Aktuelle Urol 2012; 43(06): 374-375
DOI: 10.1055/s-0032-1332780
Referiert und kommentiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Partielle Nephrektomie – Kann die intraoperative Ischämie vermieden werden?

Contributor(s):
Johannes Weiß

J Urol 2012;
187: 807-815
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Publication History

Publication Date:
19 December 2012 (online)

 
 

Bei kleineren Nierentumoren ist die nierenerhaltende Operation die Therapie der Wahl. Problematisch ist hierbei die intraoperative Ischämie des gesunden Nierenanteils. Inderbir Gill, University of Southern California, Los Angeles / USA, et al. haben nun einen neuen Ansatz vorgestellt, der eine robotergestützte partielle Nephrektomie ohne Ischämie erlaubt.
J Urol 2012; 187: 807–815

mit Kommentar

An der Studie nahmen Patienten mit malignomverdächtigen Nierentumoren oder großen blutungsgefährdeten Angiomyolipomen (> 5 cm) teil, die sich einer partiellen Nephrektomie unterzogen. Während der Operation wurden die Hilusgefäße nicht abgeklemmt. Die Autoren führten stattdessen eine anatomisch orientierte vaskuläre Mikrodissektion durch, mit der sie nur die Tumorgefäße erfassten, welche mittels intraoperativem Farbdoppler identifiziert wurden. Hierzu wurden die tumorzuführenden Gefäßäste mit neurochirurgischen Aneurysma-Mikro-Bulldog-Klemmen abgeklemmt.

In die Analyse gingen 58 Patienten ein, 15 wurden robotergestützt und 43 laparoskopisch operiert. 70 % der Patienten hatten anatomisch komplexe Tumoren, die in

  • 67 % der Fälle zentral lokalisiert waren,

  • in 26 % hilär und

  • in 23 % komplett intrarenal.

18 % der Patienten befanden sich im Stadium pT1b. Bei 98 % der Patienten (n = 57) gelang der Eingriff ohne Abklemmen des Hilus. Die mittlere Tumorgröße betrug 3,2 cm, der mittlere R.E.N.A.L.-Score 7,0 (erfasst die anatomischen Charakteristika des Tumors) und der mittlere C-Index 2,9 (quantifiziert die Nähe des Tumors zum Sinus renalis). Die durchschnittliche OPZeit betrug 4,4 Stunden, der Blutverlust 206 ml, 21 % der Patienten erhielten perioperative Bluttransfusionen.

Operationsbedingte Komplikationen sind selten

Es kam zu keinen intraoperativen Komplikationen. Postoperative Komplikationen traten bei 3,5 % der Patienten auf. Sie waren in 22,8 % der Fälle geringgradig (Clavien Score 1 und 2) und in 19,3 % der Fälle hochgradig (Clavien Score 3–5). Bei allen Patienten waren die Resektionsränder tumornegativ. Die durchschnittlichen absoluten und relativen Veränderungen der präoperativen Werte des Serumkreatinins (0,2 mg / dl; 18 %) und der glomerulären Filtrationsrate (–11,4 ml / min; 13 %) korrelierten 4 Monate postoperativ mit dem Ausmaß des entfernten Nierengewebes (18 %). Die mittlere Krankenhausverweildauer lag bei 3,9 Tagen.

Fazit

Die anatomisch orientierte vaskuläre Mikrodissektion zunächst der Arterie und dann des Tumors erlaubt auch bei komplexen Tumoren die Exzision, ohne dabei die Hilusgefäße abzuklemmen. Die Autoren schlussfolgern, dass bei der Mehrzahl der Patienten, die sich einer robotergestützten oder laparoskopischen partiellen Nephrektomie unterziehen, eine globale renale Ischämie nicht erforderlich ist.

Kommentar

Zeroischemia ist machbar, aber nicht zwingend notwendig

Die aktuelle Arbeit von Gill et al. stellt eine anatomische, vaskuläre Mikro-Dissektion des Nierenhilus mit dem Ziel vor, die Tumor zuführenden Gefäße darzustellen und hoch selektiv abzuklemmen. Voraussetzung ist ein 3D-CT mit einer Schichtdicke von 0,5 mm und einer anschließenden Gefäßrekonstruktion mit Darstellung der Tumor-zuführenden Gefäße.

Insgesamt konnten die Ergebnisse von 57 Patienten (15 robotisch; 43 laparoskopisch) ausgewertet werden. Bei einer mittleren Tumorgröße von 3,2 cm wurden ein Blutverlust von 206 ml (Mittel) und eine Operationszeit von 4,4 Stunden dokumentiert. Die ipsilaterale Nierenfunktion der operierten Niere war um 10 % im Vergleich zur präoperativen Funktion rückläufig, was mit dem resezierten Nierenvolumen (18 %) korrelierte. 21 % der Patienten erhielten eine perioperative Bluttransfusion. Daraus folgt: Eine komplette renale Ischämie ist heute bei einer laparoskopischen oder robotischen Nierenteilresektionen (NTR) nicht mehr erforderlich.

Seit vielen Jahren wird in unterschiedlichen Arbeiten auf den Stellenwert der organerhaltenden Nierenchirurgie eingegangen. In den letzten Jahren verdichteten sich die Hinweise, dass je mehr Nierengewebe entfernt wird, das Gesamtüberleben der Patienten umso ungünstiger ist. Zusammenfassend stellen Christopher Weight et al. [ 1 ] dies in ihrer Arbeit vor, in der Patienten mit benignen Tumoren nach Teilresektion ein signifikant günstigeres Outcome als nach Nephrektomie haben. Diese Ergebnisse konnten van Poppel et al. jedoch in der EORTC-Studie von 2011 nicht bestätigen [ 2 ].

Bei der Nierenteilresektion wird nun in zunehmendem Maße auf die Ischämiedauer Wert gelegt, was zusammengefasst in der Arbeit von Thompson et al. 2010 [ 3 ] wie folgt beschrieben wurde: "every minute counts when the renal hilum is clamped during partial nephrectomy". Die "zero ischemia" ist somit die maximale Verringerung der Ischämiezeit für eine gedachte, maximale Protektion von Nierengewebe.

Technik und Arbeit haben mehrere Limitationen

1. Die erforderliche präoperative Bildgebung (s. o.) mit anschließender 3D-Rekonstruktion zur Identifikation der erforderlichen Gefäße ist kein Standard in der präoperativen Bildgebung. In der Regel werden Patienten mit wenigen CT-Schnitten zur Operation vorgestellt. Eine Wiederholung mit der erforderlichen Bildgebung wäre notwendig.

2. Das Hauptargument für die "zero ischemia" ist die beschriebene Verringerung der eGFR nach Nierenteilresektion. Aber ist die rückläufige eGFR denn wirklich direkt abhängig von der Ischämie [ 4 ], [ 5 ], oder ist nicht vor allem die Resektion des Nierengewebes für diesen Rückgang verantwortlich, wie Steven Campbell [ 6 ] dies aktuell anmerkte? Bei kleinen Tumoren wird wenig Nierengewebe in kurzer Ischämiezeit entfernt, die eGFR verändert sich nur gering. Bei großen Tumoren mit einem signifikanten Verlust an Nierengewebe, ist die eGFR signifikant rückläufig. Für eine solche Resektion wird mehr Zeit benötigt, weshalb die Ischämie auch länger dauert. Wird nun die Quantität des verbliebenen Nierengewebes in den statistischen Auswertungen mit berücksichtigt, stellt die warme Ischämie in der multivariaten Analyse keinen signifikanten Parameter mehr dar [ 7 ]. Dies wurde in den Arbeiten, die die Ischämie als signifikanten Parameter darstellten, nicht berücksichtigt.

Bei einer Ischämiezeit von 20–25 Minuten werden sich die meisten Nephrone von der Ischämie erholen, und es ist anzunehmen, dass der Verlust an Nierengewebe der wesentliche Faktor der postoperativen GFR Veränderung ist [ 5 ]. Bei einer alleinigen Abklemmung der Arterie (auch selektiv), kommt es vor allem auf der rechten Seite nicht selten zu einem venösen Rückfluss, was die intraoperative Beurteilung der Resektionsfläche beeinträchtigen kann. Wird ein kleiner Arterienast übersehen, ist die Übersicht noch schlechter. Auch wenn in der vorgestellten Arbeit der intraoperative Blutverlust im Mittel nur bei 206 ml lag, ist jedoch eine Transfusionsrate von 21 % kritisch anzumerken. Eine schlechtere Sicht kann zu einer vermehrten Parenchymresektion führen (bis 20 mm Resektionsrand in der vorgestellten Arbeit!) was die Nierenfunktion letzt endlich deutlich negativer beeinflussen wird, als eine komplette, aber kurze Ischämie von 20–25 Minuten mit optimaler Sicht. Auch positive Resektionsränder sind, wenn auch nicht in dieser Arbeit, bei dieser Vorgehensweise zu erwarten.

Fazit

Die anatomische, vaskuläre Mikro-Dissektion der Nierengefäße ist machbar. Die Übersicht bei der vorgestellten Technik kann aber auf Grund von Blutungen schlechter sein und führt ggfs. zu unnötigem Parenchymverlust und positiven Schitträndern. Da der wesentliche Einfluss auf die postoperative eGFR weniger von der Ischämiezeit (wenn kleiner als 20 Minuten!), sondern viel mehr von dem Ausmaß des Parenchymverlustes abhängt, kann diese Technik nicht im Allgemeinen empfohlen werden.

Prof. Dr. Stefan Siemer, Homburg / Saar


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Prof. Dr. Stefan Siemer


ist Stellvertretender Klinikdirektor der Klinik für Urologie und Kinderurologie des Univ.-Klinikums des Saarlandes, Homburg / Saar

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