Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2013; 20(01): 9
DOI: 10.1055/s-0033-1336089
Journal-Club
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Anzahl der Evakuierungen und Hospitalisationen abhängig vom medizinischem Risikoprofil der Länder – Medizinische Risiken für beruflich Reisende

Rezensent(en):
Stefan Eßer
Druckman M, Harber P, Liu Y et al.
Country factors associated with the risk of hospitalization and aeromedical evacuation among expatriate workers.

J Occup Environ Med 2012;
54: 1118-25
Weitere Informationen

Korrespondenz

Dr. Stefan Eßer
International SOS GmbH
Hugenottenallee 167
63263 Neu-Isenburg
Deutsche Fachgesellschaft für Reisemedizin

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
25. Februar 2013 (online)

 

In der Septemberausgabe 2012 des amerikanischen Journals für Arbeits- und Umweltmedizin beschreiben Druckman und Kollegen eine Studie, die aus den Falldaten von weltweit 27 Assistance Centren von International SOS, einem international operierenden Anbieter assistancemedizinischer Dienstleistungen, erstellt wurden.

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Thema: Die Studie untersucht das Risiko von beruflich Auslandsentsendeten, sogenannten Expatriates, während der Dauer ihres Auslandsaufenthalts aufgrund medizinischer Gründe eine Krankenhauseinweisung zu erfahren oder evakuiert zu werden in Abhängigkeit vom medizinischen Risikoprofil des Reiselands. Aus den Daten werden Rückschlüsse auf die Fürsorgepflicht von Unternehmen gezogen, die Mitarbeiter dienstlich in medizinische Risikoländer entsenden.

Projekt: Über den Zeitraum von 2009–2011 wurden die Daten von 94 651 betroffenen Personen (at risk population) hinsichtlich der Häufigkeit von Krankenhauseinweisung und Evakuierung mittels Flugambulanz oder Linienflug untersucht. Der Anzahl von 94 651 Reisen Geschäftsreisender und Auslandsentsendeter (Expats) sowie deren Angehörigen wurde die Anzahl von 17 828 Krankenhauseinweisungen und 5725 medizinischen Luftevakuierungen aus Reiseländern mit unterschiedlichem medizinischen Risiko gegenübergestellt.

Für die medizinische Risikoeinschätzung wurden die Kriterien von 2 Ratingsystemen, International Human Development Index (HDI) und Provider Country Medical Risk Rating (CRM), zugrunde gelegt: Beide nehmen eine 4-stufige Gliederung für ein Land vor, so wird zum Beispiel bei CRM das medizinische Risiko eine Landes in niedrig, moderat, hoch oder extrem eingestuft.

Ergebnisse: Die Studie zeigt anhand großer Fallzahlen sehr deutlich, dass sowohl die Wahrscheinlichkeit von Krankenhauseinweisungen als auch die von medizinisch induzierten Luftevakuierungen stark abhängig ist vom medizinischen Risikoprofil eines Landes, welches damit auch das individuelle Reiserisiko eines Geschäftsreisenden nachhaltig bestimmen dürfte.

Ebenfalls steigt mit dem Länderrisiko die Wahrscheinlichkeit, dass einer Krankenhauseinweisung eine medizinische Evakuierung folgt. Bei der höchsten Länderkategorie bestand gegenüber der niedrigsten Länderkategorie ein 46-fach erhöhtes Risiko für die beiden Parameter.

Fazit: Die Autoren weisen mit der Studie sehr eindrucksvoll nach, dass in Ländern, die von etablierten Ratingsystemen als medizinisch riskant eingestuft werden, ein deutlich erhöhtes Risiko aufwendiger und kostenintensiver medizinischer Behandlungen besteht. Da es sich um beruflich Reisende in der Risikopopulation handelte, schließen die Autoren aus den Daten, dass Unternehmen, die Mitarbeiter beruflich auf Reisen in riskante Länder entsenden, gut beraten sind, entsprechende prophylaktische Maßnahmen im Unternehmen zu implementieren, um solche medizinischen Reiserisiken frühzeitig zu erfassen und minimieren zu können.

Kommentar

Länder mit hohem medizinischem Risikoprofil beinhalten für Reisende ein hohes gesundheitliches Risiko, zum Beispiel Unfälle oder auch Infektionskrankheiten [ 1 ], und damit verbunden mehr medizinische Interventionen wie Krankenhauseinweisungen und Evakuierungen. Diese Erkenntnisse der Untersuchung überraschen kaum einen Reisemediziner, dennoch fehlten bisher harte Daten aus großen Studien, so wie viele reisemedizinische Erkenntnisse und Empfehlungen immer noch niedrige Evidenzgrade aufweisen. Hier aufgrund einer Untersuchung an einer Risikopopulation von über 90 000 beruflich Reisenden mehr Evidenz zu erbringen, ist eindeutig ein Verdienst der Autoren.

Interessant ist darüber hinaus auch, dass die Studie in einem amerikanischen Journal für Arbeitsmedizin publiziert wurde. Die Autoren weisen hiermit schon darauf hin, für wen diese Ergebnisse relevant sein werden: Betriebsärzte und ihre Arbeitgeber, nämlich Unternehmen, welche Mitarbeiter beruflich ins Ausland entsenden. Sorgfältige Vorabuntersuchungen reduzieren das Risiko [ 2 ].

Die Ergebnisse der Studie können im Rahmen der Fürsorgepflicht von Arbeitgebern nicht wichtig genug genommen werden. Ein Unternehmen, das seine Mitarbeiter in Länder mit hohem oder extremem medizinischen Risikoprofil entsendet, muss die Reise medizinisch vorbereiten, die Mitarbeiter früh medizinisch beraten lassen und vor Ort alles tun, um medizinische Betreuung gewährleisten zu können [ 3 ]. Viele Unternehmen delegieren diese Aufgabe vernünftigerweise an professionelle medizinische Assistanceanbieter.

Aber auch die finanziellen Auswirkungen der Ergebnisse der Studie werden für Firmen interessant sein. Fast jede Krankenhauseinweisung und sicherlich jede medizinische Evakuierung bedeutet eine längere oder gar definitive Unterbrechung der Arbeit des Reisenden, welche eine Unterbrechung des jeweiligen Auslandsprojekts zur Folge hat. Die vereinbarte Dienstleistung kann nicht oder zumindest nur verzögert erbracht werden. Die Ausfallkosten dieser Geschäftsunterbrechung dürften für viele Unternehmen relevanter und höher sein, als die außerdem entstehenden Kosten für Behandlung des Mitarbeiters und die Evakuierung. Eine sorgfältige, präventive medizinische Reisevorbereitung und Betreuung während der Reise kann Unternehmen nur empfohlen werden.


#
  • Literatur

  • 1 Allegranzi B, Bagheri NS, Combescure C et al. Burden of endemic health-care-associated infection in developing countries: systematic review and metaanalysis. Lancet 2011; 377: 228-41
  • 2 Vetted International, Raleigh, USA, 01.10. 2010 Vetted International pre-deployment screening supports defense contractors accompanying U.S. Armed Forces. Im Internet: www.vetted-intl.com/press6.php
  • 3 Claus L. International Assignees at Risk: employers have a duty of care for workers around the globe. HR Magazine 2010; 55: 73-4

Korrespondenz

Dr. Stefan Eßer
International SOS GmbH
Hugenottenallee 167
63263 Neu-Isenburg
Deutsche Fachgesellschaft für Reisemedizin

  • Literatur

  • 1 Allegranzi B, Bagheri NS, Combescure C et al. Burden of endemic health-care-associated infection in developing countries: systematic review and metaanalysis. Lancet 2011; 377: 228-41
  • 2 Vetted International, Raleigh, USA, 01.10. 2010 Vetted International pre-deployment screening supports defense contractors accompanying U.S. Armed Forces. Im Internet: www.vetted-intl.com/press6.php
  • 3 Claus L. International Assignees at Risk: employers have a duty of care for workers around the globe. HR Magazine 2010; 55: 73-4

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