Renaissance der N.-tibialis-Stimulation?
Der Symptomkomplex der überaktiven Blase (OAB) stellt weiterhin ein wichtiges Krankheitsbild dar. Die Prävalenz liegt in Abhängigkeit der Studienpopulation und des Alters der Patienten bei 3–45 % [
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]. Nach Definition der ICS ist die OAB durch folgende Symptome charakterisiert: Urgency mit oder ohne Inkontinenz, Frequency und Nykturia. Die OAB ist für die betroffenen Patienten mit einem hohen Leidensdruck assoziiert und schränkt ihre Lebensqualität ein [
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]. Das Therapiespektrum umfasst neben konservativen Verfahren, wie dem Verhaltenstraining (Toilettentraining), dem Beckenbodentraining, insbesondere die Therapie mit Antimuskarinika [
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]. Weitere invasive Therapieoptionen sind die intravesikale Injektion von Botulinum-A-Toxin, die sakrale Neuromodulation sowie die chirurgische Blasenaugmentation. Die elektrische Stimulation des N. pudendus ist ein effektives Verfahren zur Therapie der OAB [
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]. Die N.-tibialis-Stimulation (NTS) ist ein altes Verfahren [
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], welches nun wieder eine Renaissance erlebt und auch in prospektiven, randomisierten Studien einen signifikanten Therapieeffekt zeigt [
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]. Marchal et al. untersuchen in ihrer hier vorgestellten Studie den Effekt der N.-tibialis-Stimulation auf die Symptome der OAB (Evaluation mittels Fragebogen) sowie auf urodynamische Parameter von Patienten mit überaktiver Blase [
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]. Ziel der Studie war, die Wirksamkeit der NTS zu evaluieren und den Zeitpunkt der Wiederbehandlung zu definieren.
Studiendesign – Methodik
Die Untersuchung erfolgte als Fallserie, mit der leider die Fragestellung der Studie, wie sie im Titel erwähnt ist, nicht beantwortet werden kann. Es fehlt sowohl eine Randomisierung als auch eine Kontrollgruppe. Ein primärer Endpunkt der Studie, sowie eine genaue Definition des Wirkverlustes werden nicht definiert. Weiterhin bleibt unklar, warum die Autoren ihr Stimulationsparadigma wählen (Daten aus der Literatur?, Referenzen?).
Die Stimulation mittels Nadelelektrode unter Bestimmung der direkten motorischen Antwort ist ein effektives Verfahren, allerdings ist dies weniger invasiv auch mit Oberflächenelektroden durchzuführen. Aufgrund der sich häufig wiederholenden Behandlungen, der Invasivität und der Infektionsgefahr, sind die Oberflächenelektroden vorzuziehen. Die Evaluierung des Therapieerfolgs mittels validierter Fragebögen und urodynamischer Untersuchungen ist adäquat.
Ergebnisse
Der Zeitrahmen der Stimulationen lag bei 6 Monaten. Die Autoren zeigen eine gute Erfolgsrate, definiert als Heilung / Verbesserung von über 90 % nach 6 und 12 Monaten, wobei nach 24 Monaten die Erfolgsrate abnimmt, jedoch zu diesem Zeitpunkt auch nur noch wenige Patienten in der Studie eingeschlossen sind. Bei 10 von 16 Patienten zeigt sich ein persistierender Effekt. Ähnliche, positive Effekte zeigen sich auch in anderen Studien mit einer Verbesserung der Symptome von 50–70 % [
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]. Dies beantwortet aber nicht die Frage, ab wann eine Therapie wieder eingeleitet werden muss, und das können diese Daten in dieses Studiendesign auch nicht beantwortet. Bei der Kontrolle nach 2 Jahren waren nur noch 16 Patienten in die Studie eingeschlossen, und diese Daten können nicht belegen, wann die Wirksamkeit genau nachgelassen hat. Die Frage, wann wieder eine Therapie weiterzuführen ist, lässt sich auch ohne diese Studie beantworten: Bei nachlassender klinischer Wirksamkeit, mit Zunahme der OAB-Symptome. Da es sich um ein Therapieverfahren ohne direkte medikamentöse Wirkung / Nebenwirkung handelt, ist eine wiederholte Anwendung sicher vertretbar.
Therapie ist klinischer relevant
Zusätzliche und effiziente Therapieverfahren zur Behandlung der OAB erweitern die Möglichkeiten des behandelnden Arztes. Häufig lehnen die Patienten die pudendale Elektrostimulation aufgrund der Notwendigkeit der vaginalen oder rektalen Applikation ab, sodass die NTS eine gute Alternative darstellt. Die Therapie der überaktiven Blase durch die N.-tibialis-Stimulationen zeigt ein adäquates Ergebnis und ist somit eine alternative Therapieoption. Bei Verwendung von Oberflächen-Elektroden ist dies ein Verfahren, welches auch in der ambulanten Therapie gut eingesetzt werden kann.
Fazit
Marchal und Kollegen präsentieren eine weitere Studie, die die Wirksamkeit der N.-tibialis-Stimulation zur Therapie der überaktiven Blase belegt, allerdings mit einigen methodologischen Schwächen zu kämpfen hat. Der Zeitpunkt der Wiederaufnahme der Therapie kann aus diesen Daten nicht definiert werden. Eine prospektive, randomisierte und kontrollierte Studie, die die Dauer der Wirksamkeit überprüft und den Wirkverlust als primären Endpunkt definiert, wäre notwendig, um diese Fragestellung zu beantworten.
Dr. Jens Wöllner, Mainz