Z Orthop Unfall 2012; 150(03): 243-244
DOI: 10.1055/s-0032-1320097
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

ACDF vs. ACCF – Zervikale Myelopathie, was tun?

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Publication Date:
21 June 2012 (online)

 
 

In dieser retrospektiven klinischen Studie werden die Ergebnisse nach mehrsegmentaler Diskektomie mit denen nach Wirbelkörperersatz zur Behandlung der zervikalen Myelopathie bei drei- bis viersegmentaler knöcherner Spinalkanalstenose der HWS verglichen.
A comparison of anterior cervical discectomy and corpectomy in patients with multilevel cervical spondylotic myelopathy, Eur Spine J 2012; 21: 474–481

Einleitung

Bei der knöchern bedingten Spinalkanalstenose der Halswirbelsäule (HWS) mit zervikaler Myelopathie (zervikale spondylotische Myelopathie = ZSM) konkurrieren gerade bei Ausdehnung der Pathologie über drei bis vier Segmente die Verfahren der Dekompression und Spondylodese von ventral, von dorsal sowie kombiniert von ventrodorsal miteinander [ 1 ], [ 2 ]. Bei der Wahl für den Zugang von vorne kommen bei mehrsegmentalen Eingriffen einerseits die Diskektomie mit Fusion (anterior cervical discectomy and fusion = ACDF) über mehrere Höhen zur Anwendung. Andererseits können Wirbelkörperersatzoperationen (anterior cervical corpectomy and fusion = ACCF) durchgeführt werden. Die Intention dieser retrospektiven klinischen Studie war es, diese beiden Verfahren hinsichtlich perioperativer, klinischer und radiologischer Parameter sowie Komplikationen zu untersuchen.


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Studiendesign

Im Rahmen einer retrospektiven Analyse wurden 120 Patienten mit ZSM ausgewertet, bei denen mehrsegmentale (drei bis vier Höhen) Dekompressions- und Fusionsoperationen von ventral durchgeführt worden waren. Die ACDF-Gruppe bestand aus 57 Patienten, und die Operation erfolgte mit Cages und Plattenosteosynthese. Zu der ACCF-Gruppe gehörten 63 Personen, die mittels Harms-Cage und additiver Verplattung versorgt worden waren. Um mögliche Unterschiede zwischen diesen beiden Kollektiven herauszufinden, wurden perioperative Parameter (Blutverlust, Operationsdauer), Komplikationen (Liquorfistel, Heiserkeit, epidurales Hämatom, C5-Radikulopathie, Dysphagie, implantatbedingte Probleme), klinische (JOA (Japanese Orthopaedic Association)-Score, NDI (Neck Dysfunction Index), Odom’s Score) und radiologische (segmentale Lordose, Fusionsgrad) Daten auf statistisch signifikante Differenzen analysiert. Das Signifikanzniveau wurde bei einem P-Wert von 0,05 festgelegt. Das Follow-up betrug mind. 24 Monate.


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Ergebnisse

Insgesamt traten in der ACDF-Gruppe in 19,3% und in der ACCF-Gruppe in 22,4% operationsspezifische Komplikationen auf (p = 0,694). Beide Kollektive zeigten signifikante Verbesserungen im JOA-Score, in der segmentalen Lordose und im NDI. Der Blutverlust (p = 0,000), der NDI (p = 0,000) und implantatbedingte Komplikationen (p = 0,032) waren signifikant geringer in der ACDF-Gruppe, wohingegen die Operationsdauer (p = 0,021) und die segmentale Lordose (p = 0,000) signifikant größer im ACDF-Kollektiv waren. Die anderen Parameter unterschieden sich voneinander nicht signifikant. Bei allen Patienten konnte radiologisch nach 24 Monaten eine knöcherne Fusion nachgewiesen werden.


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Kommentar

Die Autoren folgern aus ihren Ergebnissen, dass beide Verfahren (ACDF und ACCF) zur operativen Behandlung der multisegmentalen ZSM geeignet sind. Mit Ausnahme eines besseren NDI in der ACDF-Gruppe fanden sich keine signifikanten Unterschiede im klinischen Outcome. Außerdem schnitt das ACDF-Kollektiv signifikant besser hinsichtlich des Blutverlustes, der Verbesserung der Lordose und der implantatbedingten Komplikationen ab. Die Operationszeit war allerdings signifikant länger bei der ACDF-Technik, da die jeweilige Entfernung der Bandscheiben mit Dekompression über drei bis vier Höhen technisch anspruchsvoller ist als der Ersatz von zwei bis drei Wirbelkörpern. Damit bestätigt diese Studie weitgehend die Aussagen aus früheren Untersuchungen.

Die Studie arbeitet sauber die Unterschiede der jeweiligen Daten heraus und liefert wichtige Erkenntnisse zur chirurgischen Behandlung der multisegmentalen ZSM vom ventralen Zugang. Allerdings muss hier kritisch angemerkt werden, dass im Gegensatz zum prospektiven Design die Indikation für das eine oder andere Verfahren (ACDF versus ACCF) möglicherweise anhand subjektiver Präferenzen des Operateurs gestellt worden war. Außerdem muss bei der Auswahl beider Techniken stets berücksichtigt werden, dass bei einer Spinalkanalstenose über mehrere Segmente, die sich ausschließlich jeweils auf Höhe des Bandscheibenfaches befindet, ein ein- oder mehrfacher Wirbelkörperersatz meistens gar nicht indiziert ist und dieser den Raumforderungen vorbehalten sein sollte, die sich deutlich nach kranial und/oder kaudal des Bandscheibenraumes ausdehnen. So sollten beide untersuchten Maßnahmen nicht als konkurrierende sondern als sich ergänzende betrachtet werden. Zudem soll hier die exakte Analyse der Bildgebung zur genauen und individuellen Operationsplanung mit Abwägung der möglichen Verfahren und Festlegung der optimalen Technik (ACDF, ACCF oder Kombination) als der wesentliche Schritt betont werden.

PD Dr. med. Dorothea Daentzer
Orthopädische Klinik der Medizinischen Hochschule Hannover
Diakoniekrankenhaus Annastift
E-Mail:
dorothea.daentzer@ddh-gruppe.de


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  • Literatur

  • 1 Ghogawala Z, Coumans JV, Benzel EC et al. Ventral versus dorsal decompression for cervical spondylotic myelopathy: surgeons’ assessment of eligibility for randomization in a proposed randomized controlled trial: results of a survey of the Cervical Spine Research Society. Spine 2007; 32: 429-436
  • 2 Konya D, Ozgen S, Gercek A et al. Outcomes for combined anterior and posterior surgical approaches for patients with multisegmental cervical spondylotic myelopathy. J Clin Neurosci 2009; 16: 404-409

  • Literatur

  • 1 Ghogawala Z, Coumans JV, Benzel EC et al. Ventral versus dorsal decompression for cervical spondylotic myelopathy: surgeons’ assessment of eligibility for randomization in a proposed randomized controlled trial: results of a survey of the Cervical Spine Research Society. Spine 2007; 32: 429-436
  • 2 Konya D, Ozgen S, Gercek A et al. Outcomes for combined anterior and posterior surgical approaches for patients with multisegmental cervical spondylotic myelopathy. J Clin Neurosci 2009; 16: 404-409