Der Slogan Zeit ist Geld hat längst Einzug in die Medizin gehalten. Dabei ist
Zeit das Wichtigste, was ein Patient braucht: Zeit des Arztes, ihm zuzuhören, Zeit
der Pflegekräfte, ihn zu pflegen und Zeit für ihn selbst, gesund zu werden. Nichts
davon ist heute mehr vorhanden. Der Arzt hat am liebsten nur die „Werte“, die
Pflegenden sind mit dokumentieren beschäftigt und der Patient „muss raus“, weil
sonst nicht genug Gewinn übrig bleibt. Der Patient ist freilich immer noch
Mittelpunkt, nur anscheinend unter veränderten Vorzeichen: war er früher der, dem
man bestrebt war, möglichst optimale Hilfe zuteil werden zu lassen, ist er heute die
„Handelsware“, die es gilt, betriebswirtschaftlich maximal auszubeuten. Dass er
dabei Gefahr läuft, auf dem Papier noch kränker zu erscheinen, als er ohnehin ist
und dass bei ihm überflüssige diagnostische und therapeutische Prozeduren
durchgeführt werden, gilt inzwischen als akzeptierter Kollateralschaden – das System
will es so. Nicht mehr die Erkrankung scheint zu bestimmen, was mit einem Patienten
geschieht, sondern die möglichen DRGs, die man über ihn abrechnen kann.
Die Kostensteigerungen der letzten Jahre sind zum erheblichen Teil diesem System
geschuldet. Erst machte man Kliniken zu „Profitzentren“ was Konkurrenzdenken
hervorrief. Dass daraufhin jede noch so kleine Klinik ihren Patienten eine möglichst
umfassende Diagnostik und Therapie anbieten wollte, ist nur logisch. Die Folge
dürften in erheblichem Umfang kostenträchtige „Amortisationsindikationen“ gewesen
sein, denn die teuren Geräte mussten sich betriebswirtschaftlich rechnen. Oder
vermeidbare oftmals infektionsbedingte Komplikationen, weil bei bestimmten
Eingriffen aufgrund zu geringer Fallzahlen die Erfahrung fehlte. Dann folgten
Chefarztverträge mit Zielvereinbarungen nach deren Bekanntwerden in der
Öffentlichkeit irritiert die Frage gestellt wurde, ob dadurch vielleicht
Indikationsstellungen im Einzelfall beeinflusst werden könnten: Statt einer
konservativen Therapie ein operativer Eingriff mit allen damit verbundenen Risiken,
incl. nosokomialer Infektion.
Dass nosokomiale Infektionen nicht nur durch die in den Medien so beliebten
„Killerkeime“ entstehen, sondern überwiegend durch „normale“ Bakterien von Haut-
oder Schleimhaut der Ärzte und Pfleger, meist aber des Patienten selbst, dringt
nicht so recht ins Bewusstsein. Stattdessen beschuldigt man gerne Bakterien aus der
Umgebung: Wasserkeime, gegen die die Industrie Wasserfilter anbietet, oder auf
Flächen nachweisbare Bakterien, die durchaus von den beteiligten Personen stammen.
Dafür bietet die Industrie viel Antimikrobielles: imprägnierte Stoffe, beschichtete
Oberflächen (seien es Arbeitsflächen oder Wandfliesen), Kupfergegenstände wie
Türgriffe, Lichtschalter und Handläufe, und wer es ganz gründlich plant, baut gleich
mit antimikrobiell wirksamen Bausteinen. Diese Sicht von Hygiene eröffnet der
Industrie einen Milliardenmarkt und den Beschäftigten im Gesundheitswesen die
Möglichkeit, keine eigene Betroffenheit zulassen zu müssen, denn es sind ja nicht
sie, sondern es ist die Umgebung. Bis auf die Hände, die lassen sich schlecht
wegretuschieren. Dafür gibt es alle Jahre wieder den europäischen „Händehygienetag“,
mancherorts mit Bandenwerbung wie im Stadion und Ständen wie auf dem Jahrmarkt. Dass
dadurch die Compliance der Beschäftigten im Gesundheitswesen deutlich besser
geworden wäre, hat noch niemand in großem Stil zeigen können. Das daran Denken im
täglichen Handeln ist das Entscheidende!
Um das zu fördern hat der Gesetzgeber 2011 Hygienemitarbeiter sowohl im ärztlichen
als auch im pflegerischen Bereich verordnet [1] und 2013
eine Art Anschubfinanzierung nachgereicht [2]. Im
Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der
Krankenversicherung wird beschrieben, unter welchen Voraussetzungen
medizinische Einrichtungen wie viel Geld zur Einstellung, Aus- und Weiterbildung
ihrer Hygienemitarbeiter bekommen. In einer Erläuterung wurde hierzu ausgeführt,
dass diese Beträge mit den Versicherungen im Rahmen der DRG-Verhandlungen als
Aufschlag auszuhandeln seien. Man kann dies durchaus als Ironie empfinden.
Dass sich dadurch die Grundeinstellung insbesondere mancher Ärzte ändern wird, die
sich darin äußert, dass z. B. so grundlegende Forderungen wie die nach adäquater
Händehygiene in der Praxis aus Zeitgründen als nicht durchführbar bezeichnet wird,
ist nicht zu erwarten. Die zunehmende Zahl an Controllern im Verwaltungsbereich mag
das Budget transparenter werden lassen, belastet es aber auch. Die zunehmende Zahl
an Hygienemitarbeitern bietet dagegen eine Voraussetzung, notwendige
Verhaltensweisen im Umgang mit Patienten zur Routine werden zu lassen, nosokomiale
Infektionen (und damit Kosten) zu vermeiden. Allerdings nur, wenn begleitend dazu
eine ausreichende Zahl an Ärzten und Pflegekräften die erforderliche Zeit für ihre
verantwortungsvolle, Konzentration erfordernde Tätigkeit haben [3]
[4]!