Spezielle Aspekte bei Osteosynthesen im zahnlosen atrophen Unterkiefer
Spezielle Aspekte bei Osteosynthesen im zahnlosen atrophen Unterkiefer
Frakturen im zahnlosen atrophen Unterkiefer machen nur einen geringen prozentualen
Anteil am Gesamtaufkommen aller Gesichtsschädelfrakturen aus (ca. 1 % [1] und ca. 3 % [2]).
Prädilektionsgebiet für Frakturen im zahnlosen mäßig atrophen Unterkiefer ist die
Korpusregion dorsal des Foramen mentale [3]. Mit
fortschreitenden Atrophiegraden wandern die Frakturen offenbar weiter nach anterior
und durchqueren direkt die foraminale Region oder die nervale Austrittsöffnung [4]. Die genannten Unterkieferabschnitte sind im zahnlosen
Unterkiefer mit 62 % [4] bis 86 % [5] weitaus häufiger von Frakturen betroffen als in der bezahnten
Mandibula.
Die Mehrheit der Patienten mit Frakturen im zahnlosen atrophen Unterkiefer gehört
zur älteren Bevölkerungsgruppe (> 65–70 Jahre), weshalb mit einer hohen
Inzidenz von systemischen Komorbiditäten zu rechnen ist, z. B. kardiovaskulären
oder chronisch respiratorischen Erkrankungen und Diabetes mellitus.
Oftmals liegt zusätzlich eine Fehl- oder sogar eine Unterernährungssituation vor
[5], [6].
Überdies können ungünstige lokale Faktoren, wie die Abnahme der vertikalen
Knochenhöhe, eine veränderte Knochenqualität (altersassoziierte Osteoporose, aber
auch Sklerosierung bzw. Dichtezunahme der Knochen-Kortices, [7]), Abnahme der Vaskularisation [8], [9] oder eine progene intermaxilläre Relation des
Unterkiefers zur Oberkieferposition [10] zu einem
erhöhten Risiko für Komplikationen bei einer operativen Frakturversorgung
beitragen.
Atrophiegrade – Einteilung nach Luhr [11], [12]
Atrophiegrade – Einteilung nach Luhr [11], [12]
Die Reparation und das Remodelling (extern und intern) des residualen
Unterkiefer-Alveolarfortsatzes nach Verlust oder Extraktion aller Zähne verläuft
nach stereotypen Gesetzmäßigkeiten mit periostal-osteoklastischer Resorption, die in
der horizontalen Dimension beginnt und sich später vertikal fortsetzt. Die
horizontale Resorption soll durch muskulären Druck von Lippen, Wange und Zunge
zustande kommen, der Resorptionsvorgang in Vertikalrichtung wird als
Inaktivitätsatrophie gedeutet. Die Resorptionsraten sind in den ersten Monaten nach
Zahnverlust am größten, verlangsamen sich nach 6 Monaten deutlich und erreichen eine
Stabilitätsphase nach 1–2 Jahren [13]. Die progredienten
Resorptionsstadien im Unterkiefer zeigen charakteristische Formen in den
Knochenquerschnitten, für die mehrere Klassifikationen vorgeschlagen wurden [14], [15]. Am bekanntesten ist
die Einteilung von [16], nach der 6 Resorptionsklassen
unterschieden werden. Diese Einteilung geht aus von Anfangsphasen mit gerundetem
Kieferkamm über „messerscharfe Kammformen“ mit erhaltener Höhe und reduzierter
Breite bis hin zur vollständigen Abflachung der alveolären Knochenpartien, um bei
hochatrophen Extremvarianten mit Resorption bis in die basalen
Unterkieferstrukturen, „negativem“ Höhenprofil und direkt unter dem Mukoperiost frei
liegenden N. alveolaris inferior zu enden.
In der Traumatologie wird der Atrophiegrad des zahnlosen Unterkiefers
üblicherweise gemäß der Einteilung von Luhr [11], [12] angegeben ([Abb. 1], [Tab. 1]).
Abb. 1 Atrophieklassen bei Frakturen im zahnlosen Unterkiefer nach Luhr et
al. (1996).
Tab. 1 Atrophiegrade bei Frakturen im zahnlosen Unterkiefer
nach Luhr et al. [11], [12].
Atrophiegrad
|
Vertikalhöhe in der Frakturzone
|
keine traumatologisch relevante Atrophie
|
> 20 mm
|
Klasse I
|
16–20 mm
|
Klasse II
|
11–15 mm
|
Klasse III
|
≤ 10 mm
|
In Abhängigkeit der variierenden Atrophiegrade und infolge der möglichen
Risikokonstellationen durch systemische und weitere lokale Faktoren gilt die
adäquate Frakturbehandlung im zahnlosen Unterkiefer als besondere Herausforderung
und gibt seit vielen Jahren Anlass zu Kontroversen [17].
Therapeutische Optionen
Grundsätzlich sind die konservativen, geschlossenen Methoden von den operativen
Techniken mit offener Reposition und Fixation zu unterscheiden. Bei den
konservativen Techniken reicht das Spektrum von der Verordnung weicher Kost [18] über das Tragen von Kopf-Kinn-Kappen bis zum
„Eingliedern“ von vorhandenem Zahnersatz wie Unterkiefer-Totalprothesen oder von
besonders angefertigten Gunning Splints (Gunning 1863) zur mandibulomaxillären
Fixation ([Abb. 2]).
Abb. 2 a und b Möglichkeiten zur mandibulomaxillären Fixation im
zahnlosen atrophen Unterkiefer. a Modifikation vorhandener Totalprothesen
durch Einpolymerisation von Häkchen, kraniofaziale Fixation über
zygomatikomaxilläre Aufhängungen und Drahtumschlingung des Unterkiefers
(circummandibular wiring) sowie Drahtcerclagen zur mandibulomaxillären Fixation
(MMF) zwischen den Häkchen an den Prothesen; b Gunning-Splint mit
Futterloch, in die Alveolarfortsätze ober- bzw. unterhalb der Kunststoffsättel
inserierte MMF-Schrauben und Drahtcerclagen über diese Ankerschrauben.
Zur Befestigung von Prothesen bzw. Gunning Splints verwendete man lange Zeit
Drahtumschlingungen des Unterkiefers (circummandibular wiring). Diese wurden
perkutan mithilfe von Führungsahlen eingebracht. Seit Mitte der 1980er-Jahre werden
Osteosyntheseschrauben verwendet. Bei einer geschlossenen Behandlung werden die
dislozierten Fragmentenden manuell oder durch Instrumentenzug (z. B. mittels
Klemmen) in Kontakt gebracht, bevor die Frakturzone ruhig gestellt wird. Ein
einfaches und interessantes Verfahren zur Fragmentimmobilisation durch
maxillomandibuläre Fixation im zahnlosen Kiefer ist die Applikation von Miniplatten
zur Distanzüberbrückung zwischen Ober- und Unterkiefer unter Aufrechterhaltung der
vertikalen Kieferrelation [19], [20]. Dazu werden die Plattenenden von ca. 4–5 cm langen Miniplatten an
gegenüberliegenden Stellen auf der vestibulären Schleimhautseite der
Alveolarfortsätze des Ober- und Unterkiefers bis hoch in die Umschlagfalten
ankonturiert und mit mindestens 2 Schrauben auf jeder Seite transmukös –
vorzugsweise mit Locking-Schrauben, damit die Platte im Abstand von der Schleimhaut
gehalten wird – befestigt ([Abb. 3]).
Abb. 3 Applikation von Mini-(Locking-)platten zur Distanzüberbrückung
zwischen Ober- und Unterkiefer unter Aufrechterhaltung der vertikalen
Kieferrelation als Maßnahme zur Fragmentimmobilisation durch maxillomandibuläre
Fixation im zahnlosen Kiefer.
Historisch war der Fixateur externe eine der ersten Möglichkeiten zur operativen
Behandlung von Unterkieferfrakturen ([21], [22] u. v. m.) und kam insbesondere dann zur Anwendung,
wenn Frakturen vorlagen, die mit den damals gebräuchlichen intraoralen Schienen-
oder Prothesenverbänden nur unzureichend zu behandeln waren. Hierzu zählen bspw.
dislozierte Brüche im zahnlosen Unterkiefer oder Trümmer- und Defektsituationen.
Aktuelle Fixateur-externe-Systeme bestehen aus die Haut penetrierenden
Fixationselementen (Metall Pins bzw. Schanz-Schrauben) und einem aufsteck- und
verschraubbaren äußeren Gerüst in Form eines Metallbogens. Die Systeme zeichnen sich
durch eine einfache, schnelle und atraumatische Handhabung ohne Notwendigkeit zu
einer größeren Exposition der Knochenoberflächen aus. Wegen der sperrigen, den
Patienten beeinträchtigenden äußeren Rahmenkonstruktion beschränkt sich der Einsatz
eines Fixateur externe heutzutage freilich auf wenige andere Indikationen ([23], [24], [25], Probst et al. 2013 – dieses OP-Journal).
Die offene Reposition von Frakturen im zahnlosen atrophen Unterkiefer bietet
zahlreiche Optionen zur internen Fixierung mit Osteosyntheseplatten in
unterschiedlichem Design und variierender Dimensionierung (d. h. Mini- und
Makroplatten) sowie zur Kombination mit mehreren Typen von Knochentransplantaten
([Tab. 2]).
Tab. 2 Einige Plattensysteme zur Frakturbehandlung im
zahnlosen atrophen Unterkiefer (modifiziert nach Madsen et al. 2 009).
Kompressionsplatten sind nicht allgemein akzeptiert, weisen aber nach
den frühen Arbeiten von Luhr [11], [12] sehr gute Erfolgsquoten auf. Die
Anfangsversion der Pencilbone-Platte war als Kompressionsplatte
konfiguriert. Das Design wurde dann abgeändert in eine winkelstabile
Trilock-Variante.
Plattensysteme zur offenen Reposition und Fixation
|
Miniplatten (Champy-Prinzip)
|
intermediäre Platten (z. B. Synthes 2.0 UniLOCK Medium Profile,
Large Profile)
|
Makroplatten
|
Rekonstruktionsplatten (> 2,4 mm)
|
[Kompressionsplatten]
|
Pencilbone-Platten – Modus Trilock
|
Fixationstechniken
Nach operativer Freilegung und Reposition der Fragmente stehen verschiedene
Fixationstechniken mit Osteosyntheseplatten zur Verfügung ([Tab. 2]). Entsprechend ihrem Querschnitt bzw. ihrer Profilstärke werden
die Osteosyntheseplatten danach eingeteilt, ob sich eine Stabilität bzw.
Kraftübertragung im Sinne eines Load Sharing oder Load Bearing [26] erreichen lässt ([Abb. 4]).
Abb. 4 Prinzip der Kraftübertragung. Links: Load-sharing-Situation; Mitte:
intermediäres Szenario – Knochen und Platte tragen zu gleichen Teilen zur
Lastübertragung bei. Dementsprechend ist eine größer dimensionierte Platte
erforderlich; Rechts: Load-bearing-Situation – weitere Erläuterungen im
Text.
Beim Load Sharing übernimmt der Knochen nach adaptiver Verplattung die funktionelle
Hauptlast während der Kraftübertragung, beim Load Bearing wird die Kraftübertragung
zur alleinigen Aufgabe der Platte. Die Profilstärke der Platten wird im Allgemeinen
nicht direkt, sondern über die zur Fixation verwendeten Schraubendurchmesser (in mm)
angegeben. Die Grenze zwischen Mini- und Makroplatten, die im Schrifttum nicht genau
definiert ist, beginnt sicherlich bei einem Schraubendurchmesser oberhalb von
2 mm.
Zu einer Load-Sharing-Osteosynthese bei Unterkieferfrakturen kommen demnach
Miniplatten (Schraubendurchmesser 1.5, 1.7, 2 mm), die nach den Prinzipien von
Michelet et al. [27] und Champy et al. [28], [29], [30], [31], [32] angebracht werden, zur Anwendung. Die Dimension der
Knochenquerschnitte an den Frakturenden muss dabei zur funktionellen Lastübertragung
während der Mastikation ausreichen, denn die Osteosynthese mit miniaturisierten
Platten kompensiert vornehmlich Zugkräfte und liefert insofern nur einen geringen
Beitrag zur Stabilität. Im Gegensatz zur Lastteilung liegen in einer
Load-Bearing-Situation im Frakturbereich soweit reduzierte Knochenverhältnisse vor,
dass dies einem Defekt gleichkommt und eine nunmehr massiv konfigurierte (Makro-)
Osteosyntheseplatte als alleiniger Lastüberträger fungiert. Zu einer
Load-Bearing-Osteosynthese werden üblicherweise Rekonstruktionsplatten
(Schraubendurchmesser: 2.3, 2.4, 2.5, 2.7–3 mm) verwendet.
Vorteile der offenen Reposition und Fixation von Frakturen im zahnlosen Unterkiefer
mit Miniplatten sind die minimale Deperiostierung an der krestalen Knochenoberfläche
sowie die technisch einfache und schnelle Durchführbarkeit [2], [33], [34], [35]. Bei fortgeschrittener Atrophie des
Unterkiefers wird empfohlen, die Miniplatten weiter in Richtung Unterkieferunterrand
zu platzieren. Bei reduzierter Knochenqualität sollte statt einer 4-Loch-Platte eine
6-Loch-Platte mit einer Fixierung durch 3 Schrauben auf jeder Fragmentseite
verwendet werden [36].
Rekonstruktionsplatten erlauben lasttragende Osteosynthesen mit hoher Rigidität
und Primärstabilität bei Frakturen im zahnlosen atrophen Unterkiefer (z. B.
[4], [37], [38], [39], [40], [41], [42], [43]). Mit ausreichend
großer Spannweite der Platten kann der Frakturbereich überbrückt werden und die
Befestigung entfernt davon in stabilen Knochenarealen erfolgen.
Bei unilateralen Frakturen im atrophen Unterkieferkorpusbereich erfolgt die
Schraubenverankerung im R. ascendens und im Kinn- bzw. Symphysenbereich, bei
bilateralen Korpusfrakturen wird die Platte von Kieferwinkel zu Kieferwinkel in Form
eines Hufeisens appliziert und an den Rami verschraubt.
Locking Plates
Seit mehr als 2 Jahrzehnten gibt es Locking-Platten/Locking-Schrauben-Systeme, die
bei der Versorgung von Frakturen im atrophen Unterkiefer als „Fixateur interne“
fungieren können und biomechanische Vorteile gegenüber konventionellen (Non-Locking)
Plattensystemen mit sich bringen. Aus der Locking-Funktion ergibt sich angeblich ein
größerer Spielraum bei der Adaptation und Konturierung der Platten an den Knochen.
Distanzen bis zu 4 mm zwischen Platte und Knochenoberfläche sollen tolerierbar sein
[44]. Dieser Abstand kann der Vaskularisierung der
kortikalen Knochenschicht durch die umgebenden Weichgewebestrukturen zugute kommen
[45]. Als weiterer Vorteil kann gelten, dass die
Stabilität des Schrauben-Platten-Knochen-Verbunds insgesamt größer ist als bei
Standardplatten [46], [47], [48], [49], [50], womit bei limitierten anatomischen
Platzverhältnissen infolge von Atrophie grundsätzlich auch im Querschnitt reduzierte
Plattenprofile möglich werden [42]. Ferner werden
sekundäre Dislokationen der reponierten Fragmente durch die Schraubeninsertion
vermieden, weil die Fragmente nicht an die Platte herangezogen werden, sobald die
Locking-Schraube über das 2. Gewinde am Schraubenkopf winkelstabil in der Platte
verriegelt wird [50].
Kompressionsplatten
Die erste Osteosynthese mit Kompressionsplatten im maxillofazialen Bereich wurde bei
einem Patienten mit bilateralen Frakturen im hochatrophen Unterkieferkorpus (Klasse
III) durchgeführt (OP: Hans-Georg Luhr Oktober 1967, Hamburg-Eppendorf – siehe [51]).
Unkontrollierbare sekundäre Dislokationseffekte, unzureichende interfragmentäre
Abstützungsmöglichkeiten im atrophen Knochen und die nur zu einem Load Sharing
geeigneten Plattenquerschnitte und -längen gehören zu den Gründen, weshalb
Kompressionsplatten – trotz anfänglicher Erfolgsmitteilungen [11], [12], [52], [53] – schnell aus dem allgemeinen
Behandlungsrepertoire bei Frakturen im zahnlosen Unterkiefer verschwunden sind und
heute als „nicht mehr empfehlenswert“ apostrophiert werden [41].
Pencilbone Plate
Die sog. „Pencilbone Plate“ ist eine speziell für die Frakturversorgung im atrophen
Unterkiefer entwickelte Osteosyntheseplatte (Namensgebung bezieht sich auf den
oftmals nur noch bleistiftdünnen atrophen Knochen, vgl. [54] – [Abb. 5 a] und [b]) und soll den besonderen biomechanischen und biologischen
Anforderungen besser gerecht werden [55], [56].
Abb. 5 a bis d Pencilbone und Pencilbone-Platte. a und
b Fraktur im Korpus eines hochatrophen Pencilbone-Unterkiefers,
Bleistift zum Größenvergleich; c Medartis Modus® Trauma 2.0
Pencilbone-Minikompressionsplattensystem: 3 Plattenvarianten mit sphärischen
Gleitlöchern im Mittelsteg. Unterschiede in: Breite des Steges zwischen den
Gleitlöchern, Länge des verstärkten Mittelstegs, Gesamtlänge der Platten und
Anzahl der Löcher im Adaptationsplattenteil; d Neues Pencilbone Plate
Design mit Locking-Löchern im Mittelsteg zur winkelstabilen Verblockung mit
Trilock-Schraubenköpfen.
Bei diesem Plattentyp sollten anfangs die Eigenschaften von Miniplattensystemen, also
insbesondere die einfache technische Handhabung, die eine transorale Applikation
erlaubt, mit den möglichen Vorteilen von Kompressionseffekten vereint werden ([Abb. 5 c]).
Die erste Version dieser Platten besaß einen oval geformten und verstärkten
Mittelsteg zur Stabilisierung des frakturnahen Knochenbereichs und hatte 2
sphärische Gleitlöcher jenseits der Fraktur. An den verstärkten Teil der
Osteosyntheseplatte schlossen sich jeweils 2 bzw. 3 normale unverstärkte Löcher an,
die sich sehr leicht an den frakturfernen Knochenbereich adaptieren ließen [55]. Das Design und die Dimensionen der Pencilbone-Platte
sind auch in einer neuen abgeänderten Designvariante ([Abb. 5 d]) grazil geblieben und sollen eine genaue Adaptation an die
Knochenoberfläche über längere Strecken ermöglichen.
Die für Pencilbone-Platten experimentell ermittelten Belastungswerte im Frakturspalt
sollen eine primäre Knochenheilung günstig beeinflussen (Blume et al. 2003), sofern
die interfragmentäre Abstützung noch ausreichend ist. Ein Load Bearing ist a priori
nur mit Rekonstruktionssystemen möglich [57].
Synthes UniLOCK 2.0™
Vor über 10 Jahren kam ein unidirektionales, winkelstabiles
Mini-Locking-Plattensystem (Synthes UniLOCK 2.0™) auf den Markt, das in 3
Profilstärken (Large Profile, Medium Profile, Small Profile) erhältlich ist. Diese 3
Plattenvarianten ergänzen die 2.4-UniLOCK-Rekonstruktionsplatte zu einer
Locking-Platten-Familie im Sinne eines „Downsizing“ nach unten.
Die Dimensionierung der Small Profile UniLOCK-Platte entspricht einer
konventionellen Miniplatte, während die Medium und Large Profile-Platten
Materialquerschnitte (Dicke und Breite) aufweisen, die ihre Biegestabilität
stufenweise in die Nähe der 2.4-Universal-Frakturen-Platte bzw. der
2.4-Locking-Rekonstruktionsplatte rücken ([Abb. 6]).
Demnach werden Platten mit diesen Profilen als Intermediärplatten
bezeichnet.
Abb. 6 a bis i Versorgung einer atrophen
Unterkiefer-3-fach-Fraktur, Luhr-Klasse II im Sinne eines „Downsizing“ (80 Jahre
alte Patientin nach Treppensturz). a Präoperative Panoramaschichtaufnahme
(PSA) und koronare CT-Schichten – Pfeile zeigen auf die Frakturstellen in der
Korpusmitte links, der Prämolarenregion rechts und an der
Kiefergelenkfortsatzbasis links – Luxation des Kieferköpfchens; b Beginn
mit Reposition und Fixation des Kiefergelenkfortsatzes links;
c–e intermediäre Large-Profile-UniLOCK-2.0-Platte zur Überbrückung vom
Kieferwinkelbereich links bis zum Unterkieferkorpus rechts, nach Vorfixierung
mit Adaptationsplatten basal im Korpusbereich links und lateral oben paramedian
rechts; f Postoperative PSA und postoperatives okzipitomentales
Schädel-Röntgenbild; g und h Narben submandibuär und submental
nach Zugang im Zickzackmuster; i wiederhergestelltes Prothesenlager im
Unterkiefer und eingesetzte frühere Prothese.
In Verbindung mit revaskularisierten Knochentransfers zum Unterkieferersatz ist
bereits verschiedentlich über den erfolgreichen Einsatz dieser „kleinen“
Rekonstruktionsplatten berichtet worden [58], [59]. Obwohl im Werbematerial die Eignung der „Medium“ und
v. a. die „Large Profile“-Platten zur Osteosynthese von Frakturen im zahnlosen
atrophen Unterkiefer besonders hervorgehoben wurde, ist in bisherigen
Veröffentlichungen nur anhand von Einzelbeispielen [42], [47], [49], [60] und einer ersten kleinen
Vergleichsstudie [61] auf die möglichen Vorteile dieser
Plattenformate hingewiesen worden. Gegenüber den 2.4-Locking-Rekonstruktionsplatten
vereinfachen sich die Biegbarkeit und die Ankonturierung. Die reduzierten Profile
verringern die Palpierbarkeit und die Perforationsgefahr durch die Weichgewebe.
Interferenzen zwischen Platte und Prothesensattel werden vermieden, sofern eine
kaufunktionelle Rehabilitation beabsichtigt ist.
Knochenaugmentation
Zur Sicherstellung einer primären Knochenheilung wurden bei Frakturen im hochatrophen
Unterkiefer seit Langem Knochenersatzplastiken entweder allein oder simultan mit
Plattenosteosynthesen verwendet (z. B. [62]) ([Abb. 7]). In Verbindung mit modernen
Locking-Plattensystemen haben ossäre Soforttransplantate nicht nur eine Förderung
der Frakturkonsolidierung durch Einbringen osteokompetenter Zellen [43], [49], [63], sondern auch die Augmentation der Alveolarfortsätze für eine spätere
implantologisch-prothetische Versorgung zum Zweck [42].
Die Bedarfslage nach einer kaufunktionellen Rehabilitation variiert bei Patienten
mit Frakturen im hochatrophen Unterkiefer nach Alter, psychosozialen Gegebenheiten,
finanziellen Möglichkeiten, usw. und wird relativ selten nachgefragt, wenn vor dem
Trauma keine Vollprothesen zum Zahnersatz getragen wurden.
Abb. 7 a bis l Knochenaugmentation im Rahmen der primären
Versorgung einer Zweifachfraktur im atrophen zahnlosen Unterkiefer (Luhr-Klasse
III – 67-jährige Patientin). a1 und a2 Präoperative PSA und
präoperatives 3-D-CT; b Freilegung der gesamten basalen
Unterkieferspange; c Vorfixierung der mehrfragmentären Fraktur paramedian
rechts sowie im Unterkieferkorpus links mit Mini-Adaptationsplatten; d
und e Abheben des krestalen Mukoperiosts über dem Korpusbereich bds. –
wannenförmige Atrophie und R. incisivus, in den anterior erhaltenen Knochenkanal
einstrahlend; f rigide Fixation mittels Rekonstruktionsplatte.
g Mit Schrauben schwebend fixiertes kortikospongiöses
Beckenkammtransplantat anterior; h–j Augmentation im Korpusbereich bds.
und vorne mit Beckenkammspongiosa pur bzw. einem Gemisch mit Bio Oss; k1
und k2 Postoperatives 3-D-CT mit kolorierter Rekonstruktionsplatte und
PSA 4 Monate postop. – Schraube vorne rechts wurde entfernt; l PSA nach
Insertion von 4 Implantaten.
Für den Fall einer Frakturüberbrückung in Kombination mit einem Knochenaufbau als
präprothetisch-/präimplantologische Maßnahme werden Adaptionsplatten in
Intermediärformaten favorisiert, da sich bei diesen Metallentfernungen wegen der
geringeren Profilhöhe („low profile“) im Gegensatz zu
Makro-/Rekonstruktionsplatten erübrigen sollen [42], [64].
Operativer Zugang
Je nach Typ und Größe der Hardware kommen für die offene Reposition und interne
Fixation (ORIF) transorale oder externe operative Zugangswege infrage. Die
Freilegung des zahnlosen atrophen Unterkiefers über externe submandibuläre
Schnittführungen geht mit dem Risiko von Läsionen des R. marginalis mandibulae (VII)
einher, erlaubt andererseits aber eine übersichtliche Darstellung sämtlicher
Unterkieferabschnitte, falls nötig bis in den Bereich der Gelenkfortsätze.
Vorteilhaft sind Zickzackinzisionen der Haut in direkter Nähe bzw. unterhalb der
Mandibula unter Ausnutzung vorhandener Hautfalten ([Abb. 6], [7], [9]). Nach Ablösen eines Hautlappens in kaudaler Richtung wird dann
auf gewohnter Höhe ein Wechselschnitt durch das Platysma vorgenommen.
Abb. 8 Dislozierende Zugwirkung auf den atrophen, bilateral im Korpus
frakturierten Unterkiefer durch die Kaumuskulatur und suprahyoidale
Muskulatur.
Abb. 9 a bis q Mehrfachfraktur bei zahnlosem, hoch atrophem
Unterkiefer (Luhr-Klasse III, Patientin 77 Jahre). a Hämatome und
Platzwunde unter dem Kinn; b Massive Unterblutung von Mundboden- und
Sublingual-Schleimhaut; c1 und c2 beim Sturz zerbrochene Ober- und
Unterkiefer-Vollprothesen; d1–d4 Präoperatives PSA und 3-D-CTs –
Frakturmuster: Kiefergelenkortsatzbasisfraktur bds., links mit Lateral Override,
rechts mit medialer Achsknickung, Unterkieferkorpusfrakturen bds.,
mehrfragmentär rechts; e submandibulärer OP-Zugang Zickzack- bzw.
Stufenpyramiden Schnittführung; f Auswahl an Rekonstruktionsplatten
(Matrix Mandible Recon) und zahnloses Unterkiefermodell in Sterilfolie zur
Plattenkonturierung; g weite Exposition des Unterkiefers bis in die
Gelenkfortsatzregion bds.; h und i Reposition und Fixation der
Kiefergelenkfortsätze bds.; j Fragmentreposition und Vorfixierung der
Unterkieferspange über Miniadaptationsplatten bds. lateral am Korpus sowie
Anpassen des „Lingual Plating“; k linguale Platten (Plattendicke 2 mm ~
Large Profile Unilock 2.0) fixiert, komplettierte Osteosynthesen ventral über
Symphysen-/Kinnregion; l Reparierte und am OP-Ende eingesetzte
Vollprothesen mit ungestörtem Sitz und guter Okklusion; m und
n postoperative PSA und 3-D-CT von basal mit koloriertem
Osteosynthesematerial; o und p intraorale Situation und
eingesetzte Prothesen 6 Monate postoperativ; q Narbenverhältnisse
submental/submandibulär.
Die Zickzackschnittführung ist topografisch weniger ausgedehnt als eine
kontinuierliche Inzision und lässt sich aufgrund ihrer Geometrie aufdehnen wie
eine Ziehharmonika. Die Elastizität der Cutis, welche die Aufdehnung von
Wundkavitäten limitiert, wird somit trickreich außer Kraft gesetzt.
Transorale Zugänge in der Schleimhaut des anterolateralen Vestibulums eignen sich gut
zur Exposition der Kinn- und seitlichen Unterkieferkorpus-Region.
Der Hauptvorteil transoraler Zugänge besteht darin, dass im Gesicht keine äußerlich
sichtbaren Narben entstehen. Das Risiko einer Verletzung des N. mentalis oder
buccalis sowie ein „Drooping chin“ (hängendes Kinn) als Folge einer unzureichenden
Readaptation der Mentalismuskulatur sind hingegen nicht gänzlich ausgeschlossen.
Falls die Knochenatrophie weit fortgeschritten ist, können sowohl der N. alveolaris
als auch die zugehörige Arterie [1] frei unter dem
Mukoperiost liegen und bei Inzision und Präparation direkt verletzt werden [42].
Therapieverfahren und ihre Komplikationen
Therapieverfahren und ihre Komplikationen
Zu den typischen Lokalkomplikationen in der Behandlung von Frakturen des zahnlosen
atrophen Unterkiefers gehören Infektion, Sequestrierung kleinerer Fragmente,
Osteomyelitis, freiliegende Platten, Fehlstellung der Fragmente, Pseudarthrose bzw.
Non-Union [65], Schraubenlockerungen, Schraubenausrisse
und Ermüdungsbrüche der Osteosyntheseplatten. Es wird über hohe Komplikationsraten
in Größenordnungen von 4 bis zu 20 % (bezogen auf Zahl der Patienten oder Anzahl der
Frakturen) berichtet (z. B. [2], [3], [40], [42], [53], [66]),
wobei regelmäßig Korrelationen mit den folgenden (z. T. schon vorangehend
angesprochenen) Aspekten und Problemkreisen hergestellt werden [42]:
-
Atrophiegrad/-klasse
-
geschlossene Behandlung oder offene Reposition und Fixation
-
operative Zugangswege: intraoral vs. extraoral vs. Kombination aus beiden
-
Deperiostierung: subperiostale vs. supraperiostale Präparation und
Plattenapplikation
-
Hardware-Dimension und Hardware-Typ bei interner Fixierung: Miniplatten vs.
Intermediär- vs. Makro- bzw. Rekonstruktionsplatten, Kompressionsplatten,
Spezialplatten, Locking- vs. Non-Locking-Platten
Nicht zu unterschätzen sind die auf die atrophe Unterkieferspange einwirkenden
Zugkräfte durch die antagonistischen Muskelgruppen – Kaumuskulatur einerseits
(Masseter-Pterygoideus- Schlinge und Mm. temporales) und die suprahyoidale
Muskulatur andererseits ([Abb. 8]).
Bei bilateralen Frakturen im Korpusbereich sind sie als Risikofaktor für
Dislokationen zu werten und müssen bei der Auswahl des Osteosynthesematerials
berücksichtigt werden. Dislokationen des vorderen Unterkieferbogens sind kein
seltener klinischer Initialbefund und immer von einer Atemwegsbehinderung begleitet,
weil die Aufhängung der Zunge am Hyoid kompromittiert ist.
Hardware-„Downsizing“ möglich?
Hardware-„Downsizing“ möglich?
Die Indikation zur Verwendung eines Plattensystems ist letztendlich an der
Restknochenhöhe und der Knochenqualität zu orientieren. Welche Plattengrößen,
Plattenprofile, Adaptation, Kompression, interner Fixateur zur Versorgung von
Frakturen im zahnlosen atrophen Unterkiefer geeignet sind, steht allerdings nach wie
vor zur Debatte.
Mit Blick auf „minimalinvasive Vorgehensweisen“ geht der Trend bei der Behandlung von
Unterkieferfrakturen ganz allgemein zu einem „Downsizing“ der Osteosynthese-Hardware
([Abb. 6]). Welche Plattenformate in Anzahl und
Konfiguration, welches Applikationsprinzip (Kompression, Adaptation, Fixateur
interne) oder welche Schraubentypen (Non-Locking, Locking) und Schraubendurchmesser
sich zur Dimensionsreduzierung des Osteosynthesematerials bei der Frakturversorgung
im zahnlosen atrophen Unterkiefer eignen, ist bisher weder im direkten klinischen
Vergleich noch experimentell hinreichend geklärt [67].
In einer eigenen, bisher unveröffentlichten In-vitro-Studie wurden die Stabilität und
die Handling-Eigenschaften moderner Hardware-Systeme in Mini- und
Intermediärformaten im Vergleich zu Rekonstruktionsplatten in konventioneller und
winkelstabiler Montage als Goldstandard bzw. Kontrolle überprüft.
Bei geringgradig atrophierten Unterkiefern (Luhr-Klasse I) erscheint ein
„Downsizing“ mit einer Auswahl von Plattensystemen (z. B. Intermediärplatten,
Pencilbone-Platten oder multiplen Platten in 3-D-Anordnung) grundsätzlich
möglich.
Ob dies auf höhergradige Atrophiegrade übertragbar ist, bedarf weiterer
Untersuchungen, erscheint jedoch zumindest für Miniplatten und die
Medium-Profile-Plattenvarianten fragwürdig [63], [68], [69].
Ausblick – Alternative Plattenpositionierung: Basal and Lingual Plating
Ausblick – Alternative Plattenpositionierung: Basal and Lingual Plating
Die Perforationsgefahr durch das Weichgewebe ist ein wesentlicher Nachteil großer
Plattenprofile. Interferenzen zwischen prominenten Plattenanteilen im anterolatealen
Unterkiefervestibulum und Prothesensattel erschweren oder verhindern sogar eine
kaufunktionelle Rehabilitation.
Diese Schwierigkeiten könnten mit der Applikation von 2.4 (oder größeren)
Locking-Rekonstruktionsplatten am Basalrand des Unterkiefers („Basal Plating“) über
einen extraoralen Zugang gelöst werden [70], [71]. Die Lateralflächen des Unterkiefers werden zum
Anbringen der Platte nur wenig freigelegt und die Positionierung der Platte tangiert
die dünne oralwärts lokalisierte Weichgewebebedeckung (Mukoperiost und adhärente
Gingiva) von vorneherein nicht mehr. Infolge dieser vorteilhaften Integration in den
Weichgewebsmantel sinkt die Wahrscheinlichkeit für Wunddehiszenzen und eine
Plattenexposition. Da die krestal und beidseits davon gelegenen Knochenoberflächen
des Unterkiefers ausgespart bleiben, steht die Platte den Kunststoffsätteln einer
schleimhautgetragenen Prothese nicht im Wege. Nachteilig bei dieser Vorgehensweise
sind die senkrecht von unten eingebrachten Schrauben, die den Knochen nur
monokortikal fassen dürfen, damit ihre Spitzen nicht unter der Schleimhaut an der
Prothesenbasis zu liegen kommen.
In einer In-vitro-Testreihe an atrophen Kunststoffunterkiefern ergaben sich keine
Unterschiede im mechanischen Verhalten zwischen Rekonstruktionsplatten, die am
Basalrand des Unterkiefers („Inferior border fixation“) oder auf übliche Weise
entlang der Lateralfläche („Lateral border fixation“) angebracht werden [71].
Technisch nicht ganz einfach gestalten dürfte sich indessen das Anbiegen der
kräftigen Rekonstruktionsplatten über die Kante, insbesondere, wenn die Platte bei
einer schmalen Kinn-/Unterkiefersymphysenregion in die Form einer Parabel gebracht
werden muss.
Eine weitere Option zur Plattenapplikation besteht in der Positionierung auf der
Lingualseite des Unterkieferrands („Lingual Plating“) ([Abb. 9]) Dabei bleibt das Unterkiefervestibulum ebenfalls für einen
Prothesensattel frei, sodass eine sofortige Prothesenfähigkeit garantiert
ist.
Beim Lingual Plating wird das Knochenangebot im atrophen Unterkiefer vorteilhaft
ausgenutzt: auf der Lingualseite der Unterkieferbasis, unterhalb der Linea
mylohyoidea, bleiben die Knochenverhältnisse konstant und sind kaum von
Resorptionsvorgängen betroffen (Metzger unveröffentlicht). Zugleich schreitet die
Atrophie des Alveolarfortsatzes in der Etage darüber von lingual nach vestibuär fort
und hinterlässt eine hohe Außenkante vestibulär. Häufig wird dabei der ehemalige
Krestalbereich wannen- oder trogförmig ausgekehlt (vgl. [Abb. 7 d] und [e]). Insgesamt nimmt der
Unterkieferkorpus einen triangulären Querschnitt an, in dem – in Schrägrichtung von
unten innen nach oben außen eingebracht – Schrauben größerer Länge verwendet werden
können als bei Insertion von der Lateralfäche aus. Die Schleimhaut- bzw.
Mukoperiostbedeckung im Krestalbereich ist zudem einem geringeren Perforationsrisiko
ausgesetzt.
Biomechanische Aspekte bei der lingualen Plattenapplikation sind derzeit noch nicht
näher untersucht, dürften aber näherungsweise ähnlich einzuschätzen sein wie beim
„Basal Plating“.
Ein Lingual Plating kommt auch als „Salvage“ infrage, wenn es nach der Applikation
rigider Osteosyntheseplatten von der Lateralseite zur weiteren krestalen Atrophie
gekommen ist und Schraubenschäfte und -spitzen nach medial unter oder durch die
Schleimhaut ragen.
Da die Platten belassen werden müssen, um die Stabilität beim hochatrophen
Unterkiefer nicht zu gefährden, wird empfohlen, die freiliegenden Schraubenpartien
über einen intraoralen Zugang abzufräsen [72]. Falls die
Situation wiederholt auftritt oder mehrere Schrauben nach lingual vorstehen und
entfernt werden müssen, bietet sich eine linguale Platteninsertion an, um das
Konstrukt zu retten ([Abb. 10]). Das Lingual Plating
übernimmt die Stabilisierung und dient als Protektion, bis ein Knochentransplantat
(bspw. autologe Spongiosa in Kombination mit xenogenem Bio Oss) eingeheilt ist und
zur Verfestigung des Unterkiefers geführt hat.
Abb. 10 a bis k „Salvage Procedure“ nach rigider Fixierung einer
bilateralen Unterkieferkorpusfraktur mit „Lingual Plating“ (Luhr-Klasse III,
Patientin 77 Jahre). Infolge progredienter Atrophie des Alveolarfortsatzes
liegen die von der Lateralfläche eingebrachten Schrauben in der krestalen
Knochenwanne frei, fragliche Knochenkontinuität rechts. a Intraoral
sichtbare vestibuläre Schleimhautperforation dorsal rechts; b1 und
b2 Osteosynthesematerial im 3-D-CT in 2 Transparenzstufen – rechts
Perforation mehrerer Schrauben, deren Spitzen bereits früher abgeschliffen
worden sind; c krestale Knochenwanne links – der N. alveolaris inf. und
seine Verzweigung in den N. mentalis und den R. incisivus (nach intraossär) sind
sichtbar; d krestale Wanne rechts mit freiliegenden Schrauben von lateral
und kaudal – vorne der R. incisivus; e Verzweigungen des N. alveolaris
inf. rechts – mit Bestätigung, dass es sich um den R. incisivus handelt;
f Applikation einer Large Profile UniLock 2.0-Platte von lingual nach
Platten- bzw. Schraubenentfernung bzw. Austausch; g krestale Wanne rechts
ohne perforierende Schrauben; h–j Aufbau des
Unterkieferalveolarfortsatzes mit Spongiosa vom posterioren Beckenkamm und einer
Bio Oss Layer on Top; k postoperative PSA.
Fazit
Die Indikation zur Verwendung eines Plattensystems bei Frakturen im zahnlosen
atrophen Unterkiefer ist an der Restknochenhöhe zu orientieren. Experimentell kommen
kleindimensionierte Plattensysteme schon bei der Luhr-Klasse I nur bedingt
infrage.
Mit Abnahme der Vertikaldimension auf die Luhr-Klasse III wird sich trotz neuer
Plattensysteme wahrscheinlich die vertraute Formel bewahrheiten: je niedriger die
Restknochenhöhe, desto stärker und länger die zu verwendende
Osteosyntheseplatte.