Pneumologie 2013; 67(04): 241-242
DOI: 10.1055/s-0032-1326466
Leserbrief
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die neue GOLD-Empfehlung ist im Alltag nicht umsetzbar

N. K. Mülleneisen
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Korrespondenzadresse

Norbert K. Mülleneisen
Königsberger Platz 5,
51371 Leverkusen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
10. April 2013 (online)

 

1. Hausärzte

Hausärzte können die neuen Empfehlungen nicht umsetzen [1]. Es ist schon schwer genug, die Hausärzte von der Notwendigkeit regelmäßiger Lungenfunktionen und der Bedeutung der FEV1 zu überzeugen, da ist es wenig hilfreich, wenn eine neue Leitlinie entsteht, bevor die alte Leitlinie implementiert ist. Bei 100 Seiten Nationaler Versorgungsleitlinie-COPD (NVL) alleine glaubt doch bitte keiner, diese Leitlinie würde wenigstens von den Pneumologen gelesen. Geschweige denn von den Hausärzten. Dann kommt noch die Menge der unterschiedlichen Empfehlungen, die alle vom Hausarzt zu befolgen sind. Habt Erbarmen. Auch Hausärzte sind nur Menschen und keine Supermänner.


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2. Pneumologen

Pneumologen wollen und sollen die neue GOLD-Empfehlung nicht umsetzen, weil die KV die Gelder im Risikostrukturausgleich nach Schwere der COPD gemäß ICD-Einteilung verteilt. Da spielt selbst die leicht abweichende Einteilung nach NVL keine Rolle, nur ICD-Einteilung gilt! Und weil die Hausärzte zu Recht erwarten, dass Pneumologen ihnen die ICD-Stadien-Einteilung im Arztbrief angeben. Die KV braucht diese ICD-Daten, um den Kassen die Morbidität anzugeben, die zur Allokation der Gelder im RSV führt. Klartext: es fließt Geld von NRW nach Bayern, weil die Pneumologen in Bayern mehr COPD IV° codieren als die Pneumologen in NRW. Das hat nichts mit wirklicher Mortalität zu tun, sondern mit der Akribie des Codierens. Bei der ICD-Codierung aber ist eine Einteilung nach GOLD A bis D nicht vorgesehen.

Inhaltlich wollen Pneumologen oft auch nicht die A–D-Einteilung umsetzen, weil sie die Sinnhaftigkeit und den Nutzen nicht sehen. Bisher war die Mortalität zum zunehmenden Schweregrad der COPD I°–IV° korreliert. In der neuen Einteilung nicht mehr. Wenn z. B. in der Gruppe C, mit wenig Symptomen aber viel Exazerbationen, weniger Patienten sterben als in der Gruppe B, mit wenig Exazerbationen aber viel Symptomen, fragt sich der Pneumologe, wie er diese unlogische Einteilung seinen zuweisenden Kollegen erklären soll [2].


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3. Krankenhausärzte

Krankenhausärzte könnten teilweise diese GOLD-Empfehlung umsetzen. Bisher sind sie die einzigen, die ich ausmachen konnte, die zumindest in Teilen diese Empfehlung anwenden. Krankenhäuser haben die Möglichkeit, Exazerbationen zu zählen, denn die Patienten kommen mit ihren Exazerbationen ja oft ins Krankenhaus. Immer? Nun ja, das hängt von der Definition der Exazerbationen ab. Da hat nun der Patient andere Vorstellungen von Exazerbationen als der Hausarzt, der wieder andere als der niedergelassene Pneumologe und der Krankenhausarzt oder der Wissenschaftler. M. E. wird die Bedeutung der Exazerbationen im Gegensatz zu den Symptomen im Verlauf, insbesondere in den Krankenhäusern, überschätzt. Die Kliniker sehen die COPD-Patienten nur in der Klinik, also wenn es ihnen ganz schlecht geht. Was in der Praxis beim Hausarzt oder Pneumologen abläuft, bekommen sie nicht mit.

Man sollte auch nicht vergessen, dass wir in Deutschland eine andere Versorgungsrealität haben als in fast allen anderen Ländern dieser Erde. Den freien Zugang zum Pneumologen mit eigenem Bodyplethysmografen gibt es in keinem anderen europäischen Land. In den meisten Ländern gibt es den Zwang, sich einen Primärarzt zu suchen, zu dem der Patient immer zuerst muss, und der ihn dann ggfs., und keineswegs immer, zum Pneumologen sendet. So kann eine vollständige Übersicht über alle Exazerbationen wenigstens in der Theorie erfolgen. In meinem Praxisalltag erfährt weder der Pneumologe noch der Hausarzt noch das Krankenhaus wirklich alle Exazerbationen. So kann aber GOLD nicht umgesetzt werden. Warum sollten wir also eine Empfehlung übernehmen, die bei den sparsamen Schotten genauso gültig ist wie in den Niederlanden oder Griechenland. Wie hoch ist die Pneumologen-Dichte in diesen Ländern im Vergleich zu Deutschland? Hilft uns in Deutschland diese Empfehlung? Werden Patienten dadurch besser behandelt? Wo ist die Evidenz für unseren Versorgungsalltag in Deutschland?


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4. CAT: Copyright und versteckte Werbung

Der für die Einteilung der neuen GOLD-Empfehlung benötigte COPD-Assessment-Test (CAT) ist ein Trademark der Firma GlaxoSmithKline und die gibt das Copyright auch nicht ab, das habe ich nachgefragt. Dieses Copyright erstreckt sich sogar auf die Reihenfolge der Fragen und die Farbe des Formulars. Nur so darf es eingesetzt werden. Das Übertragen auf ein weißes Blatt Papier ist schon verboten. Nun birgt das zwei Probleme. Wenn man eine komplett werbefreie Praxis betreiben will, ist das nun nicht mehr möglich. Die Formulare, die ich bei jedem COPD-Patienten nun ausfüllen darf (gilt übrigens analog auch für den ACT-Test von GlaxoSmithKline), enthalten jedes Mal den kleinen Hinweis: „Das CAT Logo ist eine eingetragene Marke der GlaxoSmithKline-Unternehmensgruppe. ©2009 GlaxoSmithKline-Unternehmensgruppe. Alle Rechte vorbehalten“. Ich habe also bei jedem Patienten, bei dem ich zur Einteilung des GOLD-Stadiums einen CAT-Test ausfüllen muss, eine Werbung für GlaxoSmithKline auf dem Schreibtisch. Ich finde, das geht gar nicht!

Das zweite Problem ist, dass GlaxoSmithKline mir hoch und heilig mündlich versprochen hat (aber mir gegenüber nicht schriftlich bestätigt hat!), dass sie nie Gebühren für die Verwendung des CAT-Tests oder des ACT-Tests verlangen werden. Das haben wir Ärzte aber auch seit 1975 vom Mini Mental State Examination (MMSE)-Test geglaubt. Seit 2001 nun ist das Copyright für den MMSE auf eine Stiftung übergegangen, und diese verlangt für jede einzelne Anwendung des MMSE Gebühren von 1,23 $. Das ist deshalb so gemein, weil über 25 Jahre alle Forscher dieser Welt im guten Glauben an die Freiheit der Wissenschaft diesen Test in Studien verwendet haben. Die Rechteinhaber haben also lange gewartet, bis der Test so weit verbreitet und international akzeptiert war, dass keiner mehr ohne ihn arbeiten wollte und dann kamen die Juristen mit Geldforderungen. Honi soit qui mal y pense [3].

Ob der CAT nun wirklich eine Verbesserung im Alltag des erfahrenen Pneumologen in Deutschland darstellt, wurde m. W. auch nie überprüft. Ist die deutsche Fassung des CAT wirklich evaluiert? Es fällt doch im Alltag z. B. auf, dass z. B. die Frage nach dem Nachtschlaf vom Patienten anders beantwortet wird, als der Pneumologe sie vielleicht versteht. Der Patient antwortet: „wegen meiner Lungenerkrankung schlafe ich nicht tief und fest“. Der Pneumologe hört im Kontext der Anamneseerhebung bei COPD: „ich habe nachts Luftnot“. So ist es mir jedenfalls zeitweilig gegangen. Das ist ja nicht dasselbe. Der CAT ist eine Hilfe zur „ALDIsierung“, zur discountmäßigen Abfertigung von COPD-Patienten im DMP. Das ist er zweifellos. Er birgt aber m. E. im Alltag die Gefahr, die wirklich wichtigen Fragen an den Patienten nicht zu stellen, im falschen Vertrauen auf den CAT, der ja schon so viele Fragen gestellt hat.


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5. Leitlinien als Ausbildungshilfe

Leitlinien wie auch die GOLD-Empfehlung haben einen m. E. wertvollen Aspekt in der Lehr-Lernsituation bei der Aus-, Fort- und Weiterbildung. Wer hat mal einen einfachen Pneumologen (ich empfehle Zufallsauswahl) oder Hausarzt gefragt, ob er die Einteilung überhaupt versteht und ob er sie anwenden kann? Wer die Vierfelder-Tafel mit den Therapieempfehlungen bei A bis D sieht, bekommt doch unwillkürlich den Eindruck, „alles ist möglich“ und das darf ich auch noch ganz modern „individualisierte Medizin“ nennen. In Wirklichkeit bekommt der Unkundige den Eindruck, es ist völlig egal, was ich gebe. Gib ihm einfach alle Medikamente und einen Unterschied zum Asthma gibt’s auch nicht mehr. Ist das wirklich die Botschaft, die wir den Studenten, den Hausärzten etc. geben wollen? GOLD ist jetzt viel schwerer zu erklären, kaum einer in Deutschland setzt es um, und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass es flächendeckend zur Anwendung kommt. Da finde ich die alte GOLD-Empfehlung aus didaktischen Gründen viel besser als die neue. Eine Aktualisierung der deutschen NVL-COPD sollte also gut überlegt werden und ich bin dafür, die A–D-Klassifikation in Deutschland nicht zu übernehmen. „Keep it simple“ ist die beste Empfehlung, wenn man will, dass möglichst viele Kollegen eine Leitlinie anwenden. Je komplizierter sie ist, desto weniger darf man erwarten, dass sie verstanden und umgesetzt wird. Übrigens wäre es vielleicht sinnvoll, einen „Versorger“ aus der Niederlassung an der Erstellung der nationalen Versorgungsleitlinie zu beteiligen.


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Norbert K. Mülleneisen
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