Intensivmedizin up2date 2013; 09(04): 261-264
DOI: 10.1055/s-0033-1344909
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Update Transplantationsmedizin

Transplantationsmedizin in Deutschland aus der Sicht des Viszeralchirurgen
Peter Schemmer
,
Markus W. Büchler
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Korrespondenzadressen

Prof. Dr. med. Peter Schemmer
Prof. Dr. med. Markus W. Büchler
Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie
Universitätsklinik Heidelberg
Im Neuenheimer Feld 110
69120 Heidelberg

Publication History

Publication Date:
13 November 2013 (online)

 

Organspende. Die Transplantationsmedizin in Deutschland hat, wie in kaum einem anderen Land, ein grundlegendes Problem. Die entscheidende Ressource, Organe, die zur Transplantation geeignet sind, steht in einem nur sehr beschränkten Ausmaß zur Verfügung. Verantwortlich hierfür ist die fehlende Spendebereitschaft in der Bevölkerung. Die Ursachen liegen wahrscheinlich noch immer in der unzureichenden Aufklärung und dem daher fehlenden Verständnis der Diagnose „Hirntod“. Um dieser unbefriedigenden Situation entscheidend entgegenzuwirken, muss es geschafft werden, potenziell Spendewilligen zu vermitteln, dass der Hirntod das unwiederbringliche Ende eines Individuums darstellt und nicht mit einem Koma verwechselt werden darf, aus dem man wieder erwachen und leben kann. Zudem muss deutlich werden, dass diese beiden Zustände mit der Hirntoddiagnostik klar unterschieden werden können. Solange nicht klar ist, dass ausschließlich nach eindeutig positiver Hirntoddiagnostik eine Organspende durchgeführt werden darf, bestehen unbegründete Ängste vor lebensbedrohenden Fehlentscheidungen.

Transplantationsskandal. Vertrauen schaffende Maßnahmen durch maximale Transparenz aller Prozesse sind nach dem Transplantationsskandal, der uns zwar alle zutiefst erschütterte, aber ausschließlich die Lebertransplantation betraf, noch wichtiger geworden. Durch teils schwerwiegende Verstöße bei der Umsetzung der Richtlinien für die Wartelistenführung und die Organvermittlung des Transplantationsgesetzes in 4 von 24 Lebertransplantationszentren wurde gezeigt, wie anfällig das Allokationssystem gegenüber Manipulationen war. Spätestens jetzt haben alle Systembeteiligten gelernt, dass die Schwächen des Systems bei der Organverteilung nach den geltenden Richtlinien nur durch Interdisziplinarität, Kommunikation und Transparenz zu beseitigen sind. Fortwährende Kontrollen von innen und außen sowie ein gesundes Maß an Selbstkritik von allen Beteiligten können dazu beitragen, Manipulationsversuche frühzeitig zu erkennen und zu verhindern, damit der richtige Empfänger das dringend benötigte Transplantat erhält. Inzwischen wurde absolute Transparenz aller Vorgänge und Abläufe durch das Mehraugenprinzip bei Organspende, -verteilung und Therapie der Empfänger geschaffen. Hierzu erfolgte die Implementierung von zusätzlichen Kontrollmechanismen bei der Wartelistenführung, die Durchführung von interdisziplinären Transplantationskonferenzen und eine Kontrolle aller Lebertransplantationszentren durch Besuche der Überwachungs- und Prüfungskommission der Bundesärztekammer. Der abschließende Prüfbericht von der Prüfungskommission und der Überwachungskommission von Bundesärztekammer, Deutscher Krankenhausgesellschaft und GKV-Spitzenverband zeigt jedoch auch, dass sich das Gros aller Zentren gemäß den gültigen Richtlinien verhält [1]. Die Folgen des Skandals lassen sich in einer um zeitweise regional bis zu 66 % rückgängigen Organspendebereitschaft und der damit verbundenen noch größeren Mortalität von Patienten auf der Warteliste zur Transplantation zusammenfassen [2]. Betroffen sind unabhängig vom Organ alle Patienten, die auf eine Transplantation warten.

Erweiterung des Spenderpools. Durch unzählige Forschungsprojekte wird seit längerer Zeit versucht, den Spenderpool zu erweitern. Mittlerweile können Organe, die bis vor wenigen Jahren als nicht transplantabel galten, mit akzeptablem Ergebnis transplantiert werden. Erweiterte Spenderkriterien wie Virushepatitis (jeweils alternativ HBS Ag +, anti-HBC + oder anti-HCV+ ), Sepsis mit positiver Blutkultur, Meningitis, maligner Tumor in der Anamnese, Drogenabhängigkeit, Alter des Spenders > 65 Jahre, Intensivtherapie einschließlich Beatmung des Spenders > 7 Tage, Adipositas des Spenders mit BMI > 30, Fettleber (histologisch gesichert)  > 40 %, S-Natrium > 165 mmol/l (letzter Wert vor der Spendermeldung), SGOT oder SGPT > 3 × normal (letzter Wert vor der Spendermeldung) oder S-Bilirubin > 3 mg/dl (letzter Wert vor der Spendermeldung) gelten als Qualitätshinweis für die Organe des Spenders [3]. Eine direkte Korrelation zwischen Vorhandensein von erweiterten Spenderkriterien und Komplikationen nach einer Transplantation ist jedoch für viele Organe nicht vorhanden. So wurde für die Leber gezeigt, dass selbst Organe von Spendern mit 3 erweiterten Spenderkriterien erfolgreich transplantiert werden können [4] [5]. Während bei der Lebertransplantation das Spenderalter de facto keine Rolle mehr spielt, ist man gerade beim Herzen, der Lunge und auch noch bei der Bauchspeicheldrüse restriktiv. Bei letzterer scheinen jedoch auch Hinweise dafür zu bestehen, dass Organe aufgrund des Spenderalters ungerechtfertigter Weise abgelehnt werden [6].

Perioperative Konditionierung von Organen. Die Qualität von potenziellen Transplantaten ist von unterschiedlichen Einflussgrößen abhängig. Abgesehen von den Organschäden, die aufgrund von Alter und Vorerkrankungen des Organspenders bereits bestehen, kommt es während der gesamten Behandlungsdauer vor dem Eintritt des Hirntodes durch Ischämie-/Reperfusionsphänomene, die Nebenwirkungen von Medikamenten, aber auch durch Hirndruck zu weiteren Organschäden [7]. Faktoren wie Organentnahme, Dauer der kalten Ischämie in Konservierungslösung, Backtable-Operation, Transplantation mit Erwärmung des Organs und schließlich sogar die Reperfusion des Transplantates induzieren weitere Schäden, die für eine schlechte Transplantatfunktion bis hin zu Transplantatversagen verantwortlich sein können [8]. Konzepte wie exemplarisch die multimodale Spenderkonditionierung [9], Optimierung von Konservierungslösungen [10], Maschinenperfusion zur Konservierung [11], die Rekonditionierung [12] oder Spülung des Transplantates vor Reperfusion oder die Empfängervorbehandlung [13] werden derzeit hinsichtlich einer Optimierung der Transplantate evaluiert. Keines dieser Konzepte wurde jedoch bislang als klinischer Standard etabliert.

Lebendspende (Niere, Leber). Durch die Lebendspende einer Niere oder eines Teils der Leber kann den zu Transplantierenden geholfen werden, wenngleich bedacht werden muss, dass sich hierfür gesunde Menschen einer Operation mit den damit verbundenen Risiken unterziehen [14] [15]. Der Anteil der nach Lebendspende transplantierten Lebern lag 2012 in Deutschland bei unter 7 %, wobei der größte Anteil auf die pädiatrische Transplantation entfiel. Hingegen stieg 2012 der Anteil bei der Niere auf über 30 % aller Nierentransplantierter [16]. Während der Vorteil hinsichtlich Planbarkeit der Transplantation und Verkürzung der Wartezeit evident ist, profitieren insbesondere die Nierenempfänger von der Lebendspende [17]. Unabhängig vom Spenderalter ist das Transplantatüberleben nach Lebendspende signifikant besser als nach Verstorbenenspende [17]. Sollte die Transplantation präemptiv erfolgen, kommt es zu einem weiteren Überlebensvorteil des Transplantates [18]. Bei aller Euphorie bei der Betrachtung der Transplantationsergebnisse muss jedoch erwähnt werden, dass sich seit kurzer Zeit Berichte vom Fatigue-Syndrom beim Lebendspender finden lassen, die zu einer Beeinträchtigung der Lebensqualität führen kann [19].

Split-Lebertransplantation. Nach Verstorbenenspende gibt es die prinzipielle Möglichkeit, die entnommene Leber zu teilen, um sie so für 2 Empfänger zu nutzen. Neben den anatomischen Voraussetzungen müssen sowohl die Organqualität als auch die Größe der Leberteilstücke eine Transplantatfunktion gewährleisten, die das Überleben eines Empfängers garantieren. Während die Split-Lebertransplantation derzeit fast ausschließlich für die Transplantation der Lebersegmente II/III bei Kindern und der verbleibenden Segmente der Leber für Erwachsene genutzt wird, liegt derzeit der Gesamtanteil der Split-Lebertransplantation von den Verstorbenenspenden bei ca. 5 % [16]. Der Hauptgrund für diesen geringen Anteil vom Gesamtkollektiv liegt vor allem in der Qualität der Spenderorgane, aber auch in der Erkrankungsschwere des Empfängers, die in ihrer Kombination eine Teilung der Leber nur selten zulassen.

Schlussendlich können die medizinischen Maßnahmen den durch unsere Gesellschaft begründeten Organmangel nicht beseitigen. Selbst der Aufruf durch Gesetzgebung (z. B. Einführung der Widerspruchslösung), die Organspende zu fördern, erscheint wenig sinnvoll, da jeder einzelne unserer Gesellschaft gefragt ist, freiwillig und ohne Druck von außen an einer Änderung mitzuwirken.

Verteilungsgerechtigkeit und Erfolgsaussichten. Aufgrund des Organmangels können nicht alle Patienten rechtzeitig mit einem lebensrettenden Transplantat versorgt werden. Im Rahmen der Mangelverwaltung muss daher die Frage nach einer möglichst gerechten Verteilung der zur Verfügung stehenden Organe gestellt werden. In den aktuellen Richtlinien für die Wartelistenführung und die Organvermittlung des Transplantationsgesetzes ist eine Organverteilung sowohl nach Dringlichkeit als auch nach den Erfolgsaussichten vorgeschrieben. Da sich die speziellen Allokationsregeln zwischen den einzelnen Organen stark unterscheiden, wird hier nicht zuletzt aus aktuellem Anlass nur auf die Zuteilung von Lebern eingegangen.

Für die Organvergabe zur Lebertransplantation nach Dringlichkeit wird der labMELD-Score als Index für die Erkrankungsschwere aus den Laborwerten INR, Bilirubin und Kreatinin errechnet, wenngleich mittlerweile die meisten Patienten aufgrund ihrer Grunderkrankung Zusatzpunkte erhalten, die dann einen matchMELD ergeben. Dieser steigt in der Regel mit der Wartezeit. Für die gleichsam als Allokationsvoraussetzung genannte Erfolgsaussicht existiert kein klinisch validierter Score, der als Entscheidungshilfe herangezogen werden könnte. Die Erfolgsaussicht wird allein aufgrund des ärztlichen Erfahrungsschatzes getroffen. Die Abwägung zwischen Listung bzw. Entlistung eines Patienten zur Lebertransplantation und der Annahme oder Ablehnung eines Organangebotes gestaltet sich im Einzelfall schwierig, da die derzeitige MELD-basierte Leberallokation die Priorisierung von den kränksten Patienten vorsieht. Diese Patienten haben jedoch eine schlechtere Prognose als Patienten mit einem niedrigeren MELD-Score [20]. Das derzeitige Outcome nach Lebertransplantation ist bei uns im internationalen Vergleich mit z. B. Nordamerika signifikant schlechter. Retrospektive Analysen konnten bereits einen Zusammenhang zwischen Empfängeralter, Serumkreatinin und Cholinesterase vor Transplantation und Mortalitätsrisiko nach Transplantation zeigen [21]. Könnten Patienten identifiziert werden, deren Mortalität auf der Warteliste niedriger als nach Lebertransplantation ist, würde dies neue ethische und auch rechtliche Fragen aufwerfen. Zu bedenken ist hierbei allerdings, dass die Gültigkeit von Mortalitätsvorhersagen aus Scores wie auch dem MELD-Score regelmäßig validiert und hinterfragt werden muss, da mit einer weiteren Verbesserung der medizinischen Maßnahmen und damit mit einer weiteren Verbesserung des Gesamtüberlebens sowohl auf der Warteliste, aber auch nach Transplantation zu rechnen ist.

Die Frage, wie eine gerechte Organverteilung beim bestehenden Organmangel aussehen muss, bleibt unbeantwortet. Sicher ist jedoch, dass vom ärztlichen, ethischen und rechtlichen Grundsatz jeder Patient einen Therapieanspruch hat. Weder die Mangelverwaltung durch eine Priorisierung nach Wartezeit und Krankheitsschwere noch die Bevorzugung von Patienten mit den größten Heilungsaussichten lösen das bestehende Problem der Verteilungsungerechtigkeit. Um möglichst viele Organe erfolgreich zu transplantieren, müssten Patienten eindeutig identifiziert werden können, die nicht von einer Transplantation profitieren.

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Markus W. Büchler
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Peter Schemmer

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Die Literatur zu diesem Beitrag finden Sie unter http://dx.doi.org/10.1055/s-0033-1344909.

  • Literatur

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  • 18 Mange KC, Weir MR. Preemptive renal transplantation: why not?. Am J Transplant 2003; 3: 1336-1340
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  • 21 Weismüller TJ, Prokein J, Becker T et al. Prediction of survival after liver transplantation by pre-transplant parameters. Scand J Gastroenterol 2008; 43: 736-746

Korrespondenzadressen

Prof. Dr. med. Peter Schemmer
Prof. Dr. med. Markus W. Büchler
Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie
Universitätsklinik Heidelberg
Im Neuenheimer Feld 110
69120 Heidelberg

  • Literatur

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