Sicherheit durchsetzen. Die verpflichtende Registrierung wird kommen und die Bestrebungen zur Einführung einer Pflegekammer sind deutlich wahrnehmbar und zwingend erforderlich. Bis zum Abschluss der Fachweiterbildung vergehen minimal sieben Jahre. Damit kann sich keine andere Profession messen.

Insoweit sind die Anforderungen in der Anästhesie nicht mit denen in der Rettungsmedizin vergleichbar und somit auch nicht gleichzusetzen. Beide Aufgabenstellungen haben ihre eigenen spezifischen Anforderungen und ergänzen sich hinsichtlich der Patientenbetreuung. Keinesfalls sind sie austauschbar.

Die Pflege, auch in der Anästhesie, hat eine eigene Kernkompetenz, die weder durch technische Assistenten (ATA) noch durch andere Berufsgruppen im Umfeld der Anästhesie bzw. der Pflege vergleichbar erbracht werden kann. Die Entwicklung in der Medizin schreitet außerordentlich schnell voran, die technischen Hilfsmittel werden weiter an Komplexität zunehmen. Das bedarf einer hohen Professionalität, ständiger Fort- und Weiterbildung. Keinesfalls darf eine Herabstufung der Zuggangsvoraussetzungen zum Pflegeberuf bzw. ein Untergraben der pflegerischen und fachpflegerischen Kernkompetenzen durch nicht vergleichbar kompetente Berufsgruppen zugelassen werden.

Die Pflege hat eine eigene Kompetenz, die durch keine anderen Berufsgruppen im Umfeld der Anästhesie bzw. der Pflege vergleichbar erbracht werden kann.

Gegenwärtig scheint insbesondere die Politik die Erfordernisse der Zeit wider besseres Wissen zu übersehen. Die Weiterentwicklung der Pflege in ihrer ganzen Vielfalt wird seitens der Politik bewusst verschleppt bzw. ignoriert. Das Jahr der Pflege ist dafür ein Musterbeispiel. Hier sind die Pflegenden selbst und die Berufs- und Fachverbände der Pflege gefragt, um unstimmige Entwicklungen aufzuzeigen und zu unterbinden. Der Einsatz von Rettungsassistenten in der Anästhesie ist nicht zielführend und deshalb abzulehnen. Unter Kostengesichtspunkten die Kompetenzen zu vermindern, führt in die falsche Richtung und birgt in der Konsequenz die Gefahr einer schlechteren Versorgung unserer Patienten. Das wäre ein unzumutbarer Preis.

Info

Schicken Sie uns Ihre Meinung zum Thema an intensiv@thieme.de. Wir sind gespannt auf Ihre Zuschriften!


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  • Literatur

  • 1 Deutsche Gesellschaft für Fachkrankenpflege und Funktionsdienste e.V.. Vorstandsbeschluss vom 01.07.2009. www.dgai.de
  • 2 Ärztliche Kernkompetenz und Delegation in der Anästhesie. , Entschließung der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e.V. und des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten e.V., Anästh. Intensivmedizin 2007; 48: 712-714

  • Literatur

  • 1 Deutsche Gesellschaft für Fachkrankenpflege und Funktionsdienste e.V.. Vorstandsbeschluss vom 01.07.2009. www.dgai.de
  • 2 Ärztliche Kernkompetenz und Delegation in der Anästhesie. , Entschließung der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e.V. und des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten e.V., Anästh. Intensivmedizin 2007; 48: 712-714

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Prof. Dr. Michael Booke, MHBA; Kliniken des MTK, Bad Soden.
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Martin G. Zinck; UKSH, Kiel.(Jean Kobben/Fotolia)
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