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DOI: 10.1055/s-0032-1309658
Die Heilstätten der Landesversicherungsanstalt Berlin bei Beelitz i/Mark
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
07. Juni 2013 (online)
Die im Jahre 1902 eröffneten Beelitzer Heilstätten gehörten zu den größten je in Deutschland gebauten Lungenkliniken. In den 1920er Jahren wurden 950 Betten für Tuberkulosepatienten und darüber hinaus noch einmal fast 400 Betten für Patienten mit Nervenschwäche, Rheumatismus, Magen- und Herzleiden bereitgehalten. Nicht einmal ein Viertel der Anlage wird heute noch zu medizinischen Zwecken genutzt. Der Großteil der Gebäude steht seit 1994 leer und wartet auf eine neue Verwendung.
Die Berliner Landesversicherungsanstalt wollte 1898 in Beelitz eine Musterklinik begründen. In den Berliner Hinterhöfen grassierte um die Jahrhundertwende die Tuberkulose. Das von der Versicherung angekaufte Waldgelände in Beelitz war von Berlin aus bequem mit Vorortzügen erreichbar und genügte den damals für den Neubau von Einrichtungen zur Tuberkulosebehandlung geltenden Anforderungen. Da es dennoch weit genug von den Ortschaften der Umgebung entfernt liegen sollte, entstand in Beelitz eine fast völlig autarke Infrastruktur. Dazu gehörten u.a. ein modernes Kraft-Wärme-Heizkraftwerk, eine eigene Lebensmittelerzeugung mit Fleischerei, Bäckerei und Viehzucht sowie eine Wäscherei mit Desinfektionsgeräten.
Die Landesversicherungsanstalt Berlin gab anlässlich des 25-jährigen Bestehens der Heilstätte im Jahre 1927 eine Denkschrift heraus, die im vergangenen Jahr unverändert nachgedruckt wurde und wieder im Wasmuth-Verlag erschien. Diese Neuauflage ist sehr zu begrüßen, weil die alte Denkschrift auch heute noch einen guten Einblick in die Heilstättenbehandlung bietet, die Dr. Brehmer entwickelt hatte und die erstmalig 1854 in Görbersdorf (Schlesien) zum Einsatz kam. Die Therapie wird auch durch zahlreiche Aufnahmen aus dem Heilstättenalltag veranschaulicht. Es werden z. B. Patienten bei der Höhensonne, während der Liegekur, im Inhalationsraum und beim Kegelspiel gezeigt. Eingeleitet wird der Nachdruck mit einem Vorwort zu Geschichte und Gegenwart der Heilstätten, das Gerwin Zohlen verfasst hat. Darin wird vor allem seine Faszination für die fotografischen Einblicke in die damaligen Behandlungsmethoden deutlich: Phrenicusexairese, Thorakoplastik und Operationen bei hoch infektiösen Tuberkulosepatienten ohne Mundschutz.
In der Denkschrift ist die Ästhetik der liebevoll bis in Detail ausgearbeiteten Architektur auf historischen Schwarzweißfotografien wirkungsvoll dargestellt. Jubiläumsdenkschriften von Krankenhäusern stellten eine beliebte Möglichkeit dar, auf Heilerfolge hinzuweisen. Im Bereich der Heilstätten wurden die Prunkbauten der Gründerzeit, die meist in den 1920er Jahren im Besitz der Landesversicherungsanstalten waren, hervorgehoben.
Das Jahr 1927, in dem die Denkschrift erschien, markiert zugleich einen wichtigen Umbruchprozess im Heilstättenwesen. Die Heilbehandlungen unter rein hygienisch-sozialmedizinischen Gesichtspunkten, wie sie von 1854 bis dato üblich waren, traten gegenüber den chirurgischen Behandlungen immer weiter in den Hintergrund.
Der aktuelle Besitzer der Beelitzer Heilstätten, ein Potsdamer Architekt, musste in den vergangenen Jahren aufgrund vieler Unfälle illegaler Besucher in den leerstehenden Bauten die Bewachung mehrmals verstärken. Zohlen berichtet in seinem Vorwort z.B. über Metalldiebstähle (Rohre und Regenrinnen) und sogar über in den Heilstätten verübte Mordfälle. Das sollte jedoch Interessierte nicht davon abhalten, sich zu einer Besichtigung der Beelitzer Heilstätten anzumelden. In diesem Zusammenhang bietet die Heilstätten-Expertin Irene Krause eine historische Führung an. Als Vorbereitung für einen Besuch in Beelitz ist die Lektüre der vorgestellten Denkschrift aus dem Wasmuth-Verlag sehr zu empfehlen.
Dipl.-Psych. Andreas Jüttemann, Berlin
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