Einleitung und historischer Überblick
Einleitung und historischer Überblick
Der Gebrauch eines Fixateur externe stellt heute eine eher ungewöhnliche
Differenzialtherapie zur Stabilisierung des Unterkiefers von außen dar und ist
einigen speziellen Indikationen vorbehalten ([Tab. 2]).
Die Idee einer perkutanen knochengetragenen Halterung kam zunächst im Bereich der
Frakturbehandlung der Extremitäten auf und ist u. a. auf Wurzer (1853), Malgaigne
(1853), von Langenbeck (1888) oder Parkhill (1897) zurückzuführen [6], [7], [8], [9], [10], [11], [12], [13], [14], [15], [16], [17], [18], [19], [20], [21], [22], [23], [24], [25], [26].
1907 berichtete Lambotte als Erster von einer systematischen Anwendung. Während der
Zeit des Zweiten Weltkriegs wurde der Fixateur externe dann regelmäßig zur
Versorgung von Unterkieferfrakturen eingesetzt. Interessanterweise wurde dabei das
Instrumentarium nicht nur aus der Extremitätenchirurgie, sondern auch aus der
Veterinärmedizin transferiert. Das ursprüngliche Equipment wurde jedoch als sperrig,
unhandlich und unhygienisch beurteilt und bald umfangreich modifiziert [21], [23] und die Methodik als
„pin fixation“ tituliert [27]. Charakteristisch waren die
unilaterale Anlage entlang der Außenfläche des Unterkiefers sowie die
Modulartechnik. Mindestens 2 Pins wurden dabei je Fragment inseriert und mithilfe
einer Klemme mit einem den Unterkiefer in der Transversalebene umfassenden
Metallstab verbunden. Dadurch wurden stets jeweils 2 Fragmente miteinander
verbunden, womit jeweils kleinere Untereinheiten entstanden. Diese Untereinheiten
wurden schließlich über einen übergreifenden Verbindungsstab gerahmt und
zusammengefügt. Modifikationen dieser Technik wurden von Converse und Waknitz (1942)
und Morris (1949) beschreiben [6], [20]. Nachdem der Gebrauch des Fixateur externe für den Unterkiefer in den
1940er-Jahren seinen Ursprung hatte, wurde die Technik bis Anfang der 1970er-Jahre
immer populärer [13], [19], [1], [2], [3], [4], [5], [6], [7], [8], [9], [10], [11], [12], [13], [14], [15], [16], [17], [18], [19], [20], [21], [22], [23], [24], [25], [26], [27], [28].
Indikationen waren dislozierte Frakturen, Frakturen des atrophen Unterkiefers,
Frakturen im Bereich der nicht bezahnten Unterkieferabschnitte wie Kieferwinkel und
aufsteigender Unterkieferast, Trümmerfrakturen, pathologische Frakturen und
Unterkieferdefekte – insgesamt Situationen, in denen eine Versorgung mit transoral
applizierten Kieferbruchschienen oder Prothesen nicht möglich war. Ab Mitte der
1970er-Jahre stagnierte dann die Verwendung des Fixateur externe. Erst Mitte der
1980er-Jahre erschienen wieder eine Reihe neuer Publikationen, in welchen über die
Verwendung von Stäben aus Stahl, sogenannte „steel rods“, berichtet wird [26], [5], [6], [7], [8], [9], [10], [11], [12], [13], [14], [15], [16], [17], [18], [19], [20], [21], [22], [23], [24], [25], [26], [27], [28], [29], [30], [31], [32]. Unter diesen befand sich auch der
sogenannte „clamp fixator mandible type“, der von Spiessl [26] entwickelt wurde und auf einem bestehenden AO-Fixateur für den
Extremitätenbereich basierte. Dieses System wies ein vergleichsweise einfaches
Design auf und bestand im Wesentlichen aus 3 Komponenten: vorgeformten Metallstäben,
Schanz-Schrauben und Klemmbacken als Verbindungselemente. Dies sind auch die in
einem heute gebräuchlichen und später in diesem Beitrag beschriebenen External
Mandible Fixator vorzufindenden Elemente [11].
Tab. 1 Wichtige biomechanische Aspekte.
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Tab. 2 Indikationen für den Gebrauch eines Fixateur externe
des Unterkiefers.
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Nachdem in den 1990er-Jahren die Verwendung interner rigider Osteosynthesen im
Unterkieferbereich immer populärer wurde, verschwand die Anwendung des Fixateur
externe nach und nach und wurde letztlich gar als Anachronismus betrachtet. Dies
mündete darin, dass der externe Fixateur nach Spiessl [26]
aus dem Portfolio des Herstellers genommen wurde. Erst Ende der 2000er-Jahre kam es
zu einer Renaissance des Fixateur externe für den Unterkiefer, welcher von der Firma
Synthes (Synthes Maxillofacial®, Paoli, PA, USA) auf der Basis von Spiessl
beschriebenen und weiter modifizierten Variante wieder aufgelegt wurde. Dieses
System, bestehend aus innovativen Bestandteilen wie einem leichtgewichtigen
Titankonstrukt, sollte sowohl ein komfortables Handling ermöglichen als auch ein
stabiles Gerüst bilden, um eine mechanisch rigide externe Überbrückung von
Defektzonen im Unterkiefer gewährleisten zu können.
Methodik
Die grundlegenden Elemente des im Folgenden beschriebenen Mandible External
Fixator (Fa. Synthes Maxillofacial®, Paoli, PA, USA) sind:
-
Pins oder Schanz-Schrauben aus Titan, „self-drilling“ oder „self-tapping“
für eine perkutane Anwendung (Durchmesser 2,5 mm/4,0 mm; Länge
50/60/70/80 mm)
-
Vorgeformte Verbindungsstäbe aus Titan, „connecting bars“ (Durchmesser
4,0 mm) in unterschiedlicher Ausdehnung, um die Unterkieferanatomie
nachzuahmen:
-
Hälfte eines Unterkieferkorpus
-
Drei Viertel eines Unterkieferkorpus
-
kompletter Halbkreis eines Unterkieferkorpus
-
kompletter Halbkreis eines Unterkieferkorpus inklusive
aufsteigender Äste
-
Verstellbare, kombinierte Klemmen mit Schnappmechanismus aus Titan, um
die Pins oder Schanz-Schrauben mit den vorgeformten Stäben zu
verbinden.
Die Klemmbacken weisen 2 Paar nach lateral hin offene Klemmschlitze auf. In
diesen können Pins von 2,5 mm oder 4,0 mm Durchmesser sowie Stäbe mit 4,0 mm
Durchmesser über einen Schnappmechanismus eingebracht werden. Kontermuttern
versteifen die Klemmschlitze gegeneinander, was zu einer rotationsstabilen
Verbindung zwischen Stab und Pins führt ([Abb. 1]).
Abb. 1 Die Grundelemente des Mandible External Fixator:
Schanz-Schrauben in 2 Durchmessern, vorgeformte Verbindungsstäbe,
Klemmbacke.
Vor der Verwendung des Fixateur externe können die wesentlichen Fragmente bzw.
Segmente mittels rigider mandibulomaxillärer Fixation (MMF) immobilisiert
werden.
Die Pins bzw. Schanz-Schrauben werden transbukkal inseriert. Dabei helfen Trokare
und Bohrhülsen, die Weichgewebe nicht zu verletzen. Die Länge der Bohrhilfen
resultiert aus der Dicke des Weichgewebemantels und der zuvor festgelegten
Pinlänge. Dabei ist der Unterkieferunterrand die geeignete Region, um die Pins
bzw. Schanz-Schrauben anzubringen. Diese sollten bikortikal und senkrecht zur
Außenfläche der Mandibula verankert werden. Abhängig von Knochenqualität und
Fragmentgröße können die Schanz-Schrauben per Hand nach Vorbohrung und
Längenmessung („self-tapping“) oder direkt („self-drilling“) eingebracht werden
([Abb. 2]).
Abb. 2 a bis d Einbringen der Pins bzw. Schanz-Schrauben:
a Stichinzision parallel der Relaxed Skin Tension Lines (RSTL).
b Nach stumpfer Präparation eines Weichgewebskanals und
Einbringen eines Trokars mit Bohrhülse wird der Trokar wieder entfernt und
über die verbleibende Bohrhülse der Pin bzw. die Schanz-Schraube im
c „self-drilling“ Modus oder im d „self-tapping“ Modus
eingedreht.
Prinzipiell können die Komponenten des Fixateur-externe-Systems in der
Modulartechnik oder in „Visor-style-Technik zusammengefügt werden.
„Visor-style“-Technik
Die ersten beiden Schanz-Schrauben werden in beschriebener Weise transbukkal in die
jeweils gegenüberliegenden intakten Fragmente inseriert. Dies sollte in einem
Bereich geschehen, der möglichst weit vom Defektgeschehen entfernt ist. Die Pins
müssen dabei auf einer Ebene mit dem ausgewählten und konturierten Mandibularbogen
zu liegen kommen. Dessen Enden werden mittels der Klemmbacken mit den posterior
liegenden Pins verbunden. Der Mandibularbogen, der an den zuerst gesetzten Pins im
Dorsalbereich des Unterkiefers bzw. an den Kieferwinkeln fixiert ist, erinnert an
das Visier eines Helmes. Sind die Klemmbacken noch nicht fest geschlossen, kann
dieses „Visier“ in der Scharnierachse auf- und zugeklappt werden. Als nächstes wird
die 3. Klemme in etwa 10 mm Entfernung vom Defekt an den Titanrahmen angebracht.
Dann wird ein Trokar in die Klemmbacke eingesteckt und die gewünschte Position des
Pins festgelegt. Nach Stichinzision der Haut unter Beachtung der Hautspannungslinien
und stumpfem Eingehen bis auf die Knochenoberfläche wird der Pin durch den Trokar in
den Knochen eingeschraubt. Die Klemme wird gelöst, die Bohrhülse entfernt und
abschließend der in situ befindliche Pin durch Anziehen der Kontermutter fixiert.
Durch die Insertion weiterer Pins wird das Gesamtkonstrukt fertiggestellt.
Zur Überbrückung kürzerer Defektregionen (ca. 4–5 cm) können schon 2 perkutane
Pins bzw. Schanz-Schrauben auf jeder Seite des Rahmens für ausreichende
Stabilität sorgen.
Ausgedehntere Defekte benötigen die Verwendung zusätzlicher Pins. Ein Titanstab oder
Mandibularbogen wird in alleiniger Anwendung auch als „Monoframe“ bezeichnet. Er
kann durch weitere Stäbe ergänzt werden, um zusätzliche Stabilität zu erreichen
([Abb. 3]).
Abb. 3 „Visor-style“-Technik Reihe oben: feste mandibulomaxilläre Fixation
über Drahtligaturen nach Reposition der Fragmente. Nach Insertion von 2
posterioren Pins wird der Mandibularbogen eingesetzt. Dieser ist nach oben und
unten klappbar (a–c). Reihe unten: Durch eine 3. Klemmbacke wird ein
Trokar eingeführt und die Position der 3. Schanz-Schraube festgelegt. Sind die
Klemmbacken fest fixiert, ist eine visierartige Bewegung des Bogens nicht mehr
möglich. Weitere Fragmente werden auf diese Art am Bogen fixiert. Die
Rahmenkonstruktion kann als Monoframe (links und Mitte) oder Double-stacked
Frame (rechts) ausgebaut werden.
Modulartechnik
Vor allem beim Vorliegen mehrerer Fragmente, bspw. bei Trümmerfrakturen, sollte der
sogenannten Modulartechnik der Vorzug gegeben werde. Zunächst werden Untereinheiten
geschaffen. Zwei Pins werden pro Fragment inseriert und über Klemmbacken und einen
Stab miteinander fixiert. Dann kann ein Verbindungsstab lose mit
Stab-zu-Stab-Klemmbacken zwischen 2 Untereinheiten angebracht werden. Nun kann die
Reposition der Fragmente erfolgen und der Verbindungsstab fest fixiert werden. Auf
diese Art und Weise werden jeweils benachbarte Untereinheiten miteinander verbunden,
bis das Gesamtkonstrukt fertiggestellt ist. Als Nachteil dieser Technik sei hier
angeführt, dass eine groß Menge von Hardware-Elementen notwendig ist, bis ein
stabiles Gesamtkonstrukt fertiggestellt ist ([Abb. 4]).
Abb. 4 „Modulartechnik“ – pro Fragment werden 2 Pins (2,5 mm oder 4 mm
Durchmesser) inseriert, die über Karbonstäbe zuerst untereinander verbunden
werden. Nach Reposition werden Untereinheiten geschaffen, die dann schrittweise
zu einem festen Gesamtkonstrukt zusammengefügt werden.
Unabhängig davon, ob die „Visor-style“-Technik oder die Modulartechnik zur
Anwendung kommt, sollten wo immer möglich die hinlänglich bekannten
biomechanischen Prinzipien berücksichtigt werden, um eine möglichst hohe
Festigkeit des Fixateur-Gesamtkonstrukts sicherzustellen ([Tab. 1]).
Fallbericht 1 ([Abb. 5])
Abb. 5 a bis n Fallbeispiel 1: a ausgedehntes
Mundbodenkarzinom mit Infiltration in den Unterkiefer und in die Zunge.
b Nach Anlage eines Fixateur externe mit Pins im Bereich des dorsalen
Unterkieferkorpus ist durch den Mandibularbogen die Tumorresektion im
Kinnbereich nur erschwert möglich. c Der Mandibularbogen wird zur
Tumorresektion entfernt. d Die Klemmbacken werden auf dem Mandibularbogen
belassen und die genaue Position wird markiert, um im Anschluss an die
Tumorresektion den Mandibularbogen wieder exakt platzieren zu können.
e Fest montierter Mandibularbogen nach Tumorresektion. Gut zu erkennen
ist der Unterkieferstumpf links. Die Zungenoberseite ist an der Unterlippe
fixiert. Der Weichgewebedefekt am Kinn wird tamponiert.
f 3-D-Rekonstruktion der Computertomografie mit Fixateur externe mit
ausgedehntem knöchernen Unterkieferdefekt. g Verband zur Sicherung der
Tamponade im Kinnbereich. Die sperrige Konstruktion stört die Patienten
erstaunlicherweise kaum. h Im Rahmen der Rekonstruktion soll zur internen
Fixation eine individuell vorgebogene Unterkieferrekonstruktionsplatte
eingebracht werden. Aufgrund der Position eines Pins ist die Anbringung der
Rekonstruktionsplatte am Unterkieferrand bei liegendem Fixateur nicht möglich.
i Vor Abnahme des Fixateur externe werden die Unterkieferstümpfe
daher mit 2 Osteosyntheseplatten stabilisiert. Die Rekonstruktionsplatte kann
danach problemlos am Unterkieferrand fixiert werden. j Die Rekonstruktion
des knöchernen Unterkiefers erfolgt mit einem mikrovaskulär reanastomosierten
osteomyokutanen Fibulatransplantat. Intraoral wird ein A.-radialis-Lappen
eingebracht. k Das Fibulatransplantat wird mit Osteosyntheseschrauben an
der Rekonstruktionsplatte fixiert. Die Hautinsel dient zur Deckung des Defekts
der äußeren Haut im Kinnbereich. l Direkt postoperativer Situs: Mundboden
mit A.-radialis-Transplantat, Kinnbereich mit Hautinsel der Fibula.
m Postoperatives Orthopantomogramm. Das Fibulatransplantat ist im
mittleren Abschnitt erkennbar. n Zustand 3 Monate postoperativ.
Ein 58-jähriger Patient mit ausgedehntem Mundbodenkarzinom stellte sich zur
operativen Tumortherapie mit Blockresektion unter Einschluss der Haut über dem Kinn,
eines anterolateralen Unterkiefersegments, des Mundbodens und Anteilen der
Zungenunterseite vor. Zur Stabilisierung und Fixierung der Position der
Unterkieferstümpfe wurde ein External Mandible Fixator im Visor-style vor der
Tumorresektion angebracht und zur Tumorresektion wieder abgenommen. Die Position der
Klemmbacken wurde mit einem wasserfesten Stift auf dem Mandibularbogen und den Pins
markiert und der Bogen nach der Tumorresektion wieder positioniert.
Die anatomisch korrekte Lage der Unterkieferstümpfe bietet im Falle einer
Nachresektion sehr gute Zugangsmöglichkeiten zum Resektionsrand und verhindert eine
Schrumpfung und den Kollaps der Weichgewebe.
Zwanzig Tage nach der Tumorresektion erfolgte die Nachresektion im Bereich der
knöchernen Absetzungsränder, die Neck Dissection beidseits und die Rekonstruktion
des Unterkieferdefekts nach vorheriger Planung mit einem mikrovaskulär
reanastomosierten osteofasziokutanen Fibulatransplantat von rechts. Der Mundboden
wurde mit einem revaskularisierten Radialislappen rekonstruiert. Vor der Abnahme des
Fixateur externe wurden die Unterkieferstümpfe mit einer internen Fixation über 2
2.0-Unilock-Large-Profile-Platten (Fa. Synthes) stabilisiert. Der Fixateur externe
wurde entfernt und eine zuvor anhand von CT-Aufnahmen vorgebogene, geometrisch
vereinfachte Matrix-2.4-Rekonstruktionsplatte (Fa. Synthes) zur internen
Defektüberbrückung mit Schrauben fixiert. Damit wurden die Stellung der
Unterkieferstümpfe und die Position der Kiefergelenke aufrechterhalten.
Fallbericht 2 ([Abb. 6])
Abb. 6 Fallbeispiel 2: 20-jähriger Libyer nach Schussverletzung:
1–3 Klinisches Bild und 3-D-CT nach Erstversorgung in Tunis:
fehlender Lippenschluss, in Fehlstellung osteosynthetisch versorgte
Unterkiefermehrfragmentfraktur, unzureichende insuffiziente Osteosynthese mit zu
klein dimensionierten Platten, feste mandibulomaxilläre Fixation links mit
Draht. 4,5 Entfernung von Sequestern. Das gesamte Osteosynthesematerial
wird entfernt. 6–11 Stabilisierung der Unterkieferstümpfe durch Anlage
eines Fixateur externe im Bereich der aufsteigenden Unterkieferstümpfe beidseits
bis zur Abheilung der intra- und extraoralen Wunden. Die beiden Kinnfragmente
werden in dislozierter Position belassen. 12–14 virtuelle Reposition der
Kinnfragmente (gelb → grün, blau). 15–16 virtuelle Planung der
Unterkieferrekonstruktion mittels mikrovaskulär reanastomosiertem
Fibulatransplantat. Die Höhe des Unterkiefers mit Alveolarfortsatz lässt sich im
Korpusbereich durch eine Doppelung des Transplantats realisieren. Im
Symphysenbereich wird der Alveolarfortsatz durch die einfache Höhe der Fibula
rekonstruiert. 17 Patientenindividuelle STL-Modelle und Cutting
Templates. Rekonstruktions- und Osteosyntheseplatten sowie Biegezangen und
Schneidwerkzeuge. 18 Die Osteosyntheseplatten werden am STL-Modell
vorgebogen. 19 Das Fibulatransplantat mit Gefäßstiel (rechts). Anhand des
Cutting Guides werden die Abschnitte des Transplantats gesägt. 20 Die
reponierten Kinnfragmente sowie der kaudale Anteil des Fibulatransplantats
werden mittels Rekonstruktionsplatte fixiert. Der Alveolarfortsatz wird aus 3
Anteilen der Fibula geformt und mit Miniplatten fixiert. 21 Virtuelle
Planung der Implantatpositionen im Unterkiefer. Die Implantate werden bikortikal
in die Fibula eingebracht. Rot: Implantat, grün: Bohrhülse.
22 Röntgenkontrolle nach partieller Metallentfernung und
Implantatinsertionen im Ober- und Unterkiefer zur dentalen Rehabilitation.
Unserer Klinik wurde ein 23-jähriger Patient zugewiesen, der sich bei kämpferischen
Auseinandersetzungen im Krisengebiet im Norden Afrikas im Jahr 2011 durch eine
Schussverletzung mehrfragmentäre Unterkieferfrakturen anterolateral rechts,
Frakturen im Bereich des Oberkiefers rechts, diverse Zahnfrakturen und ausgedehnte
Weichgewebsverletzungen im Bereich der Wange rechts zugezogen hatte.
Bei der klinischen Untersuchung zeigten sich eine instabile osteosynthetische
Versorgung der Unterkieferfrakturen mit Miniplatten und Drahtligaturen, freiliegende
Knochenoberflächen und Zahnwurzelreste im Ober- und Unterkiefer.
Nach CT-Bildgebung erfolgten in einem ersten operativen Schritt im November 2011 ein
Débridement, Sequestrotomien, Entfernung des Osteosynthesematerials und der
Zahnwurzelreste sowie die Applikation eines Mandible External Fixators, um die
Wundinfektion im Defektbereich auszuheilen. Zwei weichgewebegestielte Fragmente im
basalen Kinnbereich wurden dabei erhalten.
Der knöcherne Unterkieferdefekt wurde zunächst belassen. Die knöcherne Rekonstruktion
des Unterkiefers wurde auf Basis einer erneuten CT-Untersuchung geplant. Mit dem
Datensatz konnte die virtuelle Konfiguration eines myoossären, vaskularisierten
Fibulatransplantats von links im Sinne eines komplexen, mehrfach segmentierten, Over
and under Barrel Grafts simuliert werden. Präoperativ wurde ein Outcome-Hybridmodell
zur Präformierung der Osteosyntheseplatten angefertigt. Zur Osteosynthese wurden
2.0- und 2.4-Matrix-Mandible-Rekon- und Traumaplatten am Modell vorgebogen. Die
Überbrückung des großen Defekts und Rekonstruktion eines Alveolarfortsatzes war
dadurch in ausreichender Höhe möglich. Im Dezember 2011 wurden die Kinnfragmente
reponiert und der Alveolarfortsatz im anterolateralen Bereich mithilfe von 3
Fibulasegmenten aufgebaut, sowie der basale Unterkieferkorpusbereich rechts mit
einem weiteren Fibulasegment wiederhergestellt.
Im Ergebnis hatten die skelettalen Verhältnisse im Defektbereich die originäre
Dimension. Mithilfe einer 3-D-Implantatplanung erfolgte die kaufunktionelle
Rehabilitation. Nach Erstellung eines virtuellen Set-ups mit der Software 3DIP
(Gäßler Zahntechnik, Neu-Ulm) und nach Herstellung einer CT-Bohrschablone führten
wir die geführte Implantation im Ober- und Unterkiefer durch. Das
Osteosynthesematerial wurde im gleichen Eingriff teilweise entfernt.
Eigene Erfahrungen
Im Folgenden soll kurz eigene Erfahrungen [25], die bei
der Anwendung des Fixateur externe gesammelt wurden, eingegangen werden. Bei
folgenden Patientengruppen wurde ein External Mandible Fixator appliziert:
-
Palliation bei onkologischen Patienten
-
onkologische Patienten mit kurativem Setting bei ausgedehnter Tumorgröße
-
Trümmerfrakturen des Unterkiefers
Im gesamten MKG-LMU-Patientenkollektiv (n = 24) betrug die Zeit für die komplette
Applikation des Fixateur externe zwischen 20 und 35 Minuten. Die Pininsertion
erfolgte stets bikortikal und ließ sich atraumatisch durchführen. Die Pins waren
dabei primärstabil.
Die Tragezeit des Fixateur betrug durchschnittlich 75 Tage (maximal 175 Tage). In
diesen Zeiträumen trat keine Pinlockerung auf. Im Bereich der Hautdurchtrittsstellen
kam es bei keinem Patienten zu einer Infektion. Speichelfisteln nach
transparotidealer Pininsertion wurden nicht beobachtet. Ebenfalls nicht aufgetreten
sind mechanische Probleme, die auf die Klemmen oder Stäbe zurückzuführen gewesen
wären und zu Verschiebung der Untereinheiten geführt hätten.
Erstaunlicherweise fühlten sich die Patienten nicht sehr von der Apparatur gestört.
Schlafgewohnheiten wurden entsprechend angepasst. Das Rasieren und die Pflege der
Gesichtshaut erfolgten durch Familienangehörige oder den Pflegedienst.
Nach der Entfernung des jeweiligen Fixateurs resultierten kleinere narbige
Einziehungen im Bereich der äußeren Haut, die von den Patienten aber als nicht
störend empfunden wurden und mit der Zeit zunehmend unauffällig wurden.
Diskussion
Ein vollständig montierter und in Endposition fixierter Fixateur externe eignet
sich prinzipiell zu einer winkelstabilen Osteosynthese des Unterkiefers und kann
als Vorreiter der modernen winkelstabilen Plattensysteme betrachtet werden.
Die Biomechanik externer Fixationssysteme für den menschlichen Unterkiefer war
indessen bis dato kaum Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtungen [26], [24]. Zu dieser Thematik
liegen aber Berichte aus Anwendungen beim Hund vor, welche jedoch nur teilweise auf
den Menschen übertragbar sein dürften [7].
Unserer Meinung nach kann der Fixateur externe des Unterkiefers aufgrund seiner
Materialeigenschaften und Dimensionen als lasttragende Osteosynthese angesehen
werden [8].
Selbstverständlich sind die Indikationen, insbesondere vor dem Hintergrund moderner
Plattensysteme, einigen Sondersituationen vorbehalten, bei denen Defekte oder
defektähnliche Bereiche bzw. Frakturen vorliegen, ggf. in Kombination mit
verminderter Knochenqualität und kompromittierten Weichgeweben [32], [4], [29].
Dabei kann im Wesentlichen ein onkologisches Setting von einem traumatologischen
Anwendungsbereich differenziert werden. Zu Erstgenanntem zählen pathologische
Frakturen auf dem Boden infizierter Osteoradionekrosen nach vorangegangener
Strahlentherapie im MKG- und HNO-Bereich oder ausgedehnte Tumorinfiltration im
MKG-Bereich. Im traumatologischen Sektor können als Indikationen gelten:
multifragmentäre bzw. Trümmerfrakturen in Kombination mit extensiver
Weichgewebezerreißung [30] oder Weichgewebedefekten,
problematischer Durchblutungssituation oder nicht absehbaren Weichgewebsnekrosen im
initialen Management von Schussverletzungen, Explosionstraumata, Verbrennungen
3. Grades oder Stromunfällen. Weitere ungewöhnliche Indikationen können
Defektsituationen auf dem Boden von Osteomyelitiden, ausgedehnten
bisphosphonatassoziierten Nekrosen oder extensiver Zysten sein.
Die externe Stabilisierung des Unterkiefers bei polytraumatisierten Patienten
gewährleistet eine zügige notfallmäßige Versorgung zur temporären Stabilisierung,
insbesondere bei gleichzeitig vorliegenden vital bedrohlichen Verletzungen. Zur
definitiven Frakturversorgung mit exakter Reposition der Fragmente erfolgt dann im
Intervall die Konvertierung auf interne Überbrückungsplatten.
Die Insertion von Schanz-Schrauben ist insgesamt als eine relativ einfache,
komplikationsarme Prozedur anzusehen, wozu nur in sehr begrenzten Umfang eine
stumpfe Weichgewebepräparation erfolgen muss. Größere chirurgische Zugänge in der
Submandibular-, der Submental- oder Retromandibularregion können ebenso vermieden
werden wie ausgedehnte subperiostale Präparation.
Bei allen unseren Tumorpatienten, die zuvor eine Radiotherapie erhalten hatten,
ergaben sich weder Wundheilungsstörungen noch Entzündungsreaktionen nach Anlage des
Fixateurs. Bei einem Teil bildeten sich vorbestehende intra- und/oder extraorale
Fisteln spontan zurück und es kam zu einer Weichgewebskonsolidierung. Dies erlaubte
den späteren Austausch des Fixateur externe gegen eine entsprechende
Unterkieferrekonstruktionsplatte.
Bei der Vorbereitung zur Pininsertion ist es wesentlich, auf eine Reposition der
Hauptfragmente zu achten und diese entweder manuell oder mittels MMF zu sichern.
Wird der Fixateur externe im „Visor-style“ (siehe oben) zusammengefügt, muss
zunächst mit der Reposition der Fragmente begonnen werden. Dies ist wichtig, denn
sobald der Mandibularbogen im Bereich des R. mandibulae einmal angebracht ist,
können zusätzliche Pins nur noch entlang des als Monofixator fungierenden Konstrukts
inseriert werden, was eine Fragmentreposition sehr limitiert.
In den Fällen, in denen ein definierter Defektbereich oder eine einzelne zertrümmerte
Zone überbrückt werden soll, sind die Hauptfragmente in der Regel einfach zu
reponieren. Diese Fälle eignen sich besonders für die „Visor-style“-Technik.
Anders verhält es sich beim Vorliegen multipler, dislozierter Fragmente. Hier ist der
Modulartechnik Vorzug zu geben, wobei die einzelnen Untereinheiten Stück für Stück
miteinander zu einem Gesamtkonstrukt verbunden werden müssen. Hierbei bestehen
deutlich mehr Freiheitsgrade bei der Pinplatzierung. Nachteilig wirken sich
naturgemäß die Größe und das hohe Gewicht der Gesamtkonstruktion aus.
Auf zwei bisher hier nicht erwähnte Fixateur-externe-Verfahren soll noch kurz
eingegangen werden ([Abb. 7]). Bei der 1. Variante werden
die einzelnen Pins mit einem Autopolymer verblockt [29].
Dabei wird bspw. ein endotrachealer Tubus oder ein großlumiger Absaugschlauch mit
entsprechenden Perforationen versehen über die Pins gezogen und mit einem flüssigen
Autopolymerisat gefüllt. Für ausgedehntere und komplexere Defekt- und Trümmerzonen
scheint diese Alternative jedoch eher nicht geeignet, da hierfür mehrere Assistenten
benötigt werden, welche die Fragmente während der Polymerisation in Position
halten.
Abb. 7 a und b a Ein endotrachealer Tubus mit Perforationen
wird über die Pins gezogen und mit Autopolymerisat gefüllt. Während der
Polymerisation müssen die Fragmente in der richtigen Position gehalten werden.
b Alternativ zum Mandibularbogen wird eine Locking-Platte als Rahmen
verwendet. Statt Pins werden überlange Locking-Schrauben verwendet.
Behelfsweise kann auch eine Rekonstruktionsplatte als Fixateur externe Verwendung
finden. Die Platte wird in kurzem Abstand über der Haut des Unterkiefers
ankonturiert, und die reponierten Fragmente werden mithilfe von langen perkutan
geführten Locking-Schrauben an dieser Platte fixiert [31]. Nach der Stichinzision und Unterminieren der Haut ist zur
Schraubeninsertion ein Vorbohren des Knochens zu empfehlen.
Fixateur-externe-Anwendungen können für Monate im Unterkiefer in situ verbleiben
[13], [26], [2], [3], [4], [5], [6], [7], [8], [9], [10], [11], [12], [13], [14], [15], [16], [17], [18].
Lockerungen von Pins oder mechanische Probleme im Rahmensystem kommen kaum vor. Das
Fixateur-Prinzip als externe, lasttragende Osteosynthese kann auch additiv zur
internen Fixation durch Miniplatten eingesetzt werden, bis die knöcherne
Konsolidierung und Stabilisierung einsetzt. Langzeitanwendungen kommen besonders bei
kurativen oder palliativen onkologischen Fällen infrage. So können bspw. bei sehr
ausgedehnten, aber noch operablen Tumoren vor rekonstruktiven Maßnahmen die
definitiven histopathologischen Ergebnisse abgewartet werden (s. Falldarstellung 1).
Nachresektionen können jederzeit erfolgen. Falls erforderlich, können Pins dazu neu
positioniert werden.
Steht im Verlauf die Rekonstruktion mit mikrovaskulären Knochentransplantaten an,
ist eine bildgebende Evaluation der aktuellen Situation mittels
Computertomografie ohne störende Artefaktbildung in der Regel möglich.
Somit steht auch einer computerassistierten Planung, ggf. in Verbindung mit
computergestützt hergestellten Rekonstruktionsplatten oder Osteotomieschablonen,
nichts im Weg.
Nicht zuletzt bietet sich die Verwendung des External Mandible Fixators im
Militärbereich an. So ist es möglich, in Kampfeinsätzen oder auch nach
terroristischen Anschlägen in einem improvisierten medizinischen Umfeld unter
Zeitdruck eine schnell durchführbare und suffiziente, lasttragende Stabilisierung
bei Trümmerfrakturen im Unterkiefer zu erreichen. Diesbez. sei erwähnt, dass die
US-Armee den externen Unterkiefer-Fixateur als „combat medical device“
klassifiziert.
Fazit
Die oben genannten Beispiele zeigen, dass die Verwendung eines Fixateur externe im
Unterkieferbereich in ausgewählten Fällen eine wertvolle Therapieoption darstellen
kann. Dies trifft in erster Linie für die Überbrückung von defektähnlichen Zonen bei
Trümmerfrakturen oder Defekten zu, die mit einer reduzierten Knochenqualität
und/oder stark verletzten Weichgeweben einhergehen. Ursachen solcher Defekte sind in
unserem klinischen Alltag typischerweise pathologische Frakturen im Zusammenhang mit
infizierten Osteoradionekrosen nach Strahlentherapie im Kopf-Hals-Bereich sowie
Schussverletzungen. Es kann eine schnelle, mechanisch lasttragende und zuverlässige
Unterkieferstabilisierung erreicht werden, ohne dass ausgedehntere chirurgische
Zugänge mit umfangreicher Weichgewebedissektion zum Einbringen von
Rekonstruktionsplatten benötigt werden.
Bei Polytraumapatienten stellt die Stabilisierung des Unterkiefers mittels Fixateur
externe eine schnell durchführbare und zuverlässige Notfalloption dar. Dabei sollte
der Modulartechnik bei ausgedehnten multifragmentären Trümmerfrakturen der Vorzug
gegeben werden.