Die Studie greift eine wichtige Fragestellung unserer alternden Gesellschaft auf, kommt jedoch leider noch nicht zu eindeutigen Ergebnissen und Schlussfolgerungen. Das könnte an der Eignung der angewandten psychometrischen Werkzeuge für die betrachtete Klientel liegen, die die Autoren selbst kritisch bewerten. Ein Problem für aussagekräftige humanwissenschaftliche Studien im Bereich der Schifffahrt ist die Erreichbarkeit der Betroffenen angesichts regelhafter und längerer Abwesenheiten, kurzer Hafenliege- und Heuerzeiten, sowie der ökonomische Druck, dem Reedereien und damit auch die Schiffsbesatzungen heute unterliegen [
1
].
Gerade der letzte Punkt weist aber auf die Bedeutsamkeit der Fragestellung hin!
Die Studie hatte mit einem Rücklauf von 54 % (= 731 Teilnehmer) ein gutes Potenzial, zu belastbaren Ergebnissen zu kommen. Jedoch ist festzuhalten, dass bei dem gewählten Verfahren die Studiendurchführung in wesentlichen Teilen nicht kontrolliert erfolgen konnte. So ist zum Beispiel nicht auszuschließen, dass sich Teilnehmer beim Ausfüllen der Fragebogen gegenseitig beeinflusst haben.
Mit der Adressierung über einen nationalen Berufsverband dürfte die Studienpopulation auch eine Homogenität aufweisen, die sich üblicherweise an Bord nicht findet, wo Internationalität und große Kulturunterschiede die Regel sind.
Ein interessanter Befund ist die geringere negative Affektivität im Alter und insgesamt anscheinend auch gegenüber gleichartigen Populationen an Land. Seeleute lernen in ihrer Berufsausbildung und -erfahrung zweifellos Selbstbehauptung gegenüber einer oft ungeneigten natürlichen wie sozialen Umwelt. Dies mag die Basis für Dissimulation sein und wäre Grund, die Selbsteinschätzung der eigenen Gesundheit kritisch zu hinterfragen. Nikolic unterstellt Seeleuten generell ein höheres Maß an Resilienz [
2
]. Auf wie dünnem Eis man sich damit bewegt, zeigt eindrücklich der Bericht des Kapitäns Kotiuk über die 121 Tage in der Hand somalischer Piraten [
3
]. In dieser Extremsituation gelang es ihm anscheinend nicht, seine Selbstwahrnehmung mit den nun einmal unabänderlichen Fakten zu versöhnen. Zu einem anderen Schluss kommt auch eine Befragung auf italienischen Tankschiffen [
4
]. Die Seeleute zeigten hier deutliche Besorgtheit hinsichtlich psychosozialer Belastungen.
Die Bedeutsamkeit der Frage nach Interdependenzen von Alter, wahrgenommener Arbeitsbelastung beziehungsweise Stress und Gesundheit dürfte sich auch aus vielen anderen Herausforderungen der Seefahrt ableiten lassen [
5
]. So liegt nach Ansicht des Kommentators der Wert dieser Studie vor allem darin, diese Fragestellung auch für die Seefahrt ins Bewusstsein gerückt und in der sehr ausführlichen Einleitung mit einem umfangreichen Literaturreferat belegt zu haben.
Dr. Klaus Seidenstücker
Deutsche Gesellschaft für Maritime Medizin