Aktuelle Urol 2013; 44(01): 10-11
DOI: 10.1055/s-0033-1334834
Referiert und kommentiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Prostatakarzinom – Massenspektrometrie liefert genauere Testosteronwerte

Contributor(s):
Johannes Weiß

J Urol 2012;
187: 1601-1607
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Publication Date:
06 February 2013 (online)

 
 

Beim fortgeschrittenen Prostatakarzinom zielen chirurgische oder medikamentöse Kastration auf eine Androgensuppression mit einem Testosteronspiegel < 50 ng / dl. Die Genauigkeit der meisten Assays für diesen Bereich ist aber zu gering. Niederländische Autoren haben die hoch spezifische und sensitive Isotopen- Verdünnungs-Chromatografie-Tandem-Massenspektrometrie (ID-LC-MS / MS) zur besseren Beurteilung der Testosteronspiegel im Kastrationsbereich eingesetzt.
J Urol 2012; 187: 1601–1607

mit Kommentar

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In der aktuellen Studie bestimmten die niederländischen Autoren den Testosteronspiegel im Blut von Patienten nach chirurgischer und medikamentöser Kastration. Alle Patienten hatten Testosteronwerte < 50 ng / ml, die medikamentös kastierten Männer hatten geringere Level als die chirurgisch kastrierten. (© Dörte Jensen / Thieme)

Für die retrospektive Studie analysierten Tim van der Sluis, VU University Medical Center / Amsterdam, et al. die Blutproben von 66 Patienten mit fortgeschrittenem Prostatakarzinom, darunter 34 mit Orchiektomie (chirurgische Kastration) und 32 mit LHRH-Agonisten (medikamentöse Kastration, LHRH: Luteinisierungs-Hormon-Releasing-Hormon). Die chemische Kastration erfolgte bei 21 Patienten durch Goserelinacetat, bei 10 durch Leuprorelinacetat und bei einem durch Buserelinacetat. Das Durchschnittsalter der Patienten betrug 71,6 Jahre (Orchiektomie) bzw. 73,0 Jahre (medikamentöse Therapie). Die Blutentnahme erfolgte 3 Monate nach der chirurgischen Kastration oder 3 Monate nach Beginn der medikamentösen Therapie und die Autoren ermittelten den Testosteronwert mittels Radio-Immuno-Assay (RIA). Bei der Analyse bestimmten sie mittels ID-LC-MS / MS zusätzlich die Spiegel von

  • Dihydroepiandrosteron-Sulfat,

  • Androstendion,

  • Sex-Hormon-bindendem Globulin und

  • Inhibin B.

97 % der Patienten hatten Testosteronwerte < 20 ng / l

Im RIA lagen die Testosteronwerte aller Patienten unter 50 ng / dl. In der ID-LCMS / MS hatten Patienten mit medikamentöser Kastration mittlere Serumtestosteron-Konzentrationen von 4,0 ng / dl (< 2,9–20,2 ng / dl) und Patienten mit Orchiektomie mittlere Konzentrationen von 9,2 ng / dl (< 2,9–28,8 ng / dl). Dieser Unterschied erwies sich als statistisch signifikant. Dabei hatten jeweils 97 % der orchiektomierten (n = 31) bzw. medikamentös (n = 33) behandelten Patienten Testosteronwerte < 20 ng / dl, alle Patienten lagen bei < 50 ng / dl. Die beiden Gruppen unterschieden sich bezüglich Sex-Hormon-bindendem Globulin, Dihydroepiandrosteron und Androstendion nicht signifikant. Patienten nach Orchiektomie wiesen Inhibin-B-Spiegel unterhalb der Nachweisgrenze auf, Patienten unter medikamentöser Therapie hatten Werte im Normbereich.

Fazit

Bei der genaueren Methode zur Messung des Testosteronspiegels mittels IDLC-MS / MS hatten mit LHRH-Agonisten behandelte Prostatakarzinom-Patienten signifikant niedrigere Werte als orchiektomierte Patienten, so die Autoren. Daraus ließe sich ableiten, den Zieltestosteronwert auf < 20 ng / dl zu senken – dies sollten jedoch Daten aus weiteren Studien untermauern.

Kommentar

Große Streuung der Testosteronwerte unter 50 ng / ml

Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Messung des Testosteronspiegels im Kastrationsbereich. Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass die Messungen des Testosteronspiegels unterhalb des Wertes von 50 ng / dl mit der herkömmlichen Bestimmung mittels vollautomatisierter Radioimmunoassays sehr ungenau ist.

Um eine genauere Beurteilung des Testosteronspiegels zu erreichen, setzten die Autoren eine ultrasensitive Methode, die sogenannte ID-LC-MS / MS (isotope dilution chromatography-tandem mass spectrometry), ein. Es erfolgten Testosteronmessungen bei insgesamt 66 Patienten, die retrospektiv ausgewertet wurden. Davon hatten 34 Patienten eine chirurgische Kastration. Diese teilten sich wiederum in 24 Patienten mit fortgeschrittenem bzw. metastasiertem Prostatakarzinom und 10 Patienten mit Orchiektomie im Rahmen einer Geschlechtsumwandlung auf. Die übrigen 32 Patienten erhielten ein LHRH-Analogon.

Bei allen Patienten wurde Testosteron mittels ID-LC-MS / MS gemessen. Weiterhin bestimmten die Autoren Dehydroepiandrosteron (DHEAS) und Androstendion als Marker der Nebennierenandrogenproduktion und Inhibin-B als Marker für vorhandenes Hodengewebe und das sexhormonbindende Globulin (SHBG). Die Werte wurden zwischen den Gruppen Orchiektomie und LHRH-Analogon verglichen.

Testosteronwerte aller Patienten langen unter 50 ng / ml

Im Hinblick auf Alter, Tumorstadium (hormonnaiv, kastrationsresistent, metastasiert) und PSA-Ausgangswert ergab sich kein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen. Im Standard-Immunoassay hatten alle Patienten einen Testosteronwert unterhalb 50 ng / ml. Bei der Bestimmung mittels ID-LC-MS / MS hatten die Patienten mit LHRH-Analogon einen signifikant niedrigeren Testosteronwert als die orchiektomierten Probanden (im Median 4 ng / dl vs. 9,2 ng / dl, p < 0,001 im Mann-Whitney-Test). Auffallend dabei war jedoch eine recht hohe Streuung der Werte (LH-RH-Analogon 2,9 bis 20,2 ng / ml und Orchiektomie 2,9 bis 28,8 ng / ml). Hinsichtlich SHBG, DHEAS und Androstendion gab es keine Unterschiede in beiden Gruppen. Inhibin-B war bei allen orchiektomierten Patienten unterhalb der Nachweisgrenze, während bei den Probanden mit LHRH-Therapie normale Werte von Inhibin-B nachweisbar waren.

Die Arbeit zeigt, dass es auch bei chirurgisch oder medikamentös kastrierten Patienten eine deutliche Bandbreite von Testotesteronspiegeln gibt. Unklar bleibt, warum bei orchiektomierten Patienten die Spiegel im Median signifikant höher waren. Alle orchiektomierten Patienten hatten einen Inhibin-B-Spiegel unterhalb der Nachweisgrenze, was restierendes funktionelles Hodengewebe nach subkapsulärer Orchiektomie ausschließt. Eine vermehrte Produktion adrenaler Androgene bei orchiektomierten Patienten ist durch die nahezu identischen Werte von DHEAS und Androstendion auch ausgeschlossen. Als mögliche Erklärung für die erhöhten Testosteronspiegel in der orchiektomierten Gruppe diskutieren die Autoren eine vermehrte intrazelluläre Synthese in Prostatakarzinomzellen. Diese würden durch eine vermehrte LH-Sekretion bei orchiektomierten Patienten stimuliert. In diesem Fall wäre ein Vergleich der Testosteronwerte bei ausgedehnt metastasierten Patienten (hohe Tumorlast) mit lokal fortgeschrittenen Patienten (geringe Tumorlast) interessant. Theoretisch müssten bei intratumoraler Testosteronproduktion die ausgedehnt metastasierten Patienten höhere Testosteronwerte haben. Die Autoren nahmen diesen Vergleich jedoch nicht vor.

Chirurgische Kastration der medikamentösen überlegen?

Es stellt sich die Frage, ob die beobachteten geringen Unterschiede in den Testosteronwerten klinische Relevanz haben. Eine Unterlegenheit der Orchiektomie hinsichtlich des Überlebens konnte bisher in keiner Studie nachgewiesen werden. Allerdings zeigt der Überlebensvorteil durch Abiraterone beim kastrationsresistenten Prostatakarzinom, dass auch bei suffizient kastrierten Patienten mit einem Testosteronwert unter 50 ng / ml noch Therapiereserven mit einer weiteren additiven Androgensuppression bestehen. Dies weist auf eine vorhandene Aktivität der Restandrogene hin. Eine maximale Suppression mit einem effektiven LHRH-Analogon oder auch einem Antagonisten sollte deshalb angestrebt werden. Häufigere Testosteronmessungen auch mit ultrasensitiven Assays wären hier eine gute Möglichkeit für die Selektion der optimalen medikamentösen Kastration. Neben den häufig durchgeführten PSA-Bestimmungen sollte bei Patienten unter medikamentöser Kastration auch der Testosteronspiegel bestimmt werden.

Fazit

Sowohl bei medikamentös mittels LHRH-Analogon als auch bei chirurgisch kastrierten Patienten ist eine große Streubreite von Testosteronwerten unterhalb 50 ng / ml zu finden. Ob die chirurgische der medikamentösen Kastration wirklich unterlegen ist, müsste jedoch an größeren Fallzahlen gezeigt werden. Die präsentierten Werte sind trotz statistischer Signifikanz aufgrund der großen Streuung nicht wirklich überzeugend.

Dr. Stefan Zastrow & Prof. Dr. Manfred Wirth, Dresden


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Dr. Stefan Zastrow


ist Oberarzt an der Klinik und Poliklinik für Urologie des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus, Dresden

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Prof. Dr. Manfred Wirth


ist Direktor der Klinik und Poliklinik für Urologie des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus, Dresden

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In der aktuellen Studie bestimmten die niederländischen Autoren den Testosteronspiegel im Blut von Patienten nach chirurgischer und medikamentöser Kastration. Alle Patienten hatten Testosteronwerte < 50 ng / ml, die medikamentös kastierten Männer hatten geringere Level als die chirurgisch kastrierten. (© Dörte Jensen / Thieme)