Z Orthop Unfall 2013; 151(04): 330
DOI: 10.1055/s-0033-1354780
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Vorderer Kreuzband-Ersatz – Hamstring-Grafts erhöhen das Infektionsrisiko

Contributor(s):
Stefan Budde
Maletis GB et al.
Incidence of Postoperative Anterior Cruciate Ligament Reconstruction Infections: Graft Choice Makes a Difference.

Am J Sports Med 07.06.2013; [Epub ahead of print]
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Publication Date:
27 August 2013 (online)

 

Das Infektionsrisiko bei der Rekonstruktion des vorderen Kreuzbandes gilt als gering. Da der Eingriff häufig gerade bei jüngeren und sportlichen Patienten durchgeführt wird, untersuchten GB. Maletis et al. die Inzidenz von Infektionen und die Risikofaktoren anhand von 10 626 Operationen. Insbesondere Hamstring-Grafts scheinen dabei das Risiko zu erhöhen.
Maletis GB et al. Incidence of Postoperative Anterior Cruciate Ligament Reconstruction Infections: Graft Choice Makes a Difference. Am J Sports Med 2013 Jun 7. [Epub ahead of print]

Einleitung

Die Rekonstruktion des vorderen Kreuzbandes (VKB) stellt gerade bei jüngeren oder sportlich aktiven Patienten eine häufig durchgeführte Operation mit guten Ergebnissen dar. Auch wenn das Risiko einer postoperativen Infektion als gering einzustufen ist, können die Folgen im Einzelfall verheerend sein: Neben chirurgischen Revisionen und einer antibiotischen Therapie ist häufig die Entfernung des Transplantates notwendig. In der Studie wurde die Inzidenz von Infektionen nach VKBErsatz und ihre Risikofaktoren anhand eines großen Kollektivs ermittelt.


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Methodik

Die zugrunde liegenden Daten wurden im Rahmen eines etablierten kalifornischen Registers zur Erfassung von VKB-Rekonstruktionen prospektiv erhoben. Die Daten, die zwischen 2005 und 2010 erfasst wurden, stammen aus 6 unterschiedlichen Regionen der USA. Sie beziehen sich auf primäre VKB-Rekonstruktionen. Es waren 214 Operateure aus 41 Kliniken beteiligt. Primärer Endpunkt der Auswertung war das Auftreten einer oberflächlichen oder tiefen Infektion in Abhängigkeit der verwendeten Transplantatart, Geschlecht, Alter und BMI.


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Ergebnisse

Von 10.626 Operationen wurden in 41,4 % der Fälle Allografts, in 30,7 % Hamstring- Sehnen-Autografts (Semitendinosus- / Gracilissehne) und in 27,9 % Patellarsehnen- Autografts mit Knochenblöcken (Bone-Patellatendon-Bone: BPTB) verwendet. Die Patienten waren im Schnitt 29,5 ± 11,4 Jahre alt und hatten einen BMI von 26,9 ± 5,0 kg / m² (64,3 % Männer, 25,7 % Frauen). Infektionen traten in 0,48 % der Fälle nach einem durchschnittlichen Zeitraum von 20 Tagen auf (0,32 % tiefe und 0,16 % oberflächliche Infektionen). Die am häufigsten nachgewiesenen Keime waren Staphylokokken (v. a. Staph. aureus). 41 % der Patienten mussten mehrfach revidiert werden. In 26 % der Fälle wurde das Transplantat entfernt.

Mit einer Gesamtinfektionsrate von 0,74 % (p = 0,037) und einer Rate von 0,61 % bei den tiefen Infektionen (p < 0,001) waren die Hamstring-Transplantate signifkant häufiger betroffen als die BPTB-Grafts oder Allografts. Das Risiko der Hamstring- Patienten, eine tiefe Infektion zu erleiden, war damit gegenüber den Patienten mit BPTB-Graft mehr als 8-fach erhöht (OR 8,24, p = 0,005). Zwischen BPTB-Grafts und Allografts zeigte sich kein Unterschied. Bei den oberflächlichen Infektionen spielte die Transplantatwahl keine Rolle, jedoch zeigte sich ein um 8 % erhöhtes Risiko pro 1-Punkt-Anstieg im BMI (OR 1,08, p = 0,017). Alter und Geschlecht hatten keinen Einfluss auf die Infektionsrate.


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Kommentar

Die gewonnenen Daten weisen einen hohen Evidenzgrad auf – nicht zuletzt aufgrund des hohen Stichprobenumfanges und der systematischen Datenerfassung.

Die Wahl eines Hamstring-Transplantates führt zu einem erhöhten Risiko einer tiefen Infektion. Die Ursache dieses Phänomens bleibt jedoch unklar. Aus anderen Studien ist bekannt, dass ein zweistelliger Prozentsatz der VKB-Transplantate bei der Implantation bakteriell kontaminiert ist, obgleich daraus bei Weitem nicht immer eine Infektion resultiert. Ob die Kontamination bei der Transplantatgewinnung, bei der Präparation oder bei der Implantation entsteht, ist hingegen nicht bekannt. Die in der Regel vergleichsweise längere Präparationszeit auf dem Beistelltisch bei den Hamstrings erhöht jedoch die mögliche Kontaminationszeit und könnte eine mögliche Ursache darstellen. Auch die vermehrte Verwendung von Nahtmaterial zur Armierung könnte eine Rolle spielen, ebenso wie das bei der Transplantatgewinnung entstehende Hämatom, das bei Allografts nicht vorkommt und bei den BTPB-Grafts zumindest nicht in unmittelbarer Nähe des tibialen Bohrkanales liegt. Eine bakterielle Kontamination bei der Implantation selbst scheint von geringerer Bedeutung zu sein, da sich die Implantation zwischen Hamstrings und Allografts nicht relevant unterscheidet. Erwartungsgemäß beeinflusst die Transplantatwahl eher die tiefen Infektionen, während sich der BMI – mutmaßlich aufgrund des größeren Weichteiltraumas – eher auf die oberflächlichen Infektionsraten auswirkt.

Neben der Interpretation der Ergebnisse stellt sich aber vor allem die Frage nach den abzuleitenden Konsequenzen. Von einer Versorgung mit Hamstring-Transplantaten abzusehen, ist nicht ratsam, denn trotz des erhöhten relativen Risikos ist die absolute Infektionsrate noch immer sehr gering. Ein einzelner Operateur, der seine Technik von Hamstrings auf BPTB umstellt, müsste theoretisch 250 Patienten operieren, um eine einzige Infektion "einzusparen" – um den hohen Preis, ein ihm geläufigeres Verfahren zu verlassen, für das er sich sicher nicht zuletzt nach Abwägung anderer Vor- und Nachteile entschieden hat. Die weitere Erforschung des zugrundeliegenden Mechanismus der bakteriellen Kontamination wäre wünschenswert, um Ansätze für eine weitere Infektionsreduktion entwickeln zu können.


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