Z Orthop Unfall 2012; 150(02): 132-133
DOI: 10.1055/s-0032-1311701
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Prospektiv-multizentrischer Vergleich – Orthopäden: Dumm und stark?

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Publication Date:
12 April 2012 (online)

 
 

Orthopäden sind gar nicht so dumm, wie immer alle behaupten. Dies zeigt eine prospektive Multicenterstudie mit 3 teilnehmenden Kliniken aus England.
Orthopaedic surgeons: as strong as an ox and almost twice as clever? Multicentre prospective comparative study. BMJ 2011; 15:343

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Auf diese Studie haben wir schon immer gewartet, obwohl wir ihr Ergebnis doch im tiefsten Inneren schon längst kannten. Und doch verbreitete sich ihre Kernaussage wie ein Lauffeuer über die orthopädischen Institutionen des Kontinents: Wir sind gar nicht so dumm, wie alle immer sagen! Oder etwas präziser gesagt und dabei nicht weniger genugtuend empfunden: Wenn wir es doch sein sollten, so reicht es allemal für unsere anästhesiologischen Artgenossen.

Veröffentlicht wurde die Studie übrigens in der "Christmas 2011"-Ausgabe des Journals. Hätte man ihre euphorische Auswirkung auf die lange Zeit geschundene Orthopädenseele noch treffender beschreiben wollen, hätte dort vielleicht auch "Christmas and Easter 2011" stehen können. Doch der Reihe nach …

Einleitung

Sich über orthopädische Kollegen lustig zu machen, ist seit jeher ein beliebter Zeitvertreib in deutschen – und offensichtlich auch englischsprachigen – Operationssälen. Eine landläufige Meinung besagt, dass Orthopäden für die Ausübung ihres Berufes vor allem brachiale Gewalt benötigen und ein gewisses Maß an Unwissenheit dabei alles andere als von Schaden ist. Auf den Punkt gebracht wird das orthopädische Stereotyp durch ein englisches Sprichwort, auf das auch im englischen Originaltitel der Studie angespielt wird: Stark wie ein Ochse und beinahe halb so schlau. Den Wahrheitsgehalt genau dieses Klischees sollte diese Studie überprüfen, indem die Greifkraft und die Intelligenz der orthopädischen Kollegen aus 3 Allgemeinkrankenhäusern bestimmt wurden. Als Vergleichsgruppe dienten, in Ermangelung einer Kohorte kooperativer und einwilligungsbereiter Ochsen, unsere Freunde aus dem verborgenen Reich jenseits des grünen Tuches, die gemeinhin als Generatoren und Aktualisatoren des Klischees vermutet werden.


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Studiendesign

Es handelt sich um eine prospektive Multicenterstudie mit 3 teilnehmenden Kliniken. Die Studie wurde in Anbetracht des Mangels an weiblichen Orthopäden auf männliche Mitarbeiter beschränkt. Eingeschlossen wurden sämtliche orthopädische und anästhesiologische Fach- und Oberärzte, die im 2-Wochen-Intervall der Datenerhebung anwesend und mit der Studienteilnahme einverstanden waren. Der Intelligenzquotient wurde mit einem standardisierten IQ-Test (Mensa Brain Test, Version 1.1.0), bestehend aus 20 Multiple-Choice-Fragen, quantifiziert. Die Messung der Greifkraft erfolgte jeweils an der Hand der dominanten Seite mit einem kalibrierten Kraftmessgerät.


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Ergebnisse

Insgesamt wurden 36 Orthopäden und 40 Anästhesisten aus 3 Kliniken eingeschlossen. In der linearen Regressionsanalyse zeigte sich ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Fachrichtung auf der einen Seite und sowohl der Intelligenz (p = 0,0489) als auch der Greifkraft (p = 0,0274) auf der anderen Seite. Der durchschnittliche IQ-Wert lag bei den Orthopäden mit 105,19 signifikant über dem der Anästhesisten (98,38). Die Greifkraft lag mit 47,25 kg gegenüber 43,83 kg ebenfalls signifikant über der der Anästhesisten.


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Kommentar

Das schlichte Studiendesign führt zu zwei Erkenntnissen: Orthopäden haben eine signifikant größere Greifkraft und eine signifikant höhere Intelligenz. Außerdem blieben beide Gruppen unter dem IQ-Niveau zurück, das man ihrer akademischen Bildung nach hätte erwarten dürfen, was jedoch als Kalibrierungsproblem des durchgeführten anspruchsvollen IQ-Tests gewertet wurde. Die Überlegenheit bei der Greifkraft erscheint angesichts der manuellen Anforderungen im OP nicht verwunderlich. Jedoch erfordern auch die Laryngoskopie und das dichte Aufsetzen der Beatmungsmaske seitens des Anästhesisten manuelle Kraft, so dass der Unterschied im Vergleich zu anderen Fachdisziplinen unter Umständen noch etwas größer hätte ausfallen können. Die orthopädische Überlegenheit bei der Intelligenz war hingegen nicht unbedingt zu erwarten, zumal intellektuell herausfordernde Beschäftigungen wie Sudoku und Kreuzworträtsel sich gerade bei Anästhesisten großer Beliebtheit erfreuen sollen. Als Analogschluss – und als kleiner Trost – wäre daher zu diskutieren, ob auch hier die Diskrepanz zu anderen Disziplinen unter Umständen noch größer ausgefallen wäre …

Die sorgfältige wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Studie verlangte nun unter normalen Umständen, die Methodik kritisch zu hinterfragen. Um die Strahlkraft der Ergebnisse nicht zu gefährden, dürfen folgende potentielle Kritikpunkte heute einfach einmal gänzlich unerwähnt bleiben: die fehlende Berücksichtigung der Frauen, die möglicherweise mangelnde Repräsentativität der teilnehmenden Krankenhäuser, die Problematik der Intelligenzdefinition, die Möglichkeit eines Selektionsbias, die Validität der Tests, usw. Für eine allumfassende Übersicht der Kritikpunkte sei an dieser Stelle auf die Kommentarseite auf der Homepage des Journals verwiesen, die bei diesem Artikel überwiegend anästhesiologischerseits genutzt wurde …

Doch welche Folgen ergeben sich nun für den klinischen Alltag? Die Autoren der Studie empfehlen den Anästhesisten eine Überarbeitung ihres Witze-Repertoires, um sich nicht leichtsinnigerweise der geistreich-schlagfertigen Erwiderung ihrer scharfsinnige(re)n orthopädischen Freunde auszusetzen – oder alternativ einem schmerzhaften Händedruck bei der nächsten Begegnung. Bei aller – ja immer im humoristischen Rahmen – ausgetragenen Rivalität darf aber eines nicht verloren gehen: das Bewusstsein, dass wir gegenseitig aufeinander angewiesen sind und von nichts mehr profitieren als von einer kollegialen Zusammenarbeit. Ich warne daher vor orthopädischem Hochmut und empfehle den stillen, genügsamen Triumph in Form eines laminierten Ausdruckes der Studie für die OP-Hosentasche – für alle Fälle …

Dr. med. Stefan Budde
Orthopädische Klinik der Medizinischen Hochschule Hannover
E-Mail:
stefan.budde@ddh-gruppe.de


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