ergopraxis 2013; 6(09): 22-23
DOI: 10.1055/s-0033-1356905
wissenschaft
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Promovieren – Der Weg zum Doktor

Florence Kranz

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Publication Date:
06 September 2013 (online)

 

Neben Bachelor- und Masterabsolventen gibt es bereits erste promovierte Ergotherapeuten in Deutschland. Derzeit ist dieser Weg noch holprig. Ann Kennedy-Behr und Philipp Eschenbeck sind ihn gegangen.


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Florence Kranz

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Florence Kranz, Ergotherapeutin BcOT, schließt in einigen Monaten ihr Masterstudium an der Universität Koblenz-Landau ab. Kaum ist das Ende in Sicht, denkt sie bereits über die Möglichkeiten einer Promotion nach.

Unbeantwortete Fragen aus der Praxis können sich wie ein zäher Schleier über den Arbeitsalltag von Ergotherapeuten legen. Oder sie wecken in ihnen das Bedürfnis, jenseits der eingelaufenen Pfade nach Antworten zu suchen. Dann können sie Therapeuten zu Höchstleistungen anspornen und Entwicklungen vorantreiben. So erging es Ann Kennedy- Behr, als sie ihr „Projekt“ Promotion startete. Sie war unzufrieden damit, wie Ergotherapeuten Kinder mit einer umschriebenen Entwicklungsstörung der motorischen Funktionen (UEMF) traditionell behandelten, und fand in der Fachliteratur auf viele Fragen keine Antworten. Ihr Anliegen war es, Kinder mit UEMF frühzeitig zu erkennen und zu behandeln - nicht erst, wenn sie bereits in der Schule sind. Daher suchte sie selbst nach Möglichkeiten, um diese Störung anhand des Spielverhaltens bereits vor der Einschulung zu identifizieren und zu behandeln.

Für den Ergotherapeuten Philipp Eschenbeck stand schon nach seinem Masterstudium fest, dass er promovieren will. Durch ein Auslandspraktikum auf Malta und sein Studium am Karolinska Institut in Schweden hatte er die Möglichkeiten der akademisierten Ergotherapie kennengelernt und sich davon faszinieren lassen. Auch er wählte ein Forschungsthema, das ihn in der Praxis beschäftigt hatte: „Aufbauend auf meinen Vorkenntnissen und Interessen habe ich mich dem Störungsbild Neglekt bei Klienten nach einem Schlaganfall gewidmet. Um langfristig betätigungsorientierte therapeutische Interventionen entwickeln zu können, stellte ich unter anderem eine Testentwicklung zur ADL-basierten Diagnostik in den Fokus.“

Vielfältige Motive führen zur Promotion

Beide Ergotherapeuten folgten also vor allem einer intrinsisch-fachlichen Motivation. Sie wollten durch ihre Promotion den eigenen beruflichen Interessen und Neigungen besser nachkommen. Neben diesem Bestreben lassen sich fünf weitere Motiv-Dimensionen unterscheiden, die Hochschulabsolventen zu einer Promotion anregen. Dies zeigt eine aktuelle Absolventen-Befragung des Hochschul- Informations-Systems (HIS). Demnach streben Absolventen in erster Linie eine akademische Laufbahn an, wenn beruflich-fachliche Motive im Vordergrund stehen. Sind ihnen „berufliche Erträge“ wichtig, möchten sie mit einer Promotion vor allem ihre Berufschancen verbessern. Vermittelt der aktuelle Abschluss wenig Vertrauen in die eigenen Berufschancen, kann bei manchen Menschen auch ein Qualifizierungsdruck entstehen. Einige Absolventen sehen in der Promotion zudem eine Möglichkeit, schwierige Lebenslagen zu überbrücken, zum Beispiel Arbeitslosigkeit vermeiden oder zusätzliche Zeit für die Berufsfindung gewinnen. Außerdem kann dieser Schritt dabei helfen, den Kontakt zur Hochschule zu erhalten oder zu festigen [1].

Experten sind sich darüber einig, dass Gesundheitsfachberufe wie die Ergotherapie ihre Forschungsaktivitäten verstärken müssen [2-6]. Nur so können sie den Herausforderungen im Gesundheitswesen effektiv begegnen, die sich zum Beispiel durch den demografischen Wandel oder die Zunahme chronischer Erkrankungen ergeben.


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Forschung ist gefragt!

Die vom Gesundheitsrat eingesetzte Arbeitsgruppe Gesundheitsfachberufe fordert daher stabile Pfade in der wissenschaftlichen Nachwuchsförderung. Eine lebendige Forschungskultur setzt neben relevanten Studienangeboten auch Promotionsmöglichkeiten und wissenschaftliche Mitarbeiterstellen voraus [3].

Aktuell stoßen promotionswillige Ergotherapeuten allerdings noch auf einige Barrieren. So mangelt es an Promotionsmöglichkeiten in den Therapiewissenschaften. Daher müssen sie sich in der Regel anderen Disziplinen zuwenden, zum Beispiel der Medizin, den Gesundheitsoder Sozialwissenschaften [4]. Erschwerend kommt hinzu, dass sie häufig über Masterabschlüsse auf Fachhochschulebene verfügen. Und Fachhochschulen besitzen im Gegensatz zu Universitäten und gleichgesetzten Hochschulen kein Promotionsrecht. Kooperationen zwischen den beiden Institutionsformen versuchen hier Abhilfe zu schaffen [7]. Auch die Graduiertenkollegs der deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zielen darauf ab, die Durchlässigkeit zwischen Universitäten und Fachhochschulen zu verbessern und dabei den interdisziplinären Dialog zu fördern [8, 9].

Unterstützungsmöglichkeiten für Promotionsvorhaben [11]:

Strukturierte Programme:

  • > Promotionsstudiengang „Public Health“ der Universität Bielefeld: www.uni-bielefeld.de/gesundhw > „Studienangebote: Public Health (DrPH)“

  • > Promotionsstudiengang Gesundheitsund Pflegewissenschaften an der Martin Luther Universität Halle-Wittenberg: www.medizin.uni-halle.de > „Studium“ > „Gesundheits- und Pflegewissenschaften“ > „Promotionsstudiengang“

  • > kooperatives Promotionskolleg der Hochschule Osnabrück und der Universität Witten-Herdecke zum Thema „Familiengesundheit im Lebensverlauf“: www.uni-wh.de > „Suche: Familiengesundheit im Lebensverlauf“

  • > Graduiertenkolleg „Multimorbidität“ an der Charité Berlin: www.gradmap.de

Forschungskolloquien und Netzwerke:

  • > Interdisziplinäres Forschungskolloquium der Gesundheitsfachberufe (IFG): www.hawk-hhg.de/sozialearbeitundgesundheit/122254.php

  • > Promovierenden-Netzwerk Therapiewissenschaften, Charité Berlin: http://imppw.charite.de > „Gesundheitswiss.“ > „Forschungsschwerpunkte“ > „Health Professions Education“ > „Promovierendennetzwerk“


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Individuell oder strukturiert

Bislang finden nur wenige Promotionen strukturiert statt, also in Kollegs oder Promotionsstudiengängen. Über 93 Prozent der Doktoranden promovieren individuell [9]. Das heißt, sie suchen sich selbst einen Doktorvater oder eine Doktormutter, die ihre Arbeit betreuen. Forschungskolloquien und Netzwerke können sie dabei unterstützen und den Austausch mit anderen Promovenden anregen („Unterstützungsmöglichkeiten für Promotionsvorhaben“). Prinzipiell besteht aber auch die Möglichkeit, im Rahmen einer wissenschaftlichen Mitarbeit in Forschungsprojekten oder an einem Lehrstuhl zu promovieren [10].

Ann Kennedy-Behr entschied sich für den individuellen Weg. Als gebürtige Australierin hatte sie bereits ihr Bachelor- und Masterstudium in der Heimat absolviert. Daher nahm sie Kontakt zu Ergotherapie-Professorin Sylvia Rodger von der University of Queensland auf. In einem intensiven E-Mail-Austausch gewann sie die „Leader in the Field“ für die Erstbetreuung ihrer Dissertation.

Philipp Eschenbeck kombinierte seine Promotion an der medizinischen Fakultät zu Köln mit seiner wissenschaftlichen Mitarbeit an verschiedenen Forschungsprojekten, die am Institut für Neurowissenschaften und Medizin des Forschungszentrums Jülich stattfanden. Allerdings benötigte er für diese Option einen langen Atem: „Meine Suche nach einer geeigneten Promotionsstelle dauerte länger als anderthalb Jahre. Hier verlangen die strukturellen Gegebenheiten viel Eigeninitiative, Motivation und Frustrationstoleranz. Erfreulicherweise sind mittlerweile positive Entwicklungen spür- und feststellbar.“


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Konditionen klären

Die Promotionsordnungen der Hochschulen und Kollegs informieren Bewerber darüber, was sie mitbringen müssen. Meistens setzen sie einen überdurchschnittlichen Studienabschluss und ein konkretes Forschungsvorhaben voraus. Möchten Ergotherapeuten ihre Dissertation im eigenen Fachbereich verfassen, führt ihre Suche für gewöhnlich ins Ausland. So erging es auch Ann Kennedy-Behr, die an einer australischen Universität promovierte und ihre Forschung in Deutschland durchführte. Die Verknüpfung der beiden Forschungstraditionen erlebte sie als echte Herausforderung. So musste sie zum Beispiel alle Unterlagen in zwei Sprachen anfertigen und ihr Forschungsprojekt in Deutschland gegenüber skeptischen Reaktionen verteidigen. Sie musste sich nicht nur als „Ausländerin“ behaupten, sondern auch als Ergotherapeutin, die ein Forschungsprojekt leitet. Für viele Kollegen ungewohnt.

Neben einer geeigneten Promotionsmöglichkeit sollte natürlich auch die Finanzierung stehen. Mithilfe eines Stipendiums kann man sich ganz auf sein Forschungsprojekt konzentrieren. Die Datenbank Stipendienlotse bietet unter www.stipendienlotse.de einen ersten Überblick. Allerdings sind diese Förderungsmöglichkeiten häufig altersbegrenzt, was den Ausbildungsverläufen von Ergotherapeuten nicht gerecht wird [4, 11]. Findet man wie Philipp Eschenbeck eine geeignete Promotionsstelle, kann man Arbeiten und Forschen direkt miteinander verknüpfen. Eine nebenberufliche Promotion kann das Vorhaben in die doppelte Länge ziehen. So auch bei Ann Kennedy-Behr. In Teilzeit erforderte ihre Promotion insgesamt sechs Jahre - und viel Verständnis von ihrer Familie: „Mein Mann und meine Kinder haben dieses Projekt mit mir gelebt. Ich bin sehr dankbar für ihre Geduld und ihre Unterstützung.“


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Verlockende Aussichten

Auch wenn ein steiniger Weg hinter ihnen liegt, für die beiden Ergotherapeuten hat sich die Entscheidung offensichtlich gelohnt. Ann Kennedy- Behr konnte in ihrer quasi-experimentellen Studie zeigen, dass sich die Spielfertigkeiten und das Wohlbefinden von Kindern mit und ohne UEMF signifikant unterscheiden. Ihre Arbeit diente als Basis, um ein innovatives Präventionsangebot für Kindergärten zu entwickeln. Und Philipp Eschenbeck leitet heute als Professor für Ergotherapie den ersten grundständigen Bachelorstudiengang an der Hochschule für Gesundheit in Bochum. Erweist sich dieses Modellprojekt in Nordrhein- Westfalen als erfolgreich, entstehen in den nächsten Jahren vermutlich weitere Lehrstühle und Forschungsstellen. Die beruflichen Perspektiven für promovierte Therapeuten dürften sich also weiterhin verbessern. Aber auch die Möglichkeiten für praktisch tätige Ergotherapeuten, sich akademisch weiterzubilden und die Entwicklung unserer Profession voranzubringen. Wir dürfen auf die Zukunft gespannt sein.


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