- Anmerkung zum Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 17.04.2012 – Az.: L
1 KR 298/10 -
Einführung
Einführung
Grundsätzlich kann ein gesetzlich Krankenversicherter im Rahmen der vertragsärztlichen
(ambulanten) Versorgung nur diejenigen Leistungen beanspruchen und der Vertragsarzt
damit nur diejenigen Leistungen abrechnen, die zum Zeitpunkt der Behandlung in den
Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes
nach §§ 2 Abs. 1 S. 1, 12 SGB V aufgenommen worden sind. Die Bewertung, welche Untersuchungs-
und Behandlungsmethoden vom Leistungskatalog umfasst sind, erfolgt gem. § 135 Abs.
1 SGB V durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), welcher sich gem. § 91 Abs.
1 SGB V aus der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, der Deutschen Krankenhausgesellschaft
und dem Spitzenverband der Krankenkassen zusammensetzt. Die Einzelheiten des Bewertungsverfahrens
sind in der Verfahrensordnung des G-BA geregelt. Danach arbeitet der G-BA mit dem
personell unabhängigen Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen
(IQWiG) zusammen, welches dem G-BA seine Arbeitsergebnisse zum aktuellen medizinischen
Wissensstand zu diagnostischen und therapeutischen Verfahren als Empfehlungen zuleitet.
Das IQWiG wiederum zieht bei der Erstellung seiner Empfehlungen die evidenzbasierte
Medizin heran, wonach eine Sicherstellung der Qualität ärztlicher Behandlungen durch
die Feststellung der bestmöglichen Evidenz auf der Grundlage von wissenschaftlichen
Studien erreicht werden soll. Die Regelung in § 135 Abs. 1 SGB V beinhaltet ein gesetzliches
Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, wonach ein antragsgesteuertes Zulassungsverfahren für
neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden besteht.
Im Gegensatz dazu gilt für die Bewertung von neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
im Krankenhaus gem. § 137 c SGB V der Grundsatz der Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt.
In der stationären Versorgung können demnach auch neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
erbracht werden, solange sie nicht vom G-BA explizit ausgeschlossen wurden. Hintergrund
dessen ist, dass in den Krankenhäusern der medizinische Fortschritt nicht unterbunden
werden soll. Gerechtfertigt wird diese Differenzierung damit, dass der Gesetzgeber
die Gefahr des Einsatzes zweifelhafter oder unwirksamer Maßnahmen wegen der internen
Kontrollmechanismen und der anderen Vergütungsstruktur im Krankenhausbereich geringer
einstuft als bei der Behandlung durch einzelne niedergelassene Ärzte. In Überprüfungsverfahren
durch den G-BA nach § 137 c Abs. 1 SGB V geht es, anders als bei § 135 Abs. 1 SGB
V, somit um die Aberkennung der Abrechenbarkeit einer Leistung, wobei jedoch auch
hier als Maßstab die Bewertungskriterien der evidenzbasierten Medizin herangezogen
werden.
Nach der durch das GKV-Versorgungsstrukturgesetz (GKV-VStG) in § 137 e SGB V eingefügten
„Erprobungsregelung“ hat der G-BA nunmehr auch die Möglichkeit, neue nichtmedikamentöse
Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der stationären Versorgung zeitlich begrenzt
und unter kontrollierten Bedingungen zu erproben. Ziel dieser Neuregelung ist es,
bei noch unzureichendem Nutzenbeleg einer Methode das Bewertungsverfahren auszusetzen
und die mangelnde Evidenz der Methode durch Erprobung auszugleichen. § 137 e SGB V
ermöglicht es demnach, dass eine Methode, die keine hinreichende Evidenz aufweist,
nicht direkt ausgeschlossen werden muss und der Nutzennachweis auf schnellerem Weg
erfolgen kann.
Festzustellen ist, dass der Stand der medizinischen Erkenntnisse rapiden Veränderungen
unterliegt mit der Konsequenz, dass der Leistungskatalog der GKV auf Grund des vorherigen
Prüfungsverfahrens nicht immer dem aktuellen medizinischen Fortschritt entsprechen
kann. Dies führt vermehrt dazu, dass insbesondere Patienten mit schweren Erkrankungen
neue medizinische Behandlungs- bzw. Untersuchungsmethoden in Anspruch nehmen, die
(noch) nicht im Leistungskatalog der GKV enthalten sind. Die Sozialgerichte müssen
daher häufig über Kostenübernahmeanträge von Versicherten gegen die Krankenkassen
bzgl. therapeutischer und diagnostischer Verfahren entscheiden, die vom G-BA noch
nicht anerkannt worden sind. In dem nachfolgend dargestellten Verfahren hatte das
Hessische Landessozialgericht (HessLSG) über die Kostenübernahme für die Durchführung
einer USPIO-MRT zu entscheiden.
Sachverhalt
Sachverhalt
Der Kläger, bei dem ein Prostatakarzinom Stadium Gleason 7 ohne Metastasen diagnostiziert
worden war, ließ in einem ärztlichen Zentrum in den Niederlanden ambulant eine USPIO-MRT
durchführen. Hierbei handelt es sich um ein spezielles MRT-Verfahren, bei dem Eisenoxidpartikel
eingesetzt werden, mit deren Hilfe selbst kleine Lymphknotenmetastasen identifiziert
werden können, die anderen bildgebenden Verfahren entgehen. Zuvor war bei dem Kläger
in Deutschland eine Biopsie, ein Röntgen der Lunge, ein Skelettszintigramm und ein
CT durchgeführt worden. Über seine Hausärztin beantragte der Kläger bei seiner beklagten
Krankenkasse eine Kostenerstattung für die USPIO-MRT in Höhe von 1500,00 €. Zur Begründung
wies er darauf hin, dass auf Grund der speziellen Diagnostik in den Niederlanden eine
Operation habe vermieden werden können und es sich um eine schonendere Untersuchungsmethode
handele bzw. ein Eingriff vermieden worden sei. Der Erfolg der Untersuchung zeige,
dass die Methode wirksam sei. Die Beklagte wies den Antrag des Klägers mit der Begründung
ab, die USPIO-MRT stelle keine Vertragsleistung innerhalb Deutschlands dar. Zudem
sei eine Behandlung bzw. Diagnostik nicht nur in den Niederlanden möglich gewesen.
Das Sozialgericht Gießen verneinte in seinem erstinstanzlichen Urteil vom 19.08.2010
(Az.: S 15 KR 258/07) einen Kostenerstattungsanspruch des Klägers und wies darauf
hin, dass die USPIO-MRT als neue Untersuchungsmethode vom G-BA noch nicht überprüft
worden sei und somit kein Primäranspruch auf Durchführung einer USPIO-MRT bestehe,
der Grundlage für den Erstattungsanspruch sein könnte. Ein Behandlungsanspruch ergebe
sich auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten, da die Krankheit des Klägers
weder lebensbedrohlich noch in der Regel tödlich verlaufend sei. Hiergegen legte der
Kläger Berufung mit der Begründung ein, entgegen der Ansicht des erstinstanzlichen
Gerichts läge bei ihm ein Notfall im Sinne der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung
vor. Es läge ein Systemversagen im Inland vor, da ihn die üblichen Behandlungsmethoden
gesundheitlich erheblich beeinträchtigt hätten und seine lebensbedrohliche Erkrankung
nicht so zielgenau hätten bekämpfen können.
Das HessLSG hat die Berufung des Klägers als unbegründet zurückgewiesen und das erstinstanzliche
Urteil des SG Gießen bestätigt.
Keine unaufschiebbare Leistung gem. § 13 Abs. 3 SGB V
Keine unaufschiebbare Leistung gem. § 13 Abs. 3 SGB V
Ein Kostenerstattungsanspruch des Versicherten für selbst beschaffte Leistungen besteht
gem. § 13 Abs. 3 S. 1 SGB V nur dann, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung
entweder nicht rechtzeitig erbringen konnte oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt
hat, soweit die Leistung notwendig war. Diese Voraussetzungen sind nach Ansicht des
HessLSG vorliegend nicht erfüllt. Bei der Durchführung der USPIO-MRT handele es sich
um eine vom Kläger gemeinsam mit seiner Hausärztin geplanten Untersuchung, die im
Anschluss an bereits durchgeführte umfangreiche Behandlungen in Deutschland erfolgt
sei. Eine Unaufschiebbarkeit der Leistung sei demnach zu verneinen. Zudem habe der
Kläger die USPIO-MRT vornehmen lassen, ohne zuvor die Krankenkasse einzuschalten und
deren Entscheidung abzuwarten. Nur bei einer Vorabprüfung könne nach der höchstrichterlichen
Rechtsprechung (vgl. BSG, Urt. v. 30.06.2009 – Az.: B 1 KR 5/09 R) die Krankenkasse
den Versicherten vor dem Risiko der Beschaffung nicht zum Leistungskatalog gehörender
Leistungen schützen und ihm aufzeigen, welche Leistungen anstelle der begehrten in
Betracht kommen. Vorliegend sei jedoch die USPIO-MRT bereits 8 Monate vor Einreichen
der entsprechenden Unterlagen bei der Beklagten durchgeführt worden.
USPIO-MRT nicht Bestandteil des Leistungskatalogs der ambulanten Versorgung
USPIO-MRT nicht Bestandteil des Leistungskatalogs der ambulanten Versorgung
Ferner stehe dem Kläger auch kein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 4 SGB V
zu. Danach seien zwar Versicherte berechtigt, auch Leistungserbringer im europäischen
Ausland in Anspruch zu nehmen. Dies setze jedoch einen Anspruch auf die entsprechende
Dienst- und Sachleistung im Inland voraus. Vorliegend sei jedoch die USPIO-MRT vom
Leistungskatalog des SGB V in der ambulanten Versorgung nicht umfasst.
Der Behandlungsanspruch des Versicherten nach § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB V umfasse
nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und
Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen.
Dies sei bei neuen Untersuchung- und Behandlungsmethoden gemäß § 135 Abs. 1 S. 1 SGB
V nur dann der Fall, wenn der G-BA in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 SGB
V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der
Methode abgegeben hat. Der Umfang der von den Krankenkassen den Versicherten geschuldeten
ambulanten Leistungen würde demnach durch diese Richtlinien verbindlich festgelegt.
Eine positive Empfehlung des G-BA habe bezüglich einer USPIO-MRT zum Untersuchungszeitpunkt
jedoch nicht vorgelegen. Wie das HessLSG ausführt, käme es zudem nicht, wie vom Kläger
geltend gemacht, auf den individuellen Behandlungserfolg an. Entscheidend sei allein
die wissenschaftliche Anerkennung der Diagnostik und Therapie.
Kein Ausnahmefall im Sinne des „Nikolausbeschluss“ des BVerfG
Kein Ausnahmefall im Sinne des „Nikolausbeschluss“ des BVerfG
Wie das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem sogenannten „Nikolausbeschluss“
vom 6.12.2005 (Az.: 1 BvR 347/98) entschieden hat, gebietet es die verfassungskonforme
Auslegung des § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB V, dass ausnahmsweise die Zweckmäßigkeit
und die Wirtschaftlichkeit bejaht werden müssen, obwohl die Behandlungsmethode an
sich von der Versorgung zulasten der GKV ausgeschlossen ist. Diese von der Rechtsprechung
entwickelte Ausnahmeregelung greift immer dann, wenn eine lebensbedrohliche oder regelmäßig
tödlich verlaufende Krankheit vorliegt, für die keine Standardmethode zur Verfügung
steht und bei der die auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf
Heilung oder wenigstens auf spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf
besteht. Diese Grundsätze sind zwischenzeitlich durch das GKV-Versorgungsstrukturgesetz
(GKV-VStG) zum 01.01.2012 in § 2 Abs. 1a SGB V gesetzlich verankert worden. Im vorliegenden
Fall könne, so das HessLSG, zwar von einer lebensbedrohlichen Erkrankung gesprochen
werden. Für die Erkrankung hätten jedoch, sowohl in der Behandlung (Prostatektomie,
Radiatio, Hormontherapie), als auch in der Diagnostik (MRT, Ultraschall, Biopsie,
CT) allgemein anerkannten medizinischen Standards entsprechende, für den Kläger zumutbare
Alternativen zur Verfügung gestanden. Die GKV sei nicht von Verfassung wegen gehalten,
alles zu leisten, was als Mittel zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit
verfügbar ist. Der Maßstab der Leistungspflicht nach dem SGB V bestehe nicht in der
Gewährleistung von „Spitzenmedizin um jeden Preis“.
Kein Anspruch nach § 13 Abs. 5 SGB V
Kein Anspruch nach § 13 Abs. 5 SGB V
Abschließend führt das HessLSG aus, dass dem Kläger für die Durchführung der USPIO-MRT
auch kein Kostenerstattungsanspruch für eine Inanspruchnahme von Krankenhausleistungen
im europäischen Ausland gem. § 13 Abs. 5 SGB V zustehe, da es vorliegend an der zwingend
vorgeschriebenen vorherigen Zustimmung durch die Beklagte fehle. Darüber hinaus fehle
es nach Ansicht des HessLSG vorliegend auch an der Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit
im Sinne des § 39 SGB V, da die Behandlungsmethode mit einer USPIO-MRT noch nicht
in den vertragsärztlichen Leistungskatalog aufgenommen worden sei. An dieser Stelle
sei angemerkt, dass diese Aussage des HessLSG nicht der bereits oben einleitend dargestellten
gesetzlichen Rechtslage entspricht. So gilt zwar für die ambulante Behandlung gem.
§ 135 Abs. 1 SGB V der Grundsatz des Verbots mit Erlaubnisvorbehalt. Für die Zulässigkeit
von Behandlungs- und Untersuchungsmethoden im Krankenhaus sieht hingegen das Gesetz
in § 137 c Abs. 1 SGB V den Grundsatz der Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt vor. Demzufolge
können im Rahmen einer stationären Behandlung grundsätzlich alle Leistungen zulasten
der Krankenkasse erbracht werden, soweit diese nicht explizit ausgeschlossen worden
sind. Folglich wäre vorliegend eine Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit nicht allein
aufgrund dessen zu verneinen, dass die Durchführung der USPIO-MRT bislang nicht Bestandteil
des Leistungskatalogs der vertragsärztlichen Versorgung ist, da dies für eine stationäre
Behandlung zunächst unerheblich wäre. Auch wurde die Durchführung einer USPIO-MRT
bislang nicht explizit von den zulässigen Untersuchungsmethoden durch den G-BA ausgeschlossen.
Fazit
Fazit
Das Urteil des HessLSG vom 12.04.2012 reiht sich ein in die Vielzahl der Entscheidungen
zur Frage der Kostenübernahme für neue medizinische Untersuchungsverfahren. So hat
beispielsweise das Landessozialgericht Hamburg mit Urteil vom 3.08.2011 – Az.: L 1
KR 55/09 einen Anspruch eines gesetzlich Krankenversicherten auf Erstattung der Kosten
für eine PET-CT-Untersuchung mit der gleichlautenden Begründung verneint, diese habe
zum Zeitpunkt ihrer Durchführung nicht zu den im Rahmen des GKV-Leistungssystems erbringbaren
Leistungen gehört. Solange es bei dem für die vertragsärztliche Versorgung geltenden
Grundsatz des Verbots mit Erlaubnisvorbehalt bleibt, wird es zukünftig immer wieder
zu entsprechenden Rechtsstreitigkeiten kommen. Einziger Ausweg zur Bejahung einer
Kostenübernahme kann in manchen Fällen allein die Feststellung des Vorliegens einer
notstandsähnlichen Situation im Sinne der nunmehr in § 2 Abs. 1a SGB V gesetzlich
verankerten Rechtsprechung des BVerfG sein. Hier könnte sich jedoch die Frage stellen,
ob diese Ausnahmeregelung nur für neue Behandlungsmethoden gilt, worüber das BVerfG
in seinem sogenannte „Nikolausbeschluss“ zu entscheiden hatte, oder ob sie auch auf
Fälle einer neuen Untersuchungsmethode (reine Diagnostik) anzuwenden ist (so z. B.
Landessozialgericht Schleswig-Holstein, Urt. v. 21.05.2008 – Az.: L 5 KR 81/06). Sowohl
das HessLSG, als auch das Landessozialgericht Hamburg haben diesen Punkt in ihren
Entscheidungsgründen offen gelassen. Auch die Gesetzesbegründung zur Neuregelung in
§ 2 Abs. 1a SGB V äußert sich hierzu nicht.
Dr. Ulrike Tonner
Rechtsanwältin
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