Laryngorhinootologie 2013; 92(07): 495-501
DOI: 10.1055/s-0033-1347193
Operative Techniken
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Behandlungsprinzipien

Aus: D. Simmen, N. Jones: Chirurgie der Nasennebenhöhlen und der vorderen Schädelbasis 1. Englische Auflage 2005, Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart, New York, 2005; Seiten 1–9
D. Simmen
,
N. Jones
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Publication History

Publication Date:
03 July 2013 (online)

Behandlungsprinzipien

Sorgfältige Diagnostik der Schlüssel zum Erfolg

Ein guter Chirurg muss auch ein guter Arzt sein. Die besten chirurgischen Ergebnisse werden durch die Optimierung der prä- und postoperativen medikamentösen Behandlung erzielt ([Abb. 1]). Die Voraussetzung einer optimalen medikamentösen Behandlung ist das genaue Verständnis der Schleimhauterkrankung. Wie erreicht der Chirurg dies?

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Abb. 1 a, b Nasenpolypen vor a und nach medikamentöser Behandlung b.

Der Kliniker kann die Erkrankungen der Nase nach Anamnese und klinischen Befunden einteilen ([Tab. 1]). Diese Informationen reichen aber nicht immer aus, um eine korrekte Diagnose stellen zu können. Häufig müssen zur Klärung der Pathologie zusätzliche Untersuchungen oder eine präoperative medikamentöse Behandlung durchgeführt werden.

Tab. 1 Einteilung der Rhinosinusitis aufgrund der Symptomdauer und der endoskopischen Befunde ([Abb. 2] [3] [4]).

Dauer der Symptome

Akut

Subakut

Chronisch

Endoskopischer Befund

<3 Wochen

3 Wochen bis 3 Monate

>3 Monate, oder 4 Episoden pro Jahr

Rötung
Schleimhautödem
Hyperplastische Schleimhaut
Polypen
Granulierende Schleimhautentzündung
Eitrige Sekretion
Trockene Schleimhaut

Jedes klinische Erscheinungsbild in [Tab. 1] kann mit unterschiedlichen pathologischen Prozessen assoziiert werden ([Abb. 2] [3] [4]). Die Klassifikation der Rhinosinusitis wird in [Tab. 2] dargestellt. Auf dieser Grundlage lässt sich die medikamentöse und operative Behandlung optimieren ([Tab. 3]).

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Abb. 2 a Erythem der Muschelschleimhaut bei idiopathischer Rhinitis. b Hyperplastische Muschelschleimhaut bei allergischer Rhinitis. c Schwere Schleimhauthypertrophie mit Ödem. d Polyposis bei nichtatopischem Patienten. e Granulierende Mukositis. f Trockene Mukosa.
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Abb. 3 a Normaler mittlerer Nasengang. b Seröses Sekret bei ausgeprägter allergischer Rhinitis. c Eitrigbakterielles Sekret. d Eitrig–fungoides Sekret.
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Abb. 4 a–d Wegener-Granulomatose. a, b Endoskopische Bilder von Granulationen und Krusten. c Koronares CT mit typischen Schleimhautveränderungen. d Eingesunkener Nasenrücken – Sattelnase.

Tab. 2 Klassifikation der Rhinosinusitis.

Infektiös

Nichtinfektiös

Viren

allergisch:

Bakterien

intermittierend

Pilze

persistierend

nichtallergisch:

hormonell

medikamentenassoziiert

autoimmun:

– Vaskulitis

– Granulome

idiopathisch

Tab. 3 Zugrundeliegende Pathologie der Rhinosinusitis.

Infektiös

Virus Bakterium (z. B. bei Tbc, Lepra, Syphilis usw.) Pilze

Nichtinfektiös

Allergische Form

intermittierende Symptomatik (saisonal)
persistierende Symptomatik (perennial)

Nichtallergische Formen

Idiopathische Form (keine Anhaltspunkte für eine Allergie oder Infektion)

Rhinitis medicamentosa

Abusus intranasaler Sympathomimetika

Hormonell bedingte Form

Schwangerschaft, Kontrazeptiva

Störung des autonomen Nevensystems

primäres Symptom: wässrige Rhinorrhö, häufig bei älteren Personen, gute ­Reaktion auf Ipratropiumbromid

Autoimmunerkrankungen, Vaskulitis

Wegener-Granulomatose, Lupus erythematodes, Sarkoidose

Medikamentenassoziert

Antihypertensiva, Antidepressiva

Systemerkrankungen

zystische Fibrose, primäre Ziliendyskinesie, Immunmangelsyndrom


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Fokussierung auf die Hauptbeschwerden des Patienten

Der Patient wird Ihnen zahlreiche Erkrankungssymptome beschreiben. Sie sollten aber immer zusätzlich nach 4 Leitsymptomen fragen:

  • Behinderung der Nasenatmung,

  • Beeinträchtigung des Geruchssinns,

  • Sekretion aus der Nase und

  • Schmerz oder Druckgefühl.

Diese Leitsymptome müssen nach ihrer subjektiven Wertigkeit gereiht werden. Eine solche Rangordnung hilft nicht nur bei der Stellung der Diagnose. Sie hilft Ihnen auch zu erkennen, welchem Leitsymptom Sie bei der Behandlung Ihr Hauptaugenmerk widmen müssen: „Welches Leitsymptom steht für den Patienten an 1. Stelle?“


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Umgang mit den Erwartungen des Patienten

Die Erwartungen des Patienten können von den tatsächlich erreichbaren Resultaten abweichen. Es ist deshalb notwendig, dass der Operateur dem Patienten so klar wie möglich darlegt, welche Symptome er beheben kann. So kann z. B. der postnasale ­Sekretfluss das Hauptsymptom des Patienten sein. Der Chirurg kann aber eventuell nur die nasale Obstruktion beheben, während die posteriore Rhinorrhö nur geringfügig zu beeinflussen ist ([Abb. 5]).

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Abb. 5 a Tagesproduktion nasalen Sekrets. b Nasal produzierter Schleim an der Rachenhinterwand. c Mukoziliäre Schleimstraßen. d Eiter aus dem mittleren Nasengang über wässriger Sekretion am Nasenboden.

Der Operateur sollte dem Patienten deshalb offen sagen, bei welchen Symptomen dieser eine Verbesserung erwarten darf. Der Patient wird sonst später enttäuscht sein, falls diese differenzierte Aufklärung nicht stattgefunden hat. Sie müssen auch in Betracht ziehen, dass manche Patienten glauben, es könnten sogar Symptome behoben werden, die sie vor der Operation überhaupt nicht erwähnt hatten!

Die Erwartungen des Patienten müssen sich mit den Prognosen des Operateurs decken. Es ist deshalb auch wichtig, explizit ­mitzuteilen, bei welchen Symptomen keine Linderung zu erwarten ist.


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Optimierung der medikamentösen Therapie

Es ist unbestritten, dass die Operation durch eine medikamentöse Nachbehandlung ergänzt werden muss. Es ist aber weniger bekannt, dass die Reaktion der Schleimhäute auf eine präoperative medikamentöse Therapie unter Umständen wichtige Hinweise auf das zu erwartende Operationsresultat gibt. Die Reak­tion eines Patienten mit Anosmie und Polyposis auf die Einnahme oraler und topischer Steroide erlaubt das verbliebene olfaktorische Potenzial abzuschätzen. Zurückhaltung mit einer positiven Prognose ist dagegen angezeigt, wenn ein Patient nach einer oralen Steroidbehandlung nicht einmal vorübergehend Geruchsempfindungen hat ([Abb. 6]).

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Abb. 6 a–d Endoskopische und CT-Ansichten vor a, c und nach der Behandlung mit oralen Steroiden b, d.

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Anpassung der Chirurgie an das zu erwartende Ergebnis – „chirurgie à la demande“

Die exzessive Resektion von Knochen und Schleimhaut bleibt nicht ohne funktionelle Einbußen. Der Preis dafür kann sein:

  • Verlust von Riechschleimhaut,

  • Drainagestörung der Stirnhöhle,

  • Sensibilitätsstörungen,

  • Trockenheitsgefühl und

  • erhöhtes Risiko von endokraniellen oder orbitalen ­Komplikationen ([Abb. 7]).

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Abb. 7 a, b Endoskopisches Bild und CT nach übermäßig ausgedehnter Kieferhöhlen- und Siebbeinchirurgie.

Es ist wesentlich weniger Chirurgie erforderlich, wenn die medikamentöse Vorbehandlung erfolgreich war. Hauptziel einer Operation soll die Verbesserung der Belüftung und die Wiederherstellung der Drainage sein. Die bloße Entfernung erkrankten Gewebes behebt häufig nicht die Erkrankung der Schleimhaut. Das Ergebnis einer umfassenden präoperativen medikamentösen Behandlung zeigt am besten, wo die Chirurgie erfolgreich sein wird ([Abb. 8]). Häufig kann so wertvolles Gewebe, wie z. B. Schleimhaut in der Rima olfactoria, geschont werden.

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Abb. 8 a–d Schwere Polyposis nasi nach oraler Steroidbehandlung. a Zustand direkt vor der Operation. b Intraoperatives Bild nach Ethmoidektomie. c Vorsichtige Lateralisation der mittleren Muschel am Schluss des Eingriffs. Medial gelegene Polypen werden bewusst belassen. d Postoperatives CT: beidseits offene Riechspalte.

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Minimierung der postoperativen Morbidität

Postoperative Morbidität kann durch eine schlechte Operationstechnik, aber auch durch zu großzügige Gewebsabtragung verursacht sein. Eine sorgfältige Chirurgie basiert auf einer klaren Zielsetzung sowie auf einer operativen Technik, die das Opera­tionstrauma möglichst gering hält.

Wie können Sie sich diese Technik aneignen?

Zuerst werden die notwendigen chirurgischen Schritte genau, am besten schriftlich, formuliert und dann systematisch ausgeführt. Diese Strategie vermeidet nicht nur unnötiges Entfernen von Gewebe, sie ist auch äußerst zeitsparend. Die operativen Schritte werden „Schritt für Schritt“ entwickelt. Planloses Operieren durch die Nasennebenhöhlen wird dadurch vermieden. Sie bestimmen jeweils den nächsten Schritt und führen diesen so atraumatisch wie möglich aus. Das heißt:

  • Das Gewebe sollte scharf durchtrennt oder gestanzt, nicht aber zerrissen oder gezerrt werden ([Abb. 9]).

  • Die Schleimhaut in der Stirnhöhlendrainagezone, dem Recessus frontalis, muss geschont werden.

  • Die Riechschleimhaut muss respektiert werden.

  • Verletzungen gegenüberliegender Schleimhautareale sind zu vermeiden ([Abb. 8c] [10]).

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Abb. 9 a Die Stanze nach Hajek eignet sich zur Entfernung von Schleimhaut und Knochen. b Schneidende Siebbeinzange.
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Abb. 10 a Nasenpolypen in der Riechspalte medial der mittleren Muschel, die bei der Operation absichtlich nicht entfernt wurden. b 3 Monate nach Behandlung mit topischen Steroiden kann nun die obere Muschel bei Lateralisation der mittleren Muschel eingesehen werden.

Der Chirurg muss anatomische Varianten als Potenzial unangenehmer Überraschungen möglichst bereits präoperativ erkennen.


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Erhaltung des Geruchssinns um jeden (?) Preis

Ärzte und Patienten unterschätzen leider immer wieder den Stellenwert des Geruchssinns. Der Patient bemerkt den schrittweisen Verlust des Geruchssinns oft gar nicht. Er realisiert häufig nicht, dass der Verlust des Geruchssinns die Ursache dafür ist, dass er das Essen nicht mehr genießen kann. Andererseits ist der Gewinn an Lebensqualität bei Erhaltung oder Wiederherstellung des Geruchssinns bedeutend.


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Bedeutung der postoperativen Behandlung

Die Operation allein führt nur sehr selten zur Heilung. Eine zentrale Rolle kommt der begleitenden medikamentösen Therapie zu. Erkrankte Schleimhautareale, die durch die medikamentöse Vorbehandlung nicht ausgeheilt sind, werden durch die Opera­tion entfernt. Damit wird die Drainage aus dem Nebenhöhlensystem optimiert.

Die Chirurgie kann zwar den Kontakt sich berührender Schleimhautareale beseitigen und damit die mukoziliäre Clearance verbessern, sie ist aber nicht in der Lage, eine schwere Schleimhauterkrankung auszuheilen. Die Patienten müssen unbedingt auf die Bedeutung einer konsequenten postoperativen Behandlung ([Abb. 10]) hingewiesen werden, um das bestmögliche Resultat und damit eine gute Lebensqualität über einen langen Zeitraum zu erzielen. Ähnlich wie die Patienten mit Lungenasthma müssen auch die Patienten mit „Asthma der Nase“ ihre Schleimhauterkrankung durch eine ständige medikamentöse Behandlung unter Kontrolle halten.


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