Die nephrologische Fachpflege orientiert sich zunehmend an einem eigenen Gegenstand beruflicher Praxis, mit einer umfassenderen Sichtweise von Pflege und neuen Aufgabenfeldern. Dies macht eine gemeinsam akzeptierte Fachsprache notwendig, um insbesondere den Gegenstand und das Wesen nephrologischer Fachpflege nachvollziehbar darstellen zu können. Der vorliegende Artikel beschreibt die Entwicklung einer durch die Bundesarbeitsgemeinschaft Nephrologische Pflege (BANP) konsentierten Definition nephrologischer Fachpflege als eigenständige Disziplin. So wird der individuelle Beitrag der Profession innerhalb der deutschen Versorgungslandschaft für alle Patienten sowie für die im Gesundheitssystem agierenden Akteure, Verbände, Gesellschaften und Entscheidungsträger transparent.
In einer Zeit der zunehmenden Professionalisierung der Pflege im Allgemeinen und der nephrologischen Pflege im Besonderen, fällt es den pflegerischen Berufsangehörigen immer noch schwer, ihre Arbeit gegenüber der Gesellschaft und weiteren Berufsgruppen transparent darzustellen. Vertreter der Pflege sprechen von einer mangelnden Versprachlichung der Pflegearbeit, die erst allmählich und mühsam aus der Stummheit des medizinischen Paradigmas herausgeführt werden muss [
1
].
Früher bestand gerade in der nephrologischen Pflege, und hier besonders im Arbeitsumfeld der Dialyse, eine technologisch-organisatorisch orientierte Arbeitsauffassung, die sich nach der Ausführung ärztlicher Verordnungen richtete (Reduktion der Pflege auf Vorbereitung, Durchführung, Nachbereitung und Organisation der Nierenersatztherapie). Demgegenüber orientiert sich die Pflege heutzutage zunehmend an einem eigenen Gegenstand beruflicher Praxis.
Hier steht nicht primär das Krankheitsbild mit seiner Diagnose und Therapie im Vordergrund pflegerischen Handelns. Vielmehr spielt die Unterstützung der von Krankheit betroffenen Pflegebedürftigen und ihrer Bezugspersonen in ihrem Erleben und in ihrem Bewältigen der vielfältigen Auswirkungen von Krankheit auf die alltäglichen physischen, psychischen, soziokulturellen und spirituellen Lebensaktivitäten eine wichtige Rolle. Innerhalb der Unterstützungsleistungen wird dabei von der Profession selbst und vom Gesetzgeber gefordert, in die Entscheidung für oder gegen eine Pflegemaßnahme nicht nur die lebensweltlichen Aspekte der pflegerisch Betreuten mit einzubeziehen, sondern auch alters- und geschlechtsbezogene Aspekte unter Beachtung aktueller pflegewissenschaftlicher Erkenntnisse und ethischer Richtlinien zu beachten.
Diese "Neuorientierung" begründet sich durch einen Wandel des zunehmend multimorbiden und älter werdenden Patientenklientels, bei dem heutzutage quasi keine Kontraindikation mehr zur Nierenersatztherapie besteht, sowie in Veränderungen technischer, organisatorischer, medizinischer, sozialer, psychologischer und ökonomischer Bereiche mit zusätzlichen Aufgabengebieten für die Pflege [
2
]. In diesem Kontext werden dann Fachkompetenzen benötigt, die über das nephrologische Krankheitsbild und deren alleinige technische Versorgung weit hinausgehen. Als Beispiel seien hier spezielle Kompetenzen, wie das Wissen um Begleit- und Folgeerkrankungen, Kompetenzen zum situationsspezifischen Erkennen und Eingreifen in Gefahrensituationen zur Vermeidung von Komplikationen, zur präventiven Patientenschulung und zur Steuerungsverantwortung institutionsspezifischer Prozesse genannt [
3
].
Erweiterte Aufgaben innerhalb der Berufspraxis machen jedoch nicht nur eine Anpassung der beruflichen Qualifikation notwendig, wie sie kürzlich in den Kompetenzen nephrologischer Fachpflege beschrieben wurde [
4
]. Sie machen auch eine gemeinsam akzeptierte Fachsprache erforderlich, um insbesondere den Gegenstand und das Wesen nephrologischer Fachpflege nachvollziehbar darstellen zu können.
Entwicklungen im Ausland
International sind diese Bemühungen um eine gemeinsame Fachsprache, mit der die nephrologische Pflege ihre eigene Identität sowie ihre Aufgaben- und Kompetenzbereiche transparent formuliert, ebenso festzustellen. Währenddessen die EDTNA/ERCA ("European Dialysis and Transplant Nurses Association/European Renal Care Association") die nephrologische Pflege in ihren internationalen Veröffentlichungen vor allem durch Rollen- und Aufgabenbeschreibungen charakterisiert [
5
], hat in der aktuellen Publikation "Nephrology Nursing – Scope and Standards of Practice" [
6
], die amerikanische Vereinigung der nephrologisch Pflegenden ("American Nephrology Nurses Association") in ihrer Definition der nephrologischen Pflege die allgemein formulierte Definition von Pflege [
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] der amerikanischen Vereinigung Pflegender ("American Nurses Association") fachspezifisch erweitert. Die Pflegenden haben hiernach 6 grundlegende Aufgaben zu erfüllen:
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Gesundheitsschutz und -förderung
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Förderung von Wohlbefinden/Lebensqualität
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Verhütung von Krankheit
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Behandlung der Krankheit
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Linderung von Leiden
-
Anwaltschaft für Patienten und Gruppen
In Tabelle [
1
] sind die verschiedenen international gebräuchlichen Definitionen von (nephrologischer) Pflege einmal gegenübergestellt. Insgesamt ist hierbei eine zunehmende Abkehr von der traditionellen pathophysiologisch-medizinischen Sichtweise hin zu einem umfassenderen, auf Prävention und Gesundheitsförderung ausgerichteten Fokus mit Anwaltschaft ("Advocacy") für die zu pflegenden Personen, Familien und Gemeinschaften zu erkennen.
Tab. 1 Gegenüberstellung internationaler Definitionen von (nephrologischer) Pflege.
Entwicklungen in Deutschland
Entwicklungen in Deutschland
Mit der Gründung der Bundesarbeitsgemeinschaft Nephrologische Pflege (BANP) am 02.04.2012 wurde von den beiden Verbänden der Arbeitsgemeinschaft für nephrologisches Personal (AfnP e. V.) und dem Fachverband nephrologischer Berufsgruppen (fnb e. V.) eine Institution geschaffen, die die Gesamtheit der nephrologischen Pflege innerhalb Deutschlands repräsentiert [
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]. Im Sinne der Sicherstellung des Versorgungsauftrages ist es nun der nephrologischen Pflege erstmals möglich, durch die BANP mit einer Stimme eine sachorientierte und zielführende Zusammenarbeit mit allen ärztlichen Fachgesellschaften, Pflegegesellschaften und politischen Gremien zu führen und dabei auf politischer Ebene die im breiten Konsens entstandenen Interessen der nephrologischen Pflege einzubringen.
Als selbstständiger Teil des Gesundheitsdienstes ist die Pflege auch eine abgrenzbare Disziplin mit einem eigenen Wissen und Können und für die eigene Aus-, Fort- und Weiterbildung verantwortlich [
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]. Diesem Ansatz folgend, sind die weitergebildeten Gesundheits- und KrankenpflegerInnen für Nephrologie hoch qualifizierte Fachpflegepersonen, die mit ihrem Expertenwissen alle Fachbereiche der nephrologischen Pflege vertiefend durchdringen. Sie sind so besonders befähigt, erweiterte Aufgaben in einem hoch spezialisierten Fachgebiet zu übernehmen.
Um dem Anspruch gerecht zu werden, auf politischer Ebene mit einer gemeinsamen Stimme aufzutreten, ist es unabdingbar und das weitere Ziel dieses Artikels, die nephrologische Fachpflege als eigenständige Disziplin zu definieren. Das Ziel ist es, den individuellen Beitrag nephrologischer Pflege innerhalb der deutschen Versorgungslandschaft für alle Patienten sowie für die professionellen Akteure, Verbände, Gesellschaften und Entscheidungsträger transparent zu machen.
Methodisches Vorgehen
In der Definition der nephrologischen Pflege des deutschen Zweigs der EDTNA/ERCA von 2003 (Tab. [
1
]) lag der damalige Fokus auf Tätigkeitsmerkmalen, Qualifikationen und Zuständigkeiten innerhalb des interdisziplinären nephrologischen Teams, welches insbesondere dem Versorgungssetting der Zentrumsdialyse zuzuordnen ist [
9
]. Die Anforderungen an die nephrologische Pflege durch die rasante Entwicklung der Medizin und des (dialyse)technischen Fortschritts sind gestiegenen. Aber auch aufgrund aktueller pflegewissenschaftlicher, berufs- und qualitätspolitischer sowie pädagogischer Entwicklungen in der Fachpflege bzw. im Fachweiterbildungsbereich ist es nun notwendig, das Wesen und den Gegenstand nephrologischer Fachpflege neu zu bestimmen und um die Realitäten der heutigen Berufspraxis und weiterer Versorgungssettings mit neuen Aufgabenfeldern zu erweitern.
Eine Literaturrecherche in deutschsprachigen pflegewissenschaftlichen Veröffentlichungen, die das Ziel hatte, eine aktuelle und wissenschaftlich fundierte Definition professioneller Pflege zu finden, führte zu einem im Jahr 2006 veröffentlichten Projekt des Instituts für Pflegewissenschaft der Universität Basel, welches in Zusammenarbeit mit der Expertengruppe "Zukunft Medizin Schweiz" der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften durchgeführt wurde [
12
]. Da die dort entwickelte Definition professioneller Pflege für die BANP als sehr geeignet erschien, einen pflegewissenschaftlichen Hintergrund hat, die zuvor dargestellten internationalen Perspektiven und Entwicklungen mit einbezieht und zum Zwecke der interprofessionellen (notwendigen) Abgrenzung auch in Zusammenarbeit mit Ärzteverbänden entstanden ist, wurde sie als Grundlage für die Definition nephrologischer Fachpflege übernommen. Durch eine sprachliche Anpassung sowie Angleichungen an die Besonderheiten der nephrologischen Pflege in Deutschland, wie sie in den Kompetenzen nephrologischer Fachpflege zum Ausdruck kommen [
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], erfolgte im Frühjahr 2012 eine abschließende Überarbeitung und Formulierung der Definition.
Definition der nephrologischen Fachpflege
Definition der nephrologischen Fachpflege
Die im Folgenden vorgestellte Definition wurde in einem Konsensusverfahren der BANP am 11.06.2012 durch alle Mitglieder einstimmig verabschiedet. Sie bildet in dieser Form erstmalig für Deutschland eine einheitliche Stellungnahme aller nephrologischen Pflegeverbände zum Wesen und Gegenstand nephrologischer Fachpflege.
Definition der nephrologischen Fachpflege nach der Bundesarbeitsgemeinschaft Nephrologische Pflege (BANP).
Nephrologische Fachpflege unterstützt Menschen mit einer nephrologischen Erkrankung in der Behandlung und im Umgang mit den Auswirkungen ihrer Erkrankung und deren Therapien, sie fördert und erhält die Gesundheit und beugt weiteren gesundheitlichen Schäden vor. Dies geschieht mit dem Ziel, für die betreuten Menschen die bestmöglichen Behandlungs- und Betreuungsergebnisse sowie die bestmögliche Lebensqualität in allen Phasen des Lebens bis zum Tod zu erreichen.
Nephrologische Fachpflege …
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… richtet sich an nephrologisch erkrankte Menschen in allen Lebensphasen und in allen Altersgruppen. Sie richtet sich an Einzelpersonen und ihren Angehörigen, an Familien, Gruppen und soziale Gemeinschaften.
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… umfasst, auf einem Kontinuum, Aufgaben zur Gesundheitserhaltung und -förderung, zur Prävention, bei akuten und chronischen nephrologischen Erkrankungen, während der Nierenersatztherapie, während der Rekonvaleszenz und Rehabilitation, in der Langzeitpflege sowie in der palliativen Betreuung.
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… beruht auf einer Beziehung zwischen betreuten Menschen und Pflegenden, die durch sorgende Zuwendung, Einfühlsamkeit und Anteilnahme geprägt ist. Die Beziehung erlaubt die Entfaltung von Ressourcen der Beteiligten, die Offenheit für die zur Pflege nötigen Nähe und das Festlegen gemeinsamer Ziele.
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… erfasst die Ressourcen und Entwicklungspotenziale, aktuelle und potenzielle Gesundheitsprobleme und den Pflegebedarf der betreuten Menschen, setzt Ziele, plant Pflegeinterventionen, führt diese durch (unter Einsatz der nötigen zwischenmenschlichen und technischen Fähigkeiten) und evaluiert die Ergebnisse.
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… basiert auf Evidenz, reflektierter Erfahrung und Präferenzen der Betreuten, bezieht physische, psychische, spirituelle, lebensweltliche sowie soziokulturelle, alters- und geschlechtsbezogene Aspekte ein und berücksichtigt ethische Richtlinien.
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… umfasst klinische, pädagogische, wissenschaftliche und Führungsaufgaben sowie Prozess- und Steuerungsverantwortung, die von Pflegenden mit einer (staatlichen oder von der Deutschen Krankenhausgesellschaft anerkannten) nephrologischen Fachweiterbildung und solchen mit ergänzenden Weiterbildungen wahrgenommen werden.
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… erfolgt in Zusammenarbeit mit den betreuten Menschen, pflegenden Angehörigen und Mitgliedern von Assistenzberufen im multiprofessionellen Team mit Ärzten und Ärztinnen (verantwortlich für die medizinische Diagnostik und Therapie) und Mitgliedern anderer Berufe im Gesundheitswesen. Dabei übernehmen die nephrologischen Fachpflegekräfte Leitungsfunktionen oder arbeiten unter der Leitung anderer Personen. Sie sind jedoch immer für ihre eigenen Entscheidungen, ihr Handeln und Verhalten verantwortlich.
basierend auf [
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]
Nephrologische Fachpflege wird in 2 Kernsätzen und durch 7 ergänzende Paragrafen definiert ([
siehe Kasten
]). Die Definition beschreibt die Unterstützung der zu pflegenden Personen in der Behandlung und im Umgang mit den Auswirkungen ihrer Erkrankung und deren Therapien, das Fördern und Erhalten von Gesundheit, das Vorbeugen von gesundheitlichen Schäden und die Sorge für die betreuten Menschen, die besten Behandlungs- und Betreuungsergebnisse in allen Phasen des Lebens zu erreichen. Durch die ergänzenden Paragrafen wird dargelegt, an wen sich die Pflege richtet, welche Aufgaben sie umfasst, wie Beziehungen und professionelle Prozesse gestaltet werden, auf welchen Grundannahmen die Pflege basiert und welche Verantwortung die Pflege im Kontext nephrologischer Versorgungssettings übernimmt.
Fazit
Die amerikanische Pflegewissenschaftlerin Prof. Norma M. Lang hat einmal gesagt: "If we cannot name it, we cannot control it, finance it, research it, teach it or put it into public policy" [
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]. Übertragen gesprochen kann also gesagt werden: Wenn es die nephrologische Pflege nicht schafft, den Gegenstand und das Wesen der Pflege zu benennen, dann können wir die Pflege auch nicht kontrollieren, finanzieren, erforschen, lehren und in die politischen Gremien tragen. Insofern ist die Bedeutung groß, eine aktuelle Definition von nephrologischer Pflege zu entwickeln, um der eingangs zitierten mangelnden Versprachlichung der Pflege entgegen zu wirken.
Die auf Grundlage der heutigen beruflichen Handlungssituation beschriebenen Elemente der hier entwickelten Definition drücken das komplexe Aufgabengebiet und die Vielfalt der modernen nephrologischen Fachpflege aus und grenzen sie so von anderen Fachgebieten im Gesundheitswesen ab. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass allein eine allgemein formulierte Definition nicht den gesamten Kanon der nephrologischen Fachpflege beschreiben kann. Erst im Zusammenspiel und in Ausdifferenzierung mit konkret formulierten Aufgabenbereichen und Kompetenzbeschreibungen wird deutlich, welchen Auftrag und welches Spektrum an Leistungen die Empfänger nephrologischer Fachpflegemaßnahmen erwarten können.
Dieser Beitrag entstand im Auftrag der Bundesarbeitsgemeinschaft Nephrologische Pflege (BANP), vertreten durch Marion Bundschu, Ulm, Thomas Fernsebner, Traunstein, Hans-Martin Schröder, Neuwied, und Kerstin Gerpheide, München.
E-Mail: info@banp.de