Drei große Bereiche der Medizin erschließen sich der klinischen Immunintervention:
die Tumorerkrankungen, die entzündlichen Erkrankungen inklusive der Autoimmunkrankheiten
und die Transplantationsmedizin. Für das Paul-Martini-Symposium 2012 konnten herausragende
Mediziner und Wissenschaftler in jedem dieser Bereiche gewonnen werden, die eine Bestandsaufnahme
über neue immunstimulierende wie suppressive Therapien aus diesen 3 Fachgebieten vornehmen.
„Cancer immunotherapy comes of age“ – so der Titel zweier Übersichtsarbeiten, die
vor Kurzem fast zeitgleich in den Zeitschriften Nature und Journal of Clinical Oncology erschienen. In der Tat ist es seit Langem ein Ziel, das körpereigene Immunsystem
gegen Tumoren zu richten. Mit der erstmaligen Zulassung eines therapeutischen Antikörpers, der
gegen Tumorzellen gerichtete T-Zellen „entfesselt“, ist 2011 ein wichtiger Meilenstein
auf diesem Weg erreicht worden. Das rasant gewachsene Verständnis von Immunität, immunologischer
Toleranz und Immunsuppression beginnt, therapeutische Früchte zu tragen.
In den späten 1990er-Jahren begann der Einzug der tumorspezifischen monoklonalen Antikörper
in die Krebstherapie. Heute sind hierfür in Deutschland 9 verschiedene Antikörper
zugelassen: zur Therapie von soliden Tumoren (Mamma-, Kolorektal-, Ovarial- und Magenkarzinom,
Melanomen und Kopf-Hals-Tumore), von Non-Hodgkin-Lymphomen und von Leukämien.
Das Symposium wird eröffnet mit 2 vielversprechenden Weiterentwicklungen tumorgerichteter
monoklonaler Antikörper: erstens den bispezifischen Antikörpern, die die Immuneffektorzelle
in unmittelbaren physischen Kontakt mit der Tumorzelle bringen und sie dort aktivieren;
und zweitens der gezielten Glykosierung monoklonaler Antikörper zur Optimierung ihrer
Pharmakokinetik und Wirksamkeit. Komplementär zur „passiven“ Immuntherapie mit Antikörpern
ist die aktive Vakzinierung mit Tumorantigenen: Zur peptidbasierten Tumor-Vakzinierung
erschien 2012 in Nature Medicine eine viel beachtete Publikation über zwei aussichtsreiche Studien mit Patienten mit
Nierenzellkarzinom. Besonders erfreulich: Bei der Entwicklung dieser beiden Immuntherapie-Strategien
– bispezifische Antikörper und Tumor-Peptid-Vakzinierung – sind Gruppen aus Deutschland
unter Zusammenarbeit von akademischer Forschung und Industrie international führend.
Eine zentrale Effektorzelle in der Tumorimmuntherapie ist die zytotoxische T-Zelle.
Hier setzen 2 Therapiestrategien direkt an: die adoptive T-Zelltherapie, bei der körpereigene
tumorspezifische T-Zellen ex vivo expandiert, modifiziert und dann dem Patienten re-infundiert
werden, und der Einsatz immunmodulatorischer Antikörper wie des Anti-CTLA-4-Antikörpers,
der das inhibitorische Oberflächenprotein „cytotoxic T lymphocyte antigen-4“ auf T-Zellen
blockiert. Damit wird, bildlich gesprochen, „die Handbremse“ auf diesen zentralen
Effektorzellen gelöst. Ein erster solcher Antikörper ist seit 2011 für die Therapie
des metastasierten malignen Melanoms zugelassen.
Interleukin-1, in den 1980er-Jahren als erstes einer heute über 30 Proteine umfassenden
Zytokinfamilie entdeckt, ist ein prototypisches Target für die zielgerichtete Therapie
entzündlicher Erkrankungen. Eine rekombinant hergestellte Variante des natürlichen Interleukin-1-Rezeptor-Antagonisten
ist für die Therapie der rheumatoiden Arthritis zugelassen. Weitere Indikationen am
Horizont für Interleukin-1-antagonistische Therapie umfassen ein erstaunlich breites
Spektrum von seltenen periodischen Fiebersyndromen bis hin zu Diabetes mellitus und
Arteriosklerose.
Die Entdeckung der Toll-like-Rezeptoren des angeborenen Immunsystems wurde im vergangenen
Jahr mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet. Die Toll-like-Rezeptoren und weitere
intrazelluläre Rezeptorfamilien erkennen bakterielle und virale Nukleinsäuren und
andere mikrobielle Bausteine. Bei Infektionen lösen sie die erwünschte antimikrobielle
Immun- und Entzündungsantwort aus. Das lässt sich nutzen für die Beschleunigung und
Steigerung der Wirkung von Aktivimpfstoffen. Umgekehrt bilden diese Rezeptoren aber
auch neue, attraktive Targets für die therapeutische Eindämmung von Entzündungen bei
chronischen entzündlichen und Autoimmunerkrankungen.
Schließlich die Organtransplantation: Die Immunsuppression zur Verhinderung der Transplantatabstoßung war die erste Indikation
überhaupt für die therapeutische Gabe von monoklonalen Antikörpern in der Medizin.
Auch in den neuesten Immuntherapie-Regimen zeigt sich mit besonderer Prägnanz ein
wichtiges Prinzip: dass oft die Kombination verschiedener Ansätze, etwa von klassischem
Immunsuppressivum wie Azathioprin und zielgerichtetem therapeutischem Antikörper,
die besten Ergebnisse erzielt.
Ein besonderer Reiz und eine Chance dieses Symposiums ist es, dass hier die neuesten
Entwicklungen der Immuntherapie auf allen 3 Feldern – Tumoren, Entzündung und Transplantation
– gemeinsam und nebeneinander betrachtet werden. Hier wird die erstaunliche „therapeutische
Nähe“ dieser sonst getrennten medizinischen Felder deutlich. Dies zeigt sich auch
in der jüngst von einem Unternehmen getroffen, umstrittenen Entscheidung, einen für
die Therapie einer Leukämieform seit mehreren Jahren zugelassenen monoklonalen Antikörper
vom Markt zu nehmen und ihn zugleich gegen Multiple Sklerose, eine entzündliche Erkrankung,
zur Zulassung einzureichen.
Die therapeutischen Antikörper, die Vakzinierungen und insbesondere die zellbasierten
Therapien erfordern in besonderem Maße die Zusammenarbeit von Kliniken, Universitäten,
forschender Industrie und der regulatorischen Behörden. Auch dafür bietet die Tradition
der Paul-Martini-Stiftung, Vertreterinnen und Vertreter aus allen diesen 4 Bereichen
zur Diskussion zusammenzubringen, ein fruchtbares Forum. Das Symposium soll somit
zu einem offenen Diskurs zwischen universitärer und industrieller Forschung beitragen
und damit Impulse für innovative Behandlungskonzepte geben. Es ist deshalb erfreulich,
dass neben Wissenschaftlern aus den Universitäten und der Industrie auch Sachverständige
aus Ministerien, Behörden und Verbänden zusammenkommen.
Für das Gelingen des Symposiums haben sich viele engagiert: An erster Stelle natürlich
die Referenten, aber auch der Vorstand der Paul-Martini-Stiftung und die Geschäftsstelle,
die dieses Symposium vorbereitet und organisatorisch auf die Beine gestellt haben.
Ebenso danken wir der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, die es mit
uns durchführt. Nun hoffen wir, dass das Symposium – nicht zuletzt auch dank der Diskussionsbeiträge
– dazu beiträgt, dass das Verständnis für die beeindruckenden Möglichkeiten der Immuntherapie
vertieft und damit letztlich den Patienten, die an Tumor- und Entzündungserkrankungen
leiden oder organtransplantiert sind, noch besser geholfen werden kann.
Prof. Dr. med. Stefan Endres Ludwig-Maximilians-Universität München
Prof. Dr. med. Stefan Meuer Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Prof. Dr. med. Dr. h. c. Peter C. Scriba Ludwig-Maximilians-Universität München