Diabetes aktuell 2012; 10(05): 242-243
DOI: 10.1055/s-0032-1326684
Forum der Industrie
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Konsequentes Risikomanagement – Diabetes- und Lipidtherapie beim kardiometabolischen Patienten

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Publication Date:
03 September 2012 (online)

 

Die Niereninsuffizienz ist eine häufige Begleiterkrankung bei Diabetes mellitus, die mit einer erhöhten Mortalität assoziiert ist, wie Prof. Dr. Dirk Müller-Wieland, Hamburg, berichtete. So zeigte eine Metaanalyse der Emerging Risk Factors Collaboration [ 1 ], dass die reduzierte Lebenserwartung von Diabetikern nicht nur auf kardiovaskuläre Todesfälle, sondern in etwa einem Drittel der Fälle auf nicht-vaskuläre Komplikationen zurückzuführen ist. Renale Erkrankungen erhöhten die Sterblichkeit von Diabetikern um den Faktor 3. Die Analyse evaluierte die Daten von über 123 000 Todesfällen unter 820 900 Patienten mit Diabetes aus 97 prospektiven Studien mit Langzeitverläufen, entsprechend 12,3 Millionen Patientenjahren. Die Häufigkeit von Nephropathien bei Diabetikern zeigte die Querschnittsstudie DEMAND [ 2 ]: In einer klinik-basierten Kohorte von über 11 500 Patienten mit Typ-2-Diabetes hatten etwa 60 % eine Nephropathie und etwa 50 % wiesen eine Mikro- oder Makroalbuminurie auf. "Jeder zweite Patient ist also betroffen", so Müller-Wieland. Dies zeige die enorme klinische Bedeutung der Nephropathie bei Typ-2-Diabetes und dessen medikamentöser Therapie mit Antidiabetika.

Behandlungsoptionen bislang begrenzt

Die chronische Niereninsuffizienz wird gemäß der Kidney Disease Outcomes Quality Initiative (KDOQI) anhand der glomerulären Filtrationsrate (GFR) in fünf Stadien eingeteilt (Tab. [ 1 ]) [ 3 ]. Bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz stoßen die meisten oralen Antidiabetika an ihre Grenzen, wie die entsprechenden Fachinformationen zeigen: Metformin etwa ist ab Stadium 3 (GFR < 60 ml/min) kontraindiziert, Sulfonylharnstoffe ab Stadium 4 (GFR < 30 ml/min), auch GLP (Glucagon-like Peptide)-1-Analoga sind nur mit Einschränkungen zugelassen. Die Behandlungsoptionen für die antihyperglykämische Therapie von Patienten mit Typ-2-Diabetes und chronischer Niereninsuffizienz waren bislang also limitiert.

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Tab. 1 Einteilung der chronischen Niereninsuffizienz gemäß der National Kidney Foundation (NKF) [ 3 ].

Mit der Zulassungserweiterung von Sitagliptin (Januvia®) steht jetzt eine Option zur Verfügung, die in allen Stadien der Niereninsuffizienz eingesetzt werden kann. Im Januar dieses Jahres hat die europäische Arzneimittelbehörde EMA den DPP (Dipeptidylpeptidase)-4-Hemmer in reduzierter Dosierung auch zur Anwendung bei Typ-2-Diabetikern mit moderater und schwerer Nierenfunktionsstörung – einschließlich der terminalen Niereninsuffizienz – zugelassen.


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Sitagliptin jetzt in allen Stadien der Niereninsuffizienz zugelassen

Der EMA-Entscheid beruht auf den positiven Daten zweier Parallelgruppenstudien, in denen multizentrisch, doppelblind und randomisiert die Wirksamkeit und Sicherheit von Sitagliptin über 54 Wochen bei Typ-2-Diabetikern mit Niereninsuffizienz im Vergleich zu dem Sulfonylharnstoff Glipizid untersucht wurden. Die Patienten waren mindestens 30 Jahre alt, der HbA1c-Ausgangswert war 7–9 %. Primäre Endpunkte in beiden Studien waren die Änderung des HbA1c-Wertes gegenüber dem Ausgangswert nach 54 Wochen, die Inzidenz symptomatischer Hypoglykämien und gastrointestinaler Nebenwirkungen; sekundärer Endpunkt war die Veränderung des Körpergewichts.

In der Studie von Arjona Ferreira et al. [ 4 ] wurden 423 Patienten mit moderater bis schwerer Niereninsuffizienz (GFR < 50–30 ml/min bzw. < 30 ml/min) eingeschlossen. Sie erhielten 1:1 randomisiert in Abhängigkeit der GFR täglich 50 mg (moderat) beziehungsweise 25 mg (schwer) Sitagliptin oder Glipizid (Startdosis 2,5 mg/d, Dosisanpassung im Ermessen des Prüfarztes nach glykämischer Kontrolle nach oben oder unten, Höchstdosis 10 mg BID). Unter Sitagliptin betrug die HbA1c-Senkung nach 54 Wochen im Mittel 0,76 %, unter Glipizid 0,64 % (Abb. [ 1 ]). Die Gruppendifferenz betrug –0,11 % (95 % KI [–0,29 %; 0,06]). "Der Unterschied war damit nicht signifikant, die Wirksamkeit vergleichbar", kommentierte Müller-Wieland. Symptomatische Hypoglykämien kamen unter Sitagliptin mit 6,2 % gegenüber 17,0 % unter Glipizid signifikant seltener vor (p = 0,001) (Abb. [ 2 ]). Signifikante Unterschiede zeigten sich auch hinsichtlich der Entwicklung des Körpergewichts: Während Patienten unter Sitagliptin im Mittel 0,6 kg abnahmen, nahmen Patienten in der Vergleichsgruppe 1,2 kg zu (signifikanter Gruppenunterschied nach 54 Wochen: p < 0,001). Beide Substanzen wurden gut vertragen, die Inzidenz gastrointestinaler Nebenwirkungen wie abdominelle Schmerzen, Diarrhoe, Übelkeit und Erbrechen war in beiden Gruppen vergleichbar selten.

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Abb. 1 Vergleichbare HbA1c-Senkung [ 4 ].
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Abb. 2 Signifikant weniger Hypoglykämien unter einem DPP-4-Hemmer [ 4 ].

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Nutzen auch bei Niereninsuffizienz im Endstadium

An der zweiten Studie von Arjona Ferreira et al. nahmen 129 dialysepflichtige Typ-2-Diabetiker teil [ 5 ]. Hier senkte der DPP-4-Hemmer den HbA1c im Mittel um 0,72 %, Glipizid um 0,87 %. Die Reduktion des HbA1c zeigte sich im Verlauf stabil, so Müller-Wieland. Symptomatische Hypoglykämien waren geringer unter dem DPP-4-Hemmer (6,3 % versus 10,8 %) – bei den schweren Hypoglykämien war der Unterschied deutlich mit 0 % unter Sitagliptin gegenüber 7,7 % unter Glipizid. Das Körpergewicht entwickelte sich auch hier unter Sitagliptin günstiger mit einer Abnahme um 0,3 kg, verglichen mit einer Zunahme von 1,2 kg in der Kontrollgruppe. Beide Therapieregime wurden auch von den Dialysepatienten gut vertragen.


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Breites Indikations- und Kombinationsspektrum

Sitagliptin wurde 2007 als erster DPP-4-Hemmer in Deutschland zugelassen und verfügt in dieser Substanzklasse über das umfassendste Indikationsspektrum bei Typ-2-Diabetes. Es ist indiziert zur Monotherapie bei Kontraindikationen oder Unverträglichkeit von Metformin. Der DPP-4-Hemmer kann in der Zweifachtherapie mit Metformin ebenso wie mit Sulfonylharnstoffen oder mit einem Thiazolidin kombiniert werden, in der Dreifachtherapie mit Metformin und Sulfonylharnstoff oder Metformin und Thiazolidin. Auch die Kombination mit Insulin – mit oder ohne Metformin – ist möglich. Mit der aktuellen Erweiterung der Zulassung kann Sitagliptin nun auch in der Therapie von Patienten mit inadäquat kontrolliertem Typ-2-Diabetes und eingeschränkter Nierenfunktion angewendet werden. Bei einer GFR ≥ 50 ml/min wird die Dosis von einmal täglich 100 mg verabreicht. Bei mäßiger Einschränkung (GFR < 50 ml/min bis ≥ 30 ml/min) wird die Dosis auf 50 mg halbiert, bei schwerer Einschränkung (GFR < 30 ml/min) oder einer Nierenerkrankung im Endstadium beträgt die Dosis 25 mg.


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Auch bei erhöhten Lipidwerten ist konsequentes Risikofaktoren-Management Pflicht

Die chronische Niereninsuffizienz (CKD) zählt heute neben Typ-2-Diabetes und pAVK zu den "koronaren Risikoäquivalenten". Je weiter die GFR sinke, desto stärker steige das Risiko, eine kardiovaskuläre Komplikation zu erleiden, erläuterte Professor Dr. Matthias Blumenstein, München: Bei einer GFR zwischen 45 und 59 ml/min betrug es in einer Untersuchung das 1,5-fache eines Nierengesunden, bei terminaler Niereninsuffizienz das 3,5-fache [ 6 ]. Die Konsequenz: Nach der aktuellen Dyslipidämie-Leitlinie der Fachgesellschaften ESC und EAS wird CKD-Patienten von vorne herein ein hohes kardiovaskuläres Risiko zugesprochen.

In zwei großen Statinstudien, 4D und AURORA, gelang es trotz einer ca. 40 %igen LDL-Senkung jedoch nicht, das Herz-Kreislauf-Risiko niereninsuffizienter Patienten signifikant zu senken, berichtete Blumenstein [ 7 ], [ 8 ]. Diese Studien wurden allerdings mit terminal nierenkranken Patienten durchgeführt, sodass offen blieb, ob Patienten in früheren Stadien nicht doch profitieren können. In die Study of Heart and Renal Protection (SHARP) [ 9 ] wurden CKD-Patienten ohne Zeichen einer KHK eingeschlossen, die zu zwei Dritteln noch keine Dialyse erhielten. Die Studie mit über 9200 Patienten bot mit einer Laufzeit von fast fünf Jahren die Chance, den Effekt von Ezetimib/Simvastatin (Inegy®) versus Placebo auf das kardiovaskuläre Risiko über einen langen Zeitraum zu verfolgen. Ergebnis: Bei einer LDL-Senkung um 30 % reduzierte sich die Inzidenz schwerer atherosklerotischer Komplikationen signifikant um 17 % (p = 0,0021). Die Progression der Nierenschäden wurde jedoch nicht beeinflusst.

Michael Koczorek, Bremen

Symposium "Der kardiometabolische Patient – Die Niere im Fokus", veranstaltet von der MSD SHARP & DOHME GMBH, Haar, im Rahmen des 118. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) in Wiesbaden, am 16. April 2012.

Der Text entstand mit freundlicher Unterstützung durch MSD SHARP & DOHME GMBH, Haar.


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  • Literatur

  • 1 The Emerging Risk Factors Collaboration. N Engl J Med 2011; 364: 829-841
  • 2 Dwyer JP et al. Cardiorenal Med 2012; 2: 1-10
  • 3 Edwards NC et al. Q J Med 2006; 99: 723-736
  • 4 Arjona Ferreira JC et al. Efficacy and safety of sitagliptin versus glipizide in patients with type 2 diabetes and moderate to severe chronic renal insufficiency. Diabetes, Metabolism, and the Heart 20: 18; 2011
  • 5 Arjona Ferreira JC et al. Efficacy and safety of sitagliptin versus glipizide in patients with type 2 diabetes mellitus and end-stage renal disease on dialysis: A 54-week randomised trial. Diabetes, Metabolism, and the Heart 20: 29; 2011
  • 6 Go AS et al. N Engl J Med 2004; 351: 1296-1305
  • 7 Wanner C et al. N Engl J Med 2008; 353: 238-248
  • 8 Fellström B et al. N Engl J Med 2009; 360: 1395-1407
  • 9 Baigent C et al. Lancet 2011; 377: 2181-2192

  • Literatur

  • 1 The Emerging Risk Factors Collaboration. N Engl J Med 2011; 364: 829-841
  • 2 Dwyer JP et al. Cardiorenal Med 2012; 2: 1-10
  • 3 Edwards NC et al. Q J Med 2006; 99: 723-736
  • 4 Arjona Ferreira JC et al. Efficacy and safety of sitagliptin versus glipizide in patients with type 2 diabetes and moderate to severe chronic renal insufficiency. Diabetes, Metabolism, and the Heart 20: 18; 2011
  • 5 Arjona Ferreira JC et al. Efficacy and safety of sitagliptin versus glipizide in patients with type 2 diabetes mellitus and end-stage renal disease on dialysis: A 54-week randomised trial. Diabetes, Metabolism, and the Heart 20: 29; 2011
  • 6 Go AS et al. N Engl J Med 2004; 351: 1296-1305
  • 7 Wanner C et al. N Engl J Med 2008; 353: 238-248
  • 8 Fellström B et al. N Engl J Med 2009; 360: 1395-1407
  • 9 Baigent C et al. Lancet 2011; 377: 2181-2192

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Tab. 1 Einteilung der chronischen Niereninsuffizienz gemäß der National Kidney Foundation (NKF) [ 3 ].
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Abb. 1 Vergleichbare HbA1c-Senkung [ 4 ].
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Abb. 2 Signifikant weniger Hypoglykämien unter einem DPP-4-Hemmer [ 4 ].