Vom 30.–31. März 2012 fand in Oberwiesenthal das nunmehr 13. Chirurgische
Erzgebirgssymposium statt. Diese traditionsreiche Veranstaltung hat ihren Ursprung
in einem zufälligen Zusammentreffen von Herrn Dr. M. Mory (ehemaliger Chefarzt der
Klinik für Chirurgie des Kreiskrankenhauses Zschopau) und Herrn PD Dr. R. Albrecht
(Chefarzt der Klinik für Viszeral- und Gefäßchirurgie HELIOS Klinikum Aue) im Herbst
1999. Beide entwickelten die Idee, ein Symposium für die mitteldeutsche Region zu
etablieren, auf dem man Erfahrungen austauschen und diese mit dem aktuellen Stand
der chirurgischen Wissenschaft abgleichen kann.
Seit dem 1. Symposium steht diese Veranstaltung unter dem Motto „Von der Praxis für
die Praxis“. Von Anfang an erfreute sich das Symposium in den mitteldeutschen
Ländern einer großen Akzeptanz (2012: 150 Teilnehmer). Dies ist vor allem auch den
Referenten zu danken, die bei den gesetzten Vorträgen immer bereit waren, ihre
neuesten, sehr praxisrelevanten Erfahrungen darzulegen.
Hauptanliegen des Symposiums war und ist es, die interkollegiale und
interdisziplinäre Zusammenarbeit zu fördern und die Diskussion über
viszeralmedizinische Themen konstruktiv voranzubringen. Aus diesem Grund wurden und
werden Ergebnisse der Versorgungsforschung in den Mittelpunkt des Interesses gerückt
[1 ]. Damit reiht sich das Symposium in eine Reihe
wissenschaftlicher Veranstaltungen Mitteldeutschlands mit ähnlicher Zielsetzung und
Zielgruppe ein [2 ], [3 ], [4 ].
Herr Dr. M. Mory gestaltete diese Symposien bis in das Jahr 2011 aktiv mit und
verabschiedete sich in den Ruhestand. Er fungiert seitdem als Ehrenpräsident. Neuer
Partner von Herrn PD Dr. R. Albrecht ist seit 2012 Herr Dr. L. Meyer, Plauen.
Das Leitthema des diesjährigen Erzgebirgssymposiums war: „Spannungsfelder in der
Chirurgie – Erfahrungen und Entwicklung“. Damit sollte der interdisziplinären
Zusammenarbeit Rechnung getragen und vor allem auf die knappen ökonomischen und
personellen Ressourcen aufmerksam gemacht werden. Unter der Darstellung
verschiedener Krankheitsbilder sollten die Möglichkeiten der Entscheidungsfindung
kritisch hinterfragt und diskutiert werden. Folgende Spannungsfelder wurden zu
Hauptthemen gewählt:
Traditionsgemäß gewährt das Erzgebirgssymposium Kliniken aus den Ländern Brandenburg,
Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen und zunehmend auch aus den an sie angrenzenden
Bundesländern die Gelegenheit, ihre eigenen klinischen Erfahrungen zu einem
aufgeworfenen Problem oder Themenkomplex aus der Viszeralmedizin darzustellen.
Nach seinem Grußwort referierte Herr Prof. Bauer (Berlin – [Abb. 1 ]), Generalsekretär unserer Gesellschaft, über die Situation in
Bezug auf die Einheit der deutschen Chirurgie. Er kam zu dem Schluss, dass die
Einheit unter dem Traditionsbegriff „Deutsche Gesellschaft für Chirurgie“ als
Dachgesellschaft mit der Struktur einer neuen „Wertegemeinschaft“ durchaus
hergestellt ist. Die zentrale Veranstaltung muss der Deutsche Chirurgenkongress als
großer Fortbildungskongress aller Fachgesellschaften mit thematischen Schwerpunkten
aus Wissenschaft, Gesundheits-, Berufs- und Standespolitik darstellen.
Abb. 1 Prof. Bauer (li.) und Prof. Wolff (re.) während des Symposiums.
Danach sprach Herr Prof. Wolff (Berlin – [Abb. 1 ]) zu
ethischen Fragen in der Palliativmedizin. Kernaussage von ihm war, dass es nicht
darauf ankäme, dem Leben mehr Tage, sondern den Tagen mehr Leben zu geben.
Der 1. Themenschwerpunkt „Spannungsfeld kleines Becken“ wurde von Prof. Lippert
(Magdeburg), PD Ptok (Cottbus) und Dr. Stelzner (Dresden) bestritten. Lippert
präsentierte anhand der Daten der „Prospektiven multizentrischen Beobachtungsstudie:
‚Qualitätssicherung Rektum-Karzinom (Primärtumor) – Elektivoperation‘“ über
mittlerweile 33 274 (!) Patienten, dass sich eine bessere Versorgungsqualität
abzeichnet. Dieser Effekt wirkt sich aber (noch) nicht auf das Gesamtüberleben aus.
Ptok zeigte mit Daten der o. g. Studie, dass das Rektumkarzinom zunehmend
laparoskopisch (2010 über 20 %) operiert wird. Diese Methode sei in Studien der
offenen Methode onkologisch ebenbürtig und bietet in der früh-postoperativen Phase
Vorteile, vor allem für ältere Patienten. Stelzner stellte das neue operative
Konzept der extralevatorischen abdominoperinealen Rektumexstirpation (ELAPE) [5 ] zur Lokalrezidivsenkung bei der Behandlung des
Rektumkarzinoms vor.
Im 2. Schwerpunkt „Spannungsfeld Chirurgie des Abdomens“ stellte Prof. Stier (Erfurt)
zunächst die Konsequenzen aus der neuen UICC-Klassifikation 2010 dar [6 ] und kam zu dem Schluss, dass die UICC-Klassifikation
eine Prognosebeurteilung ist und die alte AEG-Klassifikation nach wie vor eine
relevante klinische Einteilung des Adenokarzinoms im distalen Ösophagus darstellt.
Prof. Pross (Berlin) konnte anschaulich anhand von Literatur- und eigenen
Behandlungsdaten demonstrieren, dass die laparoskopische Ulkusübernähung zu
befürworten ist [7 ]. Dagegen werden laparoskopische
Resektionen beim Magenkarzinom mit gutem Erfolg in Zentren durchgeführt, aber sie
stellen keinen Standard dar. Das Problem ist die onkologisch sichere
Lymphadenektomie bei der minimalinvasiven Methode [8 ], [10 ]. Prof. Saeger (Dresden) betonte, dass
ein Nihilismus bei malignen Pankreaserkrankungen nicht gerechtfertigt ist und
unterstrich, dass eine additive Therapie ohne Chirurgie nicht zur Heilung führt. Die
duktalen Adenokarzinome sind prognostisch schlecht, aber die Operation stellt die
beste Palliation dar. Prof. Settmacher (Jena) nahm zur Lebendspende [11 ] bei der Lebertransplantation aus Ermangelung von
postmortalen Spendern Stellung und erörterte das Pro und Kontra dieser Methode, wies
aber eindringlich darauf hin, dass die Sicherheit des Spenders oberste Priorität
hat. Zum Abschluss des 1. Kongresstags gaben Dr. Federlein (Berlin), Prof. Kähler
(Mannheim) und Prof. Zühlke (Wittenberg) noch eine Übersicht über Vor- und Nachteile
der Zugangswege minimalinvasiv, transvaginal, „single incision“ und „hand port“
(Federlein). Kähler berichtete über seine Erfahrungen bei den ersten
NOTES-Appendektomien über den transgastralen Zugang und Zühlke nahm Stellung zur
endovaskulären Methode.
Zusammenfassend kamen sie zu der Schlussfolgerung, dass die genannten neuen
Zugangswege sich noch in der Entwicklungsphase befinden. Die Frage nach der
Vorgehensweise endovaskulär oder chirurgisch an den großen Gefäßen wurde von Zühlke
als eine multidimensionale Frage aufgefasst, die individuell entschieden werden
muss.
Der Samstag begann mit dem „nicht chirurgischen“ Vortrag „Raumfahrt gestern, heute
und morgen“ des 1. deutschen Kosmonauten, Herrn Dr. Siegmund Jähn ([Abb. 2 ]), der auf außerordentliches Interesse der
Kongressteilnehmer stieß.
Abb. 2 Dr. S. Jähn.
Das Symposium wurde dann mit dem klinischen Teil „Spannungsfeld in der
interdisziplinären Zusammenarbeit“ fortgesetzt. Zunächst zeigte Prof. Stallmach
(Jena) die Möglichkeiten und Grenzen der interventionellen Therapien am
Gastrointestinaltrakt auf. Er machte darauf aufmerksam, dass die endoskopische
Therapie beim Magenfrühkarzinom eine sichere und effektive Alternative bei genau
definierten Voraussetzungen ist. Weiterhin nahm er Stellung zu den Therapieoptionen
(chirurgisch oder interventionell) bei Colitis-ulcerosa-assoziierten
intraepithelialen Neoplasien [11 ]. Prof. Jonas (Leipzig)
unterstrich, dass bei zentralen Gallengangskarzinomen die Bedeutung der
Lebertransplantation in der Therapie nach neoadjuvanter Radiochemotherapie neu
bewertet werden muss. Die erweiterte Hemihepatektomie rechts weist immer noch
onkologisch die besten Ergebnisse auf [12 ], [13 ], [14 ]. Das
interdisziplinäre Thema zu Potenzen der multimodalen Therapiekonzepte [15 ], [16 ] in der
onkologischen Viszeralchirurgie wurde von Prof. Ridwelski (Magdeburg) sehr
pragmatisch mit dem zu verfolgenden Ziel einer individualisierten Therapie
dargestellt. Dass die Chirurgie die effektivste und langfristig wirksamste, wenn
auch keine kausale Therapie der Adipositas ist, wurde von Prof. Manger (Gera)
eindrucksvoll dargelegt. Leider verfügen wir hierzu noch nicht über eine
aussagekräftige Langzeit-Kosteneffizienz-Analyse.
Dr. Ketteler (Aue) zeigte, dass bei einer Operation an einem Patienten mit einer
kardialen Hochrisikokonstellation schon präoperativ ein individuelles und
interdisziplinäres Vorgehen erforderlich ist. Dies begründet sich aus der an sich
schon hohen Letalität auch ohne operative Maßnahme.
Nach dem interdisziplinären Teil setzte sich das Symposium mit der Vorstellung und
Sicht einzelner Kliniken zu grundlegenden Themen aus den hauptsächlich beteiligten
Bundesländern fort. Zuerst äußerte sich Dr. Bickel (Eisenach, Thüringen) zur Rolle
des Chirurgen im Tumorboard und forderte sein stärkeres Engagement.
Dr. Fleck (Luckenwalde, Brandenburg) demonstrierte mit eigenen Behandlungsdaten der
kolorektalen Karzinomchirurgie die Möglichkeit der onkologischen Versorgung im eher
ländlichen Bereich auf vergleichbarem Niveau wie in spezialisierten Zentren.
Dr. Rose (Halle, Sachsen-Anhalt) zeigte das Vorgehen bei der Sigmadivertikulitis
anhand eines etablierten Algorithmus auf und plädierte für eine stadienabhängige
Therapie [17 ] auf Basis klinischer Befunde und
bildgebender Verfahren.
PD Zippel (Riesa, Sachsen) wandte sich dem interdisziplinären Thema der mesenterialen
Ischämie zu und arbeitete heraus, dass es das Wichtigste ist, zunächst daran zu
denken. Nach der Diagnosesicherung sollte dann interdisziplinär, vor allem mit der
Klärung einer Revaskularisationsnotwendigkeit unter Einbeziehung der interventionell
tätigen Kollegen, die befundadaptierte Therapie eingeleitet werden.
Nach Abschluss des wissenschaftlichen Teiles, der von den Gastgebern und
wissenschaftlichen Leitern des Symposiums zusammengefasst wurde und das einhellige
positive Echo der Teilnehmer fand, lud Dr. Mory (Chemnitz) als Ehrenvorsitzender des
Symposiums zum 14. Chirurgischen Erzgebirgssymposium in Oberwiesenthal am 5. und 6.
April 2013 mit dem Thema „20 Jahre Minimalinvasive Chirurgie –
Standortbestimmung/Regionales“ ein.