Transfusionsmedizin 2013; 03(01): 8-9
DOI: 10.1055/s-0033-1341551
Aktuell referiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Thrombozytopenie – Ist die therapeutische Thrombozytengabe effektiv?

Contributor(s):
Peter Pommer
Wandt et al.
Lancet 2012;
380: 1309-1316
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Publication History

Publication Date:
28 March 2013 (online)

 

    In einer retrospektiven Studie von Friedmann et al. zeigte sich bei Thrombozytopenie keine Korrelation zwischen Thrombozytenzahl und Blutungsrisiko. Zwei Pilotstudien von Wandt et al. aus Deutschland gaben Hinweise, dass die Infusion von Thrombozyten nur im Blutungsfall keine schlechteren Ergebnisse hat als eine routinemäßige Gabe bei Unterschreiten eines Schwellenwertes. Dies untersuchten Wandt et al. nun in einer randomisierten Multizenterstudie.
    Lancet 2012; 380:1309–1316

    In der Studie wurden 391 Patienten im Alter von 16 bis 80 Jahren analysiert. 194 Patienten erhielten prophylaktische Thrombozytentransfusionen bei Unterschreiten einer Thrombozytenzahl von 10 000 / μl, 197 Patienten dagegen nur im Falle einer Blutung (therapeutische Strategie). Beide Studienarme umfassten je 2 Gruppen: A bestehend aus Patienten mit akuter myeloischer Leukämie, B aus Patienten nach autologer peripherer Stammzelltransplantation.

    Primärer Endpunkt war die Zahl der transfundierten Thrombozytenkonzentrate innerhalb der standardisierten Nachbeobachtungsphase von 2 Wochen. Wichtigster sekundärer Endpunkt war die Zahl der klinisch relevanten Blutungen, weitere Endpunkte waren u. a. Gesamtüberleben und Nebenwirkungen.

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    Nach den Ergebnissen der Autoren bleibt eine prophylaktische Transfusion von Thrombozyten bei AML empfohlen. (Symbolbild, Quelle: PhotoDisc)

    Die therapeutische Strategie reduzierte den primären Endpunkt um 33,5 % (95 %-Konfidenzintervall 22,2–43,1; p < 0,0001) im Vergleich zur prophylaktischen Strategie. In der Untergruppe der Stammzelltransplantierten war das Risiko einer klinisch relevanten Blutung dabei nicht erhöht. Dagegen traten bei den Patienten mit AML in der therapeutischen Gruppe mehr schwere Blutungen auf, davon 2 tödliche.

    Fazit

    Aufgrund dieser Ergebnisse empfehlen die Autoren bei Patienten mit akuter myeloischer Leukämie weiterhin prophylaktische Thrombozytentransfusionen. Die Strategie, Thrombozyten nur therapeutisch zu verabreichen, könnte jedoch Standard bei Patienten nach autologer Stammzelltransplantation werden.

    Kommentar zu:

    Lancet 2012; 380: 1309–1316

    Seit mehreren Dekaden stellt die prophylaktische Thrombozyten-Transfusion bei Patienten mit ausgeprägten Thrombozytopenien und Thrombozytenwerten von < 10 Thrombozyten / nl im peripheren Blut eine wichtige Säule der supportiven Behandlung hämato-onkologischer Erkrankungen dar.

    In der Studie von Wandt et al. (Zusammenfassung s. S. 8) wurden in einer offenen, multizentrischen, randomisierten, über 5 Jahre rekrutierenden Studie 391 hämatologische Patienten eingeschlossen, von denen 197 dem prophylaktischen und 199 dem (rein) therapeutischen Thrombozytentransfusions-Arm zugeteilt wurden. Die 391 eingeschlossenen Patienten teilten sich nochmals auf in 190 AML- und 201 Patienten, die sich einer autologen Stammzelltransplantation (Stammzell-Tx) unterzogen.

    Bei den insgesamt relativ hohen Blutungsraten in beiden Gruppen und der Bildung von Untergruppen durch Einschluss von AML-Patienten mit hohem Thrombozytopenie- und Blutungsrisiko sowie in der gleichen Studie auch autologen Stammzell-Tx-Patienten mit vergleichsweise niedrigerem Thrombozytopenie-Risiko ist eine daraus abzuleitende Therapie-Empfehlung unseres Erachtens nicht möglich: Die geringe Fallzahl und das auch dadurch zu erwartende Ausbleiben von lebensbedrohlichen Blutungen in den beiden Armen bei den autologen Stammzell-Tx-Patienten erlaubt nicht den Schluss, hier könne auf prophylaktische Thrombozytenkonzentrat-Gabe (TK) verzichtet werden.

    Eine ähnliche, ganz aktuelle, randomisierte, kontrollierte Nicht-Unterlegenheitsstudie wurde in England und Australien durchgeführt (TOPPS trial), die den Effekt einer therapeutischen vs. einer prophylaktischen TK-Gabe auf das Blutungsrisiko von hämatologischen Patienten mit Thrombozytopenie untersuchte und 600 Patienten, davon 70 % mit autologer Stammzell-Tx, einschloss. Hier konnte trotz der vergleichsweise hohen Fallzahl die Nicht-Unterlegenheit der therapeutischen TK-Gabe gegenüber der prophylaktischen TK-Gabe, der primäre Endpunkt der Studie, nicht belegt werden. Erste Analysen der Daten, die auf dem Jahreskongress der American Society of Hematology (ASH) im Dezember 2012 vorgestellt wurden, zeigten, dass die Patienten des therapeutischen Arms mehr Tage mit WHO-Grad 2-Blutung oder höher (WHO-Grad 3 oder 4) durchleiden mussten und die Blutungen bei ihnen im Vergleich zu den Patienten unter prophylaktischen TK-Gaben früher auftraten.

    Für die Umsetzung im Alltag kommt hinzu, dass die in den Studien garantierte, 2-mal am Tag durchgeführte engmaschige Überprüfung jedes einzelnen Patienten auf etwaige Blutungszeichen durch erfahrene Untersucher in der täglichen Routine, obwohl sinnvoll, nur schwerlich durchgehalten werden kann.

    Während es im Rahmen der modernen Behandlung hämato-onkologischer Patienten notwendig ist, die Evidenz-basierte Gabe von Blutprodukten zu fördern und den Indikations- und Leitlinien-konformen Einsatz der begrenzt vorhandenen Ressource Blutpräparate zu fordern, müssen tiefgreifende Änderungen eines seit Jahrzehnten erfolgreichen Behandlungsregimes wie der prophylaktischen TKGabe bei Patienten mit ausgeprägter Thrombozytopenie mit Thrombozytenwerten von < 10 Thrombozyten / nl im peripheren Blut zum Schutz der Patienten mit, wenn möglich, mehreren Studien ausreichender Größe und Beobachtungsdauer sowie gleichgerichtetem Outcome begründet werden können.

    Dies ist unseres Erachtens aufgrund der derzeitigen Studienlage so nicht gegeben, so dass eine Änderung der Behandlungsempfehlung selbst bei Nicht-Hochrisiko-Patienten nicht möglich erscheint.

    Dr. med. Markus M. Müller,
    Prof. Dr. med. Dr. h. c. Erhard Seifried,
    Institut für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie, Frankfurt am Main


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    Nach den Ergebnissen der Autoren bleibt eine prophylaktische Transfusion von Thrombozyten bei AML empfohlen. (Symbolbild, Quelle: PhotoDisc)