Epidemiologie
Die Schulterluxation zeigt eine Inzidenz von 11,2–29,3 pro 100 000 Einwohner, wobei Männer bis zu 3-mal
häufiger betroffen sind [33], [44], [55], [61]. Im Adoleszentenalter zwischen 14 und 17
Jahren findet sich eine Luxationsrate von etwa 4,2 % [49].
Die unidirektionale anteroinferiore Instabilität ohne Hyperlaxität ist die häufigste Form der
Schulterinstabilität, in etwa 20 % besteht eine multidirektionale Hyperlaxität [53]. Die hintere Luxation findet sich in 1–4 % der Fälle [47].
Eine Sonderform stellt die Luxatio erecta dar, sie betrifft weniger als 1 % aller
Schulterluxationen.
Definition
Die Schulterluxation ist definiert als ein kompletter und permanenter Kontaktverlust zwischen
Humeruskopf und Gelenkpfanne, der einer Reposition bedarf [57] ([Abb. 1]). Demgegenüber beschreibt die Subluxation eine vermehrte
pathologische Translation unter Belastung, die sich bei ausbleibender Belastung spontan reponiert. Mit
Laxität wird die physiologische Gelenktranslation bezeichnet, die den vollen Bewegungsumfang
des Schultergelenks ermöglicht [39]. Eine Steigerung über das physiologische
Maß hinaus nennt man Hyperlaxität
[15].
Abb. 1 Anteroinferiore Schulterluxation.
Pathomechanik
Das Glenohumeralgelenk erlaubt den umfassendsten Bewegungsradius aller Gelenke des menschlichen Körpers.
Dynamische und statische Faktoren bedingen dabei die biomechanische Stabilität. Die Concavity
Compression
[35] beschreibt den Kraftvektor, mit dem der Humeruskopf in die Gelenkpfanne
gepresst wird. Er ist abhängig von der Konkavität, wobei das Labrum glenoidale 50 % der Tiefenausdehnung
ausmacht [23]. Dabei steht der Humeruskopf nur zentriert, wenn die
Netto-Kraftvektoren der dynamisch stabilisierenden Rotatorenmanschette durch den Mittelpunkt der Cavitas
glenoidalis verlaufen (skapulohumerales Gleichgewicht).
Die bedeutendsten Strukturen der statischen Stabilisatoren sind die glenohumeralen Bänder. Sie
werden unterteilt in ein superiores, mediales und inferiores glenohumerales Band, wobei die beiden
letzteren bei der Luxation nach vorne regelhaft geschädigt sind.
Das inferiore glenohumerale Ligament (IGHL) ist der wichtigste Stabilisator gegen eine
ventrale Translation in der Abuktions-/Außenrotationsposition.
Pathoanatomie
Der Labrum-Ligament-Komplex kann an 3 Stellen verletzt werden, am glenoidalen Ansatz, im Bereich
der Kapsel-/Bandstrukturen und am humeralen Ansatz. Die klassische Bankart-Läsion stellt einen
Abriss des Labrum glenoidale vom Limbus dar. Eine begleitende subperiostale Ablösung des IGHL vom
Skapulahals wird als Perthes-Läsion bezeichnet. Kommt es im Verlauf zur Ausbildung einer
Narbenwulst am Boden der Periosttasche, nennt man dies ALPSA-Läsion (anterior labral periosteal
sleeve avulsion) ([Abb. 2]). Die HAGL-Läsion (humeral avulsion of the
glenohumeral ligament) beschreibt die humerale Ablösung des mittleren und/oder inferioren glenohumeralen
Ligaments. Sie ist häufig mit einer Ruptur der Subscapularissehne vergesellschaftet.
Abb. 2 MRT-Bild einer ALPSA-Läsion.
Die luxationsbedingten knöchernen Verletzungen können die Gelenkpfanne sowie den Humeruskopf betreffen.
Eine Avulsion eines kleinen Kortikalisfragments vom Pfannenrand ohne oder mit nur wenig Spongiosa wird
als knöcherne Bankart-Läsion bezeichnet. Sie ist abzugrenzen von der Bankart-Fraktur
([Abb. 3]), die bis zu einem Drittel der Gelenkfläche betreffen kann. Die
Hill-Sachs-Läsion
[18] stellt eine posterosuperiore Impressionsfraktur des Humeruskopfs bei
vorderer Schulterluxation dar. Bei der hinteren Luxation tritt der Defekt entsprechend anterosuperior
auf (Reversed-Hill-Sachs-Läsion). Kommt es zum Einhaken der Impressionsfraktur am Pfannenrand,
wird dies als einhakender Hill-Sachs-Defekt („engaging Hill-Sachs-Defekt“) bezeichnet.
Abb. 3 CT-Bild einer dislozierten anteroinferioren Bankart-Fraktur.
Infolge einer Primärluxation kommt es bei älteren Patienten nicht selten zu einer begleitenden
Rotatorenmanschettenruptur, die ab dem 60. Lebensjahr in etwa 50 % der Fälle auftritt [36].
Die Begleitverletzungen des N. axillaris werden nach Erstluxation mit einer Häufigkeit von 14–21 %
angegeben [56]. Dabei sind temporäre Nervenschäden von Dauerschäden oder gar
Plexusläsionen zu unterscheiden. Eine Kombinationsverletzung aus traumatischer Luxation, Läsion des N.
axillaris und Ruptur der Rotatorenmanschette, wird als „terrible triad“ bezeichnet.
Klassifikationen
Die Klassifikationen sollen hier nur orientierend und unter dem Gesichtspunkt der traumatischen Genese
erwähnt werden.
Die 2-Säulen-Einteilung nach Matsen [40] schließt unter dem Akronym „TUBS“
(Traumatisch, Unidirektional, Bankart-Läsion, „Surgical repair“) die
traumatischen Fälle zusammen und empfiehlt die operative Therapie. Keine Berücksichtigung finden dabei
Mischformen aus traumatischer Genese und Hyperlaxität.
Die Klassifikation nach Gerber [11] ([Tab. 1])
unterscheidet im Wesentlichen 6 Typen. Dabei entspricht die unidirektionale Instabilität ohne
Hyperlaxität (B2) der klassischen Form der traumatischen Instabilität. In ca. 30 % der Fälle liegt eine
begleitende Hyperlaxität (unidirektionale Instabilität mit Hyperlaxität, B3) vor. Während bei Patienten
ohne Hyperlaxität häufig operationsbedürftige Läsionen bestehen, können B3-Patienten auch von einer
konservativen Therapie profitieren.
Tab. 1 Einteilung der Schulterinstabilität nach Gerber [11].
Klasse B
|
dynamische Instabilität
|
B1
|
chronisch verhakte Luxation
|
B2
|
unidirektionale Instabilität ohne Hyperlaxität
|
B3
|
unidirektionale Instabilität mit Hyperlaxität
|
B4
|
multidirektionale Instabilität ohne Hyperlaxität
|
B5
|
multidirektionale Instabilität mit Hyperlaxität
|
B6
|
willkürliche Instabilität
|
Akutbehandlung
Standardmäßig erfolgt die körperliche Untersuchung mit Erhebung des neuro-vaskulären Status (N.
axillaris). Anschließend werden Röntgenaufnahmen in mind. 2 Ebenen, die „true“ a.–p. und
Skapula-Y-Aufnahme, durchgeführt. Wurde die Diagnose klinisch und radiologisch bestätigt, ist die
zeitnahe und schonende Reposition durchzuführen. Dieser schließt sich eine erneute Überprüfung des
Gefäß-/Nervenstatus und die abschließende Bilddokumentation an.
Im Verlauf sollte eine erneute klinische Untersuchung zur Differenzierung zwischen rein traumatischen und
hyperlaxitätsbedingten Instabilitätsformen durchgeführt werden. Dabei dienen der Apprehension-, Fulcrum-
und Relocation-Test der Beurteilung der vorderen Instabilität. Die Laxität wird mit dem vorderen
Schubladentest, dem Sulcustest und Gagey-Test geprüft. Des Weiteren stehen bei reponiertem Gelenk
ergänzende Röntgen-Zielaufnahmen zur Beurteilung des vorderen unteren Pfannenrands und/oder einer
Hill-Sachs-Läsion zur Verfügung (West-Point-View, Bernageau-Aufnahme etc.). Diese wurden jedoch
weitgehend durch die Computertomografie verdrängt. Die Magnetresonanztomografie stellt den Goldstandard
in der Beurteilung des Labrum glenoidale, der Gelenkkapsel und der Rotatorenmanschette dar. Auch
knöcherne Defekte lassen sich damit abschätzen. Auf die Kontrastmittelgabe kann in einem Zeitraum von 2
Wochen nach traumatischer Luxation verzichtet werden, da durch das intraartikuläre Hämatom ein
Kontrasteffekt besteht [34]. Über diesen Zeitraum hinaus sollte eine
MR-Arthrografie erfolgen.
Repositionstechniken
Unter einer Vielzahl beschriebener Repositionsverfahren wird im eigenen Vorgehen bei der vorderen
Schulterluxation nach Möglichkeit die Skapulamanipulation angewendet. Dadurch wird eine zusätzliche
repositionsbedingte Traumatisierung vermieden. Der Patient wird hierfür in Bauchlage positioniert, wobei
der betroffene Arm nach unten hängt. Nach einer kurzen Entspannungszeit mobilisiert der Behandler den
Angulus inferior der Skapula nach dorsomedial. Gleichzeitig wird der obere mediale Anteil der Skapula
stabilisiert, was eine Drehung der Skapula um diese Achse zur Folge hat. Die Reposition stellt sich
häufig innerhalb weniger Sekunden ein. Erweist sich dieses Verfahren als frustran, bietet u. a. die
Technik nach Hippokrates eine Alternative.
Konservative Therapie
Die Entscheidung zwischen konservativer und operativer Therapie richtet sich in erster Linie nach dem
Risiko für eine Rezidivluxation, wobei das Patientenalter den bedeutendsten prognostischen Faktor
darstellt. Vergleichsstudien an Patienten unter 30 Jahren beschreiben unter konservativer Therapie
Reluxationsraten von 47–80 % [1], [5], [27], [30]. Bei Patienten über 40 Jahren liegt die
Rezidivrate mit 16 % dagegen deutlich niedriger [51].
Die konservative Therapie der traumatischen Schulterluxation zeigt bei Patienten unter dem
30. Lebensjahr Rezidivluxationsraten von über 50 %.
Der Einfluss der sportlichen Aktivität bleibt widersprüchlich, so werden in der Literatur einerseits bei
jungen Sportlern Reluxationsraten zwischen 80 und 90 % beschrieben [17], [54], [58]. Dementgegen sehen
einige Autoren keine Korrelation zwischen sportlicher Aktivität und Rezidivrate [20], [32].
Bei entsprechend hohem Risiko werden auch Primärluxierer einer operativen Therapie zugeführt, da
Rezidivluxationen zu größeren Hill-Sachs-Defekten, zu einer stärkeren plastischen Deformierung der
Kapsel und zu ausgeprägteren Kapsellabrumläsionen (höhere Rate von ALPSA-Läsionen) führen können und
damit langfristig ein erhöhtes Risiko für eine Instabilitätsarthrose darstellen [8], [13], [22], [45].
Bis dato besteht ebenfalls kein Konsens hinsichtlich Dauer und Position der Immobilisation um
Rezidivluxationen zu vermeiden. Im eigenen Vorgehen erfolgt die Ruhigstellung im Gilchrist-Verband in
Innenrotation über 4 Wochen mit einer Vermeidung der Außenrotation. Eine längere Ruhigstellung senkt die
Rezidivluxationsrate nicht [14], [21]. In den
letzten Jahren findet die von Itoi et al. [24] erstmalig beschriebene
Immobilisation in Außenrotationsstellung zunehmende Anwendung. Zwar konnte hierbei eine bessere
Adaptation des Labrum glenoidale, verglichen mit der Innenrotationsstellung, demonstriert werden, eine
signifikante Senkung der Reluxationsrate wurde jedoch nicht nachgewiesen [24], [26], [42], [46], [52].
Operative Therapie
Die operative Therapie sollte bei Vorliegen der folgenden Faktoren indiziert werden:
-
Patientenalter < 30 Jahre
-
schulterbelastende Wurf- und Überkopfsportarten sowie Kontaktsport
-
Hill-Sachs-Läsion > 20 % [6] der Gelenkfläche betreffend,
einhakender Hill-Sachs-Defekt
-
knöcherner Bankart-Defekt
-
begleitende Rotatorenmanschettenruptur
-
rezidivierende Instabilität unter konservativer Therapie
Bei der Auswahl des geeigneten Operationsverfahrens gilt es, zwischen isolierter Läsion des
Labrum-Ligament-Komplexes, isolierter knöcherner Verletzung (knöcherner Pfannenranddefekt,
Hill-Sachs-Defekt) und Kombinationsverletzung zu unterscheiden.
Das typische Verletzungsmuster der vorderen Schulterluxation ist dabei die klassische Bankart-Läsion.
Ziel der Operation ist es, den abgerissenen Labrum-Ligament-Komplex wieder am Glenoidrand zu
fixieren.
In früheren Studien wurde eine höhere Versagensrate der arthroskopischen Bankart-Operation, verglichen
mit den offenen Techniken, beschrieben [9], [28].
Mit der Einführung der neuen Fadenanker und knotenlosen Ankern nähern sich allerdings die Ergebnisse
hinsichtlich der Rezidivluxationsrate und Funktionalität an [19], [48].
Technik der arthroskopischen Kapsel-Labrum-Rekonstruktion
Wir verwenden die Beach-Chair-Position, wobei der Arm in einem Armhalter (Trimano, Fa. Maquet) in
Neutralrotation gelagert wird.
Beim Vorliegen einer Bankart-Läsion wird das retrahiert am Skapulahals verheilte Labrum glenoidale
mit dem Elevatorium mobilisiert und Verwachsungen mit dem Gewebe-Punch gelöst ([Abb. 4]). Ziel ist es, dass das Labrum wieder über Glenoidniveau steht. Anschließend
erfolgt das Anfrischen des Skapula-Halses mit dem Raspatorium, um eine bessere Einheilung des
Labrum-Ligament-Komplexes (LLK) zu erreichen. Nun wird mit dem Gewindeschneider ein Gewinde für den
bioresorbierbaren Fadenanker vorgeschnitten. Um eine suffiziente Refixation des LLK zu erreichen,
ist darauf zu achten, dass die Bohrkanäle nicht zu weit medial am Skapulahals liegen ([Abb. 5]). Der LLK wird mit einem Perforationsinstrument (SutureLasso, Fa.
Arthrex) durchstochen und ein Shift nach kranial und medial durchgeführt.
Abb. 4 Mobilisieren des anterioren Labrum-Ligament-Komplexes.
Abb. 5 Arthroskopisches Setzen eines Fadenankers an der 7-Uhr-Position (linke
Schulter).
Das inferiore glenohumerale Ligament muss für einen suffizienten Kapselshift ausreichend gefasst
und geshiftet werden, da es den wichtigsten statischen Stabilisator darstellt ([Abb. 6]).
Abb. 6 Kapselshift des IGHL nach kranial und medial mit einem gekrümmten Nahthaken zur
Elimierung des anteroinferioren Kapselpouches.
Dann wird ein Fiberwire-Faden des Ankers durch den LLK transportiert. In gleicher Weise wird auch der
2. Faden durch den LLK vorgelegt. Die beiden Fadenenden werden nun über einen Rutschknoten
verknotet. Aufsteigend an der 5-Uhr-Position (linke Schulter 7-Uhr-Position) beginnend werden mind.
3 Anker eingebracht ([Abb. 7]). Bei einer Überweitung des
Rotatorenintervalls, was sich klinisch in einem vermehrten Sulcuszeichen zeigt, kann dieses nach
abgeschlossenem Bankart-Repair und einem persistierenden „Drive through sign“ durch einen
Intervallshift verschlossen werden.
Abb. 7 Arthroskopische anteriore kapsulolabrale Rekonstruktion mit Kapselshift und
Aufwulstung eines Neolabrums.
Es gilt zu berücksichtigen, dass vergleichbare Ergebnisse der arthroskopischen und offenen
Stabilisierung nicht für alle Bedingungen gültig sind. Insbesondere bei knöchernen
Pfannenranddefekten und Engaging Hill-Sachs-Defekten zeigt die arthroskopische Stabilisierung hohe
Rezidvraten bis zu 67 %, bei Kontaktsportlern sogar bis zu 89 % [7]. Eine
Prognose hinsichtlich der Rezidivinstabilität bei der Wahl des operativen Verfahrens soll der
ISIS-Score [3] ([Tab. 2]) anhand von 6
Risikofaktoren liefern. Berücksichtigt werden Patientenalter, Sportlevel, Sportart, Hyperlaxität,
sowie das Vorliegen eines Hill-Sachs-Defekts und knöchernen Pfannenranddefekts. Nach der Studie der
Autoren kann bei Patienten mit einem ISIS-Score unter 6 Punkten eine arthroskopische Stabilisierung
durchgeführt werden (Reluxationsrisiko bis zu 10 %), während Patienten mit einem ISIS-Score über 6
Punkten und dem damit verbundenen höheren Reluxationsrisiko offen stabilisiert werden sollten.
Tab. 2 Instability Severity Index Score (ISIS) [3].
prognostische Faktoren
|
Punkte
|
Alter bei Operation
|
|
2
|
|
0
|
Grad sportlicher Beteiligung (präoperativ)
|
|
2
|
|
0
|
Sportart (präoperativ)
|
|
1
|
|
0
|
Schulterhyperlaxität
|
|
1
|
|
0
|
Hill-Sachs-Läsion im a.–p. Röntgenbild
|
|
2
|
|
0
|
Konturverlust der Pfanne im a.–p. Röntgenbild
|
|
2
|
|
0
|
Total (points)
|
10
|
Knöcherne Defekte
Hill-Sachs-Defekt
Bei großen Hill-Sachs-Defekten, die über 20 % [25] der Gelenkfläche
betreffen ([Abb. 8]), bietet die alleinige Rekonstruktion des
Labrum-Ligament-Komplexes kein zufriedenstellendes Ergebnis. Yamamoto et al. beschrieben
diesbez. den „glenoid track“. Dieser bezeichnet die humerale Kontaktfläche zur Gelenkpfanne, die
sich bei zunehmender Abduktion, endgradiger Außenrotation und Horizontalextension von
inferomedial nach superolateral verschiebt. Überschreitet die Lage der Impressionsfraktur die
mediale Begrenzung des „glenoid track“, besteht ein erhöhtes Luxationsrisiko. In diesem Fall
sollte zusätzlich zum arthroskopischen Bankart-Repair eine Hill-Sachs-Remplissage [50] durchgeführt werden. Dabei wird die Infraspinatussehne mittels
Fadenanker in den knöchernen humeralen Defekt hineingenäht um ein Einhaken am vorderen
Pfannenrand zu verhindern. Größere Humeruskopfdefekte bis 45 % der Gelenkfläche sollten
angehoben und mit Knochenzylindern aufgefüllt werden. Bei Impressionsdefekten über 45 % besteht
die Indikation zur Allograftauffüllung oder zum Humeruskopfersatz [6].
Abb. 8 Großer Hill-Sachs-Defekt, der in Abduktion und Außenrotation einhakt.
Knöcherne Glenoiddefekte
In biomechanischen Studien konnte gezeigt werden, dass eine Abnahme der Glenoidbreite um 50 % mit
einer Reduktion des Reluxationswiderstands um 30 % einhergeht [11].
Des Weiteren werden die Translationskräfte bei einem Verlust des anteroinferioren Pfannenrands
> 21 % der Glenoidlänge signifikant reduziert [25]. Nach Bigliani
[4] werden die Glenoiddefekte in 3 Gruppen unterteil. Typ I
bezeichnet eine knorplig-knöcherne Avulsionsfraktur, die mit Fadenankern refixiert werden kann.
Typ II beschreibt einen Defekt mit in medialer Fehlstellung konsolidiertem Fragment, wobei eine
Reinsertion der Kapsel am Glenoid ohne Berücksichtigung des Fragments empfohlen wird. Der
Vollständigkeit halber wird hier auch Typ III genannt, er stellt einen Erosiondefekt mit
Knochenverlust < 25 % (Typ III a) und > 25 % (Typ III b) der Glenoidfläche dar.
Technik der arthroskopischen Rekonstruktion der knöchernen Bankart-Läsion
Die Lagerung erfolgt in Beach-Chair-Position, wobei der Arm in einem Armhalter (Trimano, Fa. Maquet)
in Neutralrotation gelagert wird.
Zu Beginn erfolgt die Inspektion der Fraktur und des retrahierten ventralen Fragments von
anterosuperior ([Abb. 9]), gefolgt von der Mobilisation des knöchernen
Fragments mit dem Elevatorium. Bei reponierbaren Fragmenten wird dann ein bioresorbierbarer Anker,
der mit einem Faden armiert ist, in das kaudale Ende der glenoidalen Bruchfläche implantiert.
Anschließend wird mit einem gekrümmten Perforationsinstrument (SutureLasso, Fa. Arthrex) der
anhängende LLK und das Fragment umstochen und mit einem Rutschknoten an das Glenoid refixiert. In
Abhängigkeit von der Fragmentgröße werden weitere Anker eingebracht ([Abb. 10]).
Abb. 9 Ventraler knöcherner Bankart-Defekt.
Abb. 10 Refixation des knöchernen Fragments und der anhängenden Kapsel mit
Fadenankern.
Bei großen vorderen Pfannenranddefekten steht die offene Reposition und Schraubenosteosynthese über
einen deltopektoralen Zugang mit Subscapularissplit bzw. Subscapularistenotomie im Vordergrund.
Nicht selten bildet dabei die Frakturdarstellung eine Herausforderung, hinzu kommt die Problematik
einer möglichen zugangsbedingten Subscapularisdysfunktion. Bei kleineren und mittleren
Bankart-Fragmenten ohne starke Dislokation stellt auch die arthroskopisch assistierte Osteosynthese
eine Option dar ([Abb. 11]). Hierbei werden nach Reposition des
Fragments über einen anteroinferioren transsubskapulären Zugang 2 Führungsdrähte vorgebohrt und
darüber die kanülierten Schrauben eingebracht ([Abb. 12]). Große
dislozierte Bankart-Frakturen werden über einen offenen deltopektoralen Zugang mit
Subscapularistenotomie oder Subscapularissplit und eine T-förmige Kapseleröffung dargestellt,
reponiert und verschraubt.
Abb. 11 Arthroskopische Darstellung der ventralen Bankart-Fraktur.
Abb. 12 Postoperatives CT nach arthroskopischer Fragmentrefixation.
Bei nicht mehr rekonstruierbaren anterioren knöchernen Defekten der Gelenkpfanne besteht die
Indikation zu Knochenaugmentationsverfahren (z. B. Korakoidtransfer).
Hintere Instabilität
Das typische Verletzungsmuster der hinteren Schulterluxation/Schultersubluxation ist das axiale
Stauchungstrauma. Weitere Mechanismen, die auf eine hintere Schulterluxation hinweisen, sind
Stromunfälle, epileptische Anfälle und Makrotraumen mit Krafteinwirkung von anterior. Wichtig ist die
hintere Luxation im Röntgen nicht zu übersehen. In der „true“ a.–p. Aufnahme sollte das Überschneiden
des Humeruskopfs mit der Gelenkpfanne den Betrachter immer daran denken lassen ([Abb. 13]). Die 2. Ebene (Skapula-Y-Aufnahme) ist obligat. Die Reposition der hinteren
Schulterluxation ist meist deutlich schwieriger als die der vorderen Luxation und wird immer in
Analgosedierung oder in Vollnarkose durchgeführt. Hierbei wird der 90° elevierte Arm innenrotiert und
adduziert, durch gleichzeitigen Druck von dorsal auf den Humeruskopf kommt es zur Reposition. Die
Nachbehandlung erfolgt in einem Schulterkissen in 20° Außenrotationsstellung unter Vermeidung einer
forcierten Innenrotation für 6 Wochen. Eine klinische Evaluation der hinteren Instabilität wird im
Verlauf mit dem hinteren Schubladentest und dem Jerk-Test durchgeführt, zudem wird die Schulterlaxität
geprüft.
Abb. 13 „True“ a.–p. Aufnahme einer dorsal verhakten Schulterluxation.
Neben isolierten Weichteilverletzungen, wie der dorsalen Kapsel-Labrum-Läsion, spielen bei der hinteren
Schulterluxation insbesondere knöcherne Pathologien eine Rolle (dorsale Bankart-Fraktur,
Reversed-Hill-Sachs-Defekt, verhakte hintere Luxation) ([Abb. 14]).
Isolierte Verletzungen des Labrum-Ligament-Komplexes sowie kleine knöcherne Läsionen können analog dem
Vorgehen bei der vorderen Luxation arthroskopisch behandelt werden [2], [12], [29], [43], [60].
Abb. 14 MRT-Bild einer dorsalen Labrumläsion mit Reversed-Hill-Sachs-Defekt.
Technik der arthroskopischen hinteren Kapsel-Labrum-Rekonstruktion
Die Lagerung erfolgt vorzugsweise in Seitenlagerung, da hier durch den Armlängszug eine bessere
Darstellung der inferioren und dorsalen Gelenkanteile erreicht wird. Neben dem dorsalen
Standardportal muss ein zusätzliches posteroinferiores Portal angelegt werden, um einen optimalen
Einbringwinkel für die Anker zu erreichen. Die technischen Schritte der Refixation des posterioren
Anteils des IGHL und der posterioren Kapsel am dorsalen Glenoidrand erfolgen analog denen der
anterioren Stabilisierung von inferior nach superior.
Wichtig ist ein ausreichender Kapselshift des posterioren IGHL-Anteils und der relativ dünnen
posterioren Kapsel ([Abb. 15]).
Abb. 15 Arthroskopische dorsale Kapsellabrumrefixation nach Verknotung der Fäden – Blick
von posterosuperior nach inferior.
Für die bei der Luxation durch den hinteren Pfannenrand verursachte Reversed-Hill-Sachs-Läsion
stehen, in Abhängigkeit von der Größe der Impression des anterioren Humeruskopfanteils, verschiedene
Therapieoptionen zur Verfügung. Während Impressionen < 20 % der Gelenkfläche konservativ
behandelt werden können, sofern der Humeruskopf nicht einhakt oder reluxiert, sollten ausgeprägtere
Defekte operativ versorgt werden. Bis zu einer Beteiligung von 40 % der Gelenkfläche stehen neben
den anatomischen Verfahren (Knochenzylinder) [10], [37] auch nicht anatomische Techniken zur Verfügung. 1952 beschrieb McLaughlin [41] die offene Transposition der Subscapularissehne in den knöchernen
Defekt. Dieses Verfahren wurde von Hawkins und Neer [16] modifiziert,
indem sie den Defekt durch ein Versetzen des Tuberculum minus mit der adhärenten Subscapularissehne
auffüllten. Für die Transposition der Subscapularissehne wurden mittlerweile auch arthroskopische
Techniken beschrieben [31], [38]. Bei großen
Impressionen > 40 % wird der prothetische Ersatz des Humeruskopfs empfohlen [59] ([Abb. 16]).
Abb. 16 Verhakte dorsale Schulterluxation mit einem Reversed-Hill-Sachs-Defekt > 40 %
nach einem epileptischen Anfall – Versorgung mit einer Hemiprothese.