Das Bakterium Enterococcus faecalis ist ein zumeist nützlicher Bestandteil der natürlichen
Darmflora. Es kann aber auch chronische Entzündungen wie Morbus Crohn und Colitis
ulcerosa auslösen. Ursache ist das von E. faecalis produzierte Enzym Gelatinase: Bei
einer genetischen Anfälligkeit für Darmentzündungen durchlöchert es die Darmschleimhaut
und öffnet so Krankheitserregern Tür und Tor. Wissenschaftler der Technischen Universität
München (TUM) haben diesen bisher unbekannten Wirkungsmechanismus zwischen nützlichen
Darmbakterien, genetischer Veranlagung und dem Ausbruch der Erkrankungen aufgeklärt.
Auf dieser Grundlage wollen sie neue Behandlungsmethoden entwickeln.
Eine Billion Bakterien pro Quadratmeter – der menschliche Darm ist das am dichtesten
besiedelte Ökosystem. Zu seinen Bewohnern gehört Enterococcus faecalis (E. faecalis),
ein Milchsäurebakterium, das auch in fermentierten Käse und Wurstwaren vorkommt und
dem in probiotischen Lebensmitteln eine gesundheitsfördernde Wirkung zugeschrieben
wird. Die nützlichen Bakterien können aber auch krankmachen. Wie sie an der Entstehung
von chronischen Darmentzündungen beteiligt sind, haben Wissenschaftler der TUM herausgefunden.
Die Forscher haben dafür den Weg des Enzyms Gelatinase aus der Gruppe der Metalloproteasen
im Darm von Mäusen verfolgt: Es wird von E. faecalis-Bakterien produziert und ist
bei gesunden Mäusen ungefährlich für die Darmschleimwand. Anders bei genetisch veränderten
Mäusen mit einer erhöhten Empfänglichkeit für Darmentzündungen: Hier greift das Enzym
die E-Cadherin-Moleküle an, die wie Klebstoff zwischen den Epithelzellen des Darms
sitzen und das Gewebe abdichten. Die Darmwand wird damit durchlässig für Krankheitserreger.
Auf den Durchbruch der Schutzbarriere reagiert die Immunabwehr der Mäuse mit Entzündungen.
Die wiederum schwächen die Darmwand und öffnen damit die Pforte für weitere Keime
– chronische Erkrankungen sind die Folge.
Der von einem Forscherteam um Prof. Dirk Haller (Lehrstuhl für Biofunktionalität der
Lebensmittel) entdeckte Mechanismus trägt dazu bei, die komplexen Ursachen von chronischen
Darmentzündungen besser zu verstehen. Denn wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa beim
Menschen entstehen, ist immer noch weitgehend ungeklärt. Zwar ist bekannt, dass rund
100 Gene oder Genabschnitte die Anfälligkeit erhöhen. Ob die Krankheit tatsächlich
ausbricht, lässt sich daraus aber nicht verlässlich ableiten. Entscheidende Auslöser
sind oft andere Faktoren: eine Schwäche der Immunabwehr, bestimmte Ernährungsgewohnheiten
oder eben die Bakterien der natürlichen Darmflora. ”Bei der Entstehung von chronischen
Darmentzündungen ist die komplexe Wechselwirkung zwischen der genetischen Veranlagung
und dem mikrobiellen Milieu im Darm entscheidend“, sagt Prof. Dirk Haller. ”Bakterien
wie E.faecalis wirken verstärkend nach beiden Seiten: Sie können die Erkrankungen
eindämmen oder begünstigen. In welche Richtung das Pendel ausschlägt, hängt auch von
den Erbanlagen des Wirtsorganismus ab“.
Gemeinsam mit seinen Kollegen Prof. Michael Schemann (Lehrstuhl für Humanbiologie)
und Prof. Bernhard Küster (Lehrstuhl für Proteomik und Bioanalytik) arbeitet Haller
deshalb darauf hin, die Erkenntnisse aus den Maus-Experimenten auch in der Krankenversorgung
anzuwenden. Als nächstes wollen sie deshalb in Zusammenarbeit mit dem Klinikum rechts
der Isar der TU München die Wirkungsmechanismen solcher Darmbakterien und ihrer Enzyme
bei der Behandlung von Patienten mit chronischen Darmerkrankungen untersuchen. Ziel
ist es dabei, neue Methoden zu entwickeln, um die Enzym-Produktion der E.faecalis-Bakterien
zu hemmen.
Dr. Ulrich Marsch, Corporate Communications Center, Technische Universität München
Abb. 1 Durchlässige Schutzbarriere: Fehlt das abdichtende Protein E-Cadherin (hellgrün),
entstehen Darmentzündungen (Bilder rechts). Bild: TUM