Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2012; 19(05): 211
DOI: 10.1055/s-0032-1329477
Editorial
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Grenzen überschreiten

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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
19. Oktober 2012 (online)

 
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    Oliver Ullrich

    Liebe Kolleginnen und Kollegen,

    medizinische Betreuung im Ausland stellt sehr komplexe Anforderungen an Logistik und Organisation, die neben den eigentlichen medizinischen Aufgaben einen bedeutenden Einfluss auf den Verlauf und die Behandlung haben können (S. 218–220). Koordiniertes grenzüberschreitendes Handeln ist hier unabdingbar, fachlich wie logistisch. Ganz andere Grenzen überschreiten Algentoxine: Sie finden ihren Weg über Muscheln und Fische in den Menschen, wo sie zu schweren Vergiftungen führen können (S. 240–243).

    Schwerpunkt dieser Ausgabe ist die Raumfahrtmedizin. Langzeitmissionen fordern die menschlichen Adaptationsmechanismen heraus (S. 254–256) und überschreiten jede bisher bekannte Grenze des menschlichen Erfahrungshorizontes. Das mikrobielle Milieu an Bord von Raumfahrzeugen stellt für das geschwächte Immunsystem der Crew eine besondere Gefahr dar (S. 222–226) und auf Zellebene liegende Ursachen des Immunproblems von Astronauten können mit einer neuen Forschungsplattform an Bord eines F-5E Tiger Kampfjets untersucht werden (S. 234–238). Auch die Sport- und Bewegungswissenschaften stehen bei Langzeitmissionen vor ganz neuen Aufgaben (S. 228–233).

    Raumfahrtmedizinische Forschung ist Grundlagenforschung. Denn sie versucht zu verstehen, wie die Schwerkraft Bau und Funktion des menschlichen Körpers determiniert. Raumfahrtmedizinische Forschung ist auch angewandte Forschung. Denn sie bemüht sich um eine Einschätzung der Risiken eines Raumfluges und die Entwicklung spezifischer Gegenmaßnahmen.

    Immer wieder wird der bemannten Raumfahrt vorgehalten, ihr Nutzen stehe in keinem Verhältnis zu den Kosten und dem Aufwand. Investitionen in die Zukunft rechnen sich aber nun einmal erst in der Zukunft, und nicht in der Gegenwart. In der gesamten Geschichte von Wissenschaft und Technik war es immer ein unsicheres, teilweise vermessenes Unterfangen, Prognosen über die Zukunft abzugeben.

    Brauchen wir Astronauten? Die größten Entdeckungen der Menschheitsgeschichte wurden von Menschen gemacht, nicht von Maschinen. Des Menschen Intelligenz und Kreativität, sein Erfindergeist, seine Neugierde, sein beständiges Suchen nach dem Unbekannten, sein Mut und auch seine Bereitschaft, Gesundheit und Lebens zu riskieren, all diese zutiefst menschlichen Eigenschaften haben uns dahin gebracht, wo wir jetzt sind. Der Mensch möchte weiter fortfahren, zu erkunden und zu entdecken, und neue Technologien zu entwickeln. Das Ende der bemannten Raumfahrt zu fordern, bedeutet, die Brücke zur Zukunft abzubrechen.

    Bemannte Raumfahrt ist in der Lage, das Bewusstsein der Menschen zu verändern. Beim Blick auf diesen wunderschönen, kleinen, blauen und verletzlichen Planeten Erde in der Unendlichkeit des uns umgebenden lebensfeindlichen Weltalls wird uns bewusst, dass alle Menschen eine Heimat teilen. Es gibt keine zweite. Die Grenzen von Kulturen und Nationen werden unwichtig. Dies konnte kaum besser ausgedrückt werden als durch Sultan bin Salman bin Abdulaziz Al Saud, Astronaut der Space-Shuttle-Discovery-Mission STS-51G im Jahre 1985: "The first day we all pointed to our countries. The third or fourth day we were pointing to our continents. By the fifth day, we were aware of only one Earth."

    Ihr

    Prof. Dr. Dr. Oliver Ullrich, Zürich/Magdeburg


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    Oliver Ullrich