Key words
knee - patella - dislocation - MRI
Terminologie
Die Luxation der Patella bedeutet ein Herausgleiten der Kniescheibe aus der trochlearen Führung und ist durch einen vollständigen Kontaktverlust der patellofemoralen Gelenkflächen definiert [1]. Eine spontane Reposition kann unmittelbar nach dem Ereignis durch Streckung des Beines erfolgen oder bei fixierter Luxation durch manuelle Verfahren im Rahmen der Erstbehandlung erreicht werden. Bei der Subluxation der Patella ist die Kniescheibe nicht mehr im Sulkus der Trochlea zentriert, sondern lateralisiert und überragt mit ihrer Außenkante deutlich die Trochleafacette. Die patellofemorale Instabilität ist der allgemeine Oberbegriff für Patellaluxation und -subluxation. Die akute Patellaluxation bezeichnet meist das Erstereignis, wobei eine Zweitluxation oder weitere Ereignisse als rezidivierende Luxationen bezeichnet werden [2]. Eine chronische Luxation oder chronische patellofemorale Instabilität ist nicht klar definiert, bezeichnet aber in der Regel permanentes Maltracking mit Subluxationen bis hin zu permanenter Luxationsstellung [1]
[3].
Am häufigsten liegen habituelle Luxationen vor, bei denen zugrunde liegende Anlagevarianten die Luxation begünstigen und meist lediglich ein Bagatelltrauma zum Herausspringen der Kniescheibe führt [1]
[2]. Bei den rein traumatischen Luxationen wird das Herausspringen primär durch eine signifikante Krafteinwirkung erklärt (z. B. direkter Schlag gegen die Patella), weswegen in solchen Fällen keine anatomischen Risikofaktoren vorliegen müssen. In der MR-Diagnostik kaum vertretene Varianten sind die kongenitale oder neurogene Patellaluxation.
Epidemiologie
Die Inzidenz von akuten Luxationen der Patella wird je nach Studie mit 6 – 77 pro 100 000 angegeben [4]
[5]
[6]
[7]. Das Durchschnittsalter liegt bei ungefähr 20 Jahren [8]. Häufig sind junge und aktive Frauen betroffen, wobei zwei Drittel der Erstluxationen beim Sport stattfinden [5]. Insbesondere im Jugendalter weisen Frauen ein um ein Drittel höheres Risiko für Patellaluxationen auf als Männer [5]. Die erstmalige Luxation kann bei vielen Patienten beträchtliche Konsequenzen nach sich ziehen, nicht nur durch die resultierenden Kniebinnenschäden, sondern auch durch weitere Luxationen. In der Erholungsphase ist die Beweglichkeit deutlich eingeschränkt und ein anteriorer Knieschmerz kann bestehen bleiben [4]
[9]. Etwa die Hälfte der Patienten wird ein zweites Luxationsergeignis erleiden, da der Kapsel-Band-Apparat insuffizient ist [5]
[10]. Konsekutive, rezidivierende Luxationen und eine chronische patellofemorale Instabilität prädisponieren zu früher patellofemoraler Arthrose, wodurch die Lebensqualität erheblich eingeschränkt sein kann [11]
[12]
[13].
Ätiologie
Die Entstehung einer patellofemoralen Instabilität ist nicht vollständig geklärt und wird trotz zahlreicher Publikationen nach wie vor kontrovers diskutiert. Im Normalfall wird das Patellofemoralgelenk durch statische (Trochlea), aktive (Muskeln, z. B. M. vastus medialis obliquus) und passive (Bänder, z. B. Retinakula) Stabilisatoren geführt, wodurch die Patella während Kniebeugung regelrecht mit dem ossären Gleitlager der Trochlea artikuliert. Die Erstluxation findet beim überwiegenden Teil der Patienten im Rahmen von sportlichen Aktivitäten durch Innenrotation des am Boden fixierten Beines und entsprechenden Valgusstress des Kniegelenks statt. Durch einen resultierenden Kraftvektor nach lateral springt die Patella aus dem Gleitlager und prallt gegen die Außenseite des lateralen Femurkondylus. Häufig zerreißt dabei das mediale patellofemorale Ligament (MPFL), das einen Teil des medialen Retinakulum darstellt und ein ausschlaggebender ligamentärer Stabilisator der Patella ist. Bei inadäquater Behandlung des rupturierten Bandes kann das MPFL narbig heilen, ohne die initial stabilisierende Funktion wiedererlangen zu können, wodurch eine chronische patellofemorale Instabilität begünstigt wird.
Risikofaktoren
Es sind unterschiedliche anatomische Risikofaktoren bekannt, die eine patellofemorale Instabilität begünstigen können und die Wahrscheinlichkeit von Folgeluxationen erhöhen. Zu den wichtigsten Risikofaktoren zählen die Trochleadysplasie, die Patella alta und ein pathologischer TT-TG-Abstand, wobei ein breites Ausprägungsspektrum dieser Varianten besteht [14]. Dies reicht vom Fehlen jeglicher Risikofaktoren bis zum Vorliegen von einem oder auch mehreren Risikofaktoren [15]. Es ist daher sinnvoll, diese 3 anatomischen Parameter im radiologischen Befund zu quantifizieren, da ihr Vorhandensein direkten Einfluss auf die Wahl der optimalen Therapie hat ([Tab. 1]).
Tab. 1
Übersicht Patellaluxation.
Risikofaktoren
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Trochleardysplasie
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morphologische Einteilung Dejour-Klassifikation (A–D) ([Abb. 1])
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quantitative Bestimmung ([Abb. 2]):
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Trochleartiefe Grenzwert < 3 mm
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Trochlear-Facetten-Asymmetrie-Grenzwert < 40 %
-
Laterale-Trochlear-Inklination-Grenzwert < 11°
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Patella alta
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Insall-Salvati-Index Grenzwert > 1,3 ([Abb. 3])
Canton-Duchamps-Index Grenzwert > 1,2
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TT-TG
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normal bis 15 mm ([Abb. 4])
grenzwertig 15 – 20 mm
pathologisch > 20 mm
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Folgeschäden
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+++
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Kontusionsödeme der medialen Patella und des lateralen Femurkondylus
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+++
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Ruptur oder Teilruptur des MPFL
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+++
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osteochondrale Fraktur der inferomedialen Patella
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++
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osteochondrale Fraktur des lateralen Femurkondylus
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++
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Knorpelschaden der zentralen Patella
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+
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Knorpelschaden der lateralen Patella und der Trochlea
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+
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Patellofemoralarthrose
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Trochleadysplasie
Die Trochleadysplasie gilt als eine der wichtigsten anatomischen Anlagestörungen, die eine patellofemorale Instabilität begünstigen [16]
[17]
[18]
[19]
[20]
[21]
[22]. Da sie in bis zu 93 % der Fälle bilateral auftritt, gehen Dejour et al. von einer konstitutionellen Abnormalität aus [18]. Insgesamt ist die trochleare Gelenkfläche abgeflacht, sodass vor allem in strecknaher Position kein zentriertes Eintreten der Patella in den Sulcus trochlearis erfolgen kann und eine sichere ossäre Stabilisierung des Gleitvorgangs nicht mehr gewährleistet ist. Dadurch lateralisiert die Patella bereits bei Beginn der Flexion und eine Luxation wird begünstigt. Bei hochgradiger Dysplasie kann die Trochlea vollkommen horizontal ohne Vertiefung oder gar nach außen konvex konfiguriert sein.
Klassische Zeichen der Trochleadysplasie in axial aquirierten Sulkus-Projektionsaufnahmen bestehen bei fast allen Luxationspatienten: eine Abflachung der Trochlea und ein hoher Sulkuswinkel > 145° sowie der an der proximalen Trochlea zu beobachtende Buckel und das „crossing sign“, das durch eine Überlagerung der unterschiedlich hohen medial und lateralen Trochleakanten im Seitbild entsteht [18]. In der klinischen Praxis hat sich insbesondere in unfallchirurgischen/orthopädischen Abteilungen die qualitative Einteilung der Trochleadysplasie in 4 Gruppen nach der Klassifikation von Dejour durchgesetzt [23]. Die ursprünglich anhand von konventionellen Aufnahmen vorgenommene Klassifikation ist auch auf axiale MRT-Bilder übertragbar [24] ([Abb. 1]).
Abb. 1 Einteilung der Trochleadysplasie nach Dejour in 4 Grade A–D. Typ A: Verminderte Sulkustiefe. Typ B: Horizontale Trochlea. Typ C: Asymmetrie der Facetten, ansteigender lateraler Fenurkondylus. Typ D: Typ B + C und buckelartige Vorwölbung der zentralen Trochlea.
Bezüglich quantitativer Messmethoden zur Diagnostik der Trochleadysplasie kann in axialen MR-Bildern mit hoher Genauigkeit die Einstellung des Gelenkknorpels des femoralen Sulkus als eigentlich relevante Gelenkfläche vermessen werden [14]
[21].
In einer Vielzahl von MRT-basierten Studien wurde die Trochleadysplasie von Luxationspatienten ausgewertet [16]
[17]
[19]
[20]
[21]
[22]
[25]
[26]. Empfehlenswerte, standardisierte Messparameter mit hoher diagnostischer Genauigkeit sind die Trochleatiefe und die Trochlear-Facetten-Asymmetrie (beide Sensitivität 100 %, Spezifität 96 %) [21] ([Abb. 2]). Für beide Messtechniken wird eine axiale Schicht ca. 3 cm oberhalb des Gelenkspalts ausgewählt, auf der trochlearer Gelenkknorpel abgebildet sein muss. Je nach Länge der Trochlea und Schichtdicke muss gegebenenfalls eine benachbart gelegene Schicht verwendet werden, generell sollte die erste Schicht gewählt werden, auf der die Trochlea mit Knorpel bedeckt ist. Für die Trochleatiefe wird an der Oberfläche des Knorpels der tiefste Punkt des Sulkus vermessen. Messwerte von 3 mm oder weniger bedeuten eine Dysplasie. Für die Trochlear-Facetten-Asymmetrie wird die Ratio aus Breite der medialen und lateralen Trochleafacette vermessen – bei einer Ratio von < 40 % liegt eine Trochleadysplasie vor. Des Weiteren kann noch die Laterale-Trochlear-Inklination bestimmt werden. Sie ist als der Winkel zwischen dem subchondralen Knochen der lateralen Trochleafacette und einer Linie entlang der Rückfläche der Femurkondylen definiert ([Abb. 2]). Der Grenzwert für eine Trochleadysplasie ist < 11° (Sensitivität 93 %, Spezifität 87 %) [17]. Bei hochgradiger Dysplasie ist kein Sulcus trochlearis ausgebildet, wodurch die Vermessung der Parameter erschwert werden kann. Insbesondere in solchen Fällen ist für den radiologischen Befund eine morphologische Einteilung anhand der Dejour-Klassifikation sinnvoll. Vor allem geringgradige Dysplasien können auch bei Individuen ohne primäre patellofemorale Instabilität vorkommen [16]
[19]
[20]
[21]. Kommt es jedoch durch ein Trauma zu einer Luxation, bieten die Bänder keine ausreichende Stabilisierung mehr, wodurch auch unter diesen Umständen eine chronische Instabilität resultieren kann.
Abb. 2 Messparameter Trochleadysplasie. Vermessung von 3 Parametern zur Evaluation der Trochleadysplasie bei einem Patienten ohne Dysplasie (I) und einem Patienten mit Dysplasie (II). Trochleartiefe vom Mittelwert der Abstände der medialen (a) und lateralen (c) Trochleafacette zur dorsalen Femurkondylenebene (g) wird der Abstand des Sulcus (b) subtrahiert = (a + c)/2 – b. Grenzwert ≤ 3 mm. Trochlear-Facetten-Asymmetrie-Verhältnis der Länge der medialen Trochleafacette (d) geteilt durch die Länge der lateralen Trochleafacette (e) in Prozent = d/e – 100 %. Grenzwert ≤ 40 % Laterale-Trochlear-Inklination-Winkel zwischen einer Linie entlang des subchondralen Knochens der lateralen Trochlea (f) und der dorsalen Femurkondylenebene (g). Grenzwert < 11°.
Patella alta
Die hochstehende Patella ist ein weiterer anatomischer Risikofaktor, der mit rezidivierenden Patellaluxationen in Zusammenhang gebracht wird [15]
[16]
[18]
[19]
[20]
[27]
[28]
[29]
[30]. Im Normalfall befindet sich die Patella beim gestreckten Bein oberhalb der Trochlea und wird erst bei zunehmender Beugung durch das Trochleazentrum gesichert [31]. Ist der Abstand pathologisch vergrößert, so folgt eine verspätete Artikulation der Gelenkflächen und dadurch verminderte ossäre Führung. Je nach Studie weist bis zu der Hälfte der Patienten nach akuter Patellaluxation im MRT eine Patella alta auf, wobei aber auch bei 10 – 23 % von Normalkollektiven pathologische Werte gemessen werden [15]
[16]
[19].
Es sind zahlreiche Methoden zur Vermessung des Abstands der Patella zum Tibiaplateau bekannt, die jeweils spezifische Vor- und Nachteile aufweisen. In der klinischen Praxis haben sich für die Auswertung an sagittalen MRT-Bildern der Insall-Salvati-Index und der Canton-Duchamps-Index etabliert, die jeweils eine robuste Reproduzierbarkeit aufweisen [32]
[33]. Die ursprünglich an konventionellen Seitbildern entwickelten Messtechniken sind mit hoher Übereinstimmung an sagittalen MR-Bildern anwendbar [29]
[34].
Für die Bestimmung des Insall-Salvati-Index wird der Längsdurchmesser der Patella zur Länge der Patellasehne ins Verhältnis gesetzt ([Abb. 3]) [35]. Bei der Abmessung an Röntgenbildern wurde ursprünglich ein Grenzwert von ≥ 1,2 für das Vorliegen eines Patellahochstands angegeben [35]
[36]. In einer Studie von Miller et al. wurde die Übertragbarkeit des Messverfahrens auf sagittale MRT-Bilder getestet und ein etwas höherer Grenzwert von ≥ 1,3 empfohlen [34], der auch in aktuellen Studien an Luxationspatienten angewendet wurde [16]
[19]
[34].
Abb. 3 Messparameter Patella alta. I) Messung des Patellar Index nach Caton-Duschamps: AT/AP. Bei einem Index von ≥ 1,2 besteht eine Patella alta. II) Messung des Patellar-Index nach Insall-Salvati: at/ap. Bei einem Index ≥ 1,3 besteht eine Patella alta. Bei dieser Patientin lag ein Canton-Duschamps-Index von 1,55 und ein Insall-Salvati-Index von 1,45 vor.
Der Canton-Duchamps-Index berechnet sich als Quotient aus der Länge der Retropatellarfläche und dem Abstand der unteren Patellakante zur Vorderkante des Tibiaplateaus ([Abb. 3]) [37]. Hier gilt ein Grenzwert von ≥ 1,2 für das Vorliegen einer Patella alta; dieser Grenzwert kann auch bei Kindern verwendet werden [18]
[37]
[38].
TT-TG-Abstand
Ist die Tuberositas tibiae als Ansatzpunkt der Patellasehne im Vergleich zum Sulkus der Trochlea lateralisiert, so besteht ein Kraftvektor nach außen, wodurch eine patellofemorale Instabilität begünstigt wird. Mehrere Studien haben gezeigt, dass ein pathologischer TT-TG-Abstand einen signifikanten Risikofaktor für Patellaluxationen darstellt [16]
[18]
[25]
[39]
[40] und bei über der Hälfte der Luxationspatienten vorhanden ist [18]. Allerdings sollte bemerkt werden, dass ein pathologischer TT-TG nur sehr selten als alleiniger anatomischer Risikofaktor vorliegt und in der Regel mit einer Trochleadysplasie vergesellschaftet ist [15]. Obwohl die CT als Goldstandard für die TT-TG-Vermessung angesehen wird, kann die Distanz ebenfalls im MRT bestimmt werden, eine CT braucht nicht zusätzlich durchgeführt zu werden [41].
Ziel der Messung ist in der obersten axialen Schicht auf der erstmalig komplett eine vollständige knorpelige Deckung der Trochlea vorliegt, zunächst den tiefsten Punkt der Trochleagrube zu identifizieren und dann durch diesen Punkt rechtwinklig zur Dorsalebene der Femurkondylen eine Linie zu zeichnen ([Abb. 4]). Eine zweite Linie wird parallel durch den Mittelpunkt der Tuberositas gezogen. Der TT-TG-Abstand ergibt sich aus der Distanz zwischen den beiden Linien. Es ist allerdings zu beachten, dass bei ausgeprägter Trochleadysplasie keine vermessbare Vertiefung der Trochlea ausgebildet sein kann, weswegen in diesen Fällen der TT-TG nicht bestimmbar ist.
Abb. 4 TTTG. Tibial-Tuberosity-to-Trochlear-Groove-Entfernung: Es wird zunächst die erste axiale Schicht ausgewählt, auf der die Trochlea vollständig mit Knorpel bedeckt ist. Hier wird der Abstand einer Linie durch den tiefsten Punkt der Trochlea, die rechtwinklig zur dorsalen Femurkondylenebene ausgerichtet ist, zu einer Linie durch die Mitte der Tuberositas gemessen (hier in das Bild kopiert). Messwerte von ≥ 20 mm bedeuten einen pathologischen TT-TG-Abstand.
Bei Kontrollgruppen ohne patellofemorale Instabilität sind TT-TG-Mittelwerte von 10 – 12 mm publiziert [25]
[39]
[42]. Werte zwischen 15 – 20 mm werden als grenzwertig angesehen. Messwerte von > 20 mm werden als definitiv pathologisch eingestuft und können durch operativen Versatz der Tuberositas korrigiert werden [43].
Weitere
Ob die Rotationseinstellung des Beines (femorale Anteversion, tibiale Außenrotation) und die mechanische Tragachse (Genu valgum/varum) als valide Risikofaktoren für patellofemorale Instabilität angesehen werden können, ist noch nicht eindeutig geklärt. Eine aktuelle Studie hat gezeigt, dass Luxationspatienten im Vergleich zur Kontrollgruppe eine im Mittel höhere femorale Anteversion und eine Tendenz zum genu valgum aufweisen [44]. Weitere ältere Studien zeigen einen Zusammenhang der femoralen oder tibialen Torsion zur Instabilität [45]
[46]
[47], während andere Studien keinen Einfluss darstellen können, insbesondere da die Varianz in Normalkollektiven zu stark variiert, um pathologische Grenzwerte festlegen zu können [18]
[48]. Bei klinischem Verdacht auf Alignmentstörung können mittels schneller axialer T1w- oder T2w-Sequenzen die Gelenke der Beine innerhalb weniger Minuten abgebildet und die relevanten Achsen vermessen werden. Nach orthopädischer Literatur können bei Vorliegen von Extremwerten in Einzelfällen femorale oder tibiale Derotationsosteotomien indiziert sein [49]. Der Einfluss der Patellaform als primärer Risikofaktor für patellofemorale Instabilität ist ebenfalls unsicher und hat sich in der aktuellen Diagnostik der patellofemoralen Instabilität nicht durchgesetzt, weswegen die Wiberg-Klassifikation in der heutigen patientenspezifischen Erstellung des Risikofaktorprofils keine breite Akzeptanz mehr findet. Auch bei dem von Dejour beschriebenen Patella-Tilt, der eine Verkippung der Patellaquerachse nach lateral darstellt, scheint es sich eher um eine Folgeerscheinung unterschiedlicher anderer Faktoren (rupturiertes oder insuffizientes MPFL, Patella alta, Trochleadysplasie) zu handeln, als um eine tatsächliche Ursache für patellofemorale Instabilität [50]. Abgesehen von knöchernen Anlagevarianten wird außerdem eine allgemeine ligamentäre Hyperlaxität bei Luxationspatienten diskutiert [51]
[52], was jedoch von einer anderen Studie nicht bestätigt werden konnte [4]. Zumindest bei rezidivierenden Luxationen scheint die generelle Hypermobilität eine Rolle zu spielen [53]. Auch ob eine Hypotrophie des Vastus medialis obliquus initial zu einer Erstluxation beiträgt oder erst als dessen Folge entsteht und dann eine chronische patellofemorale Instabilität begünstigt, ist nicht eindeutig geklärt.
Folgeschäden
Kürzlich stattgehabte Luxationen der Patella zeigen ein typisches Befundmuster und sind im MRT einfach zu diagnostizieren. Anschlagsbedingte Knochenödeme der inferomedialen Patella und der Außenseite des lateralen Femurkondylus sowie eine Ruptur des MPFL gelten als pathognomonisch für eine stattgehabte laterale Patellaluxation [19]
[54]
[55]
[56]
[57]. Außerdem können osteochondrale oder chondrale Verletzungen direkte Folge des Luxationsereignisses sein. Insbesondere bei chronischer patellofemoraler Instabilität droht eine frühe patellofemorale Arthrose [58] ([Tab. 1]).
Osteochondrale und chondrale Verletzungen
Die mediale Patella weist durch die Kontusion gegen das Femur bei fast allen Patienten unmittelbar nach Erstluxation ein Knochenödem auf ([Abb. 5]). Bei 70 % der Patienten besteht an der Konstusionsstelle ein osteochondraler Schaden und bei 40 % wird eine typische konkave Impaktation nachgewiesen [19] ([Abb. 6]). Ätiologisch können die primär impaktationsbedingten osteochondralen Schäden der medialen Patella von den avulsionsbedingten Defekten unterschieden werden, die einem ligamentären Ausriss des MPFL zugeordnet werden. Diese frischen Traumafolgen sollten allerdings nicht mit paraossalen Ossifikationen verwechselt werden, die neben der medialen Kante der Patella am Ansatz des MPFL und der Gelenkkapsel anzutreffen sind und auf repetetiven Weicheilschäden typischerweise nach rezidivierenden Luxationen zurückgeführt werden [59].
Abb. 5 Kontusionsödeme. 20-jährige Patientin unmittelbar nach Erstluxation der Patella. Typische Knochenödeme an der inferomedialen Patella (Pfeil) und an der Außenfläche des lateralen Femurkondylus (Pfeilspitzen).
Abb. 6 Osteochondraler Defekt. 21-jähriger Patient unmittelbar nach Erstluxation der Patella. Axiales (I) und koronares (II) Bild eines osteochondralen Defektes der inferomedialen Patella (Pfeilspitzen) mit freiem Gelenkkörper durch disloziertes Fragment (Pfeil).
Zusätzlich zu den osteochondralen Defekten der medialen Patella sollten Schäden der zentralen Retropatellarfläche ausgeschlossen werden, da frische Knorpeleinrisse oder -abrisse zum Beispiel durch das Gleiten über den lateralen Femurkondylus verursacht werden können. Insbesondere nach rezidivierenden Luxationen können Fissuren und erosionsartige Defekte im Rahmen einer chronischen Chondropathie vorliegen [12]
[58]
[60]
[61]
[62]
[63]
[64]
[65]. Die MRT weist insbesondere bei höhergradigen Knorpelschäden eine hohe diagnostische Genauigkeit auf, während geringgradige Knorpelläsionen dem Nachweis entgehen können [66].
Bei einem Drittel der Luxationspatienten bestehen dislozierte Fragmente als freie Gelenkkörper, die im Befund explizit erwähnt werden sollten, da unter Umständen eine operative Intervention indiziert sein kann. Im Umkehrschluss sollte im Rahmen der Primärdiagnostik bei unklarem Knietrauma mit Nachweis eines Kniegelenksergusses sowie eines intraartikulären Knochenfragments im konventionellen Röntgenbild immer an eine stattgehabte Patellaluxation gedacht werden [67].
Es ist wichtig im MRT-Befund vor allem ostechondrale Fragmente explizit zu erwähnen, da in Abhängigkeit der Lokalisation und der Größe eine Refixation möglich sein kann [68]. Größere und frische osteochondrale Defekte sollten insbesondere bei jüngeren Patienten refixiert werden. Nach Empfehlungen von Rosslenbroich et al. werden Fragmentgrößen ab ca. 1 cm2 als sinnvoll für eine Refixation erachtet, wobei allerdings bisher keine genaueren Daten publiziert wurden, ab welcher Größe eine Fragmentrefixation Erfolg versprechend ist [68]. Rein chondrale Läsionen weisen eine schlechte Heilungstendenz auf [69]
[70]. Auch kleine Fragmente eignen sich nicht zur Refixation, sollten aber entfernt werden, um die Entstehung von freien Gelenkkörpern zu verhindern [68]. Des Weiteren sind knöcherne Ausrisse der medialen Bänder bei erhaltener ligamentärer Struktur von Bedeutung. Diese Verletzungen sind selten, erlauben aber bei umgehender Refixation eine langfristige Wiederherstellung der Primärstabilität, was bei intraligamentären Läsionen deutlich schwieriger ist.
Am lateralen Femurkondylus wird ebenfalls bei fast allen Patienten nach kürzlicher Luxation ein ausgeprägtes Ödem gesehen ([Abb. 5]) [19]
[54]
[55]
[56]
[57]. Hier sind die osteochondralen Verletzungen weniger häufig als an der medialen Patella und werden in der Literatur mit bis 40 % angegeben [71]
[72]. Typische Lokalisation ist die zentrale und laterale Hauptbelastungszone [71]
[73].
Bei Patienten, die multiple Luxationsereignisse in der Vorgeschichte aufweisen und unter chronischer patellofemoraler Instabilität leiden, liegt häufig eine permanente Subluxation der Patella vor. Dadurch können beträchtliche Schäden der Gelenkflächen bereits beim jungen Patienten verursacht werden, die zu einer frühen patellofemoralen Arthrose führen können, wodurch die Lebensqualität signifikant eingeschränkt wird [11]
[13] ([Abb. 8]).
Abb. 8 Knorpelschaden und Arthrose. 28-jährige Patientin mit chronischer patellofemoraler Instabilität nach mehreren Luxationsereignissen. Hochgradiger Knorpeldefekt der zentralen Patella (Pfeil, Bild I) und der lateralen Trochlea (Pfeil, Bild II). Beginnende patellofemorale Arthrose mit Osteophyten der lateralen Trochleakante (Pfeilspitze, Bild II).
Schäden des Kapsel-Band-Apparats
Für das Verständnis des ligamentären Schadens nach lateraler Patellaluxation ist die Kenntnis des medialen patellofemoralen Ligaments (MPFL) von Bedeutung, da es den wichtigsten passiven Stabilisator darstellt und häufig im Rahmen der Luxation rupturiert. Die medialseitigen Bänder des Patellofemoralgelenks weisen einen komplexen anatomischen Aufbau auf, die im 3-Schicht-Modell nach Warren und Mashall zusammengefasst sind [74]: In einer äußeren oberflächlichen Schicht I liegt die Oberschenkelfaszie und die Faszie des M. sartorius. In der mittleren Schicht II sind das fächerförmige MPFL und Faserzüge des medialen Kollateralbands lokalisiert. Die tiefe Schicht III wird durch die eigentliche Gelenkkapsel und weitere Fasern gebildet. Das MPFL ist eine gesonderte horizontal verlaufende Fasergruppe in der mittleren Schicht und gilt als statischer Stabilisator der Patella, da es einem lateralen Abweichen der Kniescheibe entgegenwirkt [75]
[76]. Es verläuft von den superioren zwei Dritteln des medialen Patellarands bis zum femoralen Insertionspunkt anterior des medialen Epicondylus [77]
[78] ([Abb. 7]). In den superioren Anteilen ist das Ligament mit der tiefen Faszie des distalen M. vastus medialis verbunden. Am patellaren Ansatz ist das MPFL anterior mit dem medialen Retinakulum verwoben. Das mediale Retinakulum ist eine Verdickung von Faserzügen aus der Schicht I und II, die gemeinsam am medialen Patellarand ansetzen [79]. Im Gegensatz zum MPFL geht das mediale Retinakulum nach dorsal in die Faszie des Vastus medialis obliquus über. In der klinischen Routine sind die Bandstrukturen am besten durch axiale PDw oder T2w FS abgrenzbar, wobei patellarseitig der gemeinsame Ansatz des medialen Retinakulums und MPFL dicker imponiert als die femoralseitige MPFL Insertion ([Abb. 7]) [79]
[80]
[81].
Abb. 7 I) Intaktes mediales patellofemorales Ligament (MPFL, dicker weißer Pfeil) bei einem Patienten nach akutem Knietrauma. Das MPFL ist ein horizontal verlaufender Faserzug und entspricht der mittleren Schicht der medialseitigen Kniegelenksfasern. Es entspringt femoralseitig vor dem Epikondylus medialis (dünner weißer Pfeil) und inseriert gemeinsam mit dem medialen Retinakulum an den superioren zwei Dritteln des medialen Patellarands (grauer Pfeil). II) 18-jährige Patientin nach Erstluxation. Vollständige Ruptur des medialen patellofemoralen Ligaments (MPFL) am femoralen Ansatz und im mittleren Drittel (Pfeilspitzen) nach akuter Patellaluxation. Patellare Insertion des MPFL und medialen Retinakulum als Bandstumpf abgrenzbar (Pfeil).
Als ligamentärer Stabilisator verhindert das MPFL vor allem ein laterales luxieren der Patella aus der Trochlea. Biomechanische Studien haben gezeigt, dass das MPFL zwischen 50 – 60 % sämtlicher lateralisierender Kräfte der Patella entgegenwirkt [82] und dessen Ruptur signifikante Auswirkungen auf die Entwicklung einer lateralen Instabilität hat [83].
Nach akuter Luxation wird fast immer auch ein Schaden des MPFL nachgewiesen [16]
[19]
[72]
[84]
[85]
[86]. Im Vergleich zur Arthroskopie kann mittels MRT mit höherer Genauigkeit das Vorhandensein, das Ausmaß und der Ort des Schadens spezifiziert werden [87]. Ein Teil der Patienten weist vollständige Rupturen auf, wobei in einigen Fällen auch nur Teilrupturen bestehen können. Im radiologischen Befund sollte die Lokalisation der Ruptur auf das patellare, das mittlere und das femorale Drittel des MPFL spezifiziert werden. Hier ist zu beachten, dass bis zu 50 % der Patienten mehr als eine Rupturstelle des MPFL aufweisen, sodass zum Beispiel beim gleichen Patienten Abrisse sowohl am femoralen als auch am patellaren Ansatz bestehen können [16]
[19]
[72]. Die Lokalisation der Ruptur sollte im radiologischen Befund dokumentiert werden, da sie entscheidende Bedeutung für die Art der Behandlung hat. Liegt bei Erstluxation beispielsweise eine femoralseitige Läsion vor, ist eine arthroskopische Raffung der medialen Kapsel-Bandstrukturen kontraindiziert, da das geschädigte Gewebe durch einen arthroskopischen Eingriff nicht erreicht und lediglich durch ein offenes Verfahren fixiert werden kann. Liegt eine an mehreren Stellen zu beobachtende ausgeprägte Destruktion des medialen Kapsel-Band-Apparats vor, vor allem in Kombination mit weiteren eine patellofemorale Instabilität begünstigenden Faktoren, ist von einem konservativen Vorgehen abzuraten, da diese keine suffiziente langfristige Wiederherstellung der Stabilität erlauben.
MRT-morphologische Zeichen einer MPFL-Ruptur entsprechen den klassischen Kriterien einer Bandruptur und sind die vollständige Kontinuitätsunterbrechung, der S-förmige Verlauf und das peritendinöse Ödem ([Abb. 7]) [14]. Durch die fehlende mediale Stabilisierung kommt es zur lateralen Subluxation und Verkippung (Tilt) der Patella mit Ausheilung der verletzten Bandstrukturen in dieser Fehlstellung, die dann zu einer Prädisposition zu weiteren Luxationsereignisse führt. Bei der Teilruptur besteht in erster Linie eine fokale Ausdünnung des Bandes und/oder eine fokale T2w-Hyperintensität.
Insbesondere bei kürzlich stattgehabter Erstluxation liegt ein signifikanter Kniegelenkserguss vor. Je nach Ausmaß des Weichteilschadens und des osteochondralen Defekts können durch intraartikuläres Blut oder Fettmark Flüssigkeitsspiegel entstehen. Patienten mit rezidivierenden Luxationen oder chronischer patellofemoraler Instabilität weisen gelegentlich keinen signifikanten Erguss auf, da bei erneuter Luxation die bereits insuffizienten Weichteile nicht mehr beschädigt werden. Häufig wird nach akuter Luxation auch ein Ödem und eine Zerrung des M. vastus medialis obliquus beobachtet [19]
[72], der vor allem in Flexion ebenfalls als medialer Stabilisator wirkt und bei lateraler Luxation durch seinen Ansatz an der Patella neben dem MPFL ebenfalls signifikanten Zugkräften ausgesetzt ist. In selteneren Fällen können durch die enge anatomische Lagebeziehung Schäden des medialen Kollateralbands und am medialen Meniskus bestehen, die klinisch ein ähnliches Beschwerdebild wie die spontan reponierte Patellaluxation aufweisen können, weswegen es sinnvoll ist, im Befund explizit auf diese Strukturen einzugehen.
Therapie
Das therapeutische Spektrum der Patellaluxation reicht von konservativer Therapie über operative Standardverfahren wie Raffung des medialen Kapsel-Band-Apparats, Naht/Augmentation des MPFL und laterale Retinakulumspaltung (lateral release) bis hin zu Osteotomien der Trochlea (Trochleaplastik), der Tuberositas tibiae (Medialisierung, Anteromedialisierung) oder des Femurs/der Tibia (Derotation) [49]
[88]. Ausschlaggebend für das Behandlungskonzept sind die Häufigkeit der stattgehabten Luxation, das Verletzungsmuster und der vermutete Pathomechanismus.
Bei Erstluxation der Patella war bis dato eine primär konservativ Behandlung vorgesehen, wenn keine größeren osteochondralen Verletzungen festzustellen waren. Allerdings haben mehrere Studien gezeigt, dass nach Erstluxation Reluxationsraten zwischen 15 – 35 % bestehen [89]
[90]
[91]
[92]. Neu entwickelte Operationstechniken sprechen für eine primär operative Versorgung der Erstluxation durch Rekonstruktion des medialen patellofemoralen Ligaments [93].
Übereinstimmung besteht bei der operativen Therapie der rezidivierenden Patellaluxation. Rezidivierende Luxationen werden in Abhängigkeit des zugrunde liegenden individuellen Risikoprofils behandelt [43]
[94]
[95], weswegen die MRT-Diagnostik einen wichtigen Stellenwert in der Therapieplanung einnimmt. Weisen diese Patienten im einfachsten Fall lediglich eine Trochleadysplasie Grad B und keine Patella alta und keinen pathologischen TT-TG auf, so ist die klassische mediale Raffung in arthroskopischer oder offener Technik Verfahren der Wahl [96]
[97]. Bei Patienten mit einer Trochleadysplasie Typ B oder C und deutlicher Subluxationsstellung ist die Rekonstruktion des medialen patellofemoralen Ligaments zu empfehlen [98]. Dieses Verfahren sollte im Falle eines pathologischen TT-TG und/oder einer Patella alta mit einem Versatz der Tuberositas tibiae kombiniert werden [99]. Bei höhergradigen Dysplasien der Trochlea vom Typ C und D sind Trochleaplastiken zur Rekonstruktion des trochleären Sulkus allein oder in Kombination mit medial stabilisierenden Verfahren (MPFL-Rekonstruktion, mediale Raffung) indiziert. In den seltenen Fällen, in denen Rotationsdeformitäten des Femurs oder der Tibia die ausschlaggebende Pathologie der patellofemoralen Instabilität darstellen, können Derotationsosteotomien isoliert oder in Kombination mit weiteren Verfahren zur Anwendung kommen.
Es existiert noch eine inzwischen fast unüberschaubare Anzahl an weiteren Techniken oder Modifikation von oben beschriebenen Verfahren. Jedoch gilt auch hier die Prämisse, dass das Verständnis der Ursache der patellofemoralen Instabilität die Wahl des entsprechenden Verfahrens bestimmt.
Weitere zusätzliche Informationen und ausführliches Bildmaterial über das Thema sind in einem Radiographics Artikel verfügbar: PMID: 20 631 363 [14].