Schlüsselwörter
Notfallmedizin - Pharmakotherapie - Patientensicherheit - Pharmakovigilanz - Hydroxyethylstärke
Keywords
emergency medicine - drug therapy - patient safety - pharmacovigilance - hydroxyethyl starch
Einführung
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM – http://www.bfarm.de) berichtete am 24.06.2013 auf seiner Internetseite „Risikoinformationen aus dem Jahr 2013“, dass der Ausschuss der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA – www.ema.europa.eu/) für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC) in seiner Sitzung vom 10. – 13. Juni 2013 festgestellt hat, dass der Nutzen von hydroxyethylstärkehaltigen Infusionslösungen die Risiken nicht länger überwiegt. Das PRAC empfahl deswegen ein Ruhen der entsprechenden Zulassungen.
Das BfArM entschloss sich aber für eine weniger strenge Lösung. Bis zum Abschluss des Verfahrens solle man von der Anwendung HES-haltiger Infusionslösungen absehen.
Nachdem pharmazeutische Unternehmen Anträge gegen das Ruhen der Zulassung gestellt haben, hat das PRAC in seiner Sitzung vom 10. – 13. Juli 2013 ein Ruhen der Zulassungen zunächst zurückgestellt. Auf der DGAI-Homepage wurde eine Stellungnahme der Präsidenten der DGAI und des BDA sowie der Präsidentin der DAAF zu Hydroxyethylstärke am 18.07.2013 veröffentlicht. Mit dieser Information wollen wir Notärztinnen/Notärzte die wichtigsten Fakten übermitteln.
Hintergrund
In [Tab. 1] sind alle wichtigen Hintergrundinformationen zusammengefasst.
Woran kann man sich momentan zu HES orientieren?
Woran kann man sich momentan zu HES orientieren?
Wir haben in [Tab. 2] die wichtigsten Informationen zusammengestellt.
Tab. 2
Informationen zur Anwendung von HES-Infusionen.
Erscheinungs- bzw. Zugriffsdaten
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Link
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1.07.2011
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Die AWMF-S3-Leitlinie Polytrauma/Schwerverletzten-Behandlung geht in Kapitel 1.3 (ab S. 39) sehr differenziert auf das Flüssigkeits- und Volumenmanagement ein. Die Leitlinie hat ihre Gültigkeit bis zum 31.12.2014
http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/012-019.html
http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/012-019l_S3_Polytrauma_Schwerverletzten-Behandlung_2011-07.pdf
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24.06.2013
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Das BfArM empfiehlt bis zum Abschluss des europäischen Risikobewertungsverfahrens von der Anwendung hydroxyethylstärkehaltiger Infusionslösungen abzusehen (siehe Details in [Tab. 1]).
http://www.bfarm.de/DE/Pharmakovigilanz/risikoinfo/2013/RI-hes2.html
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24.06.2013
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FDA-Empfehlung in der „Black-Box-Warnung“ für HES.
http://www.fda.gov/Safety/MedWatch/SafetyInformation/SafetyAlertsforHumanMedicalProducts/ucm358349.htm
Recommendations for Health Professionals include the following:
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Do not use HES solutions in critically ill adult patients including those with sepsis, and those admitted to the ICU.
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Avoid use in patients with pre-existing renal dysfunction.
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Discontinue use of HES at the first sign of renal injury.
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Need for renal replacement therapy has been reported up to 90 days after HES administration. Continue to monitor renal function for at least 90 days in all patients.
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Avoid use in patients undergoing open heart surgery in association with cardiopulmonary bypass due to excess bleeding.
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Discontinue use of HES at the first sign of coagulopathy.
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17.07.2013
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Nachdem die Zulassung von HES nicht zu ruhen braucht, gelten momentan eigentlich die in den Fachinformationen ausgeführten Darlegungen zu den einzelnen HES-Infusionen (www.fachinfo.de). Nachdem (siehe unten zu „Rote Hand Briefe“) aber Informationen der Pharmaindustrie zu „vorsichtiger Anwendung“ kursieren (z. B. nicht bei Sepsis, …), sollte man auf jeden Fall diese Informationen zusätzlich berücksichtigen. Auch die AWMF-Leitlinie zum Polytrauma (siehe in dieser Tabelle) rät zu einer sehr differenzierten Anwendung mit HES-Infusionen.
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17.07.2013
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Sucht man bei „Aktuelle Rote-Hand-Briefe“ so finden sich dort keine „Rote-Hand-HES-Briefe“.
http://www.bfarm.de/DE/Pharmakovigilanz/risikoinfo/roteHBriefe/roteHandBriefe-node.html
Es ist bekannt, dass HES-herstellende Firmen an Krankenhaus-Apotheken Stellungnahmen zur vorsichtigeren Anwendung abgegeben haben. Es wäre gut, wenn in entsprechender Abstimmung mit dem BfArM diese Informationen auch an Notärzte z. B. als Rote Hand Briefe gehen würden.
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17.07.2013
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In der kostenpflichtigen Datenbank uptodate (http://www.uptodate.com/contents/search) wird das Thema aktuell, auf sehr hohem und praktischen Niveau, evidenzbasiert präsentiert:
http://www.uptodate.com/contents/prehospital-care-of-the-adult-trauma-patient?source=see_link
http://www.uptodate.com/contents/initial-evaluation-and-management-of-shock-in-adult-trauma?source=see_link&anchor=H5#H5
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18.07.2013
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http://www.dgai.de/01_0start-aktuelles.htm
Stellungnahme der Präsidenten der DGAI und des BDA sowie der Präsidentin der DAAF zu Hydroxyethylstärke
http://www.dgai.de/aktuelles/AI_07-08-2013_Editorial.pdf
Auszüge:
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…primären Einsatz von Kristalloiden empfiehlt und bei Verwendung von Kolloiden den Einsatz von Gelatine oder Humanalbumin nahelegt.
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… Verwendung von HES-Lösungen mit einem mittleren Molekulargewicht von 200 kDa (HES 200/0,5 und HES 200/0,62) aufgrund des potenziellen Risikos von Nierenfunktionsstörungen für alle Indikationen auszusetzen sei.
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HES-Lösungen mit einem mittleren Molekulargewicht von 130 kDa (HES 130/0,4 und HES 130/0,42) sollten bis zum Vorliegen der abschließenden Risikobewertung in der intensivmedizinischen Therapie vorsorglich ebenfalls nicht zur Anwendung kommen.
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Bis zum Vorliegen dieser Ergebnisse empfehlen die Unterzeichner vorsorglich, den Einsatz von HES in jedem Einzelfall kritisch abzuwägen und auf Patienten mit akut vitalbedrohlichen, anderweitig nicht beherrschbaren Blut- und Volumenverlusten zu beschränken.
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Die momentan aktuellste, zusätzlich evidenzbasierte und praxisorientierte Darstellung zur notärztlichen Volumentherapie findet sich auf uptodate. Leider ist diese Datenbank kostenpflichtig. Für diejenigen, die sich diese Ausführungen nicht besorgen können, versuchen wir in der nächsten Nummer des „Notarztes“ diese in deutscher Sprache zur Verfügung zu stellen.
Für das Volumenmanagement beim Polytrauma verweisen wir weiterhin auf die Ausführungen in der AWMF-Leitlinie (Link in [Tab. 2]).
Solange die Fachinformationen nicht durch „Rote Hand Briefe“ ersetzt sind, kann man sich bei der Maximaldosierung der einzelnen HES-Lösungen auf www.fachinfo.de informieren ([Tab. 2]).
Hilfreich wäre es aber, wenn seitens der pharmazeutischen Industrie, durch „Rote Hand Briefe“ rasch eine differenziertere Darstellung erfolgen könnte. Die momentane Indikation „Hypovolämie“ ohne weitere Unterscheidung zwischen absoluter und relativer Hypovolämie trägt auf keinen Fall zu einer sicheren Anwendung bei.
Die Präsidenten der DGAI und des BDA sowie die Präsidentin der DAAF haben eine gemeinsame Stellungnahme am 18.07.2013 veröffentlicht. Diese Empfehlungen zu Hydroxyethylstärke sollten in der Notfallmedizin beachtet werden ([Tab. 2]).
Worauf man noch achten sollte
Worauf man noch achten sollte
Im Notarztdienst wird HES/Hyperhes primär beim hämorrhagischen-hypovolämischen Schock eingesetzt. Neben HES stehen zur Kreislaufstabilisierung kristalline Lösungen und Katecholamine (insbesondere Noradrenalin) zur Verfügung. Nach der gemeinsamen Empfehlung der Fachgesellschaften ([Tab. 2]) ist der Einsatz von HES in jedem Einzelfall kritisch abzuwägen und auf Patienten mit akut vitalbedrohlichen, anderweitig nicht beherrschbaren Blut- und Volumenverlusten zu beschränken. Zu „Hyperhes“ gibt es bisher noch keine Empfehlungen. Hyperhes ist vor allem eine hyperosmolare Salzlösung, deren Wirkung durch das Kolloid gesichert werden soll, wobei zu überlegen ist, ob diese primäre Wirkung nicht auch ohne HES erreicht werden kann.
Die Anwendung von HES beim Krankheitsbild des anaphylaktischen Schocks mit einer stadienabhängigen progredienten relativen Hypovolämie sollte man sich gut überlegen. Die Anaphylaxie ist nicht bei den Indikationen zu HES aufgeführt (off-label-use). Wegen der relativen Hypovolämie, Bronchokonstriktion und einer Schrankenstörung (deswegen die Urtikaria) bedingt durch Histamin, müssen in erster Linie biochemisch sowohl H1-Rezeptoren (Antihistaminika), alpha-1-/und beta-2-Rezeptoren angegriffen werden (Adrenalin/β2-Mimetika) und unterstützend Kortikosteroide eingesetzt werden. Die ERC-Leitlinie warnt dezidiert vor einem HES-Einsatz bei Anaphylaxie [1].
Es ist unwahrscheinlich, dass wegen eines Hörsturzes ein Notarzt gerufen wird. Falls doch, kann die Entscheidung zu einer HES-Therapie ohne Probleme durch den HNO-Facharzt in der Klinik getroffen werden.
Schlussbemerkungen
Die momentane Diskussion zu HES macht uns Ärztinnen und Ärzte aus der Intensiv- und Notfallmedizin sicher auch sehr nachdenklich. Waren wir nicht alle mit dem Einsatz bei „allen Hypovolämien“ sehr zufrieden. Haben wir beim Einsatz von HES bei der Therapie des hypovolämischen Schocks auch an ein mögliches Nierenversagen durch „zu viel“ HES gedacht? Bei der momentanen Lage ist bei Notfallpatienten der Einsatz von HES nur dann gerechtfertigt, wenn alle anderen Optionen ausgeschöpft sind und bei vitaler Bedrohung somit keine praktikablen Alternativen mehr vorhanden sind.
Danksagung
Wir danken Professor Dr. Dr. h. c. J. Schüttler (Direktor der Klinik für Anästhesiologie, Universitätsklinikum Erlangen) für die Durchsicht dieses Manuskripts.