Der Klinikarzt 2013; 42(08): 320-321
DOI: 10.1055/s-0033-1356505
Medizin & Management
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Haftung für Infektion mit Krankenhauskeimen

Krankenhäuser schulden keinen absoluten Schutz vor Infektionen
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Korrespondenz

Dr. iur. Isabel Häser
ECOVIS Lüdemann Wildfeuer & Partner
Sonnenstr. 9
80331 München

Publication History

Publication Date:
02 September 2013 (online)

 
 

    Das Oberlandesgericht Naumburg stärkt den Kliniken mit dem Urteil vom 12.06.2012 (Az.: 1 U 119/11) den Rücken. Eine Haftung wird nur angenommen, wenn die Infektion aus einem hygienisch beherrschbaren Bereich hervorgegangen ist. Das Gericht trägt damit dem alltäglichen Problem der multiresistenten Keime in Krankenhäusern mit großem Realitätssinn Rechnung.

    Der Fall

    Die Klägerin (Ehefrau des verstorbenen Patienten) verlangt Schmerzensgeld und Schadensersatz wegen der ihrer Auffassung nach fehlerhaften Behandlung ihres Ehemannes durch einen Arzt eines Klinikums. Der Patient war aufgrund einer Sepsis nach einer Infektion mit einem multiresistenten Staphylococcus aureus (MRSA) an einer Sepsis verstorben. Sie rügt vor allem, dass eine Blutuntersuchung auf Keime nicht rechtzeitig durchgeführt worden sei, außerdem sei der Patient zu spät auf die Intensivstation verlegt worden. Ihrer Meinung nach hätte ihr diabeteskranker Ehemann durch eine frühere Umkehrisolierung besser geschützt werden müssen. Der nach ihrer Meinung schwerwiegendste Fehler liege aber in den fatalen hygienischen Verhältnissen der Klinik. Beispielhaft sei das Verbandsmaterial am Körper des Verstorbenen urindurchtränkt gewesen, was eine Einbruchstelle für Infektionskeime dargestellt habe. Die Verurteilung der Beklagten hätte schon deshalb erfolgen müssen, weil das Krankenhaus die Einhaltung der Hygienestandards nicht in der Patientenakte dokumentiert habe. Außerdem erhebt die Klägerin den Vorwurf einer fehlerhaften speziellen Risikoaufklärung. Ihr Ehemann sei mehrfach vorgeschädigt gewesen und habe mehrfache Wundpforten aufgewiesen, durch die Keime hätten eindringen können. Über dieses besondere Risiko hätte er nach Ansicht der Klägerin aufgeklärt werden müssen.


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    Die Entscheidung

    Bereits erstinstanzlich wurde die Klage abgewiesen. Das OLG Naumburg wies anschließend auch die Berufung der Klägerin ab. Sie habe keinen Anspruch auf Schmerzensgeld oder Schadensersatz wegen fehlerhafter Behandlung.


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    Keine Pauschalhaftung bei Infektion mit Krankenhauskeimen

    Die Richter des OLG stellten klar, dass die Infektion mit einem multiresistenten Erreger weder per se eine Haftung der Klinik noch ein Indiz für eine mangelhafte Behandlung darstellt. Der Arzt schuldet dem Patienten keinen absoluten Schutz vor Infektionen, den niemand bieten kann, und das Infektionsrisiko des Patienten wird nicht zum Arztrisiko, wenn der Arzt die Behandlung übernimmt.

    Der Arzt haftet nur, wenn er den von ihm zu fordernden Qualitätsstandard unterschreitet und dies auch ursächlich für eine Schädigung des Patienten ist. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist die Mehrzahl der von der Klägerin erhobenen Vorwürfe fehlerhafter Behandlung nach der Überzeugung des Senats nicht gerechtfertigt.


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    Umkehrisolierung nur bei hochgradig Infektanfälligen

    Eine bessere Abschirmung bzw. Isolierung war nicht erforderlich. Aufgrund eines Sachverständigengutachtens kommt der Senat zu dem Schluss, dass eine solche räumliche Separierung im Sinne einer Umkehrisolierung bei Patienten in Betracht käme, die hochgradig infektanfällig sind, sei es durch eine Immunsuppression, eine Brandverletzung oder wegen einer Immunschwächekrankheit. Derartige oder auch nur vergleichbare Voraussetzungen hätten bei dem später Verstorbenen aber nicht vorgelegen. Bei Diabetespatienten im Allgemeinen und auch im Fall des verstorbenen Ehemannes der Klägerin war eine Separierung trotz seines reduzierten Allgemeinzustandes nicht notwendig.


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    Keine Dokumentation von Hygienestandards in Patientenakte

    Als rechtlich falsch sieht das OLG die Ansicht der Klägerin an, eine Verurteilung hätte schon deswegen erfolgen müssen, weil das Krankenhaus die Einhaltung der Hygienestandards nicht in der Patientenakte dokumentiert hat. Nachdem die MRSA-Infektion erkannt worden war, wurden die vorgesehenen Desinfektions- und Schutzmaßnahmen (die vor allem dem Schutz des Personals und Dritter dienten) auf dem entsprechenden "Doku-Bogen für die Isolierung von Pat." schriftlich dokumentiert. Zuvor waren keine derartigen Maßnahmen geboten. Die Dokumentation und Kontrolle der Einhaltung allgemeiner Hygieneregeln und -standards erfolgt nicht patientenbezogen oder in dessen Krankenakten. Die von der Klägerin geforderte Dokumentationspflicht besteht aus medizinischer Sicht nicht. Die Richter kamen daher zum Ergebnis, dass eine Dokumentation, die aus medizinischer Sicht nicht erforderlich ist, auch aus Rechtsgründen nicht geboten sei. Der Umfang der ärztlichen Dokumentation bestimmt sich vielmehr ausschließlich danach, welche Informationen aus medizinischer Sicht, z. B. für eine Nachbehandlung, erforderlich sind und nicht danach, ob eine Dokumentation für einen etwaigen nachfolgenden Arzthaftungsprozess wünschenswert wäre. Maßgeblich sei nur, ob die im Hause geltenden Standards ausreichend seien. Das habe der Sachverständige für die Hygienerichtlinien der Beklagten zu 1) bejaht.


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    Haftung nur bei Infektion aus hygienisch beherrschbarem Bereich

    Selbst wenn davon auszugehen ist, dass der Ehemann der Klägerin sich im Krankenhaus mit einem Krankenhauskeim infiziert hat, reicht dies noch nicht für den Erfolg der Klage aus. Die Richter stellten fest, dass eine Haftung des Arztes oder der Klinik für die Infizierung durch Keime nur dann in Betracht kommt, wenn die Keimübertragung durch die gebotenen hygienischen Vorsorgen zuverlässig hätte verhindert werden können. Nur wenn feststeht, dass die Infektion aus einem hygienisch beherrschbaren Bereich hervorgegangen sein muss, habe der Behandler für die Folgen der Infektion einzustehen, sofern er sich nicht ausnahmsweise entlasten kann.

    Wie bereits das erstinstanzliche Gericht zu Recht betont habe, könne eine Infektion mit multiresistenten Krankenhauskeimen selbst bei bester Hygiene nicht ganz vermieden werden. Trotz Einhaltung der Hygienevorschriften gäbe es ganz wenige Abteilungen, in denen MRSA noch nicht aufgetreten sei. Auch im Falle des Verstorbenen gäbe es keine identifizierbare Quelle bzw. keinen Keimträger, auf den die Infektion zurückgeführt werden könnte. Stehe aber nicht fest, dass die Infektion aus einem hygienisch voll beherrschbaren Bereich im Sinne der Rechtsprechung des BGH hervorgegangen sein muss, so muss die Haftung der Beklagten ausscheiden.


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    Keine pauschale Aufklärungspflicht für Infektionsrisiko mit Krankenhauskeimen

    Auch die Pflicht zur Aufklärung des Patienten über die Tatsache, dass er mehrfach vorgeschädigt gewesen sei und mehrfache Wundpforten aufgewiesen habe, durch die Keime hätten eindringen können, konnte der Senat nicht bejahen. Der Klägerin ging es um die Aufklärung über das allgemein erhöhte Risiko eines besonders geschwächten Patienten, sich während eines Aufenthalts in einer Klinik eine Infektion zuzuziehen. Die Richter vertraten jedoch die Auffassung, dass man sich in jedem Krankenhaus möglicherweise mit Keimen infizieren kann und dies allgemein bekannt sei und nicht Gegenstand der besonderen Risikoaufklärung im Rahmen eines stationären Aufenthaltes als solchen. Auch wenn der Ehemann der Klägerin aufgrund seiner Vorerkrankung geschwächt gewesen sei und Wunden aufgewiesen habe, sein Infektionsrisiko während des Klinikaufenthalts also höher gewesen war als das eines Gesunden, ergibt sich daraus nicht die Pflicht, ihn bei der Aufnahme in ein Krankenhaus oder danach auf ein dadurch erhöhtes Infektionsrisiko hinzuweisen. Erst wenn der Arzt einen Eingriff, insbesondere eine Operation vornimmt, die ein zusätzliches Infektionsrisiko mit sich bringe, gehört gegebenenfalls die Aufklärung über ein durch einen Diabetes und die Operation selbst individuell erhöhtes Wundinfektionsrisiko zur spezifischen Risikoaufklärung des Eingriffs, so die Richter. Aber selbst dann muss der Arzt nach Auffassung der Richter regelmäßig über das Risiko von Wundinfektionen, das zu den allgemeinen Gefahren gehört, nicht gesondert aufklären. Eine Aufklärung in dem von der Klägerin geforderten generellen Sinn bedurfte es daher nicht. Dies gilt erst recht für ein erhöhtes MRSA-Risiko im Krankenhaus, denn bei einer MRSA-Infektion handelt es sich nicht um ein spezifisches Risiko eines bestimmten Eingriffs oder eines bestimmten Patienten, sondern um ein generelles Problem von Antibiotikaresistenzen.


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    Arztfehler waren nicht grob fehlerhaft

    Zwar wurden den Ärzten ärztliche Fehler bestätigt, die jedoch nicht ausreichen, um eine Haftung festzustellen. Nach Auffassung der Richter hätte die Blutuntersuchung durchaus früher stattfinden können. Darüber hinaus hätte das Antibiotikum umgestellt werden müssen. Das Gericht sah hierin allerdings im konkreten Fall keinen groben Behandlungsfehler, der zu einer Beweislastumkehr führt. Aufgrund der Tatsache, dass selbst bei korrekter Durchführung die spezifische MRSA-Therapie nach Sachverständigenangaben mit großer Wahrscheinlichkeit nicht früher zum Einsatz gekommen wäre, wurde hier keine Haftung gesehen. Es sei bereits zweifelhaft, ob eine frühere Blutuntersuchung auch zu einer früheren Diagnose der Infektion geführt hätte. Selbst wenn man die Sepsis aber entsprechend früher erkannt hätte und es zu einer rechtzeitigen Umstellung der Therapie auf ein anderes Antibiotikum gekommen wäre, hätte dies höchstwahrscheinlich an dem weiteren Verlauf und dem fatalen Ausgang nichts geändert, wie der Sachverständige im Prozess nachvollziehbar ausgeführt habe. Denn der Patient starb letztlich an der Infektion mit dem Erreger MRSA, der gegen alle Antibiotika resistent war. Nach Auffassung des Sachverständigen und der Richter handelt es sich letztlich um ein schicksalhaftes Geschehen, für dessen tragischen Ausgang die Beklagten rechtlich nicht verantwortlich sind. Wie in den meisten Fällen beruhe auch hier das Auftreten der Infektion im Zusammenhang mit einer ärztlichen Behandlung nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht auf einem Fehler des Arztes, sondern sei Teil eines Risikos, das leider auch bei ordnungsgemäßer Durchführung einer Behandlung im Krankenhaus nicht ausgeschlossen werden könne.


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    Fazit

    Das OLG Naumburg überzeugt mit seinem Urteil durch die Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse und macht deutlich, dass in Krankenhäusern insbesondere die multiresistenten Keime nicht beherrschbar sind und daher weder Ärzte noch Krankenhäuser für entsprechende Infektionen in Haftung genommen werden dürfen. Das Gericht verkennt dabei nicht die menschliche Tragik, die hinter einem solchen Fall steckt. Erfreulich sind auch die Ausführungen des Gerichts zur Dokumentationspflicht. Hier sahen die Richter keine Notwendigkeit, allgemeine Hygienestandards in den individuellen Patientenakten zu dokumentieren.


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    Isabel Häser

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