Aktuelle Urol 2013; 44(01): 7-8
DOI: 10.1055/s-0033-1334832
Referiert und kommentiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Harnröhrenchirurgie – Neue Methode zum Tissue Engineering

Contributor(s):
Johannes Weiß
Mikami H. Fukuoka University / Tokio et al.
J Urol 2012;
187: 1882-1889
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Publication History

Publication Date:
06 February 2013 (online)

 
 

    Bei chirurgischen Eingriffen an der Urethra stellt sich häufig das Problem, dass zusätzliches Gewebe für die Rekonstruktion der Harnröhre erforderlich ist. Als ideal wird hierbei die Mucosa der Wangeninnenseite angesehen. Hiroshi Mikami, Fukuoka University / Tokio, et al. haben nun anhand eines Hundemodells einen neuen Ansatz zum Tissue Engineering vorgestellt.
    J Urol 2012; 187: 1882–1889

    mit Kommentar

    Bei 20 männlichen Hunden entnahmen die japanischen Wissenschaftler mittels Stanzbiopsie aus der Mundhöhle Gewebe (∅ 5 mm), das sowohl Mucosa- als auch Muscularis-Anteile enthielt. Anschließend wurden beide Anteile voneinander getrennt und Epithel und Muscularis separat zur Gewebegewinnung in Nährmedien gegeben. Mittels einer speziellen, vorbeschriebenen Technik formten die Autoren eine Gewebelage aus Epithelzellen und eine aus Muskelzellen, die sie nach einer Anzuchtphase von 2 Wochen miteinander verbanden und auf eine Matrix aus Kollagennetz aufbrachten. Die Hunde teilten sie anschließend in 2 Gruppen zu jeweils 10 Tieren auf. Den Hunden der einen Gruppe wurde die gezüchtete Neourethra in einen chirurgisch induzierten Defekt implantiert, bei der anderen Gruppe nur ein Defekt gesetzt und keine Neourethra implantiert. Nach 12 Wochen erfolgte ein Urethrogramm und eine histologische Untersuchung der Urethra.

    Das Tissue Engineering verlief in allen Fällen erfolgreich, sodass die Autoren bei allen 10 Hunden der Experimentalgruppe den Urethradefekt mit einem 2 x 2,5 cm großen Implantat augmentieren konnten. Die Entnahmestellen der Stanzbiopsie waren innerhalb von einer Woche verheilt, Komplikationen traten nicht auf. An den Tieren mit einer rekonstruierten Urethra kam es während der 12-wöchigen Beobachtungsphase zu keinen größeren Komplikationen. Im Urethrogramm war die Neourethra ausreichend weit. In der Kontrollgruppe mit einem nicht gedeckten Urethradefekt fanden sich bereits 4 Wochen postoperativ Fisteln oder schwere Strikturen. Histologisch zeigten sich in der Experimentalgruppe nach 12 Wochen ein geschichtetes Epithel und eine gut vaskularisierte Submukosa, die Kollagenmatrix war nicht mehr identifizierbar. Bei den Kontrollen fand sich kein geschichtetes Epithel, und das urethrale Lumen war durch fibrotisches Gewebe nahezu obliteriert.

    Fazit

    Die Generierung eines durch Tissue Engineering gewonnen zweilagigen Mundschleimhaut-Äquivalents zur Rekonstruktion einer Urethra sei möglich und deren Verwendung im Tiermodel vielversprechend, so die Autoren.

    Kommentar

    Fragliches Resultat nach Anwendung im Hundemodell

    Das Gebiet des Tissue Engineering zur Generierung eines autologen Implantats für eine Urethra-Rekonstruktion steht derzeit im Fokus vieler Forschungsgruppen. Bislang wird für solche Operationen native autologe Mundschleimhaut entnommen und dann als dorsales oder ventrales Onlay verwendet. Die Entnahme von Mundschleimhaut einer gewissen Größenordnung ist mit einer in Einzelfällen erheblichen Morbidität vergesellschaftet (Sensibilitätsausfälle, Narbenbildung mit eingeschränkter Beweglichkeit der Lippen und Notwendigkeit späterer plastischer Rekonstruktion im Mundbereich). Teilweise kann zudem eine Entnahme von Mundschleimhaut anatomisch sehr schwierig sein. Daher bietet die Verwendung eines in vitro hergestellten Implantats als Ersatz für die autologe Mundschleimhaut einen erheblichen Vorteil.

    Vorteile des Tissue Engineerings: geringe Invasivität

    Die bisher getesteten Methoden des Tissue Engineering zur Gewinnung eines Mundschleimhaut-Äquivalents variieren in der Wahl des Trägermaterials, der Zelltypen und der Besiedlungstechniken. Unbesiedelte Trägermaterialen zeigten aufgrund von Nekrose-Bildung wenig Erfolg. Häufig werden Kollagenmatrices mit Urothelzellen und Fibroblasten bzw. glatten Muskelzellen besiedelt. Nachteil dieser Technik ist, dass Urothelzellen vor der Urethra-Rekonstruktion mehr oder weniger invasiv aus der Blase gewonnen werden müssen. Zellen der Mundschleimhaut können dagegen relativ einfach durch eine kleine Punch-Biopsie aus dem Mund entnommen werden. Bei einem Durchmesser von ca. 5 mm heilt eine solche Verletzung im Mund des Patienten innerhalb kurzer Zeit ohne spätere Folgen ab. Die so gewonnenen Zellen müssen separat in vitro vermehrt und anschließend solcherart auf eine Trägermatrix aufgebracht werden, dass sich ein mehrschichtiges Epithel ausbildet.

    Neue Anwendung einer bekannten Methode

    Mikami et al. verwendeten eine Methode, die bereits zur Rekonstruktion der Cornea-, Ösophagus- und Myokard-Mukosa eingesetzt wird. Epithelzellen und glatte Muskelzellen, gewonnen aus einer Mundschleimhaut- Biopsie, werden getrennt zu großflächigen Sheets gezüchtet und erst anschließend zusammengefügt. Gegenüber herkömmlichen Methoden hat dies den Vorteil, dass sich die Zellen nicht vermischen und sich ein gut ausgebildetes Epithel entwickeln kann. Nach Aufeinanderlegen der beiden Präparate verwuchsen diese zu einer geschlossenen Fläche, die scheinbar gut mit einer Pinzette zu greifen und zu einer Röhre zu vernähen war.

    Keine angemessene Kontrollgruppe

    Nach Verwendung zur Urethra-Rekonstruktion im Hund beschrieben die Autoren ein gutes Einwachsen unter Ausbildung einer differenzierten Epithelschicht und Bildung von Blutgefäßen. In Anbetracht der Tatsache, dass keine Analyse der Epithel- Differenzierung und ebenso wenig von Endothelzellen durchgeführt wurde, können diese Aussagen nicht nachvollzogen werden. Ebenso wenig nachvollziehbar ist die Aussage der Autoren, dass das implantierte Konstrukt erfolgreich im Hund angewandt wurde. Der Anteil komplikationsfreier Fälle betrug nach 8 Wochen nur 55 %, ein Ergebnis, das zur Anwendung am Patienten nicht akzeptabel ist.

    Mögliche Ursache für das relativ schlechte Outcome ist eine sehr ungleichmäßig dicke Epithelschicht des Präparats vor Implantation sowie die Formation von dreidimensionalen Zellhaufen durch die glatten Muskelzellen. Ihre "guten" Ergebnisse begründen die Autoren mit der weitaus schlechteren Kontrollgruppe, in der sich 4 Wochen nach Implantation Urethralfisteln und Strikturen bildeten. Das positiv dargestellte Ergebnis wird dadurch deutlich relativiert, dass in der Kontrollgruppe nicht – wie es sinnvoll gewesen wäre – autologe Mundschleimhaut eingesetzt, sondern eine Urethra-Verletzung ohne jegliches Implantat belassen wurde. In diesem Vergleich hätte ein Implantat jeglicher Art bessere Ergebnisse erzielt. Aussagekraft hätte diese Studie nur, wenn das Zwei-Layer-Implantat mit der herkömmlichen Methode mit nativer Mundschleimhaut verglichen worden wäre, um es als Alternative beurteilen zu können.

    Fazit

    Die von den Autoren beschriebene Methode ist ein guter Ansatz für die Generierung eines durch Tissue Engineering gewonnenen Mundschleimhaut-Äquivalents. Die Charakterisierung des Implantats steht in vielerlei Hinsicht jedoch noch aus. Insbesondere sollten zur Beurteilung des Einsatzes im Patienten brauchbare Studien im Tiermodell durchgeführt werden.

    Prof. Dr. Walburgis Brenner, Mainz


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    Prof. Dr. Walburgis Brenner


    ist Laborleiterin der Urologischen Klinik und Poliklinik der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

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