Z Orthop Unfall 2013; 151(02): 119-122
DOI: 10.1055/s-0033-1345670
Orthopädie und Unfallchirurgie aktuell
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Interview – Novelliertes Infektionsschutz-gesetz: Neue Chancen gegen nosokomiale Infektionen

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Publication Date:
25 April 2013 (online)

 
 

    Prof. Axel Kramer (Jahrgang 1946) ist Direktor des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin der Universitätsmedizin Greifswald und Mitglied der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) beim Robert-Koch-Institut (RKI).

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    Professor Axel Kramer von der Universität Greifswald kommentiert Versäumnisse und Verdienste des Gesetzgebers bei der Novellierung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG). Dabei weist er auch Orthopäden auf ein neues Berufsbild hin – das des Krankenhaushygienikers.

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    Handhygiene – je häufiger, desto besser. (© Thieme Verlagsgruppe, Alexander Fischer)

    ? 2011 haben Sie eine Initiative Infektionsschutz mitgegründet. Warum noch ein Gremium für Infektionsprophylaxe?

    Wir wollen eine kleine interdisziplinäre Gruppe sein, die vollkommen unbeeinflusst Dinge analysieren kann. Ende letzten Jahres haben wir zum Beispiel die Hygieneverordnungen der Bundesländer analysiert. Das hätte natürlich auch eine Fachgesellschaft wie die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) machen können, hat aber eben keiner gemacht. Also haben wir die Lücke gefüllt.

    ? Die Rede ist von den Hygieneverordnungen, die alle Bundesländer aufgrund der Novellierung des Infektionsschutzgesetzes aus dem Jahr 2011 erlassen müssen. Zunächst gefragt: Sind Sie zufrieden mit der Novellierung des Gesetzes?

    Ich bin auf jeden Fall zufriedener als vorher.

    ? Was läuft heute besser als vor drei Jahren?

    Viele Dinge müssen erst bis 2016 umgesetzt werden, die konkreten Erfolge bleiben abzuwarten. Entscheidend ist aber, dass jetzt endlich eine personelle Basis geschaffen wird, die bislang in dieser Form nicht existierte.

    ? Personelle Basis?

    Kliniken mit mehr als 400 Betten müssen bis 2016 einen Krankenhaushygieniker einstellen, der verantwortlich dafür sein wird, dass Dinge wie zum Beispiel eine Antibiotikapolitik und die Multibarrierenstrategie zur Prävention von Krankenhausinfektionen auch wirklich umgesetzt werden.

    ? Wer wird das übernehmen? Ein spezialisierter Facharzt für Hygiene?

    In den wenigsten Fällen. Das wäre ideal. Ist aber nicht drin, weil wir gar nicht so viele Spezialisten haben. Auf geschätzte 400 neue Stellen kommen derzeit vielleicht gerade mal 70 ausgebildete Fachärzte für Hygiene. In der Praxis werden daher Fachärzte anderer Richtungen diese Stellen besetzen, wenn sie eine zweijährige Zusatzausbildung in Krankenhaushygiene absolviert haben.

    ? Das können also auch Orthopäden sein?

    Natürlich, ja.

    ? Wer bietet die Zusatzausbildung an?

    Derzeit vor allem die Deutsche Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie, vermutlich gibt es bald weitere Anbieter. Das ist natürlich keine Lösung für ein Grundproblem. Wir brauchen viel mehr wissenschaftliche Fundierung für das Fach. Die Universitäten haben leider die Lehrstühle für Hygiene massiv abgebaut. Es sind derzeit nur noch 12 eigenständige Lehrstühle. Mindestens das Doppelte wäre wieder nötig.

    ? Welche weiteren Stellen müssen neu in Krankenhäusern eingerichtet werden?

    Bei den sogenannten Hygienefachkräften kann ich es mir noch am ehesten vorstellen, dass es gelingt, die benötigten Stellen bis 2016 zu besetzen. Das sind Pflegekräfte, die in Hygienefragen besonders geschult sein werden.

    ? Heißt das, auch jede orthopädische Station hat in Zukunft auch solche Fachkräfte?

    In der Regel nicht. Man rechnet als Zielwert, dass Stationen mit hohem Infektionsrisiko solch eine Stelle pro 100 Betten einrichten müssen, bei mittlerem Infektionsrisiko 1 pro 200 und bei niedrigem Risiko etwa 1 pro 500. Ihre Aufgabe wird es vor allem sein, dafür zu sorgen, dass Hygieneregime umgesetzt werden, die in Zusammenarbeit mit dem Krankenhaushygieniker und den Hygienebeauftragten Ärzten erarbeitet wurden.

    ? Hygienebeauftragte Ärzte?

    Das sind Ärzte in jedem Fachbereich, die einen Grundkurs von einer Woche in einer Hygieneschulung absolviert haben.

    ? Es gibt also in Krankenhäusern in wenigen Jahren viel mehr Personal, das sich intensiv um die Hygiene kümmert?

    Die Vorschriften sehen das jetzt vor. Das novellierte Gesetz bietet uns da klare Chancen. Und mein Eindruck ist auch, dass sich die Krankenhäuser schon sehr bemühen, da bewegt sich was.

    ? Neuerungen betreffen aber nicht nur den stationären Bereich, sondern auch die Arztpraxen und Pflegeheime?

    Jein, und genau hier ist auch ein Hauptkritikpunkt unserer Initiative. Genau diese Umsetzung in der Breite der Gesundheitsversorgung ist eben in den einzelnen Bundesländern nicht einheitlich geregelt. Unsere Initiative fordert das aber.

    ? Was meinen Sie? Stellt das neue Infektionsschutzgesetz Spielregeln nur für das Krankenhaus auf, keine für Arztpraxen?

    Es überlässt an dieser Stelle den Bundesländern, dies quasi aus freien Stücken selber zu entscheiden. Die sollen das in Hygieneverordnungen regeln. Wir haben daraufhin jetzt die Hygieneverordnungen aller 16 Länder analysiert und keine Frage: Die wenigsten setzen Hygienevorschriften flächendeckend um, die meisten haben Regeln nur für den stationären Bereich. Wir fordern, dass der Geltungsbereich unbedingt auch stationäre und ambulante Pflegeeinrichtungen und -dienste, Rettungsdienste sowie Arzt- und Zahnarztpraxen umfasst. Fünf Bundesländer haben die niedergelassenen Ärzte überhaupt nicht einbezogen. Pflegeheime kein einziges.

    ? Bakterien kennen aber keine Grenzen.

    So ist es. Wenn ich Infektionen mit hochresistenten Erregern verhindern will, muss ich sie überall verhindern. Dass der Bund es den Ländern überlassen hat, in welchen Bereichen sie die Vorschriften umsetzen, ist sein großes Versäumnis.

    ? Kommen denn neue bundesweite Vorschriften zum gezielteren Einsatz von Antibiotika?

    Ich erwarte es, das ist aber noch nicht umgesetzt. Die dafür zuständige neue Kommission Antiinfektiva, Resistenz und Therapie (ART) ist gerade erst gegründet worden.

    ? Aber was ist da neu? Es gab schon seit 2008 eine DART, eine Deutsche Antibiotika Resistenzstrategie, die Regeln festlegt. Papier ist geduldig …

    Das ist richtig. Aber ich vermute zum einen, dass die ART konkretere Dinge fordern und festlegen wird. Vielleicht wird sie Angaben zum Antibiotikagebrauch in Kliniken, vielleicht auch Protokolle zur perioperativen und zur therapeutischen Gabe von Antibiotika einfordern. Ganz entscheidend ist außerdem, dass die Empfehlungen der ART, wie auch die der schon länger bestehenden Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) erstmals gesetzlich verbindlich sein werden. Das ist jetzt verpflichtend. Ich muss begründen, wenn ich als Arzt davon abweiche.

    ? Wo finde ich als Arzt die Empfehlungen von ART und KRINKO?

    Der Einstieg dafür ist auf den Internet-Seiten des RKI (www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/KRINKO/krinko_node.html).

    ? Wenn aber die jeweilige Landesverordnung keine Regelungen zu Arztpraxen und Pflegeheimen macht, dann kann die ART womöglich festlegen, was sie will, für den Antibiotikaeinsatz in diesen Bereichen würde das konkret nicht gelten und so auch nichts ändern?

    Das ist offen. Ich sehe schon noch Chancen, dass die ART überall Beachtung findet.

    ? Sie könnte verbindlich festlegen, dass bei Mittelohrentzündung nicht sofort Antibiotika gegeben werden?

    Zum Beispiel. Das wäre ein Fortschritt.

    ? Wer wird das dann kontrollieren? Sie können nicht neben jeden niedergelassenen Arzt einen Kontrolleur stellen.

    Tja (lacht). Das vor Ort zu checken, ist Sache der Gesundheitsämter.

    ? Das Gesetz nennt Sanktionen bei Regelverstößen. Da gibt es einen § 73, Abs. 1 mit einer langen Liste an Verstößen, für die es Bußgeld gibt. Von 2500–25000 Euro. Wer verhängt das?

    Das Gesundheitsamt oder das Landesgesundheitsamt.

    ? § 74 IfSG legt sogar Freiheitsstrafen fest: Wer vorsätzlich Vorschriften nicht beachtet und gefährliche Krankheitserreger verbreitet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft. Wenn ich durch schlampiges Hygieneverhalten MRSA (methicillinresistenter Staphylococcus aureus) verbreite, dann wandere ich im Ernst ab 2016 ins Gefängnis?

    Das kann passieren. Ich bin durchaus für viele dieser neuen Regelungen. Wenn man aber ehrlich ist, dann bleibt auch hier ein großes Problem. Es fehlt parallel eine neue Vergütung für mehr Hygiene. Denn die wird auch erheblich mehr Kosten verursachen. Für den Krankenhausbereich wäre eine Aufstockung von Fallpauschalen im DRG-System nötig.

    ? Kommt Hygiene jetzt als Parameter in den Qualitätsbericht der Krankenhäuser?

    Das ist so vorgesehen, ja. Aber der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat bislang nicht festgelegt, was kommen soll. Die Indikatoren dafür sollten schon 2012 veröffentlicht sein, das ist aber noch nicht passiert.

    ? Kennen Sie Parameter, die man leicht nehmen könnte?

    Natürlich könnten Sie sofort veranlassen, dass jedes Haus seinen Desinfektionsmittelverbrauch pro Krankenhausbett veröffentlicht. Das ist zwar ein schlichter, aber sehr aussagekräftiger Hygieneparameter. Ähnliches gilt für die Zahl der postoperativen Wund- und für die gefäßkatheterassoziierten Infektionen. Dabei geht es mir noch nicht mal unbedingt um die absoluten Zahlen. Es ist allein schon ein wichtiger Anhaltspunkt, ob ein Haus diese Dinge überhaupt erfasst und dann reagiert.

    ? Stichwort implantatassoziierte Infektionen, die auch auf während der OP eingeschleppte Keime zurückgehen können. Ist das vermeidbar oder bleiben Restrisiken, die einfach nicht beherrschbar sind?

    Die Pathogenese dieser implantatassoziierten Infektionen ist nicht geklärt. Dass sie immer schicksalhaft sind, glaube ich nicht. Die Prophylaxe beginnt für mich mit einem sorgfältigen Abwägen, ob die Prothese wirklich nötig ist. Ich möchte diese Indikation daher interdisziplinär gestellt haben. Da muss außer dem Orthopäden auch der Geriater dabei sein, der Immunologe, der Internist.

    ? Jede Operation birgt eben auch ein Infektionsrisiko?

    Ja, sicher. Ich vermute außerdem, dass auch hierzulande viele Dinge noch besser umgesetzt werden könnten. Wird die ganz wichtige perioperative Antibiotikaprophylaxe zeitgemäß gemacht oder doch nicht? Die Regeln dafür existieren.

    ? Erklären Sie bitte.

    Vor der Operation muss der Patient seine Antibiotikagabe rechtzeitig erhalten und nicht erst dann, wenn der Operateur gerade loslegen will und – zum Glück – noch mal fragt, ob das bereits passiert sei. Ein anderes Beispiel: Offenbar setzen immer noch manche OPs den Laminar Air Flow falsch ein. Wenn die Belüftungsdecken oberhalb des OP-Tisches gerade mal so groß wie der Tisch selber sind, dann reicht das nicht aus. Meist liegt die neue Endoprothese zunächst auf einem Tisch daneben – und damit weit außerhalb des sterilen Luftstroms. Im Endeffekt werden Keime vom Fußboden auf das Implantat aufgewirbelt. Dann sind die Infektionsraten schlechter, als wenn ich ohne solche Systeme arbeite. Und ich darf auch nachfragen: Arbeiten denn alle am OP-Tisch mit zwei Paar Handschuhen?

    ? Übereinander?

    Ja, weil Handschuhe ab und zu perforieren. Andererseits gibt es auch bei bester Umsetzung aller Prävention bei der Implantation einer Endoprothese garantiert kein Nullrisiko für Infektionen. Zumal wir eben nicht eingrenzen können, wann eine Infektion eines Implantats wirklich über die OP kam, und wann Keime später über die Blutbahn des Patienten eingewandert sind.

    ? Bitte noch ein paar Tipps. Händehygiene – Soll der Arzt dem Patienten die Hand geben?

    Nein, möglichst nicht.

    ? Und muss er seine Hände erst desinfizieren und dann waschen, oder anders herum?

    Nur wenn die Hände verschmutzt sind, sollte man ans Waschbecken, sonst möglichst gar nicht. Wichtig ist, dass sich der Arzt die Hände desinfiziert, sobald er zum Patienten geht. Bei jedem neuen Patienten. Unter Umständen auch, wenn er am selben Patienten verschiedene Dinge tut.

    ? Es gibt bereits KISS, das Krankenhaus-Infektion-Surveillance-System. Etwa 900 von 2000 Krankenhäusern machen freiwillig mit. 2007 verbrauchten die Häuser, die bei KISS mitmachen, 16 ml Desinfektionsmittel je Patiententag auf normalen und 76 ml auf Intensivstationen.

    Das ist viel zu wenig. Die doppelte Menge wäre für mich ein Zielwert.

    ? Es gibt eine Schelte der DGKH, dass KISS nichts tauge. Bis Ergebnisse vorlägen, dauere es zu lange, so lautet ein Vorwurf.

    Das ist Unsinn. Diese Kritik teile ich nicht. Sie können jederzeit auf die Daten zugreifen. Wir hier in Greifswald nehmen an einigen KISS-Modulen teil. Bei anderen Dingen betreiben wir unsere hauseigenen Überwachungssysteme. Es ist egal, wie sie das strukturieren, ob mit KISS oder mit einer Alternative – Überwachungssysteme brauchen Sie auf jeden Fall.

    ? Ein Vorteil von KISS ist, dass man Übersicht über das Geschehen im ganzen Land bekommt.

    Naja, ich glaube an die meisten Absolutzahlen in diesem Bereich eher nicht. Es ist immer die Frage, wie gut sie erfasst haben. Aber für die interne Bewertung sind solche Daten unerlässlich.

    ? Wir haben in Deutschland kein System, das nosokomiale Infektionen flächendeckend erfassen würde. Kann man das nicht aufbauen?

    Das haben noch nicht einmal die USA. Und wir haben hier ja noch nicht mal bundesweite Vorschriften zum Screening etwa auf multiresistente gramnegative Problemkeime.

    ? Stichwort MRSA – machen Sie da in Greifswald eine Untersuchung bei jedem neuen Patienten?

    Nein, aber wir testen generell alle Neuaufnahmen auf Risikostationen. Das sind insbesondere Intensivstationen, Stroke Units, die Onkologie, vor jeder perioperativen Antibiotikaprophylaxe, auch in der Hautklinik – und im übrigen jeden Patienten mit einem Risikofaktor. Das ist das holländische System.

    ? Wie schnell haben Sie das Ergebnis?

    Binnen Stunden.

    ? Und bei positivem Befund auf MRSA?

    Wird der Patient solange isoliert, bis er saniert worden ist. Sie bekommen antiseptische Körperwaschungen, Nasensalben, Mundspülungen. Wir konnten dadurch die nosokomiale Infektionsrate bei MRSA bei uns im Krankenhaus um 25 % senken.

    ? Einblick in das Geschehen ein halbes Jahr später haben Sie nicht?

    Nein, das habe ich nicht. Aber durch die Begleitdokumentation wird jeder Patient spätestens bei einer neuen Krankenhausbehandlung gescreent.

    ? Andererseits soll das Meldesystem besser werden. Das novellierte IfSG sieht vor, dass ein Arzt bei Verdacht eines Ausbruchs an das Gesundheitsamt melden muss, was – und das ist neu – diese Information jetzt auch an das RKI geben muss. Wenn nur zwei Patienten mit dem gleichen Erreger in zeitlichem Zusammenhang infiziert sind, ist das schon ein solcher Ausbruch.

    Ja, das Amt muss dann binnen sieben Tagen an das RKI melden.

    ? Sodass das RKI damit jetzt eine bundesweite Übersicht über diese Dinge kriegen müsste.

    Sie glauben doch nicht, dass jeder, der zwei Infektionen sieht, das gleich an das Gesundheitsamt meldet.

    ? Im Kontrast dazu steht, dass es offizielle Zahlen zum Infektionsgeschehen gibt. Laut Bundesgesundheitsministerium ziehen sich jedes Jahr 400 000–600 000 Patienten im Zusammenhang mit einer stationären oder ambulanten Behandlung eine Infektion zu. Das wären an die 3 % von 18 Mio. behandelten Patienten. Also gibt es ja Zahlen?

    Die nehmen wir besser nicht. Ich glaube, die richtige Zahl weiß keiner. Ich halte die absoluten Werte landesweit ehrlich gesagt auch nicht für so wichtig. Entscheidend ist, dass ich solche Zahlen innerhalb einer Einrichtung erhebe, den Trend bei mir analysiere und gegebenenfalls rasch reagiere. Ganz kontraproduktiv ist dabei übrigens: Je engagierter ich als Einrichtung beim Testen bin, je mehr ich dazu untersuche, desto mehr gefährliche Erreger weise ich natürlich nach. Und desto mehr nosokomiale Infektionen muss ich später womöglich auch öffentlich für mein Haus angeben. Wer will das schon?
    Deswegen finde ich, muss ein Krankenhaus vorrangig nur die Infektionen angehen, die wirklich im Zuge von Behandlungen neu entstehen. Also bei Operationen, Implantationen, Kathetern gibt es keinen Zweifel, dass ich da auf das Infektionsgeschehen schauen muss.

    ? Verpflichtend ist es selbst da nicht?

    Doch, mindestens eine ausgewählte Indikatorinfektion muss erfasst werden.

    ? Wie schnell werten Sie in Greifswald aus? Haben Sie eine monatliche oder gar tägliche Übersicht zu den Erregern im Haus?

    Bei den multiresistenten Erregern täglich. Die Daten dazu werden uns direkt hier für jeden Patienten auf den Computer gespielt.

    ? Braucht man elektronische Patientenakten im Haus, um gute Antibiotikapolitik zu machen?

    Das ist ganz wichtig – und selbst bei uns hier im Haus noch nicht vollständig umgesetzt.

    ? Wenn Sie Resistenzen im Haus neu erkennen, passen Sie Ihre Antibiotikaleitlinien dann sofort an?

    Nein, so schnell geht das nicht. Das geht auch bei uns nur jährlich. Wir haben aber zumindest strenge Antibiotikaleitlinien hier in Greifswald.

    ? Ihre Initiative Infektionsschutz hat letztes Jahr eine Umfrage unter Krankenhausmitarbeitern gemacht, bei der 64 % der Häuser keine Antibiotic-Stewardship-Programme hatten. Dort gibt es also keine Leitlinien?

    Nein, offenbar nicht. Das muss sich ändern.

    ? Wie viel Prozent an nosokomialen Infektionen lassen sich bestmöglich vermeiden? 20 %? 40 %?

    Da sehe ich keine pauschalen Zahlen. Das hängt vom Fachgebiet ab. Nehmen wir die Chirurgie des kolorektalen Karzinoms. Da haben wir die Infektionsrate hier in Greifswald in den letzten eineinhalb Jahren um 60 % gesenkt. Wir haben dafür nur überprüft, ob alle gültigen Dinge auch umgesetzt werden. War der Patient normotherm während der OP, hat er perioperativ die richtige Antibiotikaprophylaxe erhalten? Wurde ein MRSA-Screening durchgeführt?

    ? Bleibt es bei diesen Erfolgsquoten im Alltag auch nach Ende des Projekts?

    Ja. In der Neonatologie haben wir mit einem ähnlichen Projekt vor Jahren eine Senkung der nosokomialen Infekte von 93 auf 12 % geschafft – und die Werte halten wir auch. Natürlich brauchen Sie dafür das Engagement aller Mitarbeiter. Aber Sie sehen, dass je nach Fach enorme Verringerungen der Infektionsrisiken zu schaffen sind.

    Das Interview führte Dr. Bernhard Epping, Tübingen

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    (© Thieme Verlagsgruppe, Dörte Jensen)
    Weitere Informationen

    Zu den Neuerungen im Infektionsschutzgesetz beim BMG:
    www.bmg.bund.de/praevention/krankenhausinfektionen/aenderungdes-infektionsschutzgesetzes.html

    Initiative Infektionsschutz:
    www.initiative-infektionsschutz.de

    Krankenhaus-Infektion-Surveillance-System (KISS):
    www.nrz-hygiene.de/surveillance/kiss


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    Handhygiene – je häufiger, desto besser. (© Thieme Verlagsgruppe, Alexander Fischer)
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    (© Thieme Verlagsgruppe, Dörte Jensen)