Z Orthop Unfall 2013; 151(05): 425-426
DOI: 10.1055/s-0033-1359372
Orthopädie und Unfallchirurgie aktuell
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Hohe Querschnittlähmung – Der mühsame Weg zurück ins Leben

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Publication Date:
24 October 2013 (online)

 

Eine Querschnittlähmung ist schlimm genug, doppelt gepeinigt, wer dann auch noch auf eine künstliche Beatmung angewiesen ist. Dabei hat die Versorgung dieser schwer belasteten Patienten in den letzten Jahren Fortschritte gemacht. Die ZfOU beleuchtet in zwei Interviews die Versorgungslage in Deutschland und in der Schweiz.

Es sind mittlerweile einige Hundert Patienten pro Jahr allein in Deutschland: Jene Menschen, die als Folge eines Unfalls oder zunehmend aufgrund von Tumor- oder neuromuskulären Erkrankungen eine Querschnittlähmung erleiden, die auch ihre Fähigkeit zur aktiven Atmung teilweise bis ganz blockiert.

Wenngleich der Begriff undefiniert ist, wird oft von Hoher Querschnittlähmung gesprochen. Wird durch eine Läsion des Rückenmarks im oberen Halsmarkbereich (unterhalb des Halswirbelkörpers C 3 bis C 0) die Ansteuerung des Nervus phrenicus ganz oder teilweise nicht mehr möglich, kommt es zur Zwerchfelllähmung. Betroffene sind dann teilweise oder vollständig abhängig von maschineller Beatmung. Halsmarkläsionen unterhalb C 4 und tiefer führen ebenfalls zu einer Ateminsuffizienz, weil es zu einem vollständigen Ausfall der Interkostalmuskulatur kommt. Die Spontanatmung bleibt aber in der Regel erhalten, weil Betroffenen noch eine Zwerchfellatmung möglich bleibt.

Die Zahl der Betroffenen steigt

Für Deutschland führt der Arbeitskreis Querschnittlähmungen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung seit 36 Jahren eine Statistik zum Geschehen, die auf den Meldungen der Mitgliedszentren beruht. Auch wenn die Zahlen dieser Nationalen Datenbank der deutschen Spezialzentren zur Behandlung Querschnittgelähmter Grundlage für Publikationen sind, erfasst die Statistik doch nicht alle Kliniken, in denen tatsächlich solche Patienten behandelt werden. Der Arbeitskreis schätzt, dass derzeit in Deutschland 60 000 bis 80 000 Menschen mit einer Querschnittlähmung leben.

Die Statistik selber hatte in den 36 Jahren bis zum 30.06.2012 insgesamt 52 926 Patienten mit einer Querschnittlähmung neu aufgenommen ("frische Fälle").

16 379 waren Frauen, 36 547 Männer und auch 694 Kinder im Alter bis 14 Jahre sind dabei (‣ Abb. [ 1 ]). 32 772 Betroffene sind Paraplegiker, 20 154 Tetraplegiker (‣ Abb. [ 2 ]). Jährlich kommen derzeit über 2.000 Patienten neu hinzu.

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Abb. 1 Neue Querschnittlähmungen in Deutschland seit 1976. Anteilige Verteilung zwischen Männern und Frauen. Insgesamt wurden 52 926 Fälle bei der DGUV registriert (Quelle: Arbeitskreis Querschnittlähmungen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung).
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Abb. 2 Aufteilung zwischen Tetraplegikern und Paraplegikern in Deutschland (Quelle: Arbeitskreis Querschnittlähmungen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung).

Und der Anteil derer, die auf eine Dauerbeatmung angewiesen sind, steigt an. Im Jahr 2000 waren 4 % der Tetraplegiker und 0,2 % der Paraplegiker betroffen. Im Jahr 2010 lag der Anteil jeweils bereits bei 8,0 und 0,8 % (‣ Abb. [ 3 ]).

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Abb. 3 Tendenzen bei den Patienten mit Dauerbeatmung (Quelle: Arbeitskreis Querschnittlähmungen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung).

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Versorgung ist nicht einheitlich

Damit rückt die Versorgung gerade dieser Patienten mehr und mehr in den Vordergrund.

Keine Frage, die Behandlung der beatmungspflichtigen PatientInnen ist in den letzten 10 Jahren erheblich besser geworden – so belegen es die folgenden Interviews. Die dabei befragten Experten aus Deutschland und der Schweiz schätzen sogar, dass die Lebenserwartung der Betroffenen steigt – verlässliche Zahlen dazu gibt es allerdings nicht.

Darüber hinaus bleibt Raum für Verbesserungen: Eine Grundforderung aller Experten wird bis heute längst nicht immer erfüllt: Die Betroffenen gehören unbedingt in ein Zentrum für Querschnittlähmung [ 1 ]. Dennoch landen offenbar manche nach wie vor auch längerfristig in anderen Kliniken, mit dem Risiko einer schlechteren Versorgung.

Die Mehrzahl der Betroffenen kehrt heute in Deutschland wie in der Schweiz nach einer stationären Rehabilitation wieder in die eigenen vier Wände zurück. Das funktioniert allerdings nur bei einem optimalen Zusammenspiel von Spezialisten in Kliniken mit Pflegediensten und bestmöglicher Einbindung von Angehörigen.

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(© Thieme Verlagsgruppe, Studio Blofield)

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Diskussionsbedarf besteht!

Forum für die Spezialisten ist die DMGP – die Deutschsprachige Medizinische Gesellschaft für Paraplegie. 1985 zunächst als Vermittlungsstelle von Betten für Querschnittgelähmte gegründet, ist sie heute die Fachgesellschaft zur Querschnittlähmung in Deutschland, der Schweiz und Österreich. Seit 2011 ist die DMGP eine eigene Sektion in der DGOU.

Noch gibt die DMGP bei den Grundsätzen für die Behandlung allerdings nur "Empfehlungen" [ 2 ]. Sie sollen in absehbarer Zeit durch validere Leitlinien ersetzt werden. Bis dahin gibt es allerdings vermutlich noch erheblichen Diskussionsbedarf. Denn schon im Vergleich der nun folgenden Positionen aus der Schweiz und aus Deutschland zeigen sich Unterschiede in den Versorgungskonzepten.


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Konträre Konzepte in Deutschland und Schweiz

Sollen und können Angehörige Pflege und Betreuung rund um die Uhr übernehmen oder muss ein Profidienst rund um die Uhr präsent sein?

In Deutschland ist mittlerweile höchstrichterlich entschieden, dass die Versicherungen eine professionelle Rundum-die-Uhr-Betreuung weitgehend bezahlen. In der Schweiz müssen Betroffene hingegen zum Teil hohe Eigenmittel für die Pflege aufwenden. Zugleich favorisieren die von der ZfOU für die Schweiz befragten Expertinnen einen Ansatz, der Angehörigen und auch Freunden bewusst möglichst viel Mithilfe abverlangt – im Interesse maximaler Autonomie für die Betroffenen.

Hinzu kommen Unterschiede in den Versorgungsstrukturen. Während in Deutschland ein Dutzend Schwerpunktkliniken, darunter etliche Häuser der Berufsgenossenschaften und Unfallkliniken, Drehscheibe für die Versorgung ist, profitieren Betroffene in der Schweiz von einem Stiftungsmodell.


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Paradebeispiel Schweiz?

Die Schweizer Paraplegiker Stiftung (SPS), 1975 von dem Arzt und Politiker Dr. Guido A. Zäch gegründet, gilt als Paradebeispiel dafür, wie eine Stiftung helfen kann, die Versorgung von PatientInnen zu verbessern [ 3 ].

Die Gesamteinnahmen der SPS lagen allein 2012 bei über 220 Millionen CHF. Über 120 Millionen davon waren Einnahmen aus Dienstleistungen. Knapp 70 Millionen CHF kamen zusätzlich als reine Fördermittel von über 900 000 Haushalten und 182 Firmen. Das ist ein ausreichendes Finanzpolster für den Betrieb einer Spezialklinik. 1990 eröffnete das Schweizer Paraplegiker Zentrum (SPZ) in Nottwil mit 140 Betten. Hinzu kommt Direkthilfe für Betroffene und Unterstützung von Institutionen, die sich für die Belange von Menschen mit Querschnittlähmung einsetzen. Die SPS hat eine weitere Sparte ParaHelp für die schweizweite, ambulante Versorgung der Betroffenen auch nach der Entlassung aus der Klinik und finanziert obendrein Rehabilitationsforschung.

Gründer Zäch ist nicht ganz unumstritten. 2007 wurde er wegen Veruntreuung von Fördergeldern auf Bewährung verurteilt, ist inzwischen aber von der Stiftung wieder rehabilitiert und deren Ehrenvorsitzender.

Bernhard Epping

Weitere Informationen zu den Beiträgen Orthopädie und Unfallchirurgie aktuell finden Sie im Internet. Die Zahlen, zum Beispiel [ 1 ], verweisen auf weiterführende Links, die Sie ebenfalls im Internet finden.


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Abb. 1 Neue Querschnittlähmungen in Deutschland seit 1976. Anteilige Verteilung zwischen Männern und Frauen. Insgesamt wurden 52 926 Fälle bei der DGUV registriert (Quelle: Arbeitskreis Querschnittlähmungen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung).
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Abb. 2 Aufteilung zwischen Tetraplegikern und Paraplegikern in Deutschland (Quelle: Arbeitskreis Querschnittlähmungen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung).
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Abb. 3 Tendenzen bei den Patienten mit Dauerbeatmung (Quelle: Arbeitskreis Querschnittlähmungen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung).
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(© Thieme Verlagsgruppe, Studio Blofield)