Viele Fragen bleiben offen
Multimodale Therapie beim muskelinvasiven Urothelkarzinom
Die Arbeit von Yuh et al. befasst sich mit der neoadjuvanten Chemotherapie beim muskelinvasiven Blasenkarzinom vor radikaler Zystektomie. In der palliativen Therapie des metastasierten Blasenkarzinoms ist die Kombination von Gemcitabin und Cisplatin (GC) im klinischen Alltag ein anerkannter Standard. Obwohl das Schema GC auch regelmäßig zur neoadjuvanten Behandlung benutzt wird, existieren keine hochwertigen Daten, die die Wirksamkeit in dieser Situation belegen. Die Studiendaten, die zur Aufnahme der neoadjuvanten Chemotherapie in die Leitlinien von EAU und AUA geführt haben, basieren überwiegend auf dem MVAC- bzw. CMV-Regime [
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]. Dennoch ist GC durch den Umkehrschluss von der palliativen Therapie zum De-facto-Standard in der Praxis geworden.
Eine Metaanalyse kann aus schlechten Daten keine guten Daten machen
Die Gruppe von Yuh et al. führte deswegen 2012 ein systematisches Review und eine Metaanalyse der vorhandenen Daten zur neoadjuvanten Therapie mit Gemcitabin und Cisplatin vor radikaler Zystektomie durch. Darin liegt die große Stärke dieser Arbeit – sie zeigt was wir nicht wissen: Die zugrunde liegenden Daten wurden überwiegend retrospektiv erhoben und die Patientenanzahl mit 111 Patienten ist für die statistische Auswertung zu gering. Zudem verwendeten die analysierten Studien heterogene Therapieprotokolle mit unterschiedlicher Zyklusdauer, Dosierung und Zyklenanzahl. Weiterhin wurde keine standardisierte Zystektomie mit einem definierten Lymphadenektomiefeld durchgeführt. Diese Heterogenität lässt eine hohe statistische Verzerrung vermuten.
Der größte Schwachpunkt der Arbeit liegt in den teilweise fehlenden Überlebensdaten der Studienpatienten. Daher wurde aus der Not heraus das pathologische Ansprechen als Endpunkt für die Metaanalyse gewählt. Die Autoren begründen ihre Entscheidung mit retrospektiven Studiendaten [
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], [
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] und Phase-II-Studien, nach denen das pathologische Ansprechen mit einem Überlebensvorteil gleichzusetzen sei. Bei Phase-II-Studien ist die pathologische Ansprechrate als primärer Endpunkt zwar akzeptabel, kann aber nicht bei Phase-III-Studien oder Metaanalysen verwendet werden, bei denen qualitativ hochwertige Endpunkte wie das Gesamtüberleben gefordert werden müssen.
Blasenkarzinompatient = Studienpatient?
Die Arbeit von Yuh zeigt uns erneut, dass wir aus schlechten Studiendaten keine Handlungsempfehlungen für den klinischen Alltag ableiten können. Umso mehr besteht die Notwendigkeit, mehr prospektive, hochwertige Studien beim Blasenkarzinom durchzuführen und Blasenkarzinompatienten bevorzugt im Rahmen klinischer Studien zu behandeln. Ein Vorbild dafür ist die pädiatrische Onkologie in Deutschland: Über 90 % aller krebserkrankten Kinder werden in klinischen Studien behandelt [
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].
Patienten profitieren von einer perioperativen Chemotherapie
Diese Metaanalyse unterstützt die Auffassung, dass Patienten mit muskelinvasivem Blasenkarzinom von einer multimodalen Therapie (perioperative Chemotherapie und Zystektomie) profitieren. Auf dem ASCO 2013 wurde eine aktuelle Metaanalyse zur perioperativen Chemotherapie vorgestellt, die die Daten von insgesamt 21 randomisierten, kontrollierten Studien zu neoadjuvanter und adjuvanter Chemotherapie mit insgesamt 3986 Patienten ausgewertet hat. Dabei zeigte sich im Vergleich zur alleinigen Zystektomie eine signifikante Verbesserung des Gesamtüberlebens bei einer perioperativen Chemotherapie, unabhängig vom adjuvanten oder neoadjuvanten Therapieansatz [
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].
Zusammenfassend ist es wichtig, dass jeder Blasenkarzinompatient mit einem muskelinvasiven Urothelkarzinom ein multimodales Therapiekonzept mit neoadjuvanter oder adjuvanter cisplatinhaltiger Chemotherapie erhält. Dieser Punkt wird auch bei der momentanen Entwicklung der S3-Leitlinie zum Blasenkarzinom durch die DGU (Deutsche Gesellschaft für Urologie) und DKG (Deutsche Krebsgesellschaft) berücksichtigt. Mit einer aufwendigen De-novo-Literaturrecherche soll eine fundierte Empfehlung zum Einsatz der perioperativen Chemotherapie entstehen.
Dr. Sebastian C. Schmid, Prof. Dr. Jürgen E. Gschwend und Prof. Dr. Margitta Retz, München