Aktuelle Urol 2013; 44(04): 254-255
DOI: 10.1055/s-0033-1351761
Referiert und kommentiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Peniskarzinom – Mikrometastasen durch Sentinel-Biopsie aufspürbar

Contributor(s):
Bettina Rakowitz

Eur Urol 2013;
63: 657-663
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Publication History

Publication Date:
31 July 2013 (online)

 
 

Ein negativer inguinaler Tastbefund ist bei Patienten mit invasivem Plattenepithelkarzinom oft nicht aussagekräftig, denn 20 % dieser Patienten haben Mikrometastasen. Bei hohem Risiko für eine solche okkulte Metastasierung empfiehlt die European Association of Urology seit 2009 zur Diagnosesicherung die dynamische Sentinel-Lymphknotenbiopsie. Diese ist am St. George’s Hospital in London bereits seit 2004 die Methode der Wahl und Inhalt einer prospektiven Studie, deren Ergebnisse nun vorliegen.
Eur Urol 2013; 63: 657–663

mit Kommentar

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Ohne Lymphknotenbefall haben Patienten mit invasivem Plattenepithelzellkarzinom eine hohe Überlebenswahrscheinlichkeit. Die Überlebensrate sinkt allerdings beträchtlich, sobald nodale Metastasen auftreten. Sind inguinal keine Lyphknoten tastbar, kann die DSNB mögliche Mikrometastasen aufzeigen. (Zeichnung: Wesker K, aus Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. Lernatlas der Anatomie. Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme: 2011)

Wenn bei Patienten mit Plattenepithelkarzinom (PEC) am Penis keine Lymphknoten tastbar sind, dient die dynamische Sentinel-Lymphknotenbiopsie (DSNB) sehr gut zur exakten Stadieneinteilung. Gerade in Kombination mit einer Ultraschalluntersuchung besticht die Methode durch hohe Sensitivität und niedrige Morbiditätsraten. Diese Aussagen treffen Lam und seine Kollegen anhand einer prospektiven Studie, die zwischen 2004 und 2010 insgesamt 264 Patienten einschloss. Bei allen Patienten handelte es sich um die Erstdiagnose eines PECs (≥T1) mit ein- oder beidseitig nicht palpablen Lymphknoten (cN0) und einem Grading ≥G2. Das mittlere Alter der Patienten lag bei 66,5 Jahren, die Nachbeobachtungszeit lag im Median bei 57 Monaten.

Inguinale Lymphadenektomie bei positiver FNAC oder DSNB

Nach Diagnosestellung untersuchten die Ärzte die Patienten zuerst per Ultraschall. Definierte Kriterien, wie bsw. Vergrößerungen oder abnormale Gefäßversorgung der Lymphknoten, entschieden über eine zusätzliche Biopsie durch Feinnadelaspiration (FNAC). Noch am Tag des Ultraschalls fand die DSNB statt. Waren FNAC oder DSNB positiv, folgte ipsilateral eine inguinale Lymphadenektomie. Bei negativem Befund wurde der Patient in definierten Intervallen nachbeobachtet.


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Sensitivität der DSNB bei 92 %

Die 3 Untersuchungsmethoden Ultraschall, FNAC und DSNB ergaben gemeinsam einen positiven Befund bei 14,6 % der Lymphgebiete bzw. bei 22,3 % der Patienten. Bei 4 Patienten war die DSNB einseitig falsch-negativ, 2-mal zeigten Ultraschall und FNAC einen positiven Befund, während die DSNB negativ blieb.

Die Sensitivität bei alleiniger ultraschallabhängiger FNAC lag bei 65 % pro inguinalem Lymphgebiet. Die Sensitivität bei der Kombination von FNAC und DSNB lag bei 95 %, während die Sensitivität einer alleinigen DSNB bei 92 % lag. Bezogen auf den Patienten lag die Sensitivität jeweils nur knapp darunter (FNAC 64 %, FNAC+DSNB 91 %, DSNB 94 %). Die Morbiditätsrate der DSNB lag bei 7,6 %.

Fazit

Sind bei einem Patienten mit invasivem Plattenepithelkarzinom keine inguinalen Lymphknoten tastbar, so empfehlen Lam et al. die dynamische Sentinel- Lymphknotenbiopsie (DSNB). Die Methode sei exzellent dazu geeignet, eine mögliche okkulte Metastasierung aufzudecken. Die DSNB besteche durch ihre hohe Sensitivität bei gleichzeitig geringer Morbiditätsrate. Die Autoren betonen jedoch, dass die DSNB möglichst in einem Zentrum mit hohen Fallzahlen erfolgen sollte.


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Kommentar

Falsch-negativ-Rate von 6 % akzeptabel?

Die Londoner Arbeitsgruppe legt eine sehr große Studie zum Management der regionären Lymphknoten beim Peniskarzinom mit klinisch unauffälligen inguinalen Lymphknoten vor. Dabei wurden im Zeitraum von 2004–2010 prospektiv alle Patienten (n = 264) mit einem invasiven Peniskarzinom (mindestens pT1G2) und klinisch unauffälligen inguinalen Lymphknoten mit Ultraschall und Feinnadelaspirationszytologie sowie dynamischer Sentinel-Lymphknotendiagnostik untersucht. Die onkologischen Ergebnisse sowie der längerfristige Verlauf mit einem Nachsorgezeitraum von mindestens 21 Monaten bilden das Resultat dieser Studie.

Die 264 Patienten teilen die Autoren in "inguinal basins" (im Deutschen wohl "Leisten") auf. Es wurden 500 "Leisten" bei den 264 Patienten untersucht. 14,6 % der "Leisten" waren positiv und wiesen Lymphknotenmikrometastasen auf. Bei einigen Patienten traten regionäre Lymphknotenrezidive nach 5–18 Monaten auf. Die Autoren berechnen daraus für ihre Serie eine Falsch-negativ-Rate von 5 % auf die Leisten bezogen und von 6 % auf die Patienten bezogen.

Wichtige Studie

Dies ist eine wichtige Arbeit für die seltene aber lebensbedrohliche Entität des Peniskarzinoms. Invasive Peniskarzinome haben eine zwar langsame, aber insgesamt hohe Metastasierungsrate. Das systemisch metastasierte Peniskarzinom ist unheilbar. Daher hat das Management bei Patienten mit klinisch normal erscheinenden inguinalen Lymphknoten ganz besondere Bedeutung. Diese Patienten haben ein 20–25 %iges Risiko, in den inguinalen Lymphknoten Mikrometastasen zu haben, welche unbehandelt zum regionären Lymphknotenrezidiv führen.

Die Prognose des Peniskarzinoms nach Lokaltherapie ohne Metastasen ist gut und liegt langfristig um die 95 % für tumorfreies Langzeitüberleben. Kommt es jedoch zum regionären Lymphknotenrezidiv, verschlechtert sich die langfristige Überlebensprognose drastisch auf knapp unter 50 %. Um dies zu vermeiden, ist es notwendig, diejenigen der Patienten zu diagnostizieren, die regionäre lymphatische Mikrometastasen in sich tragen und diese dann zu therapieren.

Die seit mehreren Jahren eingeführte, aber kaum flächendeckend durchgeführte Sentinel-Lymphknotenbiopsie folgt dem bekannten Prinzip, welches auch beim Mammakarzinom und beim Melanom zur Anwendung kommt. Sehr positive Daten wurden zu dieser Technik besonders aus Amsterdam berichtet. Der wesentliche Punkt bei der Anwendung dieser gering invasiven Technik ist die Frage, wie zuverlässig sie im Ausschluss von Mikrometastasierung ist. Die Falsch-negativ-Rate muss möglichst niedrig sein, damit diese Technik als Routine empfohlen werden kann, wie dies die gegenwärtigen EAULeitlinien tun.

Die Sentinel-Lymphknotenbiopsie ist nicht unumstritten. Neben dem technischen Aufwand bestehen durchaus Zweifel daran, ob tatsächlich davon ausgegangen werden kann, dass immer nur ein Sentinel-Lymphknoten als erste Metastasierungsstation befallen wird. Dies ist ein theoretisches Konzept, dessen Validierung letztendlich durch Studien wie diese bestätigt werden muss.

Falsch-negativ-Rate in Studien unterschiedlich

Aus den Zahlen aus Amsterdam wurde bis dato immer eine Falsch-negativ-Rate von ungefähr 4 % berichtet; allerdings hat die Amsterdamer Arbeitsgruppe auf dem diesjährigen EAU-Kongress neue Zahlen bei längerer Nachbeobachtung vorgestellt, die eine Falsch-negativ-Rate von knapp 12 % ergaben. Die hier vorliegende Studie aus London berichtet über eine patientenbezogene Falsch-negativ-Rate von 6 %. Ob der Unterschied zwischen diesen Zahlen und den aktuellen aus Amsterdam auf einem Unterschied in der Nachbeobachtungszeit allein beruht, wird die Zeit zeigen.

Fazit

Letztendlich bleibt die Beurteilung der Wertigkeit der Sentinel-Lymphknotenbiopsie beim Peniskarzinom mit klinisch unauffälligen Lymphknoten nach meiner Einschätzung Ansichtssache. Die Technik vermeidet die Morbidität der inguinalen Lymphadenektomie, die aber bei Durchführung der modifizierten Variante zum diagnostischen Lymphknotenstaging deutlich reduziert ist. Ob man darüber hinaus eine Falsch-negativ-Rate von 6–12 % als akzeptabel erachtet oder nicht, muss intensiv mit dem Patienten besprochen werden, weil dies u. U. darüber entscheidet, ob ein Langzeitüberleben von 95 % oder eines von 50 % (beim Lymphknotenrezidiv) zum Tragen kommt.

Prof. Dr. Oliver Hakenberg, Rostock


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Prof. Dr. Oliver Hakenberg


ist Direktor der Klinik und Poliklinik für Urologie, Universitätsklinikum Rostock

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Ohne Lymphknotenbefall haben Patienten mit invasivem Plattenepithelzellkarzinom eine hohe Überlebenswahrscheinlichkeit. Die Überlebensrate sinkt allerdings beträchtlich, sobald nodale Metastasen auftreten. Sind inguinal keine Lyphknoten tastbar, kann die DSNB mögliche Mikrometastasen aufzeigen. (Zeichnung: Wesker K, aus Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. Lernatlas der Anatomie. Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme: 2011)