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DOI: 10.1055/s-0032-1329636
Rettungswesen – Mit mehr Wettbewerb besser versorgt?
Publication History
Publication Date:
17 October 2012 (online)
- Historisch gewachsene Dominanz
- Rettungsfahrt als "Hoheitliche Aufgabe"
- Verschlungene Pfad zum Geld
- Die Rechtssprechung
- Der Auftraggeber steuert weiterhin über Vergabekriterien
- Ehrenamtliche Helfer "untauglich"
- Fehlende Parameter für die Qualitätsmessung
- Die Hilfsfrist als Qualitätsparameter
- Relevante Daten fehlen
Eine Reihe neuer Gerichtsurteile bringt Bewegung in die Vergabe von Rettungsaufträgen, die bislang meistens fest in der Hand der großen Hilfsorganisationen waren. Ob und welche Auswirkungen das auf die Qualität hat, ist offen.
Ein Krachen, ein Scheppern und hoffentlich nichts Ernstes passiert. Denn zunächst heißt es warten, warten – bis der Rettungswagen kommt. Jeder, der einmal einen Notruf abgesetzt hat, kennt die quälende Situation.
11,4 Millionen Rettungseinsätze im Jahr zählte die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) für 2008 und 2009 hierzulande. Und allein bei den jährlich rund 336.000 Einsätzen zu Verkehrsunfällen dauerte es im Durchschnitt innerhalb von Ortschaften tagsüber 8,8, außerhalb 10,4 Minuten, bis ein Rettungsfahrzeug am Unfallort eintraf.
Folgt man manch Pressemeldung aus der letzten Zeit, drängt sich der Eindruck auf, dass es bald viel länger dauern könnte.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof habe mit seinem Urteil "den Vorrang der Hilfsorganisationen im Rettungswesen gekippt", moniert voller "Sorge" das Deutsche Rote Kreuz am 24. Mai 2012. Damit drohe Kommerz im Rettungswesen. Am Ende könnte dadurch der bislang ehrenamtlich geprägte Katastrophenschutz in Deutschland sogar "zusammenbrechen". Denn private Rettungsdienstunternehmen interessierten sich nur für wirtschaftlich attraktive Ballungsräume, wo doch die Versorgung überall in Deutschland sichergestellt sein müsse.
In der Tat kippten die obersten bayerischen Verfassungshüter an jenem Tag das so genannte Hilfsorganisationenprivileg. Wie in den meisten anderen Bundesländern bekommen bislang die vier großen Hilfsorganisationen – Deutsches Rotes Kreuz (DRK), Johanniter Unfall-Hilfe (JUH), Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), Malteser Hilfsdienst Deutschland (MHD) – auch in Bayern quasi per Gesetz den Zuschlag für die Organisation der "bodengebundenen" Rettungsfahrten. Private Anbieter kommen nur zum Zug, soweit die großen Hilfsorganisationen "zur Übernahme des Auftrags nicht bereit oder in der Lage sind" – beschreibt es der Bayerische Verfassungsgerichtshofs.
Doch die Zeiten dieses Privilegs gehen zu Ende. Denn das sei "mit der Berufsfreiheit anderer privater Rettungsdienstunternehmer unvereinbar…" erklärten die obersten bayerischen Verfassungshüter. Es ist nicht das einzige Urteil seiner Art.
"Ein pauschaler Ausschluss privater Firmen kommt nicht mehr in Frage, die Bundesländer müssen aufgrund mehrerer höchstrichterlicher Gerichtsentscheide jetzt ihre Gesetze anpassen", erklärt auch Michael Kuffer, Jurist bei der Unternehmensberatung KPMG in München. Kuffer sieht Vorteile: "Die juristischen Nebel um die Vergabepraxis im Rettungswesen lichten sich."
Und Sorge hie, Zufriedenheit dort: In manchen Bundesländern sei bereits eine erfreuliche Tendenz zu mehr Transparenz und Wettbewerb bei den Ausschreibungen erkennbar, beobachtet Uwe Fleischer, Präsident des Bundesverband Eigenständiger Rettungsdienste und Katastrophenschutz e. V. (BKS). Wenngleich, leider tauchten ab und an schon neue Formulierungen in den Ausschreibungen auf, nach denen Bewerber Nebenbedingungen erfüllen müssen, zum Beispiel Strukturen für einen Erweiterten Rettungsdienst im Großschadensfall. Fleischer: "Das bevorzugt eben doch wieder die Hilfsorganisationen." Man werde, so der BKS-Chef, dagegen vor den Verwaltungsgerichten klagen.
Keine Frage: In der Branche tobt eine heftige Fehde darum, wer Rettungsfahrten in Zukunft leistet und wer nicht. Ob die je nach Standpunkt gefürchtete oder ersehnte Marktöffnung tatsächlich kommt, ist dabei ebenso offen, wie die Frage, welche Auswirkungen das auf die Qualität der Versorgung haben könnte.
Historisch gewachsene Dominanz
Noch wird der Markt von den großen Hilfsorganisationen dominiert. Das DRK schätzt den Jahresumsatz im bundesdeutschen Rettungswesen auf zwei Milliarden Euro, hält davon nach eigener Kalkulation gut die Hälfte. Weiter hinten folgen Johanniter, ASB, MHD. Den Gesamtumsatz seiner 263 Mitgliedsfirmen bezifferte der BKS in 2010 hingegen auf 380 Millionen Euro. Und während das DRK an die 20.000 haupt- und 180.000 ehrenamtliche Mitarbeiter zählt, verfügen alle Firmen im BKS zusammen über rund 6.000 Mitarbeiter.
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Rettungsfahrt als "Hoheitliche Aufgabe"
Dass es überhaupt solch Streit gibt, liegt an juristischen Besonderheiten des Rettungswesens, die es vom Rest des Gesundheitssystems unterscheidet. Für den Gesetzgeber ist eine Rettungsfahrt keine medizinische Leistung. Das Sozialgesetzbuch V (SGBV) kennt Rettungsdienst nur als einen Posten "Fahrtkosten" und legt fest, dass die Krankenkassen die Bezahlung übernehmen müssen (§60 SGBV).
Doch die Finanziers sind in diesem Fall gar nicht die Organisatoren. Das ist vielmehr der Staat selber – Rettungswesen ist im Juristendeutsch eine "Hoheitliche Aufgabe". "Das Rettungswesen ist juristisch Teil des Sicherheitsrechts und das ist wiederum klassische Angelegenheit der Bundesländer", erklärt Anwalt Kuffer. Damit steht der Rettungsdienst dem Polizeirecht näher als der Behandlung im Krankenhaus oder in der Arztpraxis. Der Staat regelt, wer für die Fahrten zuständig sein soll.
Die Dominanz der Hilfsorganisationen ist vielerorts erst nach dem zweiten Weltkrieg entstanden. "Die Briten haben in ihrer Besatzungszone aufgrund ihrer eigenen Historie die Feuerwehr befördert, die US-Amerikaner eher die Hilfsorganisationen", erläutert Michael Kuffer. Dementsprechend dominierten in den südlichen Bundesländern noch heute besonders die Hilfsorganisationen. In Berlin übernimmt bis heute die Feuerwehr.
Formalisiert wurde das Rettungswesen erst ab der zweiten Hälfte der 1970er Jahre. Von Kiel bis Stuttgart legten die Länder damals in jeweils eigenen Rettungsdienstgesetzen Spielregeln fest. "Die meisten Bundesländer haben dann zusätzlich in den letzten zehn Jahren gesagt, dass es beim Krankentransport, der oft etwas mehr Zeit hat, weiterhin auch Verträge mit Privaten Firmen geben kann", erklärt Kuffer. In der Notfallrettung hingegen, einem besonders sensiblen Bereich, wurden die Privaten quasi per Gesetz ausgeschlossen.
Je nach Sicht entstand so ein "Beispiel für anachronistische Planwirtschaft" (BKS) oder ein "komplexes Hilfeleistungssystem", das eine effektive Versorgung sicherstellt (DRK). Die Details sind in der Tat oft nur schwierig zu überschauen.
Für Baden-Württemberg etwa regelt sie neben dem Gesetz auch noch ein Rettungsdienstplan. Er teilt das Land in 37 Rettungsdienstbereiche, meist decken sich die Grenzen mit denen der Kreise. In jedem Bezirk ist ein Bereichsausschuss zuständig für die konkrete Planung, legt zum Beispiel fest, wo Leitstellen errichtet werden und wie viel Personal dort tätig ist. Zumeist agieren hier heute in integrierten Leitstellen Feuerwehr und Rettungsdienste zusammen. Auch Stuttgart legt aber bislang gesetzlich fest, dass beim Rettungsdienst die großen Hilfsorganisationen vorrangig den Zuschlag erhalten sollen.
Konkret verantwortlich und damit auch zuständig für die Vergabe sind aber in den meisten Bundesländern die Landkreise und kreisfreien Städte. Sie schließen die Verträge für die Rettungsfahrten ab. Nur noch einige Kreise leisten den Rettungsdienst bis heute sogar in Eigenregie.
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Verschlungene Pfad zum Geld
Für die Infrastruktur, für den Bau und Unterhalt von Leitstellen, für den Kauf und Unterhalt von Fahrzeugen, gibt es staatliche Zuschüsse oder gar weitgehende Kostenübernahme. Einzelne Rettungsfahrten werden hingegen fast immer nach Rechnung vergütet. Grundlage ist eine komplizierte Hochrechung für das, was die Vertragspartner in den einzelnen Rettungsdienstbezirken an Gesamtfahrtkosten für das kommende Jahr erwarten. Dieser Plankostenansatz, dividiert durch die Zahl der erwarteten Rettungsfahrten, gibt einen Pauschalpreis, den am Ende die Krankenkassen für die einzelne Fahrt begleichen werden.
Wer einmal den Zuschlag in einem Rettungsdienstbezirk bekommen hat, trägt kaum ein Betriebsrisiko. Denn Abweichungen zwischen der prognostizierten und der tatsächlichen Zahl an Einsätzen und den Kosten werden schlicht ins nächste Jahr geschoben. "Verluste oder Überschüsse werden so mittelfristig ausgeglichen", erläutert Kuffer.
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Die Rechtssprechung
Um dieses wohl austarierte System hat es schon vor dem Machtwort des Bayerischen Verfassungsgerichtshof in den letzten Jahren heftige juristische Scharmützel gegeben. Sie kreisten um zwei Fachbegriffe aus der Verwaltungssprache: Submissions- und Konzessionsmodell.
Vor allem in nördlichen Bundesländern werden die Aufträge bislang meist nach dem Submissionsmodell vergeben. Der Süden – Bayern, Baden-Württemberg, Hessen – setzt hingegen auf das Konzessionsmodell. Der Unterschied: Beim Submissionsmodell schließt die staatliche Stelle Verträge direkt mit den Leistungserbringern, bezahlt auch zunächst dafür, refinanziert sich dann aber bei den Krankenkassen. Beim Konzessionsmodell legen die Konzessionäre ihre Rechnung hingegen direkt den Kassen vor. Der Staat entscheidet nur, wer die Konzession erhält.
Vor allem die EU macht Druck, fordert seit Jahren bei der Vergabe mehr Wettbewerb. Schon 2001 zog der Europäische Gerichtshof (EuGH) erstmals eine Summe von 206.000 Euro als Grenzwert im Submissionsmodell ein. Liegen Aufträge im Rettungswesen darüber, so die EU-Richter damals, müssten sie europaweit ausgeschrieben werden. Und dann gilt, streng genommen, die so genannte Vergabekoordinierungsrichtlinie der EU, deren Ziel der freie Wettbewerb am Markt ist. Doch Papier ist geduldig.
2008 leitete die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein, um zu klären, ob Deutschland beim Submissionsmodell im Rettungswesen womöglich weiterhin gegen diese EU-Richtlinie verstößt. Die Bundesregierung vertrat die Ansicht, dass Rettungsdienst als Hoheitliche Aufgabe nicht unter die Richtlinie fällt. Die Entscheidung des EuGH unter dem Aktenzeichen C-160/08 vom April 2010: Wer mit dem Submissionsmodell arbeitet, muss EU-weit ausschreiben, es gilt das Vergaberecht. Michael Kuffer hat keine Zweifel: "Wer heute im Rettungswesen nach dem Submissionsmodell ausschreibt, muss das EU-weit tun." Eine Möglichkeit dazu bietet die so genannte TED-Datenbank der EU (http://ted.europa.eu/TED/main/HomePage.do).
Andererseits legte der EuGH im März 2011 in einem anderen Streitfall C-274/09 aber auch fest, dass Kommunen den Rettungsdienst nicht ausschreiben müssen, solange sie Aufträge als Dienstleistungskonzession vergeben. Für viele Kommunale Träger sei es generell leichter nach diesem Konzessionsmodell zu arbeiten, meint Kuffer: "Sie sind dabei formal nicht an das kompliziertere Korsett des Vergaberechts gebunden." Allerdings muss es auch hier in Zukunft mehr Transparenz geben. Auch eine Neuvergabe von Konzessionen im Rettungsdienst müssen die Auftraggeber in Zukunft zumindest EU-weit bekannt machen, was zum Beispiel Unternehmen aus Portugal zumindest theoretisch eine Chance gibt, sich um eine Konzession in einem hiesigen Rettungsdienstbereich zu bemühen.
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Der Auftraggeber steuert weiterhin über Vergabekriterien
Womöglich sind diese Urteile für Private Anbieter dennoch nur ein Pyrrhussieg. Denn den Auftraggebern bleibt freigestellt, Kriterien vorzuschreiben, die am Ende weiterhin vor allem die Hilfsorganisationen erfüllen können: Etwa eine Mindestgröße, Mindestanforderungen an die Ausstattung, Präsenz auch in ländlichen Gebieten, nebst ehrenamtlichen Ressourcen für Großschadensereignisse. "Die Auftraggeber können damit über die Vergabekriterien weiterhin dafür sorgen, dass die großen Organisationen den Zuschlag bekämen", erklärt Kuffer, der auch keine Zweifel daran lässt, dass er den Vorrang der Hilfsorganisationen befürwortet: "Es ist für den Staat ein Vorteil, dass er sich hierzulande auch für größere Katastrophenfälle und auch beim erweiterten Rettungsdienst auf gut etablierte Strukturen der Hilfsorganisationen verlassen kann – wenn die fehlen, muss man überall mit hauptamtlichen Kräften nachsteuern und das ist am Ende deutlich teurer."
Anders sieht man das naturgemäß beim BKS. Katastrophenschutz sei zum einen gar kein Alleinstellungsmerkmal für Hilfsorganisationen, in mehreren Bundesländern seien der BKS oder Unterorganisationen auch als Katastrophenschutzorganisation anerkannt, erklärt der Verband in seinen so genannten "Göttinger Positionen" 2011.
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Ehrenamtliche Helfer "untauglich"
Vor allem aber hätten Ehrenamtliche im Medizinischen Rettungswesen, anders als im Katastrophenschutz, gar nichts zu suchen. Uwe Fleischer: "Die Ausbildung eines ehrenamtlichen Rettungssanitäters dauert 48 Stunden, das ist für den rettungsdienstlichen Einsatz völlig untauglich". Im Rettungswesen sei Professionalität entscheidend.
Außerdem bedeute ein Katastrophenfall hierzulande heute zum Glück nur noch sehr selten ein Medizinisches Großschadensereignis – sondern oft eine Naturkatastrophe, wie etwa eine Überschwemmung, wo dann in der Tat auch Feuerwehr und THW nötig seien. Fleischer: "Da sind Ehrenamtliche hochwillkommen und wir wollen ihre Leistung überhaupt nicht schmälern, im medizinischen Rettungswesen aber sind sie fehl am Platz."
Der BKS plädiert deshalb dafür, durch mehr Wettbewerb auch mehr Professionalität und auch Wirtschaftlichkeit in das System zu lassen. Das derzeitige Rettungswesen mit seinen Budgets und theoretisch errechneten Bedarfsplänen böte keinerlei Anreiz zum Ausschöpfen von Wirtschaftlichkeitsreserven. "Inzwischen überzieht ein chaotischer Flickenteppich an Begrifflichkeiten, Hilfsfristen, Einsatzstrategien, Qualifikationsanforderungen und Systemen die Rettungsdienstlandschaft der Bundesrepublik Deutschland", erklärt der BKS. Nur eines sei in allen Bundesländern gleich. Fleischer: "Die Patienten spielen lediglich eine untergeordnete Rolle."
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Fehlende Parameter für die Qualitätsmessung
Womöglich überdeckt der Streit um die Vergabepraxis im Rettungswesen am Ende die Suche nach mehr Qualität der Versorgung aber mehr, als er sie fördert.
"Der Patient muss im Mittelpunkt stehen", mahnt Dr. Christoph Wölfl, stellvertretender Vorsitzender bei der Sektion Notfall- und Intensivmedizin, Schwerverletztenversorgung bei der DGU. Dabei sei ihm bei der Gleichsetzung Wettbewerb und Qualität "nicht geheuer". Wölfl: "Es muss viel mehr professionelles Handeln erreicht werden – egal, wer dann die Qualität bietet." Wichtig sei, dass Mitarbeiter gut ausgebildet und ausgerüstet sind, wichtig sei ein internes und externes Qualitätsmanagement mit Komponenten wie einem Crew-Ressources-Management (CRM) und Critical Incident Reporting (CIRS). Wölfl: "Solche Qualitätsmerkmale müssen bei Ausschreibungen angesetzt werden und wer dann diese Standards erreicht, kann mitmachen." Dass eine größere Anzahl von Rettungsdienstleistern im System alleine nicht automatisch verbesserte Versorgung bedeute, verstünde sich hingegen von selbst.
Die großen Hilfsorganisationen machten einen guten Job und die Qualität der präklinischen Versorgung in Deutschland sei hoch, meint Professor Sascha Flohé vom Universitätklinikum Düsseldorf. Diese Qualität könnten Private Träger sicher auch erbringen, doch sieht Flohé keinen Grund durch Konkurrenz die Qualität zu erhöhen. Aus medizinischer Sicht der Unfallchirurgen sei vor allem eine standardisierte Ausbildung auch für das schwere Trauma wichtig. Flohé: "Da gibt es viele teilweise auch zertifizierte Kurse wie zum Beispiel PHTSL."
Und dennoch gibt es eine Reihe von Aspekten, wo die Qualitätssicherung im Rettungswesen weit hinter der in Arztpraxis und Krankenhaus hinterherhinkt. Erst in Ansätzen werden überhaupt Qualitätsparameter erfasst und veröffentlicht.
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Die Hilfsfrist als Qualitätsparameter
Noch am bekanntesten ist die Hilfsfrist – in der Regel definiert als die Zeit zwischen Absetzen eines Notrufs und dem Eintreffen eines Rettungsfahrzeugs am Ort des Geschehens. Jedes Bundesland hat seine eigenen Werte im jeweiligen Rettungsdienstgesetz fixiert: NRW fordert 5–8 Minuten in Zentren, 12 Minuten im ländlichen Raum, Mecklenburg-Vorpommern fordert 10 Minuten im Jahresdurchschnitt. Baden-Württemberg verlangt 10 bis 15 Minuten.
Erst seit kurzem gibt es aber etwa im Südwesten überhaupt öffentlich zugängliche Zahlen. 2009 beschloss der Landesausschuss für den Rettungsdienst in Baden-Württemberg erstmals eine umfassende Qualitätssicherung. Prompt beeilten sich DRK; ASB, Johanniter und Malteser Mitte 2010 einen Qualitätsbericht für 2009 vorzulegen. Der fokussiert auf die Hilfsfrist, die für den Einsatz von Rettungswagen in 2009 auch den Vorgaben genügte: 95 Prozent aller Fahrten hielten die geforderte Frist von maximal 10 Minuten ein. Bei der "notärztlichen Hilfsfrist" (maximal 15 Minuten für das Eintreffen eines Notarztes am Ort) schafften den Wert hingegen nur 4 von 37 Rettungsdienstbereichen. Immerhin registriert das Stuttgarter Innenministerium für 2011 "Verbesserungen". Zufrieden könne man damit nicht sein, solange die Fristen nicht überall eingehalten würden, so das Ministerium .
Auch zeigen sich schon bei den unterschiedlichen Definitionen die Probleme der föderalen Regelung. "Es gibt einzelne Bundesländer, die schreiben sich ganz schlanke Hilfszeiten von acht Minuten in ihr Gesetz, was natürlich entsprechend teuer wird", erklärt Michael Kuffer. Letzten Endes finanzierten dann alle Bundesländer den Luxus einzelner Länder bei den Hilfsfristen eben über die GKV mit.
Vor allem aber: Alleine für sich reicht dieser Parameter kaum aus, um die Qualität der Versorgung zu messen. Bei Verkehrsunfällen etwa scheint die Hilfsfrist alleine keine valide Größe, um Qualität zu bewerten.
Das deuten neue Ergebnisse des Traumaregisters der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie aus diesem Jahr an. Ausgewertet wurden dafür die Daten von 20.078 Patienten, die zwischen 1999 und 2008 binnen drei Stunden nach einem Unfall lebend in einer der 139 bei dieser Auswertung berücksichtigten Kliniken ankam. Das Ergebnis: Rund 85 Prozent der Betroffenen überlebte – und zwar völlig unabhängig davon, ob jemand binnen 30 Minuten oder erst nach eineinhalb Stunden im Krankenhaus eingetroffen war. Das bleibt nur schwer interpretierbar.
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Relevante Daten fehlen
Ein großer Haken ist die sehr wackelige Datenbasis. Zum einen kann das DGU-Register die Werte zur Rettungszeit nur mühsam indirekt anhand der Angaben erfassen, die meistens die einliefernden Notärzte in der Klinik machen. "Wir sind auf die Qualität dessen angewiesen, was die Ärzte schreiben", berichtet Ulrike Nienaber, zuständig für Datenqualität im DGU-Traumaregister. Meist folgen die Angaben der Ärzte bereits einem ersten "Standard", dem Notarztprotokoll der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Es gebe aber, so Nienaber, durchaus auch noch schlichte Handzettel.
Wenn Angaben zum Patienten fehlen, versuchen Register-Mitarbeiter nachzurecherchieren. Nienaber: "Mitunter kann der Unfallzeitpunkt aber auch nur geschätzt werden, und meistens erfahren wir auch nicht, ob es eine technische Rettung gab." So gern die Statistiker des Registers ihn hätten – ein Datenaustausch mit der Leitstelle, wo genauere Angaben sofort zu haben wären, ist ihnen dafür untersagt. Nienaber: "Das ist falsch verstandener Datenschutz und eine Katastrophe, denn unsere Statistiken könnten den Menschen viel besser helfen, wenn wir die gesamte Rettungskette abbilden könnten."
Obendrein kann das Register eine sichere Aussage über die Rolle der Rettungszeit für das Überleben eines Verkehrsopfers deshalb nicht leisten, weil es nur die Daten jener Verkehrsopfer erhält, die noch lebend in der Klinik ankommen. Professor Rolf Lefering, der an der Uni Witten / Herdecke Daten des Registers auswertet: "Für weitergehende Aussagen über die Qualität im Rettungsdienst bräuchten wir Daten von einem gesamten Kollektiv aller Unfallopfer."
Viele Schlüsselfragen zur optimalen Versorgung im Rettungswesen sind mangels Daten offen. Systematische externe Qualitätssicherung finde bislang kaum statt, meint auch der Rettungsassistent Marco Schmolinske aus Hamburg, der die Sachlage in einer Bachelor-Arbeit zusammengestellt hat (Siehe Links in der Online-Ausgabe).
Nur einige Bundesländer machten bislang überhaupt stringentere Vorgaben zur Einführung von Qualitätsmanagementsystemen und zur Qualitätssicherung. Doch Prozessqualität werde dabei kaum gemessen. "Mit der Hilfsfrist wird zum Beispiel überprüft, wann ein Fahrzeug vor Ort ist", erklärt Schmolinske. Doch was dann dort passiert, bleibe weitgehend unbekannt: "Für das bestehende Qualitätsmanagement bleibt die medizinische Versorgung vor Ort im Ergebnis oft eine Black-Box." In Baden-Württemberg hat jetzt eine "Stelle zur trägerübergreifenden Qualitätssicherung im Rettungsdienst (SQE-BW)" vom Landesausschuss für das Rettungswesen den Job bekommen, neue Qualitäts-Indikatoren zu entwickeln. Hamburg und Berlin, so Schmolinske, hätten hingegen noch nicht einmal Vorgaben zur Dokumentation. Die "Zersplitterung der Trägerverantwortung" sei ein weiteres Problem für Qualitätsmanagement, so seine Analyse. Am Ende würden die Rettungsdienste bei der Qualitätssicherung von Staat und Trägern weitestgehend sich selber überlassen.
Eine alte Forderung erlebt daher gerade eine gewisse Renaissance: Den Rettungsdienst als eigenständige medizinische Leistung im SGBV verankern. So fordern es seit Jahren viele Hilfsorganisationen, die Bundesarbeitsgemeinschaft Notärzte Deutschlands (BAND) und auch die Gesundheitsminister der Länder. Dadurch würde es auf einen Streich möglich, bundesweit einheitliche Qualitätsvorgaben im Rettungswesen einzuziehen, wie bei Arztpraxis und Krankenhaus heute schon der Fall.
Doch mancher sieht auch genau in der anderen Richtung eine bessere Lösung. Die artifizielle Trennung in Finanziers, alias Kassen, und in Qualitätskontrolleure, alias am Ende die kommunalen Behörden, stört auch Michael Kuffer. Sein Diskussionsvorschlag: Darüber nachdenken, das Rettungswesen nicht mehr über die Krankenversicherung sondern über eine Steuer zu finanzieren – eine eigene Landessteuer. Kuffer: "Als guter Föderalist finde ich, auch so wären Finanzierung und Qualitätskontrolle wieder in einer Hand."
Bernhard Epping (BE)
wikipedia-Einstiegsseite zum Rettungsdienst:
http://de.wikipedia.org/wiki/Portal:Rettungsdienst
Beispielhaft für die Strukturen im Rettungswesen die des Landes Baden-Württemberg: Einstiegsseite dafür beim Stuttgarter Innenministerium:
http://www.innenministerium.baden-wuerttemberg.de/de/Rettungsdienst_in_Baden-Wuerttemberg/259552.html
Dort auch links zum Rettungsdienstgesetz und Rettungsplan Stelle zur trägerübergreifenden Qualitätssicherung im Rettungsdienst Baden-Württemberg:
http://www.sqrbw.de/710.php
Qualitätsbericht Rettungsdienst Baden-Württemberg 2009
http://www.asb-bw.de/index.php?option=com_content&view=article&id=109:qualitaetsbericht-rettungsdienst-2009-&catid=1&Itemid=50
Die Urteile:
Das Urteil des bayerischen Verfassungsgerichtshofs:
http://www.bayern.verfassungsgerichtshof.de/1-VII-10-Presse-Entscheidung.htm
Übersicht zur Rechtsprechung, vor allem des EuGH:
http://www.vergabeblog.de/serie-vergabe-von-rettungsdienstleistungen/
Organisationen
Der BKS-Rettungsdienst zum Rettungswesen in der Bundesrepublik:
http://www.bks-rettungsdienst.de/profil/geschichte-und-gegenwart/
Göttinger Erklärung des BKS:
http://www.skverlag.de/fileadmin/images_content/zeitschriften/rettungsdienst/bks_goettinger_positionen_lo.pdf
Weitere Publikationen
Bachelor-Thesis Marco Schmolinske:
http://www.forschungsdatenbank-rettungswesen.org/component/option,com_docman/Itemid,101/task,doc_view/gid,17/
Kleber et al, 2012
Aktuelle Zahlen des Traumaregisters der DGU zur Hilfsfrist (kostenpflichtig, Publikation bei Sprinter)
http://www.springerlink.com/content/x48277q17244m238/
Älteres Summary vom DKOU 2011 der gleichen Gruppe:
http://www.egms.de/static/en/meetings/dkou2011/11dkou382.shtml
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