Neonatologie Scan 2012; 01(02): 147-162
DOI: 10.1055/s-0032-1325883
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Pathophysiologie von Arousal-assoziierten Lebensrettungsmechanismen beim plötzlichen Kindstod

Henning Wulbrand
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Publikationsdatum:
01. Dezember 2012 (online)

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Einleitung

Der plötzliche Kindstod (Sudden Infant Death Syndrome; SIDS) ist nach wie vor die Haupttodesursache im ersten Lebensjahr. Bereits in der Bibel wurde über den Todesfall eines Kindes berichtet, welches im Bett der Mutter zu Tode kam (Altes Testament, 1 Könige 3:19; „Und der Sohn dieser Frau starb in der Nacht, denn sie hatte ihn im Schlaf erdrückt“).

Definition des plötzlichen Kindstodes (SIDS)

Plötzlich und unerwartet auftretender Tod eines Kindes im 1. Lebensjahr, der unerklärt bleibt nach einer umfassenden Begutachtung post mortem inkl. Autopsie, einer ausführlichen Anamnese und einer gründlichen Untersuchung des Ortes, an dem der Tod auftrat.

Merke: Kein Experte kann den plötzlichen Kindstod voraussehen. Der plötzliche Kindstod kann im Einzelfall nicht verhindert werden.
Deshalb: Alles was man tun kann, ist den derzeit üblichen Internationalen Empfehlungen zur Reduzierung des plötzlichen Kindstods zu folgen, um das Risiko zu vermindern.

Zu einer drastischen Reduktion der Opferrate (bis 80 %) führten weltweit in vielen Ländern durchgeführte Kampagnen, die u. a. vor den Gefahren des Schlafes in Bauchlage warnten (z. B. „back to sleep“ campaign, USA). In Holland und Japan ist die offizielle SIDS-Opferrate bekanntermaßen schon seit Längerem mit etwa 0,1 – 0,2 pro 1000 Todesfälle sehr niedrig. In Deutschland liegt sie bei ca. 0,3 pro 1000 Todesfälle. Allerdings muss man davon ausgehen, dass die Zuordnung im ICD-Code zu R95 = SIDS nicht einheitlich erfolgt.

Zahlreiche Theorien existieren zur möglichen Ursache. Es scheint allerdings immer wahrscheinlicher, dass es mehrere Ursachen gibt, die am SIDS beteiligt sind.

Immerhin bleibt SIDS auch nach weltweiten Kampagnen zur Reduzierung des Risikos die Haupttodesursache zwischen dem 1. und 12. Lebensmonat, dabei sterben zwischen dem 2. und 4. Lebensmonat die meisten Kinder. Außerdem gibt es mehr SIDS-Opfer während der Wintermonate.

Zur Geschichte

Seit den 1940er Jahren bis etwa 1988 war in den USA die Idee verbreitet, die Rückenschlaflage stelle ein mögliches Risiko dar, hochgewürgte Nahrung könne die Atemwege blockieren und zum Erstickungstod des Kindes führen. Aus diesem Grund wurde damals bei den Eltern in westlichen Ländern die Idee verbreitet, die Kinder in Bauchlage zum Schlafen zu legen [1].

Als weitere mögliche SIDS-Ursache kam in den 1970er Jahren die Unreife oder Fehlfunktion der Atemaktivität auf. Steinschneider veröffentlichte in Pediatrics [2] einen Artikel, in dem er das Auftreten von Atempausen (inaktive Apnoen ohne Zwerchfellaktivität) in Zusammenhang mit SIDS brachte. Dieser Artikel regte in den Folgejahren zahlreiche Wissenschaftler an, sich mit diesem Thema zu befassen. Im Jahr 1997 erschien in den USA ein Buch über diesen Artikel, da eine kriminalistische und juristische Aufarbeitung der in dem Artikel beschriebenen Todesfälle eindeutig ergab, dass die beschriebenen Kinder eines gewaltsamen Todes verstarben und nicht etwa an SIDS [3].

Schechtmann konnte bereits 1991 zeigen, dass spätere SIDS-Opfer eher weniger Schlafapnoen als Kontrollkinder aufwiesen [4]. Später berichtete u. a. Kahn über ein vermehrtes Auftreten von obstruktiven (nicht inaktiven) Apnoen bei späteren SIDS-Opfern [5].

Die Apnoe-Hypothese war so verbreitet, dass sie bis heute nicht ganz verschwunden ist. Sogar das Heimmonitoring zeichnet bis heute inaktive Apnoen auf und suggeriert somit ein möglicherweise erhöhtes SIDS-Risiko.

Eine Zeitlang setzte man große Hoffnungen in den Einsatz von Atem- und EKG-/Pulsoxymetriemonitoren während des Schlafens zu Hause. Allerdings führten weder Heimmonitoring der inaktiven Apnoen oder der Herzrate noch Pulsoxymetrie zu der erhofften Reduktion der SIDS-Rate. Daher gibt es keine offizielle Empfehlung mehr zur Verwendung von Heimmonitoring zur SIDS-Prävention, obwohl in Einzelfällen ein Monitoring sinnvoll sein kann und bei Frühgeborenen durchaus auch üblich ist.

Auch die in Kliniken zahlreich durchgeführte polygrafische Aufzeichnung von EEG, EKG, Atembewegungen sowie die Identifikation von sog. obstruktiven Apnoen führte nicht zur Identifikation von Kindern mit einem möglicherweise erhöhten Risiko.

Andere Vorstellungen betrafen kardiologische Risiken, wie z. B. eine verlängerte QT-Zeit [6].

Diese Risiken führten aber eher dazu, die betroffenen Kinder nicht mehr SIDS zuzuordnen, da in diesem Fall nun ein plausibler Grund für den Tod vorliegen könnte. Wieder andere Arbeiten zeigten, dass Infektionen (z. B. durch Helicobacter) häufiger bei SIDS-Opfern zu finden waren [7].

Dennoch erklären derartige Befunde nicht die überhäufigen Befunde aus den epidemiologischen Untersuchungen [8] [9], die eindeutig zeigten, dass die Schlafposition und die Schlafumgebung eine große Rolle beim SIDS spielen müssen.