Klassifikation
Gängige Klassifikationen der proximalen Humerusfraktur sind:
Bis heute gibt es keine einheitliche Klassifikation proximaler Humerusfrakturen. Ein
Klassifikationssystem sollte intuitiv und verständlich sein sowie eine klinische
Relevanz implizieren. Je komplexer die Frakturklassifikation, desto geringer ist
häufig ihre Inter- und Intraobserver-Reliabilität [4]. Die
4 bereits genannten Klassifikationssysteme beziehen sich jeweils auf die 4
Hauptfragmente: Kopffragment, Tuberculum majus, Tuberculum minus und Humerusschaft.
Vor 75 Jahren führte Codman eine rein deskriptive Frakturklassifikation ein. Diese
bezieht sich auf die Stellung der 4 Hauptfragmente untereinander, wobei ihre
Dislokation durch eine Verschiebung von mehr als 1 cm und/oder einem Winkel > 45°
charakterisiert ist. Die Neer-Klassifikation beschreibt ebenfalls die o. g.
Hauptsegmente, berücksichtigt jedoch darüber hinaus die durch den Zug der
Rotatorenmanschette ausgelöste Dislokationsrichtung der Segmente sowie
Head-Split-Frakturen, anteriore und posteriore Luxationsfrakturen. Die
AO/ASIF-Klassifikation ist weltweit anerkannt. Proximale Humerusfrakturen werden
hier durch den Nummerncode 11 definiert. Der darauf folgende Buchstabe beschreibt
extraartikuläre, unifokale = A-, extraartikuläre, bifokale = B- und intraartikuläre
= C-Frakturen. Mit zunehmender Komplexität der Fraktur steigt die
Zahlen-Nummern-Kombination.
Die LEGO-Codman-Klassifikation nach Hertel beschreibt ein ausgesprochen
umfassendes und klinisch ausgerichtetes Klassifikationssystem. Es ist binär
aufgebaut und definiert [5].
-
5 grundlegende Fragen bez. der Hauptfrakturlinien sowie
-
7 zusätzliche, die Fraktur weiter definierende Fragen:
-
Wie lang ist die posteromediale, metaphysäre Extension?
-
Wie groß ist die Dislokation des Humerusschafts in Relation zum
Humeruskopf?
-
Wie groß ist die Dislokation der Tuberkel in Relation zum
Humeruskopf?
-
Wie groß und in welche Richtung ist die Fehlstellung des Humeruskopfs
gerichtet?
-
Liegt eine glenohumerale Dislokation vor?
-
Liegt eine Humeruskopfimpressionsfraktur vor?
-
Liegt eine Head-Split-Fraktur vor?
Eine aktuelle Studie von Majed et al. analysiert die Reproduzierbarkeiten
verschiedener Klassifikationssysteme. Sie konnten zeigen, dass insgesamt eine
lediglich geringe bis mäßige Interobserver-Reliabilität vorliegt, wobei die
LEGO-Codman-Klassifikation im Einzelvergleich die besten Werte erzielen konnte [6].
Therapie
Konservative Therapie
Indikation
Die Mehrzahl proximaler Humerusfrakturen kann konservativ therapiert werden.
Ausnahmen bilden seltene offene Frakturen sowie verhakte Luxationsfrakturen.
Darüber hinaus werden stark dislozierte Frakturen vorzugsweise einer
operativen Therapie zugeführt.
Rehabilitation
Die betroffene Schulter wird zur Schmerztherapie gewöhnlich in einem
Gilchrist-Verband für 2 bis 3 Wochen immobilisiert. In den darauf folgenden
3 Wochen erfolgen eine passive Mobilisation, Pendelübungen sowie eine
physiotherapeutisch assistierte Beübung der Schulter. Für gewöhnlich kann
die Schulter nach 6 Wochen aktiv beübt werden.
Ergebnisse
Unter einer konservativen Therapie können oft überraschend gute
Ergebnisse erzielt werden.
Die Pseudarthroserate ist hierbei unabhängig vom Frakturtyp sehr gering. Nach
Court-Brown liegt die Pseudarthroserate unter konservativer Therapie bei ca.
1,1 % [11]. Risikofaktoren sind diesbez.
metaphysäre Trümmerzonen sowie eine Dislokation des Humerusschafts gegenüber
dem Humeruskopf von 33–100 %. In diesen Fällen zeigt sich eine
Pseudarthroserate von 8–10 %. Unkomplizierte Frakturen vom Typ 11 A2, 11 A3
und 11 B1 nach AO/ASIF zeigen bei konservativem Behandlungsansatz ein gutes
klinisches Ergebnis mit durchschnittlichen Constant Scores von 64/100,
65/100 und 72/100 Punkten [12]. Eine von Iyengar
et al. publizierte Metaanalyse befasste sich mit den klinischen Ergebnissen
von 650 konservativ therapierten proximalen Humerusfrakturen (317 1-Part-,
165 2-Part-, 137 3-Part- und 31 4-Part-Frakturen). Die durchschnittliche
Nachuntersuchungsdauer betrug 45 Monate. Es zeigte sich eine Frakturheilung
bei 98 % aller Frakturen, der Constant Score betrug im Durchschnitt
bemerkenswerte 72/100 Punkte. Als Komplikation war am häufigsten eine
Varusfehlstellung zu beobachten. Die Gesamtkomplikationsrate lag bei 13 %
[13].
Zwei prospektive, randomisierte klinische Studien zeigen die Gleichwertigkeit
der konservativen Therapie auch von komplexen proximalen Humerusfrakturen
(z. B. dislozierte 3- und 4-Part-Frakturen) gegenüber einer operativen
Versorgung [14], [15].
Die ermittelten Constant Scores zeigten statistisch vergleichbare Werte für
die konservativen und operativen Therapieansätze (58/100 Punkte bei
konservativer Therapie vs. 61/100 Punkte bei plattenosteosynthetischer
Versorgung mittels PHILOS-Platte®). Es fiel jedoch eine statistisch
signifikant erhöhte Komplikationsrate der operativ versorgten Kontrollgruppe
auf. Diese war mit einer Reoperationsrate von bis zu 30 % und deutlich
erhöhten Kosten verbunden. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangen auch Sanders
und Mitarbeiter. In einer Matched-Paired-Studie von 36 proximalen
Humerusfrakturen fielen die konservativ therapierten Patienten bei einem
durchschnittlichen Patientenalter von 61 Jahren und einem Follow-up von 1
Jahr durch eine signifikant bessere Beweglichkeit und Funktion (82,5/100
versus 71,6/100 im ASES-Score) gegenüber den plattenosteosynthetisch
versorgten Patienten auf [16].
Operative Therapie
Grundsätzliches
Ziel der operativen Versorgung ist die Korrektur der traumatisch bedingten
Fehlstellung sowie die Erzielung einer Übungsstabilität, um somit zügig eine
gute Gelenkfunktion zu erreichen. Das klinische Ergebnis wird maßgeblich
durch die korrekte Einheilung der Tuberkel bestimmt.
Um eine korrekte Reposition der Tuberkel zu ermöglichen, muss das
Humeruskopffragment zuvor anatomisch reponiert werden.
Es gilt, dieses mit exakter Inklination und Torsion einzustellen [17]. Wird das Humeruskopffragment nicht präzise
eingestellt, kann es zu keiner adäquaten Reposition der Tuberkel kommen.
Dieses kann die Stabilität deutlich reduzieren und insbesondere bei
Varusfrakturen ein sekundäres Abrutschen des Humeruskopfs begünstigen
und/oder zu einem Impingement führen [7], [17]. Weiterhin ist ein vorsichtiges operatives
Vorgehen notwendig, da grobe Repositionsmanöver bspw. mit Zangen oder
Elevatorien v. a. bei osteopener Knochenstruktur zu Schäden der
entsprechenden Fragmente führen können. Zur Manipulation und Reposition hat
sich der Zug an Haltefäden, mit denen die einzelnen Sehnen der
Rotatorenmanschette angeschlungen sind, bewährt.
Zeitpunkt der Versorgung
Proximale Humerusfrakturen müssen selten umgehend operativ versorgt werden.
Falls eine osteosynthetische Versorgung vorgesehen ist, sollte diese
innerhalb der ersten 7–10 Tage nach erlittenem Trauma erfolgen. Folgende
Kriterien bedingen eine umgehende operative Intervention:
Lagerung
Bei der operativen Versorgung proximaler Humerusfrakturen wird im
Wesentlichen zwischen 2 Lagerungstechniken gewählt:
-
Beach-Chair-Lagerung
-
Rückenlage
Die Beach-Chair-Lagerung ist am weitesten verbreitet und ermöglicht die
Anlage des anterioren, anterolateralen und lateralen Zugangs. Die
Beach-Chair-Lagerung ist zwingend bei Nagelosteosynthesen notwendig und
bewährt sich bei allen prothetischen Operationen. Im Gegensatz zum
Beach-Chair bietet die Rückenlagerung mit Auslagerung der betroffenen
Schulter auf kleinen Schulterbänkchen viele, oft nicht beachtete Vorteile.
Bei allen Osteosynthesen muss das Operationsergebnis intraoperativ mit 2
senkrecht zueinander stehenden Ebenen kontrolliert werden. Ist der Patient
auf einem Beach-Chair gelagert, wird dazu typischerweise der Arm gedreht.
Bei temporär instabilen Situationen kann dadurch eine ungewollte Dislokation
der Fragmente provoziert werden. Um diese zu vermeiden, wird daher mitunter
nicht selten zu diesem wichtigen Zeitpunkt auf die Durchführung einer 2.
Ebene verzichtet. Im Gegensatz dazu kann in Rückenlage bei abduzierten Arm
ohne Rotation desselben nur durch Drehen des C-Bogens problemlos eine 2.
axiale Projektion erzielt werden. Darüber hinaus wirken die Schulterbänkchen
der natürlichen durch die Gravitation hervorgerufenen posterioren
Dislokation des Humerusschafts gegenüber dem Kopffragment entgegen. Dieses
ist wiederum insbesondere bei hoch instabilen Frakturformen hilfreich.
Weitere Vorteile sind der für die Rückenlagerung deutlich geringere
Zeitaufwand zum Lagern sowie das verminderte Risiko lagerungsbedingter
Nervenschäden. Es ist auch möglich, falls notwendig in Rückenlage einen
Verfahrenswechsel zu einer Frakturprothese vorzunehmen, ohne intraoperativ
auf eine Beach-Chair-Lagerung umzusteigen. Hierzu werden die
Schulterbänkchen entfernt und der Patient leicht schräg weiter nach außen
gelagert, sodass die Schulter frei liegt und retrovertiert und adduziert
werden kann.
K-Draht-Osteosynthese
Indikation
Bestimmte proximale Humerusfrakturen können mit einer K-Draht-Osteosynthese
erfolgreich behandelt werden. Dabei handelt es sich v. a. um
2-Part-Frakturen sowie valgisch gering dislozierte Humeruskopf-3- und
4-Part-Frakturen.
Da es sich bei der K-Draht-Osteosynthese um ein semirigides Verfahren
handelt, eignet es sich gut bei osteoporotischen
Knochenverhältnissen.
Zum einen wird eine reduzierte Krafteinleitung am Knochen-Impantat-Interface
beobachtet. Zum anderen ermöglicht sie eine kontrollierte Impaktion des
Humeruskopfs [18]. Eine additive
Winkelstabilität, so z. B. in Form eines Resch-Blockes, hat sich
bewährt.
Eine weitere Indikationsgruppe bilden kindliche proximale
Humerusfrakturen.
Positionierung
Gängig sind die Rückenlage und Beach-Chair-Position.
Zugang
Je nach Geschick und Erfahrung des Operateurs ist eine geschlossene
Reposition möglich. Diese wird bei allen K-Draht-Osteosynthesen primär
angestrebt. Gelingt es nicht, geschlossen eine ausreichende Reposition zu
erzielen, erfolgt eine offene Reposition über einen anterioren oder
anterolateralen Zugang.
Implantatspezifische Risiken
-
Häufig sind Perforationen des Humeruskopfs infolge der beschriebenen
kontrollierten Sinterung. Diese können eine frühzeitige
Metallentfernung notwendig machen.
-
Verletzungen des N. axillaris, insbesondere durch Setzen der
lateralen K-Drähte.
-
Verletzungen der langen Bizepssehne bei von anterior eingebrachten
K-Drähten.
Postoperative Rehabilitation
Typischerweise erfolgt eine Immobilisierung mit einem Gilchrist-Verband für
die ersten 3 postoperativen Wochen. Hieran schließt sich eine 3-wöchige
Phase mit passiven Übungen, insbesondere Pendelübungen, sowie einer
physiotherapeutisch assistierten Beübung an. Aktive Bewegungen sind ab der
7. postoperativen Woche freigegeben. Eine postoperative Gelenksteife wird
bei geschlossener Reposition und Integrität des subakromialen Raumes nur
sehr selten gesehen.
Ergebnisse
Bis heute stehen nur wenige Publikationen mit Ergebnissen nach
K-Draht-Osteosynthesen proximaler Humerusfrakturen zur Verfügung [18], [19], [20]. Erfahrene Chirurgen können bei der Versorgung
von 3-Part-Humeruskopffrakturen im 24-Monats-Follow-up gute bis sehr gute
Ergebnisse erreichen und Constant Scores von durchschnittlich 91 %
(84–100 %) erzielen. 4-Part-Frakturen zeigten im Patientenkollektiv ohne
Reoperationsnotwendigkeit einen durchschnittlichen Constant Score von 87 %
(75–100 %) [20], [21].
Proximale Humerusnagelosteosynthese
Indikation
Hauptindikation der proximalen Humerusnagelosteosynthese ist die
Versorgung von 2-Part-Frakturen im Bereich des Collum chirurgicum sowie
gering dislozierte 3- und 4-Part-Humeruskopffrakturen sowie die
Kombinationsverletzung einer proximalen Humerusfraktur und einer
Humerusschaftfraktur.
Die Repositions- und Fixierungsmöglichkeiten multifragmentärer 3- und
4-Part-Frakturen sind bei diesem Osteosyntheseverfahren eingeschränkt. Hier
sollte sich die Anwendung auf erfahrene Chirurgen beschränken.
Lagerung
Zugang
-
anterolateraler Zugang
-
lateraler Zugang
Implantatspezifische Risiken
-
insuffiziente Reposition infolge eines falsch gewählten
Nageleintrittspunkts
-
iatrogene Schädigung der langen Bizepssehne
-
iatrogene Verletzungen des N. axillaris
-
Rotatorenmanschetteninsuffizienz infolge Supraspinatussehnensplit
oder Nagelinsertion im Bereich des Footprints
-
intraartikuläre Schrauben-/Bolzenfehllage
Abb. 1 Varisch dislozierte subkapitale Humerusfraktur eines
68-jährigen Patienten bei Z. n. Verkehrsunfall. Versorgung mittels
proximalen Humerusnagels (Synthes®).
Ergebnisse
Diverse Studien können eine biomechanische Überlegenheit der proximalen
Humerusnagelosteosynthese gegenüber der Verwendung von Plattenosteosynthesen
dokumentieren. Diese Überlegenheit manifestiert sich insbesondere bei
osteoporotischer Knochenstruktur, da Humerusnägel sich als intramedulläre
Kraftträger superior im harten, subchondralen Knochen verankern lassen.
Von besonderer Bedeutung ist der korrekte Nageleintritt.
Bei geraden Humerusnägeln projiziert sich der richtige Eintrittspunkt in
Verlängerung des Humerusschafts und liegt somit im Knorpel-tragenden Areal.
Eine Verletzung des Footprint-Areals und somit des Sehnenansatzes der
Rotatorenmanschette lässt sich dadurch vermeiden. Zudem liegt der Eintritt
des geraden Humerusnagels im Gegensatz zu den leicht gekrümmten Nägeln bei
den 3- und 4-Part-Frakturen typischerweise nicht in der Frakturzone, sondern
leicht medial davon. Grundsätzlich gilt, dass vor der Nagelimplantation die
Fraktur sorgfältig reponiert werden muss. Dieses gilt besonders für varisch
dislozierte Frakturen. In diesem Kontext erweisen sich Haltefäden oder
eingebrachte K-Drähte als sog. Joysticks zur Manipulation als äußerst
hilfreich. Eine aktuelle prospektive multizentrische Studie der AO erbrachte
hervorragende klinische Ergebnisse für antegrade proximale Humerusnägel. Zum
Zeitpunkt des 1-Jahres-Follow-up betrug der absolute Constant Score 75,3/100
Punkte, der relative Constant Score lag bei 83,8/100 Punkten. Pseudarthrosen
zeigten sich nur bei 1 % aller Patienten. Komplikationen und schlechte
klinische Ergebnisse (Constant Score, DASH-Score) wurden insbesondere bei
komplexen Verletzungen wie Typ-C-Frakturen beobachtet [22]. Diese Ergebnisse wurden in weiteren Publikationen bestätigt
[23].
Plattenosteosynthese
Indikation
Plattenosteosynthesen haben das breiteste Indikationsspektrum und
gewährleisten selbst bei komplexen Frakturen und osteopener Knochenstruktur
eine stabile Versorgung. Aktuell haben sich winkelstabile Plattensysteme
durchgesetzt. Weniger komplexe Frakturen können geschlossen reponiert und
minimalinvasiv mit einer eingeschobenen Platte (Mipo-Technik) stabilisiert
werden. Komplexere Frakturen sollten vorzugsweise offen reponiert werden.
Herausforderungen sowohl in puncto Reposition als auch hinsichtlich der
Fixation bilden auch heute noch die Head-Split-Frakturen und stark
dislozierte Varusfrakturen, insbesondere in Kombination mit einer medialen
Trümmerzone in der Kalkarregion. Um eine sekundäre Dislokation der Tuberkel
zu vermeiden, wird eine additive Fadenfixation der Rotatorenmanschette an
die Platte empfohlen.
Lagerung
-
Beach-Chair-Lagerung
-
Rückenlage
Zugang
Implantatspezifische Risiken
-
sekundäre Dislokation, insbesondere bei varisch dislozierten
Frakturen
-
primäre und sekundäre intraartikuläre Schraubenlage
-
Implantatversagen
-
Verletzung des N. axillaris, insbesondere beim lateralen Zugang
Abb. 2 Valgisch dislozierte 4-Part-Humeruskopffraktur eines
72-jährigen Patienten und konsekutive plattenosteosynthetische
Versorgung mittels Philos®-Platte. a zeigt die präoperative Situation, b das intraoperative Ergebnis, c das Ergebnis am 2. postoperativen Tag und
d das Ergebnis 1 Jahr nach erfolgter Versorgung.
Ergebnisse
Eine erfolgreiche Frakturheilung kann mit winkelstabilen
Plattenosteosynthesen selbst bei osteoporotischer Knochenstruktur erreicht
werden. Von entscheidender Bedeutung ist die Einhaltung folgender
Faktoren:
-
anatomische Reposition
-
korrekte Plattenpositionierung am Tuberculum majus mit Ausrichtung
entlang der Schaftachse
-
korrektes subchondrales Einbringen der Schrauben in den
Humeruskopf
-
Einbringen von sog. Kalkarschrauben bei varisch dislozierten
Frakturen
-
Fixation der Rotatorenmanschette an die Platte mit Nähten
Eine aktuelle prospektive Multicenterstudie der AO zeigt ein sehr gutes
klinisches Gesamtergebnis bei 346 plattenosteosynthetisch versorgten
Patienten. Beim 1-Jahres-Follow-up erreichte der ermittelte, relative
Constant Score Werte zwischen 85 und 87 % [21], [24]. Eine
Pseudarthrosenentwicklung wurde in 5,8 % der Fälle beobachtet. Bemerkenswert
ist die hohe Komplikationsrate von bis zu 45 %. Die hohe Komplikationsrate
wurde in einem systematischen Review von 791 Humeruskopffrakturen von
Thanasas et al. bestätigt. Osteonekrosen traten bei 7,9 % der Fälle auf, die
Rate für ein Durchschneiden der Schrauben lag bei 11,6 %, Reoperationen
waren bei 13,7 % der Patienten notwendig [25].
Eine Komplikationsanalyse zeigte, dass in der Mehrzahl der Fälle vermeidbare
Fehler wie eine falsche Plattenpositionierung vorlagen. Um diese Fehler zu
vermeiden, wird eine konsequente intraoperative Röntgenkontrolle, ggf. auch
unter Durchleuchtung empfohlen. Eine von Lanting et al. publizierte
Metaanalyse von 66 Studien und 2155 eingeschlossenen Frakturen zeigt, dass
die winkelstabile Plattenosteosynthese bei der Versorgung von 3- und
4-Part-Frakturen der proximalen Humerusnagelosteosynthese überlegen ist
[23].
Wie bereits erwähnt, neigen varisch dislozierte 4-Part-Humeruskopffrakturen
mit medialer Trümmerzone zu Komplikationen, insbesondere zu einem sekundären
Varuskollaps. In diesen Fällen muss der proximale Humerus möglichst
anatomisch reponiert und dabei der Varus exakt korrigiert werden. Wenn
irgend möglich, sollte zusätzlich der Kalkar wieder restauriert werden.
Mittlerweile gilt es als erwiesen, dass eine persistierende
Varusfehlstellung von 120° einen signifikanter Risikofaktor für einen
sekundären Varuskollaps darstellt, der wiederum mit einem konsekutiven
Durchschneiden der Schrauben verbunden ist [26].
Die mediale Säule des Humeruskopfs sollte durch eine aufsteigende
Kalkarschraube und eine leichte Impaktion gestützt werden. Bei
medialseitiger Trümmerzone kann auch die Transplantation eines Fibulagrafts
hilfreich sein. Die Verwendung von Knochenersatzstoffen in großer Menge
bringt anscheinend aufgrund einer fehlenden Einheilung keine Vorteile. Sie
kann eine sekundäre, varische Abkippung nicht vermeiden. Krappinger et al.
definierten diverse prognostische Faktoren, die das Versagen einer
Plattenosteosynthese voraussagen können. Hierzu zählen ein Patientenalter
> 63 Jahre, eine geringe Knochendichte < 95 mg/ccm, keine korrekte
anatomische Reposition des proximalen Humerus und das Ausbleiben der
medialen Kalkarrekonstruktion [27]. Ähnliche
prognostische Faktoren wurden von Südkamp et al. nach Analyse der
funktionellen 1-Jahres-Ergebnisse von 463 proximalen Humerusfrakturen im
Rahmen einer Pathway-Analyse detektiert [28].
Frakturprothesen
Indikation
Die Indikation zur Frakturprothese ist abhängig von operateur- und
patienten-spezifischen Faktoren. Während die Entscheidung aufseiten des
Operateurs von dessen persönlicher Erfahrung, seinem Geschick, der auf
Evidenz basierenden Datenlage und der vorhandenen Logistik abhängt,
beeinflussen vonseiten des Patienten dessen Persönlichkeit und
Begleiterkrankungen die Indikationsfindung. Von besonderer Bedeutung sind
darüber hinaus das Frakturmuster, die lokale Knochensituation und die
Durchblutung.
Die Indikation zur Frakturprothese erscheint dann sinnvoll, wenn eine
stabile Osteosynthese entweder aufgrund des Frakturmusters oder aber
aufgrund einer stark osteoporotischen Knochendichte nicht mehr erreicht
werden kann.
Die Knochendichte kann hierbei durch eine präoperative Computertomografie
[29] oder Messung der metaphysären
Kortexdicke im konventionellen Röntgenbild abgeschätzt werden. Beträgt die
mediale und laterale Kortexdicke zusammen unter 4 mm, so ist von einer
schweren Osteoporose auszugehen [30].
Head-Split-Frakturen sowie Frakturimpressionen mit Beteiligung von über 40 %
der Humeruskopfoberfläche werden bei älteren Patienten ebenfalls bevorzugt
mit einer Frakturprothese versorgt. Bei jüngeren Patienten sollte die
Indikation wesentlich strenger gestellt werden, da sich die sekundäre
Frakturprothese als prognostisch günstiger erweist. Die Beurteilung einer
Humeruskopfischämie muss ebenfalls differenziert betrachtet werden, da ihre
Wahrscheinlichkeit zwar anhand der von Hertel aufgestellten Prädiktoren
abgeschätzt [7], die Entwicklung einer daraus
resultierenden avaskulären Humeruskopfnekrose jedoch nicht endgültig
vorhergesagt werden kann [31]. Zudem wird nicht
jede Humeruskopfnekrose klinisch relevant.
Besteht neben einer knöchernen Läsion zudem eine massive
Rotatorenmanschettenruptur oder lag bereits zum Zeitpunkt des Traumas eine
Cuff-Arthropathie vor, besteht die Indikation zur Implantation einer
inversen Schulterprothese. Zur Diskussion steht zudem, inverse
Schulterprothesen generell bei Patienten ab dem 75. Lebensjahr zu
implantieren. Hintergrund ist hierbei das mit dem Alter ansteigende Risiko
für eine sekundäre Rotatorenmanschetteninsuffizienz infolge Dislokation oder
Resorption der Tuberkel.
Lagerung
Zugang
Besondere Risiken
-
sekundäre Dislokation sowie Resorption der Tuberkel
-
Fehlimplantation (Retrotorsion, Höhe)
-
falsche Prothesengröße (z. B. Overstuffing)
-
Nervenverletzung (v. a. Affektion des N. axillaris)
-
Infektion
Abb. 3 Hochgradig dislozierte 4-Part-Humeruskopffraktur bei einer
86-jährigen Patientin nach häuslichen Sturz. Es erfolgte die Versorgung
mittels anatomischer Frakturprothese (Epoca®).
Ergebnisse
Die prothetische Frakturversorgung ermöglicht gute klinische Ergebnisse in
Bezug auf Schmerzreduktion und Funktionalität. Hertel et al. beobachten
einen durchschnittlichen Constant Score von 70/100 Punkten [31]. Demgegenüber beschreiben andere Autoren
schlechtere Ergebnisse mit durchschnittlichen Constant Scores zwischen
41/100 und 64/100 Punkten [32]. Von zentraler
Bedeutung für ein gutes Ergebnis ist das anatomische Einheilen der Tuberkel.
Vor allem bei älteren Patienten zeigt sich häufig eine sekundäre Dislokation
oder Resorption der Tuberkel [33], [34], [35]. Um das
Risiko dafür zu minimieren, ist es entscheidend, die Prothese anatomisch zu
implantieren, jegliches Overstuffing zu vermeiden und die Tuberkel
anatomisch zu reponieren. Zudem wird eine autologe Knochentransplantation
empfohlen. Um eine stabile Fixation zu ermöglichen, empfehlen sich
Drahtkabel, die im Vergleich zu Fadenfixationen eine nachgewiesen 5-mal
stabilere Fixation ermöglichen.
Da es bei Implantation der inversen Frakturprothese zu einer Vergrößerung des
Hebelarms des Deltamuskels kommt und mehr Muskelanteile für die Abduktion
rekrutiert werden können, scheint das Outcome dieses Verfahrens auf den
ersten Blick unabhängig vom Einwachsen der Tuberkel zu sein.
Jedoch ist ebenfalls ein korrektes Einheilen der Tuberkel notwendig, um
somit zentrale Innen- und Außenrotationsbewegungen des Alltags zu
gewährleisten.
Mittels inverser Schulterprothese können durchschnittliche Constant Scores
von 53/100 bis 68/100 Punkte erreicht werden [36], [37]. 2009 verglichen Gallinet et
al. inverse und anatomische Frakturprothesen im Rahmen einer
Matched-Pair-Studie [38]. Hierbei zeigten die
Patienten mit inversen Frakturprothesen bessere Ergebnisse in Bezug auf
Abduktion, Anteversion und den erreichten Constant Score (53/100 vs. 39/100
Punkte). Demgegenüber stand eine bessere Rotationsbeweglichkeit der
anatomischen Frakturprothesen. Der DASH-Score war in beiden Gruppen
vergleichbar. Die beobachteten Komplikationen unterschieden sich signifikant
in beiden Gruppen. Die Hauptkomplikation der anatomischen Frakturprothese
war mit 17,6 % der Fälle ein nicht anatomisches Einheilen der Tuberkel.
Demgegenüber stellte das inferiore glenoidale Notching mit 93,7 % die
Komplikation Nummer 1 der inversen Frakturprothese dar. Aktuelle von Favard
et al. publizierte Daten zeigen, dass inverse Frakturprothesen insbesondere
bei Patienten unter 75 Jahren zurückhaltend indiziert werden sollten [39], [40], [41]. Zwar werden 10-Jahres-Überlebensraten von
89 % beschrieben, jedoch zeigen 72 % der Patienten zu diesem Zeitpunkt einen
Constant Score von 30/100 Punkten oder weniger [42]. Dies ist wahrscheinlich auf eine sekundäre Schwäche des M.
deltoideus und/oder eine durch Polyethylenabrieb induzierte chronische
Entzündungsreaktion zurückzuführen.