Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2012; 19(06): 269
DOI: 10.1055/s-0032-1331660
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Interessante Erkenntnisse zum Stickstoffmonoxid-Stoffwechsel – Rauchen gegen Bergkrankheit?

Rezensent(en):
Rainald Fischer
Wu TY, Ding SQ, Liu JL et al.
Smoking, acute mountain sickness and altitude acclimatisation: a cohort study.

Thorax 2012;
67: 914-9
Weitere Informationen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
07. Januar 2013 (online)

 

Wu TY, Ding SQ, Liu JL et al. Smoking, acute mountain sickness and altitude acclimatisation: a cohort study. Thorax 2012; 67: 914–9

Thema: Die Frage, ob Rauchen das Risiko für das Auftreten der akuten Bergkrankheit vermindert, beschäftigt nicht nur die Physiologen, sondern ist oft Gegenstand fast schon erbitterter Diskussionen auf Berghütten und Trekkingrouten.

Während ein bekanntes englischsprachiges Handbuch der Höhenmedizin von einem erhöhten Risiko durch Rauchen spricht [ 1 ], sind passionierte Raucher oft ganz anderer Meinung [ 2 ]. Gute epidemiologische Daten hierzu fehlen allerdings.

Projekt: Ziel der vorgestellten Studie war daher, an einem ausreichend großen Kollektiv von Probanden den Effekt von Rauchen auf das Auftreten der akuten Bergkrankheit zu untersuchen. Im Rahmen des Baues einer Bahnlinie von Golmud nach Lhasa wurden mehr als 78 000 Arbeiter aus dem chinesischen Tiefland in einer Höhe von im Mittel 4552 m beschäftigt. Hiervon wurden initial 4683 Arbeiter um Teilnahme an der Studie gebeten, wovon dann letztlich jeweils 200 Raucher und 200 Kontrollen ausgewählt wurden. Der Transport in die Höhe erfolgte in mehreren Stufen (2261 m und 2808 m) über insgesamt 6 Tage per Zug und Bus.

Ein Raucher war definiert als eine Person, die 10 oder mehr Zigaretten pro Tag über mehr als 6 Monate geraucht hat. Gelegenheitsraucher waren ausgeschlossen. Der Schweregrad des Nikotinabusus wurde in 3 Gruppen eingeteilt (mild < 1 Packung/Tag, mäßig = 1 Packung/Tag und schwer ' 1 Packung/Tag ), ebenso die Dauer des Konsums.

Durch die Beteiligung von 3 Krankenhäusern in der Nähe der Baustelle konnten auch umfangreiche, physiologische Messungen an dem untersuchten Kollektiv durchgeführt werden. Neben der Sauerstoffsättigung (leider nicht korrigiert auf CO-Hb) wurde der mittlere Pulmonalisdruck echokardiografisch erhoben, ebenso die Lungenfunktion, der Hämoglobinwert und als Hauptzielparameter der ­Lake-Louise-Score (LLS) als Maß für die Schwere der akuten Höhenkrankheit. Dabei werden die Punkte Kopfschmerz, Übelkeit, Appetitlosigkeit, Schwindel, Müdigkeit und Schlafstörungen auf einer Skala von 0 bis 3 abgefragt. Als Cut-off-Werte für das Vorhandsein von akuter Bergkrankheit (Acute Mountain Sickness, AMS) wurden 3 beziehungsweise 4 Punkte bei Vorhandensein von Kopfschmerzen als Leitsymptom gewählt.

Ergebnisse: Die AMS-Inzidenz lag bei Rauchern – im Vergleich zu Nichtrauchern – je nach Cut-off-Wert bei 45 % vs. 56 % (LLS ≥ 3) beziehungsweise bei 39 % vs. 51 % (LLS ≥ 4). Der mediane AMS-Score lag bei Rauchern signifikant niedriger als bei Nichtrauchern. Die Sauerstoffsättigung wie auch der mittlere Pulmonalisdruck korrelierten signifikant negativ mit der Höhe des LLS. Ein signifikanter Gruppenunterschied fand sich nicht.

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(Bild: Fotolia, Fotograf: Robert Neumann)

Nach 3 und 6 Monaten zeigte sich allerdings ein signifikanter Anstieg der artiellen Sauerstoffsättigung (SaO2) bei den Nichtrauchern. Bei den Rauchern war dieser Anstieg deutlich geringer. Der Hämoglobinwert lag bei Rauchern nach 3 und 6 Monaten signifikant höher als bei Nichtrauchern.

In einer multivariaten, logistischen Regression zeigten nur die Variablen SaO2 (< 85 %) sowie Rauchintensität und -dauer einen signifikanten Effekt auf das Ausmaß der Schwere der akuten Bergkrankheit.

Fazit: Die Autoren schließen aus den Ergebnissen der Studie, dass Rauchen das Risiko von akuter Bergkrankheit in einer Höhe von etwa 4500 m um etwa 20–24 % senkt. Als Ursache diskutieren sie im ­Wesentlichen mögliche Veränderungen im endothelialen Stickstoffmonoxid(NO)-Stoffwechsel. Durch Verminderung der NO-Produktion sowie rascheren Abbau besteht möglicherweise ein gewisser Schutz vor Kopfschmerzentwicklung und gastrointestinalen Symptomen.

Eine weitere Ursache könnte auch die verminderte Atemantwort auf Hypoxie bei Rauchern sein, ähnlich wie es sich bei Hochlandbewohnern entwickelt. Allerdings führt dies bei Rauchern in diesem Setting möglicherweise langfristig eher zur Entwicklung der chronischen Höhenkrankheit mit extremer Polyglobulie und Zyanose.

Kommentar

Die Autoren distanzieren sich explizit davon, Rauchen als Mittel ­gegen Höhenkrankheit zu propagieren. Allerdings ist die Studie pathophysiologisch sehr interessant, da sie dem NO-Stoffwechsel, aber auch der Empfindlichkeit der Chemorezeptoren und damit der Ventilationsantwort auf Hypoxie, eine wichtige Rolle in der Entstehung der akuten Bergkrankheit zuweist. Deren Ursache ist noch immer ungeklärt. Diskutiert werden trigeminale Reizung oder zerebralvenöse Druckanstiege [ 3 ], [ 4 ].

Zukünftige Studien sollten daher versuchen, diese Faktoren genauer zu beleuchten, um endlich besser zu verstehen, wie die akute Bergkrankheit wirklich entsteht. Bis dahin bleibt der beste Schutz vor deren Entstehung immer noch die langsame Höhenakklima­tisation – mit dem Rauchen sollte deswegen sicher nicht begonnen werden.


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  • Literatur

  • 1 Hultgren HN. High Altitude Medicine. Stanford: Hultgren Publications; 1997
  • 2 MacLean N. Smoking and acclimatisation to altitude. Br Med J 1979; 2: 799
  • 3 Wilson MH, Imray CH, Hargens AR. The headache of high altitude and microgravity-similarities with clinical syndromes of cerebral venous hypertension. High Alt Med Biol 2011; 12: 379-86
  • 4 Gupta S, Nahas SJ, Peterlin BL. Chemical mediators of migraine: preclinical and clinical observations. Headache 2011; 51: 1029-45

  • Literatur

  • 1 Hultgren HN. High Altitude Medicine. Stanford: Hultgren Publications; 1997
  • 2 MacLean N. Smoking and acclimatisation to altitude. Br Med J 1979; 2: 799
  • 3 Wilson MH, Imray CH, Hargens AR. The headache of high altitude and microgravity-similarities with clinical syndromes of cerebral venous hypertension. High Alt Med Biol 2011; 12: 379-86
  • 4 Gupta S, Nahas SJ, Peterlin BL. Chemical mediators of migraine: preclinical and clinical observations. Headache 2011; 51: 1029-45

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(Bild: Fotolia, Fotograf: Robert Neumann)